OGH 6Ob65/10t

OGH6Ob65/10t15.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** K*****, 2. H***** K*****, beide *****, vertreten durch Anzböck & Brait Rechtsanwälte GmbH in Tulln, gegen die beklagte Partei U***** P*****, vertreten durch Dr. Robert Müller und Mag. Gregor Riess, Rechtsanwälte in Hainfeld, wegen Abgabe einer Löschungserklärung (Streitwert 7.270 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2009, GZ 21 R 323/09x-12, womit das Urteil des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 25. August 2009, GZ 2 C 636/08z-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.074,37 EUR (darin 179,06 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagenden Parteien sind je zur Hälfte grundbücherliche Eigentümer der Liegenschaft EZ 8, GB *****. Diese Grundbuchseinlage besteht unter anderem aus den Grundstücken 79/8 landwirtschaftlich genutzt mit einer Fläche von 19.439 m², dem Grundstück 79/22 Baufläche (begrünt) mit 946 m² und dem Grundstück 79/23 Baufläche (begrünt) mit 885 m² und weist eine Gesamtfläche von 137.053 m² auf. Ob dieser Liegenschaft ist unter C-LNR 16 das Bestandrecht am Grundstück 79/8 bis 30. 4. 2034 gemäß Punkt II. des Pachtvertrags vom 10. 5. 2004 für die Beklagte einverleibt. Mit dem genannten Pachtvertrag wurde das Bestandrecht für die beklagte Partei ausschließlich für das Grundstück 79/8, nicht jedoch für die übrigen in der Grundbuchseinlage EZ 8, GB *****, vorgetragenen Grundstücke eingeräumt. Die klagenden Parteien beabsichtigen, die Grundstücke 79/22 und 79/23 aus der genannten Grundbuchseinlage an ihre Enkelsöhne zu übertragen.

Mit der am 28. 10. 2009 eingebrachten Klage begehrten die klagenden Parteien, die Beklagte schuldig zu erkennen, in die lastenfreie Abschreibung der Grundstücke 79/22 und 79/23, insbesondere lastenfrei von dem unter C-LNR 16 zu ihren Gunsten einverleibten Bestandrecht vom Gutsbestand der EZ 8, GB *****, *****, einzuwilligen. Das Bestandrecht beziehe sich nicht auf die Grundstücke 79/22 und 79/23, an diesen beiden Grundstücken stehe der Beklagten kein Bestandrecht zu. Die beklagte Partei sei bereits wiederholt aufgefordert worden, zur lastenfreien Abschreibung der beiden bezeichneten Grundstücke eine Löschungserklärung formgerecht, nämlich beglaubigt, zu unterfertigen; sie habe sich bisher aus völlig unerklärlichen und unerfindlichen, zum Teil jedoch in keinem wie immer gearteten Zusammenhang mit ihrem Bestandrecht stehenden Gründen geweigert, eine derartige Lastenfreistellungserklärung abzugeben.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist die Beklagte nach dem Pachtvertrag berechtigt, Objekte zum Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung zu errichten sowie einen elektrischen Weidezaun und überhaupt Zäune und Koppeln wie sie zur umfassenden landwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere zur Haltung und Nutzung von Pferden, notwendig und zweckmäßig sind, zu errichten.

Die Grundstücksfläche 79/8 wird derzeit von der beklagten Partei, die daran angrenzend eine Reithalle betreibt, als Weidefläche genutzt. Im Zug der Errichtung von Baulichkeiten für den Reiterhof der beklagten Partei kam es in den letzten Jahren zu nachbarrechtlichen Einwendungen von Anrainern. Die beklagte Partei ersuchte die Kläger, bei allfälligen weiteren Verkäufen von Baugründen einen Verzicht der Käufer auf nachbarrechtliche Einwendungen hinsichtlich des Reiterhofs der Beklagten als Vertragsbestimmung aufzunehmen. Die Kläger traten diesem Ansinnen der Beklagten nicht näher.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass § 3 Abs 2 LiegTeilG auf verbücherte Bestandrechte nicht anzuwenden sei. Wenngleich die Beklagte derzeit auf dem Pachtgrundstück keine Gebäude errichtet habe, sondern das Grundstück als Weide genutzt werde, sei im Pachtvertrag festgehalten, dass die beklagte Partei sehr wohl berechtigt ist, auf dem genannten Grundstück Superädifikate zu errichten. Es sei daher auch nicht ausgeschlossen, dass der Beklagten im Falle einer vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrags Ersatzforderungen entstehen könnten, die aus dem Verkaufserlös des Bestandgrundstücks allein nicht befriedigt werden könnten.

In der Entscheidung 1 Ob 510/84 habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass bei rechtsmissbräuchlicher Verweigerung der Zustimmung des bücherlich Berechtigten diese durch den Richter ersetzt werden könne. Rechtsmissbrauch komme insbesondere dann in Betracht, wenn der bücherlich Berechtigte auch noch bei lastenfreier Abschreibung eines Grundstücksteils reichlich gedeckt sei und ein zur Übernahme der Last bereiter Kaufinteressent kaum zu finden sei, sodass der Grundstückseigentümer gehindert sei, durch Abverkauf seine Schulden zu tilgen und so die andernfalls drohende exekutive Veräußerung des Grundstücks zu vermeiden.

Eine derartige Konstellation liege hier jedoch nicht vor.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Aus dem Umstand allein, dass derzeit noch keine Superädifikate auf dem Grundstück 79/8 errichtet worden seien, könne nicht abgeleitet werden, die Beklagte könne im Fall einer exekutiven Verwertung des gesamten Grundbuchskörpers keinesfalls einen Entschädigungsanspruch nach § 227 EO haben, zumal das Bestandrecht bis zum Jahr 2034 eingeräumt worden sei. Es fehle auch ein entsprechend präzises Prozessvorbringen der Kläger, wonach der Wert der verbleibenden Grundstücke des Grundbuchskörpers jedenfalls so hoch sei, dass ein allfälliger Entschädigungsanspruch im Bezug auf das Bestandrecht der Beklagten im Fall der Zwangsversteigerung im gleichen Ausmaß bzw im Meistbot Deckung fände. Der Umstand allein, dass der Anteil der beiden Grundstücke nur 1,3 % der Gesamtfläche darstelle, besage noch nichts. Damit sei aber auch eine schikanöse Rechtsausübung durch die Beklage zu verneinen. Aus dem festgestellten Sachverhalt gehe gar nicht klar hervor, dass der Haftungsfonds für die beklagte Partei ungeachtet der Abschreibung der Grundstücke 79/22 und 79/23 noch ausreichend groß sei. Außerdem habe die beklagte Partei ihre Gründe dargelegt, warum sie zur lastenfreien Abschreibung dieser Grundstücke nicht bereit sei. Im Falle einer Abschreibung der Grundstücke unter Mitübertragung des Bestandrechts auf Grundstück 79/8 wäre für jeden Interessierten sichtbar, dass ihr ob diesem Grundstück ein Pachtrecht zustehe und sie dort einen Reitbetrieb führe. Dem Einwand der Beklagten, sie wolle zumindest vom potentiellen Erwerber eine Erklärung, dass er auf nachbarrechtliche Ansprüche aus dem Umstand, dass sie den Pferdebetrieb dort führe, verzichte, komme keinesfalls Rechtsmissbrauchscharakter zu.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Entscheidung 5 Ob 156/07p ein Bestandrecht betreffe, bei dem ein Superädifikat für den Betrieb eines Restaurants bereits errichtet gewesen sei, woraus umfangreiche Entschädigungsforderungen im Fall einer exekutiven Verwertung der dienenden Liegenschaft zu erwarten gewesen seien. Daher könne auch die Auffassung vertreten werden, dass der hier zu beurteilende Fall diesbezüglich nicht vergleichbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass § 3 Abs 2 LiegTeilG auf verbücherte Bestandrechte nicht anwendbar ist (RIS-Justiz RS0024839, RS0060181). Diese haften immer auf dem ganzen Grundbuchskörper, auch wenn sich das Bestandrecht nur auf bestimmte Teile erstreckt. Dies entspricht auch der einhelligen Auffassung der Lehre (vgl Mahrer in Kodek, Grundbuchsrecht § 3 LiegTeilG Rz 8 und 12). Auch Hoyer hat in seiner Anmerkung zu 5 Ob 156/07p (NZ 2008/703) die Ausdehnung des § 3 Abs 2 LiegTeilG auf persönliche Dienstbarkeiten und verbücherte Bestandrechte nur de lege ferenda vorgeschlagen.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 5 Ob 156/07p auch bereits ausgesprochen, dass eine den Gegenstand des Bestandrechts einschränkende Vereinbarung nichts am Umfang des dem Bestandnehmer nach §§ 150, 227 EO zustehenden Haftungsfonds ändere. Die Abschreibung des vom Bestandrecht nicht erfassten Grundstücks bzw Grundstücksteils bedürfe der Zustimmung des Bestandnehmers.

In der genannten Entscheidung hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage, ob § 3 Abs 2 LiegTeilG auf verbücherte Bestandrechte, die sich nur auf einen von mehreren Liegenschaftsteilen beziehen, Anwendung findet, auseinandergesetzt; er ist zum Ergebnis gelangt, dass trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Vereinbarung, das Bestandrecht beziehe sich nur auf ein einzelnes Grundstück, sich noch nicht ergebe, dass der Bestandnehmer damit wirksam auf die ihm umfänglich zustehende Haftung nach den §§ 150, 227 EO verzichtet habe. In der Folgeentscheidung 5 Ob 138/08d hat der Oberste Gerichtshof diese Auffassung bestätigt.

Im vorliegenden Fall sind keine Umstände ersichtlich, welche ein Abgehen von dieser gefestigten Judikatur rechtfertigen würden. Insbesondere ist aus den zitierten Entscheidungen keine Einschränkung auf Sachverhalte abzuleiten, bei denen die Verpachtung ausschließlich zum Zweck der Errichtung eines Superädifikats erfolgte. In diesem Sinne ist in der Entscheidung 5 Ob 156/07p auch ausdrücklich formuliert, dass die angeführten Grundsätze „insbesondere“ dann gelten, wenn ein Grundstück zur Errichtung eines Superädifikats in Bestand gegeben wurde. In der Entscheidung 5 Ob 138/08t fehlt von vornherein jede Bezugnahme auf ein Superädifikat.

Auch die Haftung nach §§ 150, 227 EO ist vom Bestand eines Superädifikats völlig unabhängig. Schon gar nicht kann es darauf ankommen, ob - wie im vorliegenden Fall - der Bestandnehmer zur Errichtung eines Superädifikats nur berechtigt ist oder von dieser Berechtigung auch tatsächlich bereits Gebrauch gemacht hat. In diesem Zusammenhang hat schon das Berufungsgericht auf die Laufzeit des Pachtvertrags bis zum Jahr 2034 hingewiesen.

Der Einwand, dass der Haftungsfonds auch bei einer Abschreibung der Grundstücke ausreichend ist, wurde in dieser Form in erster Instanz nicht vorgebracht und verstößt daher gegen das Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0042011, RS0110773, RS0083783). Im Übrigen ist die zukünftige Wertentwicklung der Grundstücke nicht absehbar; damit ist es unklar, ob bei einer allfälligen künftigen Haftung nach §§ 150, 227 EO auch bei Abschreibung der beiden Grundstücke tatsächlich noch ausreichend Deckung gegeben ist.

Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt haben die Vorinstanzen das Vorliegen von Rechtsmissbrauch mit eingehender Begründung verneint. Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, hängt aber stets von den Umständen des Einzelfalls ab und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0110900, RS0026265 [T3]). Ein Rechtsmissbrauch kann jedenfalls nicht schon aus dem bloßen Umstand abgeleitet werden, dass die abzuschreibende Fläche nur 1,3 % der Gesamtfläche betrage, muss die beklagte Partei doch auch einen derartigen Verlust ihrer Deckung nicht hinnehmen. Dass aber auch unter Berücksichtigung der begehrten Abschreibung die Beklagte immer noch ausreichend besichert wäre, ist aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht abzuleiten. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen ist hier auch auf mögliche Wertveränderungen während der immerhin bis 2034 laufenden Dauer des Pachtvertrags zu verweisen. In der Auffassung der Vorinstanzen, die das Vorliegen von Rechtsmissbrauch verneint haben, ist daher keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

Damit bringen die Revisionswerber aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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