OGH 14Os105/09m

OGH14Os105/09m2.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herbert S***** wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 17. Juni 2009, GZ 16 Hv 27/08a-150, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herbert S***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens nach § 3g VG schuldig erkannt.

Danach hat er sich von 2004 bis 2006 in Feldkirchen/Kärnten und anderen Orten auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er das Buch „Deutschlands neue Idee, nationales Manifest für Deutschland und Europa“ mit den im Urteilstenor detailliert wiedergegebenen (I/aa bis aad) Textpassagen, die nach dem Wahrspruch dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entsprechende Sachverhaltselemente enthielten, verfasste und verbreitete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 8, 9, 10a und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Vorweg ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer, indem er - von der konkreten Fragestellung losgelöst - „Faktengruppen“ aus jeweils mehreren Textpassagen nach Maßgabe des von ihm behaupteten Bedeutungsinhalts bildet, das gesetzliche Erfordernis, Hauptfragen an die Geschworenen anklagekonform zu stellen (vgl § 312 Abs 1 StPO), mithin die angeklagten Taten sachverhaltsmäßig wie in der Anklageschrift und unter rechtlicher Bindung an diese zu erfassen (vgl RIS-Justiz RS0100524; Schindler, WK-StPO § 312 Rz 4 und 8), ignoriert. Die Zusammenfassung mehrerer Textpassagen einer einzigen Veröffentlichung (eines Buches) zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl 15 Os 129/05t; Ratz in WK2 Vor §§ 28-31 Rz 104; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 521) in den (anklagekonformen) Hauptfragen bedingt aber die Prüfung der Tatbildmäßigkeit im Sinn des § 3g VG anhand des Gesamteindrucks dieser Textpassagen; ob deren jede einzelne - isoliert betrachtet - den Tatbestand erfüllt, ist hingegen ohne Bedeutung (Lässig in WK2 § 3g VG Rz 5).

Gegenstand der Instruktionsrüge (Z 8) ist der auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf welche die Fragen an die Geschworenen gerichtet sind, die Auslegung der in diesen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage bezogene Inhalt der in §§ 321, 323 Abs 1 und 327 StPO genannten Belehrungen (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 53). Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der schriftlichen Rechtsbelehrung zu einem dieser Inhalte legt der Beschwerdeführer nicht dar. Soweit er unter Berufung auf das weit umschriebene Tatbild Verfassungswidrigkeit mangels hinreichender gesetzlicher Determinierung des Tatbestands behauptet (vgl hingegen RIS-Justiz RS0080029; Lässig in WK2 § 3g Rz 4 mwN) und eine Belehrung der Geschworenen darüber reklamiert, übersieht er, dass die Verfassungskonformität der den Gegenstand der Fragestellung bildenden strafbaren Handlungen und die damit in Zusammenhang stehende Forderung nach „größter Zurückhaltung“ bei deren Anwendung gerade nicht zum gesetzlich vorgesehenen Inhalt einer Rechtsbelehrung zählen (RIS-Justiz RS0110510). Aus dem gleichen Grund versagt auch der Hinweis auf die Grundfreiheiten der Art 10 und 11 MRK und die Notwendigkeit einer an den dort jeweils in Abs 2 geregelten Eingriffsvoraussetzungen orientierten Abwägung im Einzelfall (vgl zur Konventionskonformität des Verbotsgesetzes im Grundsätzlichen: Lässig in WK2 § 3g Rz 2; vgl Meyer-Ladewig EMRK2 Art 10 Rz 23a und Art 17 Rz 2). Das Argument, bei (bloß behaupteter) „Verfassungswidrigkeit“ eines Verfassungsgesetzes habe eine Abwägung „im Sinn des ordre public“ zu erfolgen, welche Bestimmung im Einzelfall „vorrangig“ sei, entzieht sich ebenso einer sachlichen Erwiderung wie die - im Übrigen gesetzwidrig (RIS-Justiz RS0100695; vgl Philipp, WK-StPO § 321 Rz 18) entsprechende Passagen der Instruktion (ON 149 S 43 f und 47 f) ignorierende - Forderung nach näherer Erläuterung der im Tatbestand des § 3g VG nicht vorkommenden Begriffe „Volk“ und „Rasse“ sowie einer Auslegung von Art 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl 1978/591).

Der Einwand, die Rechtsbelehrung hätte zwischen „strafbaren“ und „nicht strafbaren Maßnahmen und Zielen der NSDAP“ unterscheiden müssen, ist nicht methodengerecht aus § 3g VG abgeleitet, der als Auffangtatbestand eben (unter anderem) jegliches sonstige (von §§ 3a bis 3f VG nicht erfasste) - einer abschließenden gesetzlichen Beschreibung gar nicht zugängliche - Verhalten, das auch nur abstrakt geeignet ist, eine der spezifischen und vielfältigen Zielsetzungen der NSDAP zu neuem Leben zu erwecken, unter Strafe stellt (RIS-Justiz RS0079776; vgl auch RS0080029). In diesem Sinn wurde das Tatbild zutreffend rechtlich-abstrakt erläutert (ON 149 S 40); der Einwand, die Geschworenen seien durch die - im Übrigen angesichts der pauschalen Tatbestandsformulierung durchaus zweckmäßige - (zusätzliche) Anführung von angeblich mit dem inkriminierten Verhalten nicht vergleichbaren Beispielen der Tatbegehung in ihrer Beweiswürdigung beeinflusst worden, spricht keinen aus Z 8 beachtlichen Mangel an (RIS-Justiz RS0116640).

Weshalb die Geschworenen angesichts der anklagekonformen (vgl ON 127 S 22) Formulierung der ersten Hauptfrage, wonach der Angeklagte sich in „Feldkirchen/Kärnten und anderen Orten“ unter anderem durch Verbreitung des Buches „Deutschlands neue Idee, nationales Manifest für Deutschland und Europa“ im nationalsozialistischen Sinne betätigt habe, über Begriffe des Tatorts und der damit zusammenhängenden inländischen Gerichtsbarkeit hätten belehrt werden müssen, legt die weitere Instruktionsrüge (Z 8) nicht dar.

Indem der Beschwerdeführer nach dem eingangs dargestellten Muster einzelne Textpassagen ähnlichen Inhalts aus den Hauptfragen 1 und 2 herauslöst und in deren (insgesamt) unterschiedlicher Beantwortung einen Widerspruch im Sinn der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO erblickt, verfehlt er den im (gesamten) Wahrspruch liegenden gesetzlichen Bezugspunkt der geltend gemachten Anfechtungskategorie. Im Übrigen wird ein Widerspruch im Sinn logischer Unvereinbarkeit (vgl RIS-Justiz RS0100971, RS0101003) nicht angesprochen, wenn die Geschworenen bei real konkurrierenden strafbaren Handlungen deren Erfüllung aus Gründen der Beweiswürdigung - etwa im Hinblick auf die subjektive Tatseite (vgl ON 149 S 83) - unterschiedlich beurteilen (RIS-Justiz RS0101010; vgl auch RS0089873).

Das im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 10a) erstattete Vorbringen verkennt das Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes, dessen Wirkungsbereich erst dort beginnt, wo die Grenze der freien Beweiswürdigung überschritten wird, wenn also unter konkretem Verweis auf aktenkundige Beweismittel völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung aufgezeigt werden (RIS-Justiz RS0118780; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470 ff). Diesen Anforderungen wird der Beschwerdeführer mit dem - die gebotene Gesamtbetrachtung abermals außer Acht lassenden - Hinweis auf verlesene Urkunden (etwa Zeitungsartikel) mit gleichen oder ähnlichen Formulierungen wie in den isoliert herausgegriffenen und nach „Faktengruppen“ zusammengefassten Textpassagen seines zur ersten Hauptfrage inkriminierten Buches nicht gerecht.

Soweit die weitere Tatsachenrüge mit Blick auf das im Wahrspruch festgestellte Verbreiten des inkriminierten Buches in „Feldkirchen/Kärnten und anderen Orten“ vorbringt, hiefür fänden sich im Akt „keinerlei Verfahrensergebnisse oder Hinweise“, unterlässt er gerade die gebotene Bezugnahme auf konkrete, der tatrichterlichen Beweiswürdigung entgegenstehende Beweismittel (vgl RIS-Justiz RS0116733). Die Niederschrift der Geschworenen (§ 331 Abs 3 StPO) ist als Begründung für die Beweiswürdigung nicht zugleich deren Gegenstand, weshalb die Tatsachenrüge nicht auf sie gestützt werden kann (RIS-Justiz RS0115549; Philipp, WK-StPO § 331 Rz 10).

Indem der Beschwerdeführer auch im Rahmen der Rechtsrüge (Z 11 lit a) den Bedeutungsinhalt isoliert herausgegriffener Teile der ersten Hauptfrage eigenständig interpretiert und davon ausgehend die Tatbildlichkeit dieser Textpassagen verneint, verfehlt er abermals den in den festgestellten Tatsachen des gesamten Wahrspruchs der Geschworenen gelegenen gesetzlichen Bezugspunkt dieses materiellen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0101476). Davon abgesehen übersieht er, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlage des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ - einschließlich des Bedeutungsinhalts inkriminierter Äußerungen - auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese die Schuldfrage, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht, sodass (auch) dessen Bejahung einer Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0119234; Lässig in WK² § 3g VG Rz 17).

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde (§§ 285d Abs 1, 344 StPO) schon bei der nichtöffentlichen Beratung folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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