European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00100.10Z.1005.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Hingegen wird der außerordentlichen Revision der beklagten Partei Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird in ihrem stattgebenden Teil dahin abgeändert, dass das abweisende Urteil des Erstgerichts zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.709,10 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 1.234 EUR Barauslagen, 754,85 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Parteien stehen im Wettbewerb auf dem österreichischen Markt für Tageszeitungen. Die Beklagte veröffentlichte vor der Nationalratswahl 2008 einen an ihren Herausgeber gerichteten Brief des (damaligen) Bundeskanzlers und des Vorsitzenden der SPÖ zu deren zukünftiger Haltung gegenüber der Europäischen Union. Dieser Brief wurde in anderen Medien heftig kritisiert. Die Beklagte replizierte darauf unter der Rubrik „Post von Jeannée“ wie folgt:
Bereits zuvor hatte es in der redaktionellen Auseinandersetzung zwischen den Zeitungen wechselseitige Angriffe gegeben. So hatte die Beklagte die Zeitung der Klägerin als „Unding“ sowie als „Perlen‑vor‑die‑Säue‑Blattl“ bezeichnet, und die Klägerin hatte die Zeitung der Beklagten mit der Formulierung „Dumm … dümmer“ in Verbindung gebracht und behauptet, diese sowie eine weitere Zeitung stünden aufgrund von Leserverlusten „am Rande des Nervenzusammenbruchs“.
Die Klägerin beantragt, der Beklagten aufzutragen,
im geschäftlichen Verkehr die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerungen, die Zeitungsredaktionen des Landes wären komplett unvorbereitet und/oder total überfordert und/oder sinngleiche Äußerungen zu unterlassen, insbesondere wenn diesen Äußerungen die Zeitungsredaktion der „Kronen Zeitung“ gegenübergestellt wird, wo gelassenes „business as usual“ herrsche.
Weiters begehrt sie Schadenersatz von 10.000 EUR und die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung. Die Behauptung, ihre Redaktion sei ‑ im Gegensatz zu jener der Beklagten, die professionell und gelassen reagiere ‑ komplett unvorbereitet und daher total überfordert, sei eine gegen die §§ 1 und 7 UWG verstoßende pauschale Herabsetzung und eine Ehrenbeleidigung nach § 1330 ABGB. Die Klägerin werde im Artikel zwar nicht namentlich genannt, doch sei der Markt der österreichischen Printmedien ein „kleines Kollektiv“, weshalb jeder Mitbewerber und daher auch sie selbst einen Unterlassungsanspruch habe. Die Vorwürfe der Beklagten beruhten auf keinem erkennbaren Tatsachensubstrat und seien daher eine unnötige und aggressive Bloßstellung.
Die Beklagte beruft sich auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Nur eine unsachliche oder unnötige Herabsetzung der Leistungen eines Mitbewerbers sei sittenwidrig. Dabei müsse aber auch der journalistische Stil des Verletzten berücksichtigt werden. Der beanstandete Artikel sei eine Reaktion auf die mediale Kritik am zuvor veröffentlichten Brief des Bundeskanzlers und des SPÖ‑Vorsitzenden gewesen. Dabei habe sich der Verfasser einer ‑ der Klägerin adäquaten ‑ drastischen Sprache bedient.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Zu beurteilen seien Aussagen im Rahmen einer Glosse, also eines kurzen pointierten Meinungsbeitrags, der sich vom Kommentar und Leitartikel durch seinen polemischen, satirischen oder feuilletonistischen Charakter unterscheide und dessen Stilmittel Ironie und Übertreibung seien. An die Beurteilung solcher Glossen seien keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen. Zudem fehle der beanstandeten Aussage die Eignung, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen.
Das Berufungsgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt, verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 6.000 EUR Schadenersatz und ermächtigte die Klägerin zur Urteilsveröffentlichung; das Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Weiters sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die beanstandete Äußerung sei eine pauschale Herabsetzung aller anderen österreichischen Zeitungen. Durch die Behauptung, (auch) die Klägerin sei durch ein politisches Ereignis („medialer EU‑Vulkanausbruch“) überrascht worden, sie sei komplett unvorbereitet gewesen und habe daher total überfordert reagiert, werde ihr fachliche Unfähigkeit unterstellt. Die weitere Wortwahl („was den gebeutelten Kollegen so aus ihren chaotischen Federn fließt“) sei nicht nur herabsetzend, sondern ziehe die Tätigkeit der Konkurrenz bereits ins Lächerliche. Zur Klage sei nach § 14 UWG jeder Mitbewerber berechtigt. Durch pauschale Herabsetzungen eines Mitbewerbers würden die Grenzen einer zulässigen Abwehrmaßnahme überschritten. Schlagwortartige Pauschalherabsetzungen von Mitbewerbern könnten auch nicht mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt werden.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richten sich außerordentliche Revisionen beider Parteien. Jene der Klägerin ist unzulässig (§ 510 Abs 3 ZPO); jene der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht nicht ausreichend auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit Bedacht genommen hat, sie ist aus diesem Grund auch berechtigt.
1. Das Rekursgericht hat die Rechtsprechung zur unzulässigen Pauschalabwertung (RIS‑Justiz RS0078308; zuletzt etwa, schon zum neuen Recht, 4 Ob 127/08t = ÖBl 2009, 120 [Mildner] ‑ unseriöse Anbieter, und 4 Ob 39/10d) an sich richtig wiedergegeben: Danach verstößt eine der objektiven Nachprüfung entzogene, mit Schlagworten operierende und deshalb dem Wahrheitsbeweis nicht zugängliche Pauschalabwertung eines Konkurrenten, die den Boden einer sachlichen Aufklärung des Publikums verlässt, gegen § 1 UWG; sie kann im Allgemeinen ebenso wenig mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt werden (RIS‑Justiz RS0109629) wie unwahre Tatsachenbehauptungen (RIS‑Justiz RS0075732, RS0054817 [T12]).
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass hier eine solche Pauschalherabsetzung ohne sachliche Grundlage vorlag, trifft allerdings nicht zu. Denn die beanstandete Formulierung ist im gegebenen Zusammenhang eine Bewertung von konkret genannten Tatsachen, nämlich der durchaus scharfen und auch gegen die Zeitung der Klägerin gerichteten Kritik anderer Medien am Brief des Bundeskanzlers und des SPÖ‑Vorsitzenden. Man muss die von der Beklagten gezogene Schlussfolgerung, wonach diese Kritik auf „Überforderung“, dh auf einer Überraschung durch den Brief beruhe, zwar nicht teilen. Eine Pauschalabwertung ohne Tatsachensubstrat liegt darin aber jedenfalls nicht.
Auch ein Wertungsexzess ist nicht zu erkennen. Die Behauptung der „Überforderung“ ist eine im Verhältnis zwischen den Streitteilen eher zurückhaltende Formulierung, nicht eine das Maß zulässiger Kritik jedenfalls überschreitende Beleidigung wie etwa „in den Wind geschleimt“ (4 Ob 100/90 = Öbl 1990, 250 ‑ in den Wien gereimt), „dümmer geht’s nimmer“ (4 Ob 233/07d = Öbl‑LS 2008/77 ‑ spätes Mutterglück), „Perlen vor die Säue“ (4 Ob 176/08y = MR 2009,55 ‑ Perlen vor die Säue) oder „Dreck‑Storys eines wild gewordenen Schmiranski“ und „Unterste-Schubladen-Reaktion eines Zynikers, für den der Terminus skrupellos ein unzureichendes Hilfsadjektiv ist“ (4 Ob 103/10s).
3. Dazu kommt im Anlassfall die besondere Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit. Nimmt ein Mitbewerber ‑ wenngleich in Wettbewerbsabsicht ‑ an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betrifft, so hat die Freiheit der Meinungsäußerung bei der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung seiner Aussagen ein höheres Gewicht als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen (4 Ob 98/07a = SZ 2007/139 ‑ VÖB mwN zur Rsp des EGMR; RIS‑Justiz RS0122468).
Im vorliegenden Fall war die beanstandete Aussage Teil einer Debatte über Form und Inhalt einer Aussage des Bundeskanzlers und des SPÖ‑Vorsitzenden zu grundlegenden Fragen der Europapolitik. Zwar brachte die Glosse der Beklagten diese Debatte auf eine andere Ebene, weil sie der flächendeckend geübten Kritik andere als politische Gründe unterstellte, nämlich Überforderung und (implizit) den Neid, selbst keinen vergleichbaren Brief bekommen zu haben. Das Hinterfragen der Gründe politischer Kritik ist aber selbstverständlich ebenfalls Teil der politischen Debatte. Damit steht auch Art 10 EMRK dem vom Berufungsgericht erlassenen Verbot entgegen.
4. Aus diesen Gründen ist der Revision der Beklagten Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
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