European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00068.10I.0819.000
Spruch:
In der Finanzstrafsache gegen Erich T*****, AZ 29 Hv 90/09z des Landesgerichts Innsbruck, verletzen
1. die Verkündung des Urteilsspruchs (§ 260 Abs 1 StPO) unter Ausschluss der Öffentlichkeit §§ 229 Abs 4, 268 StPO und § 213 Abs 2 FinStrG sowie
2. das Urteil dieses Gerichts vom 9. November 2009, GZ 29 Hv 90/09z-40, im Strafausspruch und das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. April 2010, AZ 6 Bs 29/10f, mit dem der Berufung des Angeklagten keine Folge gegeben wurde, jeweils §§ 38 Abs 1 zweiter Satz und 15 Abs 2 FinStrG.
Es werden das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Gänze, jenes des Landesgerichts Innsbruck, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Erich T***** wird unter Anwendung des § 21 Abs 1 und Abs 2 FinStrG nach § 38 Abs 1 FinStrG zu einer Geldstrafe von 75.000 Euro, im Fall deren Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von vier Monaten und daneben (nach Maßgabe des § 15 FinStrG) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. November 2009, GZ 29 Hv 90/09z-40, wurde Erich T***** - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - (richtig:) mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG schuldig erkannt und „nach § 38 Abs 1 FinStrG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 (zehn) Monaten“ verurteilt.
Danach hat er vom 30. April 2006 bis 30. April 2008 im Bereich des Finanzamts Kufstein-Schwaz vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht, nämlich durch infolge Nichtabgabe von Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2005 bis 2007 unterlassene Erklärung der Betriebumsätze seines Einzelunternehmens eine Verkürzung von Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 99.658,70 Euro bewirkt, wobei es ihm jeweils darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
Dieses Urteil wurde, wie sich aus dem (unbedenklichen) Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, in nichtöffentlicher Sitzung verkündet. Bereits zu Beginn der Hauptverhandlung wurde am 28. September 2009 über Antrag des Verteidigers der - nicht näher begründete - Beschluss „auf Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 213 FinStrG“ gefasst (ON 33 S 3). Anlässlich der Fortsetzung der Hauptverhandlung am 9. November 2009 wurde deren Nichtöffentlichkeit nochmals ausdrücklich festgehalten (ON 39 S 3); ein Beschluss über die Wiederherstellung der Öffentlichkeit ist dem Hauptverhandlungsprotokoll hingegen nicht zu entnehmen.
Nach Zurückziehung der Nichtigkeitsbeschwerde hatte das Oberlandesgericht Innsbruck (nur) über die wegen des Ausspruchs über die Strafe erhobene Berufung zu entscheiden, der es mit dem bezeichneten Urteil vom 14. April 2010 nicht Folge gab.
Die Verhängung einer unbedingten (primären) Freiheitsstrafe begründete das Erstgericht mit general- und insbesondere spezialpräventiven Erwägungen, weil die bis dahin ausgesprochenen Geldstrafen den Angeklagten von weiterer (finanzstrafrechtlicher) Delinquenz nicht hätten abhalten können (ON 40 S 16). Das Oberlandesgericht Innsbruck führte in seiner Berufungsentscheidung über den dagegen erhobenen Einwand des Angeklagten wörtlich aus: „§ 38 Abs 1 FinStrG sieht die Freiheitsstrafe nur neben einer Geldstrafe, also zusätzlich zu dieser vor. Durch das Fehlen einer zusätzlichen Geldstrafe kann sich der Angeklagte aber nicht beschwert erachten“ (ON 52 S 9).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Oberlandesgerichts und des Landesgerichts Innsbruck sowie die Verkündung des Letzteren in nichtöffentlicher Sitzung stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die Hauptverhandlung ist vom Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 228 Abs 1 StPO, Art 90 Abs 1 B-VG, Art 6 Abs 1 MRK) beherrscht, dessen Verletzung mit Nichtigkeit bedroht ist. Dies gilt auch für die stets in öffentlicher Sitzung (§§ 229 Abs 4 und 268 StPO) vorzunehmende Urteilsverkündung (14 Os 55/10k). Für das Finanzstrafverfahren sieht § 213 Abs 2 FinStrG weitergehende Einschränkungen dieses Grundsatzes insofern vor, als die Öffentlichkeit, wenn sie von der Hauptverhandlung nach § 213 Abs 1 FinStrG ausgeschlossen war, auch bei der Verkündung der Urteilsentscheidungsgründe auszuschließen ist, soweit dabei Verhältnisse oder Umstände des Angeklagten, eines Nebenbeteiligten oder eines Zeugen, die unter die (abgabenrechtliche) Geheimhaltungspflicht nach § 48a BAO fallen, zur Sprache kommen. Unabhängig von einer (vorliegend im Hauptverhandlungsprotokoll übrigens nicht festgehaltenen) Erörterung derartiger Verhältnisse oder Umstände hat die Verkündung des Urteilsspruchs (§ 260 Abs 1 StPO) auch im Finanzstrafverfahren jedenfalls in öffentlicher Sitzung zu erfolgen ( Danek , WK-StPO § 229 Rz 9 und § 268 Rz 6; Leitner/Toifl/Brandl , Finanzstrafrecht³ Rz 2253).
§ 38 Abs 1 FinStrG hinwieder sieht die Verhängung einer (primären) Freiheitsstrafe nur zusätzlich zu einer Geldstrafe („daneben“) „nach Maßgabe des § 15“ (FinStrG) als ultima ratio vor, wenn (und soweit) die zwingend vorgesehene Geldstrafe allein spezial- und generalpräventiven Bedürfnissen nicht genügt ( Reger/Hacker/Kneidinger , FinStrG 3 § 15 Rz 8 und § 33 Rz 79; Leitner/Toifl/Brandl , Finanzstrafrecht 3 Rz 597; 12 Os 126/99; vgl auch 11 Os 54/89).
Indem das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht zwar die Gesetzwidrigkeit des erstgerichtlichen Sanktionsausspruchs erkannte, jedoch eine Beschwer des Berufungswerbers verneinte, weil es von der Möglichkeit einer „zusätzlichen Geldstrafe“ ausging (ON 22 S 9), anstatt unter Präventionsgesichtspunkten deren Verhängung anstelle (wenigstens eines Teiles) der Freiheitsstrafe zu prüfen, hat es seinerseits die Bestimmung des § 38 Abs 1 FinStrG unrichtig ausgelegt.
In Ausübung des ihm durch § 292 letzter Satz StPO eingeräumten Ermessens sieht sich der Oberste Gerichtshof zur Aufhebung des Berufungsurteils zur Gänze und des erstgerichtlichen Urteils (nur) im Strafausspruch bestimmt, hat doch der Angeklagte auf dessen Anfechtung aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO verzichtet.
Bei der erforderlichen Strafneubemessung war auf das Verschlechterungsverbot (§§ 16, 290 Abs 2 StPO) Bedacht zu nehmen. Dies bedeutet hier, dass die Summe aus Ersatzfreiheitsstrafe und (primärer) Freiheitsstrafe die kassierte Sanktion nicht übersteigen darf (RIS-Justiz RS0090031). Auf die (zulässige) Höhe der nunmehr anstatt (eines Teiles) der ursprünglichen Freiheitsstrafe verhängten Geldstrafe hat dies wegen der fehlenden (exakten) Proportionalität von Geld- und (anders als nach § 19 Abs 3 StGB nicht nach dem Tagessatzsystem umzurechnender) Ersatzfreiheitsstrafe im Finanzstrafrecht (vgl RIS-Justiz RS0086629; Reger/Hacker/Kneidinger , FinStrG³ § 20 Rz 4) keinen Einfluss.
Als erschwerend waren die zahlreichen einschlägigen gerichtlichen und (vgl RIS-Justiz RS0086279) finanzbehördlichen Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer Finanzvergehen und der rasche Rückfall zu werten, als mildernd hingegen der Umstand, dass es ‑ aufgrund der konstatierten bescheidmäßigen Festsetzung der verkürzten Umsatzsteuer (ON 40 S 7 iVm ON 14 S 59 ff) ‑ beim Versuch geblieben ist (vgl 13 Os 18/09k, EvBl 2009/152, 1016). Davon ausgehend entsprechen die Geldstrafe von 75.000 Euro mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von vier Monaten und die daneben verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten dem Unrechtsgehalt der Taten, der Schuld des Täters sowie dessen Persönlichkeit. Angesichts der bereits mehrfachen finanzstrafrechtlichen Delinquenz erweist sich eine Geldstrafe allein insbesondere aufgrund ungünstiger spezialpräventiver Prognose und generalpräventiver Erfordernisse als nicht ausreichend, weshalb hiefür nunmehr erstmals auch eine primäre Freiheitsstrafe nach Maßgabe des § 15 FinStrG zu verhängen war. Deren (auch nur teil-)bedingte Nachsicht verbietet sich, weil die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs unter Beachtung des Verhaltens des Angeklagten und der mangelnden Wirkung früherer Abstrafungen nicht genügen wird, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.
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