OGH 2Ob45/10x

OGH2Ob45/10x17.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Wiedner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.739,90 EUR sA (Revisionsinteresse 560 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. November 2009, GZ 60 R 7/09y‑21, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 26. September 2008, GZ 10 C 406/08s‑17, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert, sodass es einschließlich der rechtskräftig gewordenen Teile insgesamt zu lauten hat wie folgt:

1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.002,20 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. September 2007 sowie die mit 856,37 EUR (darin enthalten 408,39 EUR Barauslagen und 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 737,70 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. September 2007 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Ein Ehepaar buchte bei der beklagten Partei für den Zeitraum vom 27. August bis 11. September 2007 eine Pauschalreise als Hochzeitsreise nach Ägypten, Sharm el Sheik, Hotel P***** zu einem Reisepreis von 1.448 EUR. Das Ehepaar hat seine Ansprüche gegen die beklagte Partei an den klagenden Verein abgetreten.

Der klagende Verein begehrte von der Beklagten die Bezahlung von 1.739,90 EUR und bringt im Wesentlichen vor, die Reiseleistung der Beklagten habe diverse, im Einzelnen dargelegte Mängel aufgewiesen, wofür eine Preisminderung von 1.320,90 EUR zustehe. Darüber hinaus stünden 560 EUR pauschal für beide Reisende an Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreuden zu. Unter Abzug eines von der Beklagten erhaltenen Verrechnungsschecks von 141 EUR ergebe dies den Klagsbetrag.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, bei Beurteilung des Leistungsangebots seien auch ortstypische Gegebenheiten heranzuziehen, das Angebot sei sehr preisgünstig gewesen. Ein ruhiges Zimmer sei nicht zugesagt worden. Allfällige Reisepreisminderungsansprüche seien durch den Verrechnungsscheck von 141 EUR zur Gänze abgegolten. Ein Anspruch auf Abgeltung für entgangene Reisefreuden stehe nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 150,60 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Buchungsgrundlage war die Hotelbeschreibung des Veranstalters im Internet, in der die „regelmäßige Abendunterhaltung“ angekündigt war. Weiters war dort zur Lage ausgeführt: „ca. 500 m vom schönen, weitläufigen Sandstrand der Nabq Bay entfernt. Die Entfernung zur Naama Bay beträgt etwa 18 km (mehrmals täglich Hotelshuttle inklusive, mit Reservierung)...“. Unter „Hinweis“ war angeführt: „Der Strand läuft weit und flach auf einem Riffplateau aus. Badeschuhe werden empfohlen.“ Schließlich war auch angeführt, Tee und Kaffee seien gratis.

Ein ruhiges Zimmer war nicht zugesagt.

Das Zimmer lag in ca 15 m Entfernung von der stark und bis spät in die Nacht frequentierten Poolbar, die teils bis 3:00 Uhr morgens in Betrieb war („Amphitheater“, Diskothek). Der abendliche Lärm erschwerte den Reisenden das Einschlafen.

Rund um das Hotel befanden sich zahlreiche Baustellen, von denen auch immer wieder Baulärm zu vernehmen war.

Es gab ein Hotelshuttle zur Sharks Bay, wobei das Hotel den Gästen täglich einen kostenpflichtigen (ca 3 EUR) Shuttlebus zur Verfügung stellte. Vor Ort war ein Eintritt von 2,50 EUR zu bezahlen.

Der Strand beim Hotel war sehr klein und eingeschränkt (ca 20 m breit). Das Baden vom Badesteg aus war oftmals aufgrund des hohen Seegangs nicht möglich. Vom Riffplateau konnte man nicht direkt ins Meer schwimmen, weil die Gefahr, sich am Riff zu verletzen, zu groß war.

Die Swimmingpools waren stark benützt. Die Wasserqualität war aufgrund der starken Auslastung schlecht. Etwa gab es Sonnenölspuren. Es war auch der Geruch von Urin wahrnehmbar.

Die Reisenden hatten während des Urlaubs Hautrötungen. Nicht festgestellt werden kann, ob die Reisenden vom Poolwasser oder aus einem anderen Grund diese Rötungen bekamen.

Kaffee und Tee waren gratis, spezielle Kaffees, wie etwa Capuccino oder Espresso waren extra zu bezahlen. Die Verpflegung war durchschnittlich abwechslungsreich.

Die Klimaanlage im Zimmer des Paars war insofern defekt, als die Temperatur nicht regelbar und für das Paar etwas zu kalt eingestellt war und von ihr ein unangenehmer Geruch ausging. Trotz Reklamation der Reisenden noch am Ankunftstag funktionierte die Klimaanlage während des gesamten Urlaubsaufenthalts nicht ordnungsgemäß. Am Morgen des zweiten Tages stand Wasser im Zimmer, was die Reisenden reklamierten. Ein Hotelmitarbeiter kam und teilte mit, das Zimmer würde aufgewischt, das Paar solle einstweilen zum Pool gehen. Es kam mehrfach vor, dass im Zimmer morgens Pfützen standen, und zwar immer dann, wenn gegossen wurde. Die Handtücher wurden täglich gewechselt, wiesen jedoch einen leichten Geruch und Flecken auf. Im Badezimmer fanden sich im Bereich der Fugen Schimmelflecken vor.

Es kann nicht festgestellt werden, ob bei zeitgerechter Mängelrüge ein Zimmerwechsel möglich gewesen wäre.

In rechtlicher Hinsicht hielt das Erstgericht eine Preisminderung von 20 % für Reisemängel für angemessen, wovon 5 % auf die defekte Klimaanlage, 5 % für den Baulärm und 10 % für die Mängel betreffend den Strand und den kostenpflichtigen Shuttlebus entfallen. Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude gemäß § 31e Abs 3 KSchG stehe nicht zu.

Das vom klagenden Verein angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahingehend ab, dass es dem Klagebegehren mit 442,20 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren abwies. Als weitere zur Preisminderung berechtigende Mängel qualifizierte das Berufungsgericht die schlechte Wasserqualität im Swimmingpool (5 %), das im Zimmer aufgetretene Wasser nach dem Gießen (5 %) sowie für den im Bereich des Hotels verursachten nächtlichen Lärm 10 %. Es ergebe sich somit ein Preisminderungsanspruch von 40 %. Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude stehe nicht zu, da nach der zutreffenden Beurteilung des Erstgerichts die Erheblichkeitsschwelle iSd § 31e Abs 3 KSchG nicht überschritten worden sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, dem Klagebegehren hinsichtlich eines weiteren Betrags von 560 EUR (Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude) stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragte in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Der Revisionswerber bringt im Wesentlichen vor, nach der Entscheidung 6 Ob 231/08a stehe im vorliegenden Fall Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude zu.

Hiezu wurde erwogen:

Wenn der Reiseveranstalter einen erheblichen Teil der vertraglich vereinbarten Leistung nicht erbracht hat und dies auf einem dem Reiseveranstalter zurechenbaren Verschulden beruht, hat der Reisende auch Anspruch auf angemessenen Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude. Bei der Bemessung dieses Ersatzanspruchs ist insbesondere auf die Schwere und Dauer des Mangels, den Grad des Verschuldens, den vereinbarten Zweck der Reise sowie die Höhe des Reisepreises Bedacht zu nehmen (§ 31e Abs 3 KSchG).

Die Vorinstanzen haben sich für die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs nach dieser Bestimmung maßgeblich auf die Entscheidung des 1. Senats 2 Ob 79/06s = RIS‑Justiz RS0119581 (T4) gestützt. Danach sind mit der im Rahmen der Gewährleistung vorzunehmenden Preisminderung in weniger gravierenden Fällen auch die mit mangelhaften Reiseleistungen typischerweise verbundenen Unlustgefühle mitabgegolten. Nur für darüber hinausgehende ideelle Beeinträchtigung kann ein zusätzlicher (verschuldensabhängiger) Ersatzanspruch in Betracht kommen.

Kurz darauf ist der 3. Senat in der Entscheidung 3 Ob 220/06h = RIS‑Justiz RS0119581 (T5, T6) der soeben zitierten Entscheidung des 1. Senats gefolgt und hat bei Reisemängeln, die zu einer Preisminderung von 30 % berechtigten, einen Schadenersatzanspruch gemäß § 31e Abs 3 KSchG verneint.

Dem gegenüber zeigte sich schon im Jahr 2005 der 10. Senat in 10 Ob 20/05x = RIS-Justiz RS0119581 (T1) großzügiger. Der relevante Reisemangel bestand darin, dass statt eines Familienzimmers mit zwei getrennten Räumen ein Vierbettzimmer zugewiesen wurde. Dafür wurde ein Preisminderungsanspruch von 15 % für angemessen erachtet. Der 10. Senat bejahte die Anspruchsvoraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch wegen entgangener Urlaubsfreude gemäß § 31e Abs 3 KSchG, weil der vorliegende Mangel einen erheblichen Teil der vertraglich geschuldeten Leistung betroffen habe.

Zuletzt hat der 6. Senat in 6 Ob 231/08a = Zak 2009/639, 397 (zust Keiler ) = EvBl 2010/29 (krit Lindinger ) = ZVR 2010/96 ( Hinteregger ) = RIS‑Justiz RS0119581 (T7, T8) = RS0125305 bei Reisemängeln, für die eine Preisminderung von 25 % als angemessen erachtet wurde (fehlender Sandstrand, fehlende Kinderbetreuung und fehlende weitere Kinderangebote) die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch für entgangene Urlaubsfreude bejaht. Der Senat führte aus, eine zu restriktive Handhabung des § 31e Abs 3 KSchG würde die Bestimmung weitestgehend ihres Anwendungsbereichs berauben. Damit setzte sich die österreichische Rechtsanwendung in Widerspruch zu den Vorgaben der Pauschalreiserichtlinie und des Europäischen Gerichtshofs. Mit den Vorgaben der Richtlinie sei zwar wohl eine in den meisten Rechtsordnungen im Sinne der gemeinrechtlichen Maxime „minima non curat praetor“ anzutreffende Bagatellgrenze vereinbar, nicht jedoch das Abstellen auf eine hypothetische Preisminderung von 50 %, setze diese doch in aller Regel ganz massive Mängel voraus, sodass die Zuerkennung von Schadenersatz nur in Ausnahmefällen in Betracht käme. In diesem Sinne habe der Vorschlag Riedlers (Änderungen des KSchG durch das ZRÄG 2004, RZ 2003, 266 [272]; derselbe , Bemessung des Schadenersatzes für entgangene Urlaubsfreude unter Berücksichtigung der Preisminderung für Reisemängel, ZVR 2008, 408 [411]), die Erheblichkeit nach § 31e Abs 3 KSchG in Anlehnung an den Begriff des „unerheblichen Mangels“ in § 932 Abs 2 ABGB aF zu verstehen, viel für sich. Hinzu komme, dass eine großzügigere Bemessung des immateriellen Schadenersatzanspruchs einen zusätzlichen Anreiz für Reiseveranstalter bieten könne, ihre vertraglichen Zusagen einzuhalten und die von ihnen übernommenen Leistungen ordnungsgemäß zu erbringen.

Der erkennende Senat schließt sich der zuletzt zitierten Judikatur, insbesondere der Entscheidung 6 Ob 231/08a, an. Zusätzlich zu den in dieser Entscheidung gebrachten Argumenten ist gegen die Entscheidung des 1. Senats 2 Ob 79/06s ins Treffen zu führen, dass die (schadenersatzrechtlich irrelevanten) typischerweise mit mangelhaften Reiseleistungen verbundenen Unlustgefühle nur schwer von (schadenersatzrechtlich relevanten) „darüber hinausgehenden ideellen Beeinträchtigungen“ abzugrenzen wären. Hingegen hat sich die Auslegung des § 31e Abs 3 KSchG nach Auffassung des erkennenden Senats ‑ entgegen Riedler aaO ‑ nicht an § 932 Abs 2 ABGB aF zu orientieren.

Wenngleich die vom Berufungsgericht vorgenommene, im Revisionsverfahren aber nicht mehr bekämpfte Preisminderung von 40 % für die festgestellten Reisemängel sehr großzügig bemessen erscheint, stehen die im vorliegenden Fall festgestellten Beeinträchtigungen in ihrer Schwere denen in den Entscheidungen 10 Ob 20/05x und 6 Ob 231/08a nicht nach. Die Erheblichkeitsschwelle des § 31e Abs 3 KSchG wurde also überschritten.

Nach dieser Bestimmung hängt der Schadenersatzanspruch von einem dem Reiseveranstalter zurechenbaren Verschulden ab. Im Rahmen des hier anzuwendenden § 1298 ABGB ist der Schuldner für mangelndes Verschulden nicht nur beweis‑, sondern auch behauptungspflichtig (RIS‑Justiz RS0022023; RS0018309 [T4]; RS0026563 [T10]). Da es zu einem dem Reiseveranstalter zurechenbaren Verschulden kein Vorbringen der Parteien gibt, ist im Sinne dieser Rechtsprechung vom Verschulden auszugehen. Dem Grunde nach ist daher im vorliegenden Fall ein Schadenersatzanspruch für entgangene Urlaubsfreude gemäß § 31e Abs 3 KSchG zu bejahen.

Zur Höhe ist Folgendes anzumerken: Dividiert man den begehrten Schadenersatzbetrag durch die Anzahl der Reisenden und durch die Zahl der Nächtigungen, ergibt sich ein Betrag von 18,67 EUR pro Person und Tag. In 10 Ob 20/05x hielt der Senat angesichts der vorliegenden Mängel einen Betrag von 8,93 EUR pro Tag und Person nicht für überhöht, in 6 Ob 231/08a wurden für Mängel, deren Intensität annähernd mit der im vorliegenden Fall zu vergleichen ist, 20 EUR pro Person und Tag für angemessen erachtet. Im Sinne dieser Judikatur ist die im vorliegenden Fall begehrte Entschädigung nicht als überhöht zu erachten.

Die Kostenentscheidung gründet sich für das erst‑ und zweitinstanzliche Verfahren auf § 43 Abs 1 ZPO. Im erstinstanzlichen Verfahren ist die klagende Partei mit 57,60 % durchgedrungen, weshalb die Kosten gegenseitig aufzuheben waren, die klagende Partei erhält aber im Ausmaß ihres Obsiegens die Pauschalgebühr und die von ihr getragenen Dolmetschkosten ersetzt. Im Berufungsverfahren hat die klagende Partei mit 53,58 % obsiegt (RIS‑Justiz RS0125739).

Für das Revisionsverfahren gründet sich die Kostenentscheidung auf die §§ 50, 41 ZPO.

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