OGH 2Ob263/09d

OGH2Ob263/09d17.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Werner H*****, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 12.000 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 1.500 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2009, GZ 3 R 135/09m-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Juli 2009, GZ 10 Cg 72/09p-9, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger erlitt im Jahr 1986 bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen im Bereich des Gesichtsschädels. Er prallte mit dem Kopf gegen die Seitenscheibe seines Pkws, wodurch die Scheibe zerbrach und Glassplitter in die Stirnhöhle eintraten. Nach dem Unfall litt der Kläger jahrelang an Kopfschmerzen. Am 29. 9. 2003 unterzog er sich deshalb in einem Krankenhaus der beklagten Partei einer Operation. Dabei sollten die Fremdkörper entfernt werden; außerdem wurde eine Begradigung der Nasenscheidewand zur Verbesserung der Nasenatmung durchgeführt.

Nach der Operation klagte der Kläger weiterhin über eine unverändert behinderte Nasenatmung. Dazu kam ein Taubheitsgefühl im Bereich der Stirn. Eine im Krankenhaus der beklagten Partei für den 30. 3. 2004 vorgesehene operative Korrektur der Nasenscheidewand wurde seitens des für die Operation eingeteilten Arztes am Tag vor dem Operationstermin abgesagt. Darauf entschloss sich der Kläger, diesen Eingriff in einem anderen Krankenhaus durchführen zu lassen. Am 13. 7. 2004 wurde er dort operiert. Anlässlich seines stationären Aufenthalts (bis zum 17. 7. 2004) teilte der operierende Arzt dem Kläger mit, dass der Eingriff vom 29. 9. 2003 nicht ordentlich gemacht worden sei.

Am 11. 9. 2006 beantragte der Kläger bei der Gemeinsamen Schlichtungsstelle der Ärztekammer für Steiermark und der beklagten Partei die Einleitung des Verfahrens, wobei er mit der Behauptung eines Kunstfehlers und der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht 25.000 EUR Schadenersatz begehrte. Nach Einholung mehrerer Gutachten teilte ihm der Vorsitzende der Kommission in der Sitzung vom (richtig) 16. 7. 2008 mit, dass die Kommission über seinen Antrag negativ entscheiden werde. Daraufhin schlossen die Parteien einen bedingten Vergleich, der vom Kläger allerdings fristgerecht widerrufen wurde. Mit Entscheidung vom 25. 8. 2008, die den damaligen Rechtsvertretern des Klägers am 29. 8. 2008 zugestellt wurde, wies die Schlichtungsstelle den Antrag auf Zuerkennung einer finanziellen Entschädigung ab.

Mit Schreiben vom 1. 9. 2008 übermittelten die Rechtsvertreter des Klägers diesem die Entscheidung der Schlichtungsstelle und wiesen ihn auf die drohende Verjährung seiner Ansprüche hin. Mit Schreiben vom 15. 10. 2008 kündigten sie unter abermaligem Hinweis auf die bevorstehende Verjährung das Vollmachtsverhältnis zum Kläger auf. Am 3. 11. 2008 wandte sich der Kläger an die nunmehrigen Klagevertreter. Diese brachten nach Prüfung der Unterlagen und dem Einlangen der Deckungsbestätigung des Rechtsschutzversicherers am 18. 11. 2008 die gegenständliche Klage ein.

Mit dieser begehrt der Kläger Schmerzengeld in Höhe von 12.000 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden des Klägers „aufgrund und im Zusammenhang mit“ dem operativen Eingriff vom 29. 9. 2003. Er behauptet wie schon im Schlichtungsverfahren einen ärztlichen Kunstfehler und eine Verletzung der Aufklärungspflicht. Hiefür habe die beklagte Partei einzustehen.

Die beklagte Partei bestritt die Vorwürfe und wandte Verjährung allfälliger Ersatzansprüche des Klägers ein. Dieser habe spätestens am 17. 7. 2004 Kenntnis von „Schaden und Schädiger“ gehabt, sodass die Verjährungsfrist grundsätzlich am 17. 7. 2007 abgelaufen sei. Mit der Einbringung des Antrags bei der Schlichtungsstelle sei zwar eine Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist eingetreten. Nach deren Wegfall wäre es dem Kläger jedoch oblegen, seine Ansprüche unverzüglich mit Klage geltend zu machen. Diesem Erfordernis habe er durch Zuwarten über einen Zeitraum von rund 2 ½ Monaten nicht entsprochen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Es ging im Wesentlichen vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und vertrat die Ansicht, dem Kläger sei aufgrund eines „Sachverständigenrats“ spätestens am 17. 7. 2004 klar gewesen, dass dem ärztlichen Personal der beklagten Partei bei der Operation am 29. 9. 2003 ein Kunstfehler unterlaufen sei. Der Lauf der Verjährungsfrist habe daher mit diesem Datum eingesetzt. Die Einleitung des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle am 11. 9. 2006 habe gemäß § 58a Abs 1 ÄrzteG die Ablaufhemmung der Verjährungsfrist bewirkt, nach deren Wegfall zur Vermeidung der Verjährung die Klage unverzüglich eingebracht hätte werden müssen. Die Klageeinbringung mehr als 11 Wochen nach Zustellung der Entscheidung der Schlichtungsstelle sei - jedenfalls unter den konkreten Umständen - nicht mehr als „unverzüglich“ anzusehen.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach ferner aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Berufungsgericht teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass der Beginn der Verjährungsfrist mit 17. 7. 2004 anzusetzen sei. Zu § 58a ÄrzteG führte es aus, die Streitteile hätten die darin umschriebene Hemmung der Verjährung übereinstimmend als Ablaufhemmung verstanden, wie dies auch der Gesetzestext - anders als die Gesetzesmaterialien - nahe lege. Diese Sichtweise der Parteien werde im Berufungsverfahren übernommen.

Im Übrigen ging das Berufungsgericht davon aus, dass die Klage nach Wegfall des Hemmungsgrundes noch innerhalb angemessener Frist eingebracht worden sei. Das Zuwarten über einen Zeitraum von etwas mehr als 11 Wochen bewege sich noch im Rahmen der von der Rechtsprechung im Allgemeinen gebilligten Frist von 3 Monaten, wobei die Untätigkeit des Klägers im konkreten Fall vor allem mit der Komplexität des Sachverhalts gerechtfertigt werden könne. Dies führe zur Aufhebung des Urteils erster Instanz. Das Erstgericht werde zu klären haben, ob die Ansprüche des Klägers dem Grunde und (hinsichtlich des Leistungsbegehrens) der Höhe nach berechtigt seien.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil dessen Rechtsprechung zur erörterten Verjährungsfrage nicht ganz einheitlich sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Verjährungsfrage von der Auslegung des § 58a Abs 1 ÄrzteG durch den Obersten Gerichtshof abgewichen ist. Er ist aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Reaktion des Klägers „nur“ innerhalb „angemessener Frist“ erforderlich gewesen sei. Tatsächlich komme es aber auf die Unverzüglichkeit der Klageführung an. Durch die Einleitung des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle trete keine Fortlaufhemmung, sondern eine Ablaufhemmung der Verjährung ein, weshalb der Wegfall des Hemmungsgrundes unverzügliches Tätigwerden des Anspruchstellers erfordert habe. Der Kläger habe keine triftigen Gründe für sein Zögern dargestellt.

Der erkennende Senat hat erwogen:

1. Mit einem Tatbestand, der die Verjährung hemmt, wird in den Beginn, den Weiter- oder den Ablauf der Verjährungsfrist eingegriffen. Die Fortlaufhemmung bewirkt, dass nach dem Fortfall des Hemmungsgrundes die bei dessen Eintritt noch nicht abgelaufenen Teile der Verjährungszeit abzulaufen haben, um die Verjährung herbeizuführen (vgl 2 Ob 237/08d; RIS-Justiz RS0065855). In jenen Fällen, in denen die Verjährungsfrist zu einer Zeit beginnt, während der ein Hemmungsgrund andauert, bewirkt sie, dass der Fristlauf erst mit dessen Wegfall einsetzt (RIS-Justiz RS0114507 [T2]; Dehn in KBB² § 1494 Rz 1). Im Fall der Ablaufhemmung kann ein Recht unabhängig von bereits verstrichenen Fristen nicht vor Ablauf eines bestimmten Zeitraums nach Wegfall des Hindernisses verjähren (Dehn aaO).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs lösen Vergleichsverhandlungen zur Bereinigung von Schadenersatzansprüchen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist oder darüber hinaus eine besondere Ablaufhemmung aus. Der Eintritt der Verjährung wird nur dann verhindert, wenn der Geschädigte nach Scheitern der Vergleichsverhandlungen „unverzüglich“ bzw „innerhalb angemessener Frist“ die Klage erhebt (2 Ob 259/01d; 7 Ob 325/01x; 1 Ob 107/04y; 3 Ob 6/06p; RIS-Justiz RS0034450). Zu der nach Ansicht der beklagten Partei „uneinheitlichen“ Terminologie („unverzüglich“; „innerhalb angemessener Frist“) hat sich der Oberste Gerichtshof bereits geäußert und klargestellt, dass diesen im Verjährungsrecht gebrauchten Formulierungen kein unterschiedlicher Bedeutungsinhalt beizumessen ist (4 Ob 290/97v).

3. In der Entscheidung 1 Ob 281/03k ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass die Verhandlungen vor einer ärztlichen Schlichtungsstelle ebenfalls (nur) eine Ablaufhemmung der Verjährungsfrist bewirken würden. Auf den damals zu beurteilenden Sachverhalt war § 58a ÄrzteG allerdings noch nicht anwendbar.

4. Diese mit der 2. Ärztegesetz-Novelle, BGBl I 2001/110, in das Ärztegesetz 1998 eingefügte Bestimmung regelt in Abs 1 die Hemmung der Verjährungsfrist. Die Regelung lautet:

Hat eine Person, die behauptet, durch Verschulden eines Arztes bei dessen Beratung, Untersuchung oder Behandlung geschädigt worden zu sein, schriftlich eine Schadenersatzforderung erhoben, so ist der Lauf der Verjährungsfrist gehemmt, von dem Tag, an welchem der bezeichnete Schädiger, sein bevollmächtigter Vertreter oder sein Haftpflichtversicherer oder der Rechtsträger jener Krankenanstalt, in welcher der genannte Arzt tätig war, schriftlich erklärt hat, zur Verhandlung über eine außergerichtliche Regelung der Angelegenheit bereit zu sein. Diese Hemmung tritt auch ein, wenn ein Patientenanwalt oder eine ärztliche Schlichtungsstelle vom angeblich Geschädigten oder vom angeblichen Schädiger oder von einem ihrer bevollmächtigten Vertreter schriftlich um Vermittlung ersucht wird, in welchem Falle die Hemmung an jenem Tag beginnt, an welchem dieses Ersuchen beim Patientenanwalt oder bei der ärztlichen Schlichtungsstelle einlangt. Die Hemmung des Laufes der Verjährungsfrist endet mit dem Tag, an welchem entweder der angeblich Geschädigte oder der bezeichnete Schädiger oder einer ihrer bevollmächtigten Vertreter schriftlich erklärt hat, dass er die Vergleichsverhandlungen als gescheitert ansieht oder durch den angerufenen Patientenanwalt oder die befasste ärztliche Schlichtungsstelle eine gleiche Erklärung schriftlich abgegeben wird, spätestens aber 18 Monate nach Beginn des Laufes dieser Hemmungsfrist.

5. In den Gesetzesmaterialien (ErlRV 629 BlgNR 21. GP 56) wird dazu ua ausgeführt:

Im Sinne des Abs 1 sollen Vergleichsgespräche vor ärztlichen Schlichtungsstellen oder vergleichbaren Einrichtungen, wie etwa Schlichtungsstellen bei Patientenanwälten, den Ablauf der Verjährung bis zum Verstreichen einer Frist von 18 Monaten hemmen, dh der Beginn oder die Fortsetzung der begonnenen Verjährung wird hinausgeschoben.

Der Oberste Gerichtshof gelangte in der Entscheidung 10 Ob 57/06i nach Darstellung dieser (widersprüchlichen) Formulierung zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung ungeachtet der Verwendung des Begriffs „Ablauf“ in den Gesetzesmaterialien eine Fortlaufhemmung normiere (so auch 6 Ob 276/07t; vgl RIS-Justiz RS0121579; zustimmend zuletzt Jahn, Außergerichtliche Konfliktlösung im Gesundheitswesen [2009] 204 f mwN; aA Kletecka in Aigner/Kletecka/Kletecka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht für die Praxis, 7. Lfg [2008], II/30; Emberger/Wallner, Ärztegesetz mit Kommentar² [2008] § 58a Erl 3; Juen, Arzthaftungsrecht² [2005] 199).

An dieser - von den Vorinstanzen offenbar missverstandenen - Auslegung des § 58a Abs 1 ÄrzteG durch den Obersten Gerichtshof ist festzuhalten. Während die von einer Ablaufhemmung ausgehenden Vertreter der Lehre (nur) die Ähnlichkeit mit der Hemmung durch Vergleichsverhandlungen ins Treffen führen, spricht schon der gegenüber dem Ministerialentwurf (122/ME 21. GP ) veränderte und für die Auslegung vorrangig heranzuziehende Gesetzeswortlaut (zur Entstehungsgeschichte vgl Jahn aaO 200 ff) eindeutig für eine Fortlaufhemmung (so nun auch ausdrücklich § 41 Zahnärztegesetz); soll danach doch gerade nicht der „Ablauf“ sondern der „Lauf“ der Verjährungsfrist für eine Dauer von maximal 18 Monaten gehemmt sein. Gehen aber die Verhandlungen oder reicht das Verfahren vor der Schlichtungsstelle oder beim Patientenanwalt über die Frist von 18 Monaten hinaus, ist nach allgemeinen Grundsätzen überdies von einer Ablaufhemmung auszugehen (so auch Jahn aaO 205).

6. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB noch nicht abgelaufen war:

In dritter Instanz ist unstrittig davon auszugehen, dass die Verjährungsfrist am 17. 7. 2004 zu laufen begann. Bis zur Einbringung des Antrags bei der Schlichtungsstelle am 11. 9. 2006 verstrichen knapp 2 Jahre und 2 Monate, dann war der Lauf der Verjährungsfrist für 18 Monate, also bis zum 11. 3. 2008 gehemmt. Danach standen dem Kläger unabhängig von der weiteren Dauer des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle jedenfalls noch 10 Monate zur Verfügung, um seine Ansprüche innerhalb der Verjährungsfrist gerichtlich geltend zu machen. Mit der Einbringung der Klage am 18. 11. 2008 wurde diese Frist gewahrt.

Die vom Berufungsgericht und im Rekurs der beklagten Partei als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO erachteten Rechtsfragen im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Klageführung nach Ablaufhemmung stellen sich unter diesen Umständen nicht.

7. Dem Rekurs ist aus den genannten Erwägungen der Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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