Spruch:
Der Revisionsrekurs und der Schriftsatz vom 3. 12. 2010 werden zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Steiermärkische Landesregierung hat, gestützt auf § 13a Abs 1 stmk Naturschutzgesetz (NschG) 1976 mit Verordnung vom 3. 4. 2006 die „Hochlagen der östlichen Wölzer Tauern und Seckauer Alpen“ zum Europaschutzgebiet Nr 39 sowie mit der Verordnung vom 29. 5. 2006 das Gebiet „Niedere Tauern“ zum Europaschutzgebiet Nr 38 erklärt. In dem zuletzt genannten Gebiet liegen fünf Liegenschaften der Erstantragstellerin, welche sie der Zweitantragstellerin verpachtet hat.
Beide Antragsteller begehrten in ihrem an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung gerichteten Antrag eine (nicht bezifferte) Entschädigung als Folge der Erklärung dieses Gebiets zum Europaschutzgebiet Nr 38. Gegen den abweisenden Bescheid dieser Behörde riefen sie nach § 25 Abs 5 stmk NschG das Erstgericht an. Sie beantragten die Bestellung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen, insbesondere zur Höhe einer angemessenen Entschädigung, die Zuerkennung einer derartigen angemessenen Entschädigung und die Feststellung der zukünftigen Haftung der Antragsgegnerin für sämtliche den Antragstellern aus der Einbeziehung der Grundstücke in das Europaschutzgebiet Nr 38 entstehenden Ertragsminderungen, Wirtschaftsführungserschwernisse, erheblichen Vermögensnachteile, Wertminderungen, sonstigen Nachteile und Schäden.
Das Erstgericht wies diese Anträge ab.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zu § 25 stmk NschG im Zusammenhang mit der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie (VS-RL) bzw der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH-RL), zur Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens und zur geänderten Rechtslage infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragsteller ist entgegen diesem Ausspruch nicht zulässig.
1.) § 25 Abs 1 stmk NschG 1976 gewährt einen Anspruch auf angemessene Entschädigung demjenigen, der durch Auswirkungen einer Verordnung oder eines Bescheids nach den §§ 5, 6, 11 und 13a leg cit gehindert wird, sein Grundstück oder seine Anlage auf die Art und in dem Umfang zu nutzen, wie er zur Zeit der Einleitung des Verfahrens berechtigt ist und dadurch eine erhebliche Minderung des Ertrags oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung oder einen sonstigen erheblichen Vermögensnachteil erleidet (lit a) oder zu wirtschaftlich nicht zumutbaren Aufwendungen verpflichtet wird (lit b).
2.) Der Oberste Gerichtshof hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung 8 Ob 35/09v = RdU 2010/40 (Wagner) zu der Frage Stellung genommen, ob die bloße Einbeziehung von Grundstücken in ein Europaschutzgebiet (Nr 38 und 39) durch die - in Umsetzung der VS-RL und der FFH-RL erlassenen Verordnungen der Steiermärkischen Landesregierung nach § 13a Abs 1 stmk NschG vom 3. 4. 2006 und 29. 5. 2006 bereits eine Nutzungsbeschränkung dieser Liegenschaften bewirke und eine Entschädigungspflicht nach § 25 stmk NschG oder aufgrund allgemeiner verfassungsrechtlicher Erwägungen („Sonderopfertheorie“) auslöse. Das Ergebnis lautet: Eine unmittelbare Beeinträchtigung der Nutzung der von einem Europaschutzgebiet erfassten Liegenschaften wird allein durch die Einbeziehung in das Europaschutzgebiet ohne konkrete Festlegung von Ge- und Verboten in einer abgrenzbaren Weise nicht bewirkt, weshalb die Liegenschaftseigentümer keinen Anspruch auf eine Entschädigung haben. Ausdrücklich hielt der Oberste Gerichtshof noch fest, dass nicht zunächst eine allein auf der negativen „Markteinschätzung“ beruhende Entschädigung zugesprochen und „gleichzeitig“ ein allenfalls später nachfolgendes konkretes Ge- oder Verbot gesondert bewertet werden könnten.
3.) Auf die an der zitierten Entscheidung geäußerte (im Revisionsrekurs nicht erwähnte) Kritik Wagners (RdU 2010, 69 ff) und Kerschners (Aktuelle Rechtsfragen für den Sachverständigen - 2010, SV 2010, 123 [125]), die sich für den Ausgleich der Minderung des Verkehrswerts an Hand einer objektiv-konkreten Berechnung aussprechen, muss nicht eingegangen werden. Die Antragsteller, die ihren Anspruch dem Grunde nach ausschließlich aus der eingangs genannten Verordnung vom 29. 5. 2006 ableiteten, behaupten in ihrem Revisionsrekurs nämlich gar keine konkrete potentielle Nutzungsbeschränkung mit negativen Folgen für den Verkehrswert. Sie machen keine (als Folge der Ausweisung als Naturschutzgebiet grundsätzlich bereits eingetretene) Minderung des Verkehrswerts geltend. Ihre Argumentation bezieht sich vielmehr auf den Feststellungsantrag und konzentriert sich dabei auf das Feststellungsinteresse, dessen Vorliegen auch im Außerstreitverfahren Voraussetzung für die Berechtigung eines Feststellungsbegehrens ist (RIS-Justiz RS0039177 [T2]).
4.) Ob das Bestehen des rechtlichen Interesses zu bejahen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, denen nur bei einer groben Fehlbeurteilung eine über diesen hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0039177 [T1]). Eine derartige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts lässt sich hier aber nicht erkennen. Ein Feststellungsbegehren, das keine konkrete streitverhindernde oder sonstige Rechtswirkung zwischen den Parteien, sondern nur die Klärung abstrakter Rechtsfragen bezweckt, ist nicht zulässig (RIS-Justiz RS0039080; Fasching in Fasching/Konecny² § 228 ZPO Rz 62 mwN). Voraussetzung für das Feststellungsinteresse ist eine unmittelbare Wirkung des festzustellenden Rechts auf die Rechtsposition der die Feststellung beantragenden Partei (Fasching aaO Rz 79 mwN). Die Beurteilung des Rekursgerichts, das Feststellungsbegehren diene nur der Klärung abstrakter Rechtsfragen und es fehle das Feststellungsinteresse, ist nicht zu korrigieren, rechtfertigen doch die Antragsteller im Revisionsrekurs ihr Feststellungsinteresse mit abstrakt möglichen zukünftigen Beeinträchtigungen durch ebenfalls zukünftige Verträglichkeitsprüfungen nach § 13b stmk NschG, weil die Einbeziehung der betroffenen Grundstücke das „Grundrechtsverhältnis“ für die Notwendigkeit zukünftiger Maßnahmen nach dieser Bestimmung geschaffen habe. Die in § 25 Abs 4 stmk NschG geregelte dreijährige Frist, innerhalb der ein Antrag auf Entschädigung bei sonstigem Anspruchsverlust zu stellen ist, zwingt entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerber zu keiner anderen Beurteilung, weil die abstrakte Möglichkeit eines Anspruchsverlusts durch eine derartige gesetzliche Bestimmung ohne Bezug auf einen konkreten, der Präklusionsfrist unterworfenen Nachteil/Schaden für die Begründung des rechtlichen Interesses im Sinn der bereits dargelegten Kriterien nicht ausreicht. Der mit Schriftsatz vom 1. 2. 2010 gestellte Eventualfeststellungsantrag war nicht Gegenstand der Entscheidung des Erstgerichts. Das Rekursgericht hat dies nicht als Verfahrensmangel gesehen, was auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz nicht bekämpfbar ist (RIS-Justiz RS0050037) und nicht bekämpft wurde.
5.) In den Ausführungen zur objektiv unmittelbaren Wirkung („horizontale Drittwirkung“) der VS-RL und der FFH-RL vermögen die Revisionsrekurswerber nicht darzulegen, welches Recht aus den zitierten Richtlinien ableitbar wäre, das Entschädigungsansprüche von Eigentümern oder Nutzungsberechtigten betroffener Liegenschaften rechtfertigen könnte. Die angesprochenen Regelungen des Art 6 der FFH-RL verpflichten Mitgliedstaaten oder deren Behörden zu Maßnahmen, die der Erhaltung der natürlichen Lebensräume und Habitate wildlebender Tiere und Pflanzen dienen. Von Entschädigung ist darin nicht die Rede. Die diskutierte Frage der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien kann daher für den Entschädigungsanspruch der Antragsteller keinerlei Rolle spielen. Eine allfällige (partielle) Nichtumsetzung der Richtlinien durch Österreich bleibt damit ohne Einfluss auf die hier relevanten Rechtsfragen.
6.) Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verfügt die Europäische Union in Gestalt der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) über einen bindenden Grundrechtskatalog. Die dadurch bedingte Änderung der europäischen Rechtslage begründet aber ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage. Nach Art 17 GRC hat jede Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Dieses Grundrecht basiert, wie auch andere in der Charta normierte Grundrechte, auf den von der EMRK gewährten Garantien. Deshalb legt Art 52 Abs 3 Satz 1 GRC fest, dass den in der Charta enthaltenen Rechten, soweit sie den durch die EMRK garantierten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite zukommt, wie sie von der EMRK verliehen werden (S. Schenk, Der Einfluss der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf das nationale Verwaltungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Art 47 GRC, ZUV 2010, 51 bei FN 11).
7.) Die im Revisionsrekurs gestellte Frage, ob ausschließlich die Entziehung des Eigentums (nach dem Wortlaut des Art 17 GRC: Verlust des Eigentums) zwingend einen Entschädigungsanspruch nach sich zieht oder dafür bereits eine Eigentumsbeschränkung (in Form einer eingeschränkten Nutzung) ausreicht, wie die Revisionsrekurswerber meinen, ist daher vor dem Hintergrund der EMRK zu sehen. Auch vor dem Inkrafttreten der GRC hat der (nunmehr so bezeichnete) Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Grundrechte in ständiger Judikatur als Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung er zu sichern hat, gesehen, wobei er sich von der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, leiten ließ (vgl Obwexer, Die Rechtsstellung Einzelner in der Union nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, ÖJZ 2010/13, 101 [105]). Aus der Sicht des EuGH sind Nutzungsbeschränkungen des Eigentums dann rechtmäßig, wenn sie tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf die verfolgten Ziele unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (EuGH C-293/97 Slg 1999 I-02603 Rn 54; Calliess in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten³ § 16.4 Rz 42). Die Grenze der Rechtswidrigkeit überschreitet der Eingriff dann, wenn er faktisch zu einem Entzug des Eigentums führt oder es die Beschränkung dem Betroffenen praktisch unmöglich macht, seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen (C-368/96 Slg 1998 I-07967 Rn 85; Calliess aaO Rz 44). Wie bereits erwähnt, werden hier keine konkreten Nutzungsbeeinträchtigungen als unmittelbare Folge der Einbeziehung in ein Europaschutzgebiet geltend gemacht. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens veranlasst, dessen Gegenstand die Klärung abstrakter Rechtsfragen ohne Relevanz für den konkreten Rechtsstreit wäre.
8.) Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
9.) Die Einbringung des Schriftsatzes vom 3. 12. 2010 verstößt gegen den auch im Außerstreitverfahren geltenden Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels und ist unzulässig (RIS-Justiz RS0007007).
10.) Der Antragsgegner hat in der Revisionsrekursbeantwortung keine Kosten verzeichnet, weshalb sich die Frage einer Kostenersatzpflicht der Antragsteller nicht stellt.
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