OGH 13Os72/06x

OGH13Os72/06x13.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer in der Strafsache gegen Hatem E***** und einen weiteren Angeklagten wegen der Verbrechen nach §§ 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Hatem E***** und Maher Z***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 11. Mai 2006, GZ 12 Hv 35/06z-84, nach Anhörung der Generalprokuratur und Äußerung des Angeklagten Hatem E***** (§ 35 Abs 2 StPO) in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Teilfreisprüche enthaltenden Urteil wurden Hatem E***** und Maher Z***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (zu A.), Hatem E***** zudem des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (zu B.) schuldig erkannt.

Danach haben sie den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift

A. Hatem E***** und Maher Z***** im bewussten und gewollten, arbeitsteiligen Zusammenwirken gewerbsmäßig in nicht näher bekannten, insgesamt jedoch mehrfach großen Mengen (§ 28 Abs 6 SMG) in Verkehr gesetzt, indem sie

1. im Zeitraum Spätsommer 2003 bis Herbst 2004 insgesamt 50 Gramm Marihuana und Haschisch in mehreren Angriffen an Marie Sophie D***** gewinnbringend verkauften,

2. im Zeitraum Mitte des Jahres 2004 bis Mitte Dezember 2004 insgesamt 4.850 Gramm Haschisch und 150 Gramm Marihuana in zahlreichen Angriffen an Hassan C***** zwecks gewinnbringenden Weiterverkaufs übergaben,

3. im Zeitraum Juni 2004 bis April 2005 insgesamt acht Gramm Kokain und ein Gramm Marihuana an Jamal A***** gewinnbringend verkauften,

4. im Zeitraum Herbst bis Winter 2004 insgesamt 90 Gramm Marihuana in mehreren Angriffen an Thomas P***** gewinnbringend verkauften,

5. im Zeitraum September 2004 bis Mitte 2005 insgesamt 76 Gramm Haschisch in mehreren Angriffen an Amir D***** gewinnbringend verkauften,

6. im Zeitraum September 2004 bis Ende März 2005 insgesamt 30 Gramm Haschisch in mehreren Angriffen an Florian S***** gewinnbringend verkauften,

7. im Zeitraum November 2004 bis Anfang Jänner 2005 insgesamt 20 Gramm Marihuana in mehreren Angriffen an Michael M***** gewinnbringend verkauften,

8. im Zeitraum Ende Dezember 2004 bis Februar 2005 insgesamt vier Gramm Marihuana und zwei Gramm Haschisch an den damals minderjährigen Wolfgang K***** gewinnbringend verkauften,

9. Anfang 2005 ein Kilogramm Haschisch gegen Erhalt einer Vermittlungsprovision von 100 Euro im Auftrag des Said M***** an einen unbekannten Dealer „D*****" in Wien weitergaben,

10. Im Zeitraum Jänner bis 9. August 2005 weitere nicht näher bekannte Mengen Haschisch und Kokain in zahlreichen Angriffen an unausgeforscht gebliebene Personen gewinnbringend verkauften;

B. Hatem E***** am 9. August 2005 in Graz erworben und besessen, indem er anlässlich der Hausdurchsuchung vom 9. August 2005 im Besitz von 18,4 Gramm Marihuana war.

Die dagegen von beiden Angeklagten (von Maher Z***** bloß gegen den Schuldspruch A.2. gerichteten) jeweils aus Z 3, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Hatem E*****:

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen das Individualisierungsgebot des § 260 Abs 1 Z 1 StPO, weil dem Schuldspruch A. (mit Ausnahme des Punktes A. 9.) keine Tatorte, jenem zu A. 10. zudem keine konkrete Menge des in Verkehr gesetzten Suchtgifts zu entnehmen seien. Sie macht nicht deutlich, weshalb diese Umstände im konkreten Fall zur Individualisierung der Taten erforderlich sein sollten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 290; 15 Os 38/03). Ist die Anführung des Tatortes im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zur wirksamen Vorbeugung einer nochmaligen Verfolgung derselben Tat nicht von Bedeutung, bewirkt deren Unterlassung im Übrigen keine Nichtigkeit nach Z 3. Durch die Anführung von Tatzeitraum, Art und Menge des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes sowie der Abnehmer im Schuldspruch A. 1. bis 8. wurde dem Individualisierungsgebot gegenständlich entsprochen.

Zu Schuldspruch A. 10. konnte die Individualisierung im Urteilsspruch - mangels Beweises - bloß in Form einer Zusammenfassung gleichartiger, pauschal durch Tatzeitraum, Art des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes und Bezugsquelle (US 11) individualisierbarer Taten erfolgen, was unter dem Aspekt des angezogenen Nichtigkeitsgrundes ebensowenig zu beanstanden ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 291).

Soweit der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO - neben einer in der Anführung der in den Entscheidungsgründen festgestellten Tatsachen bestehenden Ordnungsfunktion - eine sichere Individualisierungsgrundlage bezweckt, streiten daraus resultierende Zweifel im Fall einer nachfolgenden Verurteilung im Übrigen für die Annahme von Tatidentität und damit das Vorliegen des aus dem XX. Hauptstück der StPO resultierenden Verfolgungshindernisses (zum Ganzen: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 266 bis 268, 288, 291). Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Schuldspruchs (Z 9 und 10) ist nicht der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO, sondern sind dies die Feststellungen in den Entscheidungsgründen. Ein Rechtsfehler mangels Feststellungen zur Klärung des Vorliegens inländischer Gerichtsbarkeit (Z 9 lit a [Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634]; nach älterer Rsp Z 9 lit b [RIS-Justiz RS0092267]) kann demnach - der Beschwerde zuwider - nicht aus dem Fehlen der Angabe des Tatortes im Urteilsspruch abgeleitet werden.

Wie der Beschwerdeführer in seiner weiteren Verfahrensrüge (Z 3) ohnehin einräumt, hat sich der Zeuge Hassan C***** in dem gegen ihn geführten Verfahren im Rahmen seiner vor Gericht abgelegten Aussage als Beschuldigter iSd § 38 Abs 3 StPO der ihm angelasteten Taten schuldig bekannt, sodass mit der bloßen Wiederholung seiner Aussage als Zeuge in der Hauptverhandlung grundsätzlich keine Selbstbezichtigungsgefahr mehr verbunden war (vgl 13 Os 109/00; EvBl 2001/26, 107 = JBl 2001, 738; Fabrizy StPO9 § 152 Rz 4). Für den Vorsitzenden, der sich zunächst durch Beischaffung des bezughabenden Aktes eine Entscheidungsgrundlage verschafft hatte, bestand demnach keine Veranlassung für eine Belehrung dieses Zeugen nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO. Dass das seinerzeit erkennende Gericht seiner Entscheidung die Aussage des Genannten hinsichtlich seines Suchtgiftlieferanten (ohne nähere Begründung) nicht zugrunde legte, ändert daran nichts. Die unvollständige Begründung des Schuldspruchs B. monierende Mängelrüge (Z 5) spricht mit ihrer Behauptung, das Erstgericht habe gegen seine Annahmen sprechende Beweisergebnisse, nämlich den Bericht über die Hausdurchsuchung, wonach der überwiegende Teil des Suchtgiftes in einem frei zugänglichen Raum sichergestellt wurde (S 287 ff/I), mit Stillschweigen übergangen, keine entscheidende Tatsache an. Sie bezieht sich nämlich nicht auf den Erwerb und Besitz eines ebenfalls vom Schuldspruch umfassten - wenn auch geringen - Suchtgiftquantums, das in einem nur Hatem E***** zuzuordnenden Abstellraum aufgefunden wurde (S 287 unten f, 323/I, 241/II). Da § 27 Abs 1 SMG keine Mindestmenge normiert, würde der Wegfall des Erwerbs und Besitzes einer Teilmenge weder den Schuldspruch noch die Subsumtion einer begangenen Tat oder den angewendeten Strafsatz in Frage stellen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 406).

Entgegen der Mängelrüge zum Schuldspruch A 2. wurden die - in der Beschwerde fragmentarisch zitierten - Niederschriften der Aussagen der Katarina D***** und der Monika H***** aus dem Verfahren gegen Hassan C***** (ON 8 und 51 im Akt 5 Hv 54/05s des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) nach dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht verlesen (S 339/Band II) und sind auch nicht auf andere Art in der Hauptverhandlung vorgekommen. Sie bedurften daher keiner Erörterung in den Entscheidungsgründen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 427). Im Übrigen wurden Katerina D***** und Monika H***** zu Beziehungen zwischen Hatem E***** und Hassan C***** (mangels Relevanz) nicht befragt, sodass deren Aussage zu einer (weiteren) Drogenbezugsquelle des Letztgenannten, nämlich Said M*****, aktuell keine entscheidende Tatsache betrifft.

Das Erstgericht hat ausführlich begründet, weshalb es den Aussagen der Zeugen Hassan C***** und Zaid M***** nur eingeschränkt Glaubwürdigkeit beigemessen hat (US 13, 14 ff). Zu einer extensiven und isolierten Auseinandersetzung mit dem vollständigen Inhalt ihrer Aussagen im Detail bestand somit keine Verpflichtung (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428). Angesichts der Bekundungen des M*****, die beiden Angeklagten hätten „als große Dealer in Graz" an Araber, konkret auch an Hassan C*****, Suchtgift verkauft (S 269/Band II), war insbesonders sein Eingeständnis, selbst (ebenfalls) fünf bis zehn Kilogramm Suchtgift an C***** geliefert zu haben, nicht gesondert erörterungsbedürftig.

Die alleine gegen den Schuldspruch A. 2. gerichtete Tatsachenrüge (Z 5a) argumentiert schwergewichtig mit dem in einem angeblichem Widerspruch zu den Urteilsannahmen stehenden Schuldspruch des Hassan C***** im Verfahren 5 Hv 54/05s des Landesgerichtes für Strafsachen Graz.

Der Beschwerdeführer verkennt dabei, dass durch die Feststellungswirkung eines rechtskräftigen verurteilenden Straferkenntnisses (nur) für den Rechtskreis des Verurteilten bindend konstatiert ist, dass dieser die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des betreffenden Urteils rechtswidrig und schuldhaft begangen hat (Lässig, WK-StPO § 398 Rz 3). Strafbares Verhalten anderer Personen ist daher - ebenso wie allfällige weitere nicht verfahrensgegenständliche Straftaten des Verurteilten - von der Feststellungswirkung nicht umfasst. Eine - gebotene (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 430) - Auseinandersetzung mit der in Rede stehenden Entscheidung sowie den einzelnen Aussagen des Hassan C***** haben die Tatrichter sehr wohl vorgenommen (US 14 ff).

Der Rüge kommt daher unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO keine Berechtigung zu. Ebensowenig vermag sie erhebliche Bedenken gegen die dem Ausspruch über die Schuld zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Maher Z*****:

Mit seiner Verfahrensrüge (Z 3), die ausschließlich die unterlassene Belehrung des Zeugen Hassan C***** über sein Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO moniert, ist der Nichtigkeitswerber auf obige Ausführungen zu verweisen.

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge kann von einem aus Z 5 beachtlichen Widerspruch keine Rede sein, wenn Beweisergebnisse gegen getroffene Feststellungen sprechen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 439). Ein Begründungsmangel, den der Rechtsmittelwerber in einem angeblichen „unüberbrückbaren Widerspruch" zwischen den getroffenen Urteilsfeststellungen und den Angaben des Zeugen Hassan C***** sowie den Konstatierungen im zu 5 Hv 54/05s des Landesgerichtes für Strafsachen Graz ergangenen Urteil zu erkennen glaubt, liegt daher nicht vor.

Unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall StPO kommt der Beschwerde aus den in Beantwortung der Mängelrüge des Erstangeklagten angestellten Erwägungen keine Berechtigung zu.

Erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen werden angesichts der bereits zitierten Begründung der angefochtenen Entscheidung durch die Wiederholung des zur Mängelrüge erstatteten Vorbringens und durch isolierte Zitierung kontextentkleideter Passagen der Aussage des Zeugen Hassan C***** in der Hauptverhandlung (zur Bezugsquelle einer bei ihm sichergestellten Suchtgiftmenge und zu den zuletzt relativierten ursprünglichen Mengenangaben) nicht geweckt. Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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