OGH 1Ob129/09s

OGH1Ob129/09s20.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Dr. Klemens D*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Ri***** Bank AG, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Österreichische Nationalbank, Wien 9, Otto-Wagner-Platz 3, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von Rechtsanwälten in Wien, wegen 1.288.551,70 EUR sA (33 Cg 1/94y), 843.336 EUR sA (31 Cg 24/94s), 810.583 EUR sA (33 Cg 36/94w), 810.583 EUR sA (31 Cg 17/95p) und 2.883.996 EUR sA (32 Cg 2/96s), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. April 2009, GZ 14 R 211/08i-26, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. September 2008, GZ 33 Cg 1/94y-21, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

B e g r ü n d u n g :

Rechtliche Beurteilung

1. Die außerordentliche Revision macht als erhebliche Rechtsfragen geltend, ob

a) ein Amtshaftungsanspruch wegen Säumnis der Behörde ausscheide, wenn der (ebenfalls schadenverursachende, hypothetische) negative (Ersatz-)Bescheid auf einer verfassungswidrigen Bestimmung beruhe und damit selbst rechtswidrig sei, oder nur dann, wenn der hypothetische Ersatzbescheid selbst rechtmäßig sei und der Eintritt des geltend gemachten Schadens nicht verhindert hätte werden können, der eingeklagte Schaden also auch durch den rechtmäßigen Ersatzbescheid entstanden wäre;

b) ein Amtshaftungsanspruch wegen eines auf eine verfassungswidrige Bestimmung gestützten Bescheids generell ausscheide oder nur dann, wenn bei Bekämpfung der Verfassungswidrigkeit der Schaden zu verhindern gewesen wäre;

c) ein Amtshaftungsanspruch wegen Säumnis der Behörde jedenfalls ausscheide, wenn keine Säumnisbeschwerde erhoben worden sei, oder nur dann, wenn bei unterstellter Nichtsäumnis der Behörde der geltend gemachte Schaden nicht eingetreten wäre.

2. Das Rechtsmittel bezieht sich auf die Aufhebung des § 2 Abs 2 Z 4 Devisengesetz idF BGBl 1990/494 als verfassungswidrig durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 24. Juni 1993, G 217, 218/92, unter Setzung einer Frist bis 31. Mai 1994. Dieses Erkenntnis wurde am 19. 8. 1993 in BGBl 1993/573 kundgemacht. In der Sache hatte der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die normierte Mindestkapitalausstattung an sich, sondern im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz dagegen, dass dies nur für „neue“ Devisenhandelsermächtigungen vorgeschrieben wurde, ohne entsprechende Regelungen für jene Banken vorzusehen, denen derartige Berechtigungen bereits früher erteilt wurden. Es bestehe kein Zweifel, dass ein erhebliches öffentliches Interesse - nicht nur aus Gründen des Gläubigerschutzes, sondern auch im Interesse der Finanzwirtschaft und der österreichischen Währungspolitik insgesamt - daran bestehe, Insolvenzen von Devisenhändlern zu vermeiden und dass die durch die Novelle 1990 eingeführte Eigenkapitalbestimmung geeignet sei, diesen Gefahren gegenzusteuern. Sachlich nicht zu rechtfertigen sei aber, diesen Gefahren nur für jene Gruppe von Instituten zu begegnen, denen die Berechtigung zum Devisenhandel neu erteilt werde. Zwar müssten Aspekte des Schutzes erworbener Rechtspositionen miterwogen werden, was rechtfertigen könne, auf die als relevant erkannten Gefahren bei „Altberechtigten“ anders zu reagieren; dies rechtfertigte aber angesichts der Art und Intensität der Gefahr nicht, ihr nur bei „Neuberechtigten“ zu begegnen und für „Altberechtigte“ das öffentliche Interesse an der Vermeidung der Insolvenzgefahr überhaupt nicht zu berücksichtigen. Da die erkannte Verfassungswidrigkeit auch dadurch beseitigt werden könne, dass der Gesetzgeber die an sich taugliche, aber wegen ihrer Unvollständigkeit gleichheitswidrige Bestimmung wieder in Kraft setze, wenn er gleichzeitig entsprechende Regelungen für jene Institute erlasse, die schon über Devisenhandelsermächtigungen verfügten, werde eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesbestimmung gesetzt.

3. Die Aufhebung einer Gesetzesbestimmung tritt gemäß Art 140 Abs 5 B-VG am Tage ihrer Kundmachung in Kraft, wenn aber der Verfassungsgerichtshof - wie hier - eine Frist bestimmt hat, mit Ablauf dieser Frist. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof im aufhebenden Erkenntnis eine Frist gesetzt, so ist das Gesetz auch auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls anzuwenden (Rohregger in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 140 B-VG Rz 278, 293 f).

4. Abgesehen davon, dass der Verfassungsgerichtshof nicht die Einführung der Mindestkapitalausstattung per se beanstandet hat, die die Gemeinschuldnerin unstrittig nicht erfüllte, sodass sie ab Inkrafttreten der Bestimmung eine solche Ermächtigung, ohne dass es auf andere Umstände ankäme, nicht mehr erhalten konnte, wäre im vorliegenden Fall die genannte Bestimmung auf die Gemeinschuldnerin jedenfalls deshalb anzuwenden gewesen, weil der Sachverhalt vor Inkrafttreten der Aufhebung verwirklicht wurde. Selbst wenn daher ein Bescheid ergangen wäre und dieser auf einer später als verfassungswidrig erkannten Bestimmung beruht hätte, wäre er entgegen den Ausführungen der außerordentlichen Revision nicht rechtswidrig gewesen. Dass das hier zu beurteilende Verfahren einen Anlassfall, auf den die Bestimmung nicht mehr anzuwenden gewesen wäre, dargestellt hätte, ist nicht festgestellt und daher schon deshalb der Beurteilung nicht zu Grunde zu legen.

Die erste als erheblich angesehene Rechtsfrage ist daher nicht entscheidungsrelevant.

5. Zur zweiten Rechtsfrage besteht Judikatur des Höchstgerichts:

Amthaftungsansprüche kommen demnach nur bei rechtswidriger Vollziehung der Gesetze in Betracht, nicht aber bei gesetzmäßiger Vollziehung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Aus der Vollziehung eines geltenden, wenngleich verfassungswidrigen Gesetzes durch eine Verwaltungsbehörde kann ein Amtshaftungsanspruch nicht abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0049905; RS0049949; vgl auch Schragel, AHG3 Rz 271).

6. Auch zur dritten, für erheblich erbrachten Rechtsfrage existiert bereits Judikatur des Obersten Gerichtshofs:

Die Säumnisbeschwerde ist ein Rechtsmittel iSd § 2 Abs 2 AHG (RIS-Justiz RS0050264). Bei Versäumung oder Unterlassung eines Rechtsmittels - wie zB eines Devolutionsantrags oder einer Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG -, kann eine Amtshaftungsklage nicht mehr zur Behebung der durch die Unterlassung zur Gänze oder auch nur zum Teil verursachten Vermögensnachteile führen. Ein hypothetischer Nachvollzug, was geschehen wäre, hätte der Kläger von den ihm offen stehenden Rechtsbehelfen zeitgerecht Gebrauch gemacht, und ob bzw welcher Schaden ihm dennoch entstanden wäre, also nicht mehr abwendbar war, kommt im Amtshaftungsverfahren nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0053068). Das Wort „können“ in § 2 Abs 2 AHG bedeutet nach der Rechtsprechung nur, dass ein Rechtsbehelf bestand, der seiner Art nach abstrakt die Möglichkeit bot, den Schaden noch zu verhindern, nicht aber die Zulässigkeit der Beweisführung im Amtshaftungsverfahren, dass etwa eine nicht erhobene Säumnisbeschwerde keinen Erfolg hätte haben können. Es ist nicht Aufgabe des Amtshaftungsprozesses, den hypothetischen Erfolg eines unterlassenen Rechtsbehelfs, wäre er ergriffen worden, nachzuvollziehen (RIS-Justiz RS0053073).

Im Übrigen ist diese Frage nicht entscheidungsrelevant, weil sich hier aus dem vorhin Gesagten ohnehin ergibt, dass auch bei rechtzeitigem Tätigwerden der Behörde die später als verfassungswidrig aufgehobene Bestimmung anzuwenden gewesen und daher der Gemeinschuldnerin mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen die Devisenhandelsermächtigung auch diesfalls versagt geblieben wäre.

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