OGH 8ObA21/10m

OGH8ObA21/10m22.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Umfahrer und Helmut Tomek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** K*****, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** H***** GmbH, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 11.098,80 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. September 2009, GZ 10 Ra 55/09w-23, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 30. September 2008, GZ 22 Cga 99/05x-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 766,08 EUR (darin 20 % USt 127,68 EUR) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 9. 1972 bis zu seiner Versetzung in den zeitlichen Ruhestand mit 31. 8. 1999 beim Österreichischen Bundestheaterverband, Staatsoper, aufgrund eines Bühnendienstvertrags als Balletttänzer tätig. Seit 1. 9. 1999 bezieht der Kläger Ruhegenussleistungen nach dem Bundestheaterpensionsgesetz (BThPG).

Der Berechnung der Pensionshöhe des Klägers wurde die Bestimmung des § 5 Abs 8 BThPG idF BGBl I 1998/123, zu Grunde gelegt, die vom 1. 1. 1998 bis zum Ablauf des 30. 9. 2002 in Geltung stand. Nach dieser Bestimmung zählten tatsächlich zurückgelegte Dienstzeiten eines Ballettmitglieds für die Bemessung des Ruhegenusses nur dann, wenn im jeweiligen Monat eine bestimmte Anzahl von Proben und Auftritten absolviert worden waren.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 15. 12. 2004, AZ G 107/03 ua, wurde ausgesprochen, dass § 5 Abs 8 BThPG idF BGBl I 1998/123 verfassungswidrig war und gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG nicht mehr anzuwenden ist.

In seiner am 1. 6. 2005 eingebrachten Klage begehrte der Kläger ursprünglich die Nachzahlung von monatlichen Pensionsdifferenzen für die Zeit vom 1. 9. 1999 bis 31. 5. 2005 in Höhe von insgesamt 20.673,83 EUR brutto sowie die Feststellung, dass ihm gegenüber der Beklagten ein Pensionsanspruch von 94,57 % der Ruhegenussbemessungsgrundlage von 69 % des letzten Monatsgehalts zustehe.

Die Beklagte habe ihm unter Anwendung der für verfassungswidrig erkannten Bestimmung laufend zu niedrige Ruhegenussraten bezahlt. Nach dem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs sei § 5 Abs 8 BThPG idF BGBl I 1998/123 nicht nur im Anlassfall nicht mehr anzuwenden gewesen, sondern auch für alle übrigen Betroffenen rückwirkend beseitigt worden, sodass der Kläger Anspruch auf eine nach seiner gesamten Ballettdienstzeit errechnete Pensionsleistung habe. Vor Verlautbarung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs sei ihm eine Geltendmachung dieses Anspruchs nicht möglich gewesen.

Den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bilden nach Klagseinschränkung nur noch die begehrten laufenden Differenzbeträge für den Zeitraum vom 1. 9. 1999 bis 31. 12. 2001.

Die Beklagte wandte ein, die noch gegenständlichen Forderungsteile seien verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Anspruch auf wiederkehrende monatliche Pensionszahlungen unterliege der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB, die bei Klagseinbringung bereits abgelaufen gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 15. 12. 2004 sei eine Ausdehnung der Anlassfallwirkung auf alle vor der Aufhebung des § 5 Abs 8 BThPG idF BGBl I 1998/123 verwirklichten Sachverhalte angeordnet worden. Der Kläger hätte seinen Anspruch auf höhere laufende Ruhegenussleistungen jedoch objektiv nicht erst nach Kundmachung dieses aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs, sondern - so wie auch die Kläger des seinerzeitigen Anlassverfahrens - unter Berufung auf eine Verfassungswidrigkeit der herangezogenen Bestimmung bereits ab seinem Pensionsantritt gerichtlich geltend machen können. Der wesentliche Zweck der Verjährungsbestimmungen, für Rechtssicherheit zu sorgen, stehe einer Berücksichtigung bloß subjektiver Hindernisse entgegen. Mit der Klagsführung auf den Ausgang eines anderen Verfahrens zu warten, berge von vorneherein das Risiko in sich, dass die erhoffte Aufhebung der nachteiligen Bestimmung durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs auf den Anlassfall beschränkt bleibt. Die bei Klagseinbringung mehr als drei Jahre rückständigen laufenden Ruhegenussbeträge seien daher verjährt.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil widersprüchliche Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Wirkung des gegenständlichen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vorlägen und höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Beginns der Verjährungsfrist im Zusammenhang mit einer Ausdehnung der Anlassfallwirkung im Sinn einer generellen Rückwirkung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision des Klägers ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber führt ins Treffen, einer früheren Geltendmachung seines Anspruchs seien entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht bloß subjektive, sondern objektive Hindernisse entgegengestanden, weil eine Zahlungs- oder Feststellungsklage nach der Gesetzeslage aussichtslos gewesen wäre. Ein eigenes Antragsrecht auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens stehe dem Kläger im Zivilprozess nicht zu. Die Fälligkeit des gesamten Nachzahlungsanspruchs und damit der Lauf der Verjährungsfrist könne daher nicht vor der Änderung der ihn benachteiligenden Rechtslage, also vor der Verlautbarung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs, eingetreten sein.

Diesen Ausführungen kommt jedoch - im Ergebnis - keine Berechtigung zu.

1. Der Oberste Gerichtshof hatte die Drittwirkung des Verfassungsgerichtshoferkenntnisses vom 15. 12. 2004 bereits in früheren Verfahren als Vorfrage zu beurteilen und ist dabei zu divergierenden Ergebnissen gelangt. Die Entscheidung 9 ObA 55/05m interpretierte den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofs, die verfassungswidrige Gesetzesstelle sei nicht mehr anzuwenden, als Anordnung der Erstreckung der Anlassfallwirkung auf alle vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände; in der Entscheidung 9 ObA 131/06i wurde jedoch der gegenteilige Standpunkt vertreten. Diese Diskrepanz wurde zwar erkannt, jedoch bot sich bisher noch keine Gelegenheit zur klärenden Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs, weil die Frage der Anlassfallwirkung für die betroffenen Ansprüche in späteren Revisionsverfahren, die ebenfalls Ruhegenussansprüche nach dem BThPG zum Gegenstand hatten, jeweils nicht präjudiziell war (vgl 8 ObA 57/07a; 9 ObA 84/09g; 9 ObA 116/09p).

Im vorliegenden Verfahren hängt dagegen die Entscheidung zunächst davon ab, ob der für verfassungswidrig erklärte § 5 Abs 8 BThPG idF BGBl I 1998/123 auf die Berechnung der erst im Jahr 2006 gerichtlich geltend gemachten Ansprüche des Klägers anwendbar geblieben ist. In diesem Fall wäre sein Ruhegenuss der Höhe nach unstrittig im gesetzlichen Ausmaß richtig errechnet und bezahlt worden, sodass sich die Frage der Verjährung nicht mehr stellen würde.

Das Berufungsgericht hat sich mit zutreffender Begründung der vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 55/05m vertretenen Rechtsansicht angeschlossen. Wenn der Verfassungsgerichtshof ausspricht, dass eine Gesetzesbestimmung verfassungswidrig war und die Formulierung, sie sei „nicht mehr anzuwenden“ verwendet, bringt er damit zum Ausdruck, dass diese Bestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern iSd Art 140 Abs 7 B-VG ausnahmslos auch auf alle früher verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist (vgl ua VfGH B 1125/98, B 2254/98; G 49, 50/04). Der in der Entscheidung 9 ObA 131/06i zum Ausdruck gelangten, allerdings dort nicht näher begründeten gegenteiligen Ansicht ist nach Auffassung des erkennenden Senates nicht zu folgen.

2. Die Ruhegenüsse der dem BThPG unterliegenden Dienstnehmer beruhen nach ständiger Rechtsprechung auf Privatrecht (9 ObA 119/06z; 9 ObA 23/02a ua); sie unterliegen hinsichtlich ihrer Verjährung grundsätzlich den Regelungen des ABGB.

Zur Unterscheidung zwischen der langen Verjährungsfrist, die für den Anspruch auf Ruhegenuss selbst gilt, und der Verjährungsfrist von drei Jahren ab Fälligkeit für die laufenden Raten (§ 1480 erster Satz ABGB), wird auf die zutreffenden, von der Revision auch nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Fälligkeit von laufenden monatlichen Ruhegenussraten - also jener Zeitpunkt, zu dem der Schuldner seine Leistung bewirken und der Gläubiger sie annehmen soll (Bollenberger in KBB³, § 904 Rz 1; Reischauer in Rummel, ABGB³ I § 904 Rz 2 ff) - tritt am vereinbarten Tag des jeweiligen Monats ein.

Gemäß § 1478 ABGB beginnt jede Verjährung zu laufen, wenn das Recht „an sich schon hätte ausgeübt werden können“, also für den Gläubiger die objektive Möglichkeit der Geltendmachung seines Anspruchs bestand und er Anlass zur Klage hatte (RIS-Justiz RS0034418). Durch subjektive Hindernisse oder tatsächliche Erschwerungen wird der Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht hinausgeschoben. Soweit das Gesetz keine Ausnahme macht - wie etwa in § 1489 ABGB für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen - hat die Kenntnis des Berechtigten vom Bestehen des Anspruchs keinen Einfluss auf den Beginn der Verjährung (RIS-Justiz RS0034445). Fehlendes Verschulden ist unbeachtlich, auch wenn der Berechtigte bei gewöhnlicher Sorgfalt keine Kenntnis vom Fristbeginn erlangen konnte (Mader/Janisch in Schwimann, ABGB³ VI § 1478 Rz 6).

Rechtliche Unmöglichkeit bildet dagegen nach der Rechtsprechung ein objektives Hindernis für die Geltendmachung eines Anspruchs (M. Bydlinski in Rummel³ § 1478 Rz 2; Mader/Janisch aaO Rz 3). So beginnt die Verjährung des Anspruchs eines „Scheinvaters“ gegenüber dem leiblichen Vater des Kindes auf Ersatz geleisteten Unterhalts nicht vor der rechtskräftigen Feststellung, dass der Leistende nicht der leibliche Vater des Kindes ist (RIS-Justiz RS0122888; jüngst 2 Ob 74/10m), unabhängig davon, ob die maßgeblichen Tatsachen den Beteiligten allenfalls auch schon früher bekannt waren. In diesem Fall besteht das einer früheren Geltendmachung entgegenstehende objektive Hindernis jedoch nicht (nur) darin, dass eine Klage zunächst aussichtslos gewesen wäre, sondern dass die aufrechte Vaterschaftsfeststellung bzw -vermutung Tatsachenwirkung entfaltet, auf deren Grundlage der Leistende bis zur Beseitigung seines Verpflichtungstitels eine eigene Schuld gegenüber dem Unterhaltsempfänger bezahlt hatte. Zur Beseitigung dieser Rechtslage bedarf es zunächst eines Statusverfahrens, dessen Ausgang für den Anspruch gegen den eigentlich Verpflichteten präjudiziell ist. Verallgemeinert kann ein Anspruch, für dessen Geltendmachung zunächst in einem anderen Verfahren die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssten, in der Regel noch nicht iSd § 1478 ABGB ausgeübt werden (vgl ua 1 Ob 204/10x - innerstaatliche Umsetzung eines Urteils des EGMR).

Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Beruht ein Leistungsanspruch auf einem Gesetz, dann bewirkt dessen Verfassungswidrigkeit nicht per se seine Unwirksamkeit oder die generelle Unzulässigkeit seiner Anwendung. Die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes hat auf die Normunterworfenen nur insoweit Auswirkungen, als sie der Verfassungsgerichtshof in einem aufhebenden oder feststellenden Erkenntnis feststellt, wobei eine Erstreckung der Anlassfallwirkung den Ausnahmefall vom Grundsatz der beschränkten Weitergeltung der aufgehobenen Norm bildet (Art 140 Abs 7 B-VG; vgl Schäffer in Rill/Schäffer Bundesverfassungsrecht Kommentar 101 f). Aus diesem Grund kann das in einem anderen Anlassfall eingeleitete Normenprüfungsverfahren nicht als vorgelagertes rechtsgestaltendes Verfahren angesehen werden, das der Kläger jedenfalls abwarten musste, bevor er seinen Anspruch geltend machen konnte.

Der Kläger, dessen laufende privatrechtliche Ruhegenussansprüche durch eine Gesetzesänderung verkürzt wurden, befand sich vielmehr in einer ähnlichen Situation wie ein Betriebspensionsempfänger, dessen laufende Ansprüche durch eine Vertragsänderung verringert werden. In beiden Fällen besteht ab Kenntnis der benachteiligenden Regelung sowohl Anlass als auch Möglichkeit, die aus der rechtlichen Unzulässigkeit des Eingriffs abgeleiteten Ansprüche durch Feststellungs- bzw Leistungsklage geltend zu machen.

Die frühere Geltendmachung seines Anspruchs unter Berufung auf eine Verfassungswidrigkeit des Eingriffs war dem Kläger schon deshalb nicht unzumutbar, weil sie die einzige Alternative gegenüber dem Akzeptieren der nachteiligen Bestimmung als geltendes Recht war. Für eine Erwartung, dass andere Betroffene die Initiative ergreifen würden und der Kläger dann in den Genuss der Anlassfallwirkung gelangen könnte, bestand keine rechtliche Grundlage.

Eine allein auf die Verfassungswidrigkeit einer zugrundeliegenden Norm gestützte Feststellungs- oder Leistungsklage ist auch nicht, wie die Revision argumentiert, objektiv aussichtslos. Es trifft zwar zu, dass die Gerichte erster Instanz nach Art 140 Abs 1 B-VG zur Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens nicht berechtigt sind und den Parteien keine Antragslegitimation zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zukommt (RIS-Justiz RS0053805), jedoch steht es ihnen offen, unter Darlegung der dafür sprechenden Gründe die Gesetzesprüfung anzuregen. Selbst wenn die Rechtsmittelgerichte diese Gründe nicht für stichhältig erachten sollten und die Anregung nicht aufgreifen, ist diese Entscheidung das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung der aufgezeigten Bedenken. Von einer objektiven Aussichtslosigkeit kann hier genauso wenig gesprochen werden wie im Fall einer auf Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung gestützten Klage, bei der für den Kläger auch nicht sicher vorhersehbar ist, ob die Gerichte seine rechtliche Beurteilung teilen werden.

Die im Rechtsmittelverfahren noch gegenständliche Klagsforderung wurde von den Vorinstanzen daher zutreffend als verjährt beurteilt.

Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.

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