Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die wörtliche und/oder sinngleiche Behauptung zu verbreiten, dass ‘1,7 Millionen Leser jede Woche Österreich vertrauen' würden, wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist aber schuldig, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die wörtliche und/oder sinngleiche Behauptung zu verbreiten, dass ‘1,7 Millionen Leser jede Woche Österreich vertrauen' würden, ohne zugleich und gleich auffällig darauf hinzuweisen, wer diese Angabe in welchem Zeitraum erhoben hat.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, den klagestattgebenden Teil des Urteilsspruchs mit Ausnahme der Kostenentscheidung binnen 14 Tagen im periodischen Druckwerk 'Ö*****'zu veröffentlichen, und zwar auf der Titelseite, im oberen rechten Viertel der Seite, in einem fett linierten Rahmen, mit fett geschriebener mindestens 20 Punkt großer Überschrift ‘im Namen der Republik' und mindestens 16 Punkt großer Schrift unter Nennung des Gerichts, des entscheidenden Richters, der fett geschriebenen Parteien und Vertreter, des Aktenzeichens und des Entscheidungsdatums.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 320,50 EUR bestimmten Barauslagen des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.110 EUR bestimmten Barauslagen des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Medieninhaberin eines periodischen Druckwerks, das unter anderem in Wien vertrieben wird; die Beklagte ist Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Ö*****“, das bundesweit vertrieben wird. Beide Streitteile stehen daher nicht nur miteinander im Wettbewerb, sie sind auch beide Mitglieder des Vereins Media-Analyse und haben sich dessen Statuten unterworfen, Zahlen des Vereins nur unter den vom Verein formulierten Bedingungen zu veröffentlichen.
Der Verein Media-Analyse definiert die von ihm erhobenen Zahlen wie folgt:
„Reichweite:
Anteil der Personen (in Prozent), die Fernsehen oder Radio pro Tag (= Tagesreichweite) bzw ein Printmedium in einem Erscheinungsintervall nutzen … Bei Printmedien heißt die Reichweite je nach Art der Berechnung Leser pro Nummer oder Leser pro Ausgabe.
WLK (weitester Leserkreis):
Zahl der Personen, die in einem definierten Zeitintervall zumindest eine Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift gelesen oder durchgeblättert hat. Die WLK-Intervalle sind wie folgt definiert:
Tageszeitungen … 7 Tageszeitungen“
In der am 11. 6. 2009 bereits veröffentlichten Mitteilung der Media-Analyse schreibt diese vor, dass bei Veröffentlichung von Daten aus MA-Berichten jedenfalls die Quelle anzuführen ist.
Die Beklagte verbreitete im rechten oberen Bereich des Titelblatts der Ausgabe ihrer Tageszeitung „Ö*****“ vom 11. 6. 2009 die Aussage „1,7 Millionen Leser vertrauen jede Woche Ö*****“. Weitere auf diese Aussage Bezug nehmende Angaben enthält die viele Bilder und Überschriften beinhaltende Titelseite nicht.
Die Klägerin begehrt, der Beklagten im geschäftlichen Verkehr die wörtliche und/oder sinngleiche Behauptung zu verbieten, dass „1,7 Millionen Leser jede Woche Ö***** vertrauen“ würden; hilfsweise dieselbe Behauptung, ohne zugleich und gleich auffällig darauf hinzuweisen, wer diese Angabe in welchem Zeitraum erhoben hat. Zusätzlich begehrte sie eine inhaltlich näher definierte Urteilsveröffentlichung auf der Titelseite der Zeitung der Beklagten. Die beanstandete Behauptung verstoße gegen § 2 UWG. Sie sei unwahr und es fehle jeder Hinweis darauf, wer sie ermittelt habe. Beim durchschnittlichen Medienkonsumenten werde der unrichtige Eindruck erweckt, dass die Zeitung der Beklagten täglich von 1,7 Millionen Lesern gelesen werde. Die Beklagte müsse mehrdeutige Angaben gegen sich gelten lassen. Ein weitester Leserkreis (WLK) von 1.696.000 bedeute nicht, dass die Zeitung der Beklagten 1,7 Millionen Leser pro Ausgabe habe. Dieser Wert habe laut Media-Analyse 2008 nur 702.000 betragen. Die Beklagte dürfe die Zahl des weitesten Leserkreises nicht als Reichweite darstellen. Darin liege auch ein Verstoß gegen § 1 UWG.
Die Beklagte wendet ein, die beanstandete Äußerung sei nach dem maßgeblichen Gesamteindruck wahr. Der weiteste Leserkreis ihrer Zeitung habe im Jahr 2008 rund 1,7 Millionen Leser betragen. Die Bedeutung der Reichweitenzahl WLK erkenne man auch daran, dass laut Abfrageschema der Media-Analyse zuerst der weiteste Leserkreis abgefragt werde, erst danach die Tagesreichweite. Da die Beklagte keine Reichweiten miteinander verglichen habe, müsse sie auch nicht Quelle und Erhebungszeitraum angeben. Eine Gegendarstellung auf der Titelseite sei gemäß § 13 Abs 4 MedienG unzulässig, diese Wertungen seien analog auch für den Bereich des UWG heranzuziehen.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungs-(Haupt-)begehren statt. Die beanstandete Äußerung „1,7 Millionen Leser vertrauen jede Woche Ö*****“ sei als Reichweitenbekanntgabe aufzufassen. Der durchschnittlich verständige Konsument verstehe die Äußerung dahin, dass tatsächlich 1,7 Millionen Leser durchschnittlich eine Ausgabe der Tageszeitung der Beklagten lesen. Der Zusatz „jede Woche“ sei aus dem Blick eines Durchschnittskonsumenten so zu verstehen, dass es sich bei dieser großen Leserzahl nicht um eine zufälligerweise in einer „starken Woche“ ermittelte Leserzahl handle, sondern eine derartige Reichweite „Woche für Woche“, also ständig erreicht würde. Diese Auslegung sei zumindest möglich, die Beklagte habe die jeweils ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen. Damit liege eine irreführende Geschäftspraktik iSd § 2 UWG vor. Auf die behauptete Wettbewerbsverletzung durch Nichteinhaltung der Veröffentlichungsrichtlinien des Vereins Media-Analyse brauche daher nicht eingegangen zu werden. Die begehrte Veröffentlichung auf der Titelseite entspreche dem Talions- und dem Äquivalenzprinzip. Dass eine Veröffentlichung auf der Titelseite nicht angeordnet werden dürfe, sei dem UWG nicht zu entnehmen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, die ordentliche Revision aber nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht der oberstgerichtlichen Rechtsprechung gefolgt sei.
Ein zumindest nicht unbeträchtlicher Teil der Leser werde die Behauptung „1,7 Millionen Leser vertrauen jede Woche Ö*****“ dahin verstehen, dass tatsächlich 1,7 Millionen Menschen durchschnittlich eine Ausgabe der Tageszeitung - also täglich - lesen. Er werde die in einem Druckmedium angegebene Leserzahl als Leser pro Ausgabe verstehen. Dass die Zahl der wöchentlichen Leser gemeint sein solle, sei nicht unbedingt naheliegend. Jedenfalls müsse die Beklagte, so sie die beanstandete Aussage als zweideutig ansehe, die für sie ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen. Überdies sei der WLK-Wert zum Zeitpunkt der beanstandeten Äußerung nicht mehr aktuell gewesen und habe daher nicht so ohne weiteres einer ein halbes Jahr später aufgestellten Behauptung zugrunde gelegt werden können. Eine „Harmonisierung“ der Urteilsveröffentlichungsvorschriften des UWG und des MedienG sei angesichts der unterschiedlichen Regelungssachverhalte und der daraus resultierenden unterschiedlichen Wertungen der jeweiligen Bestimmungen nicht in Betracht zu ziehen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Beklagten ist wegen der korrekturbedürftigen Auslegung der beanstandeten Werbeaussage durch das Berufungsgericht zulässig und auch teilweise berechtigt.
Sowohl nach der Rechtslage vor als nach der UWG-Novelle 2007 ist beim Irreführungstatbestand zu prüfen,
a) wie ein durchschnittlich informierter verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit anwendet, die strittige Ankündigung versteht,
b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob
c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (stRsp, RIS-Justiz RS0123292).
Der Bedeutungsinhalt von Äußerungen richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt (zuletzt etwa 4 Ob 224/08g mwN); gelegentlich wird in diesem Zusammenhang auch vom Verständnis eines „unbefangenen Durchschnittslesers gesprochen“ (RIS-Justiz RS0031883). Ist der Sinngehalt der beanstandeten Äußerung nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsbetrachters in einer bestimmten Richtung klar, so kann schon aus diesem Grund die Anwendung der sogenannten „Unklarheitenregel“ nicht mehr in Betracht kommen (stRsp, RIS-Justiz RS0085169). Überdies hat der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung es ausschließt, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierung zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen (6 Ob 46/08w mwN; RIS-Justiz RS0121107 [T4]).
Die Anwendung dieser Grundsätze führt zu folgender Beurteilung der hier beanstandeten Werbeaussage: „1,7 Millionen Leser vertrauen jede Woche Ö*****“ bedeutet nach dem Verständnis des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten, dass jede Woche 1,7 Millionen die beworbene Zeitung lesen. Die von den Vorinstanzen bevorzugte Auslegung, wonach damit die über mehrere Wochen gesehen durchschnittliche Leserzahl pro Ausgabe (pro Tag, weil Tageszeitung) angesprochen wird, liegt nach Ansicht des erkennenden Senats so fern, dass sie für die Beurteilung der beanstandeten Aussage nicht heranzuziehen ist. Das von der Klägerin angestrebte generelle Verbot der jedenfalls im Kern wahren Werbeaussage - der weiteste Leserkreis betrug unstrittig rund 1,7 Millionen - erweist sich daher als unberechtigt. Auf den zur Begründung des Unterlassungsbegehrens ursprünglich auch geltend gemachten Verstoß gegen die beide Parteien bindenden Veröffentlichungsregeln des Vereins Media-Analyse, was eine unlautere Geschäftspraktik nach § 1 UWG bilden solle, kommt die Klägerin in dritter Instanz nicht mehr zurück. Das Unterlassungshauptbegehren ist daher abzuweisen.
Zutreffend verweist die Klägerin zur Begründung ihres Eventualbegehrens aber darauf, dass die Werbung mit Reichweitenangaben ähnlich streng zu beurteilen ist wie vergleichende Werbung. Da die Aussagekraft von Reichweitenangaben ganz entscheidend davon abhängt, wie, von wem und wann sie errechnet wurden, muss der Werbende die von ihm angegebene Reichweite definieren, er muss die Quelle und den Erhebungszeitraum angeben (4 Ob 56/00i = MR 2000, 184 - weitester Leserkreis uva; RIS-Justiz RS0113320). Die vorliegend zu beurteilende Eigenwerbung verweist nicht einmal auf den angesprochenen weitesten Leserkreis (WLK), lässt also für die angesprochenen Inseratenkunden in keiner Weise erkennen, auf welchen der mehreren gebräuchlichen Reichweitenwerte und auf welche konkrete Untersuchung sich die Werbebehauptung stützt. Schon das Berufungsgericht verwies zutreffend darauf, dass sich die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Erforderlichkeit der Quellenangabe der Reichweitenwerbung nicht nur auf Reichweitenvergleiche, sondern auf Reichweitenangaben generell bezieht.
In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die von beiden Seiten als fehlend gerügten Feststellungen in Wahrheit entweder unstrittig sind oder sich aus den getroffenen Feststellungen ergeben. Dass die Zeitung der Beklagten nach der Media-Analyse einen weitesten Leserkreis (WLK) von annähernd 1,7 Millionen hatte, ist zwischen den Parteien nicht strittig. Dass der WLK-Wert zum Zeitpunkt der beanstandeten Eigenwerbung nicht mehr aktuell gewesen wäre und daher - wie vom Berufungsgericht ausgeführt - als nicht mehr aktuell zur Irreführung geeignet gewesen wäre, machte die Klägerin nicht als Grundlage ihres Unterlassungsbegehrens geltend.
Dass die beanstandete Eigenwerbung weder mit einer näheren Erläuterung verbunden war, was unter 1,7 Millionen Lesern zu verstehen ist, noch auf wessen und wie gestaltete Untersuchung sich eine solche Behauptung gründete, ergibt sich aus der erstgerichtlichen Feststellung in Form der bildlichen Wiedergabe der Titelseite mit der beanstandeten Werbung.
Das hilfsweise erhobene Unterlassungsbegehren erweist sich daher als gerechtfertigt.
Die Berechtigung des Begehrens auf Urteilsveröffentlichung hängt davon ab, ob ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Aufklärung des Publikums im begehrten Ausmaß besteht (stRsp, RIS-Justiz RS0079737). Bei den in einer Druckschrift begangenen Wettbewerbsverstößen ist die Urteilsveröffentlichung regelmäßig an der gleichen Stelle und in der gleichen Schrift vorzunehmen wie der Wettbewerbsverstoß (zuletzt 4 Ob 224/08g; RIS-Justiz RS0079607). Diesen Grundsätzen der Rechtsprechung trägt die von den Vorinstanzen angeordnete Urteilsveröffentlichung auf der Titelseite Rechnung. Der Oberste Gerichtshof lehnte schon bisher die von Beklagtenseite angestrebte „Harmonisierung“ der Urteilsveröffentlichungsvorschriften sowohl des UrhG als auch des UWG (§ 25 Abs 3) mit den Regeln des MedienG (§ 13 Abs 4) ausdrücklich ab (4 Ob 224/08g = MR 2009, 18 [Krüger]; 4 Ob 184/09a vgl auch Korn in MR 2009, 65). Dies im Hinblick auf die unterschiedlichen Regelungssachverhalte und die daraus resultierenden unterschiedlichen Wertungen der jeweiligen Gesetzesbestimmungen (4 Ob 184/09a). (Auch) im vorliegenden Fall ist nicht die Erreichung eines gleichen Veröffentlichungswerts iSd § 13 Abs 4 MedienG als Beurteilungsmaßstab heranzuziehen, sondern das Interesse der beteiligten Verkehrskreise daran, über die wahre Sachlage aufgeklärt zu werden und einer Weiterverbreitung unrichtiger Ansichten entgegenzuwirken (vgl RIS-Justiz RS0079820).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Mangels Anhaltspunkten für eine unterschiedliche Bewertung ist davon auszugehen, dass das Interesse der Klägerin an dem von ihr erreichten eingeschränkten Unterlassungsgebot dem der Beklagten an der erfolgreichen Abwehr des uneingeschränkten Unterlassungsgebots entspricht.
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