Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. März 2005, AZ 17 Bs 291/04 (ON 49 des Aktes 12 Hv 194/03g des Landesgerichtes Eisenstadt) verletzt § 474 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieses Urteil insoweit, als es über die Berufungen des Privatanklägers und des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe und den Kostenausspruch erkannte, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Wien verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Eisenstadt vom 22. Juni 2004, GZ 12 Hv 194/03g-31, das auch Erkenntnisse gemäß §§ 6 Abs 1, 34 Abs 1 MedienG enthält, wurde Dr. Marijan B***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und nach § 111 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 Euro, im Nichteinbringungsfall zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 389 Abs 1 StPO iVm § 35 MedienG wurden der Angeklagte und der Verein „H*****" zur ungeteilten Hand zur Bezahlung der Geldstrafe und der Kosten des Strafverfahrens, einschließlich der Kosten der Urteilsveröffentlichung verpflichtet. In der Privatanklage (ON 2) wurde ihm angelastet, durch die Verfassung des Artikels „Udba - Jugoslawiens Wächter" auf Seite 14 der periodischen Druckschrift „H*****" den Privatankläger Pero K***** dadurch einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung geziehen und/oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt zu haben, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen, dass er diesen Artikel mit den Textstellen
- „auf diese Weise operierten die Mitarbeiter der Udba mit schwer anklagenden und vernichtenden Informationen, wofür unschuldige Menschen bis zu 10 Jahren Haft erhielten oder wegen falscher Informationen einfach liquidiert wurden,
- die Berichte von „Toni", den Wiener Kroaten als P.K. bekannt, haben gewiss zum Tod von Djuro H***** geführt, welcher erschossen wurde und
- die Zahl jener Misshandelten und bis zum Tode Gequälten sowie jener, welchen Exekution durch Udba in Österreich, Kroatien und Bosnien angedroht wurde, ist aufgrund der Menge an falschen Berichten groß,"
verfasste und zur Drucklegung befördert hat.
Das Erstgericht beurteilte die zweite inkriminierte Textstelle als tatbestandsmäßig, verneinte dies jedoch hinsichtlich der beiden anderen (als Teil einer Gesamtmenge der durch eine tatbestandliche Handlungseinheit erfassten) Textstellen.
Gegen dieses Urteil wandten sich die Berufungen - jeweils wegen Nichtigkeit, Schuld und des Ausspruchs über die Strafe - des Angeklagten (ON 43) und des Privatanklägers (ON 44). Das Oberlandesgericht Wien gab nach öffentlicher mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 9. März 2005, AZ 17 Bs 291/04 (ON 49) der Berufung des Privatangeklagten nicht Folge, jener des Privatanklägers hingegen „dahin Folge, dass das erstinstanzliche Urteil, das hinsichtlich des erfolgten Schuldspruchs nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie im Zuspruch einer Entschädigung nach § 6 MedienG unberührt bleibt, im Strafausspruch sowie im bezüglichen Kostenausspruch aufgehoben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wird".
In seiner Begründung führte der Gerichtshof zweiter Instanz aus, dem Privatankläger sei beizupflichten, dass seine Argumentation ausschließlich unter Strafzumessungsgesichtspunkten von Relevanz sei, sodass das gesamte Vorbringen unter dem Titel Nichtigkeits- und Schuldberufung inhaltlich ausschließlich als Ausführung der Strafberufung zu qualifizieren sei (US 18). Der Privatankläger wecke berechtigte Zweifel, dass er von den beiden Textstellen, hinsichtlich derer das Erstgericht keine Verurteilung vornahm, nicht in individueller Weise betroffen sei (US 19). Da aber der Angeklagte den Wahrheitsbeweis angeboten habe, sei dem Berufungsgericht eine Entscheidung in der Sache selbst verwehrt (US 20).
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis richtig ausführt, steht das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Zutreffend ist das Oberlandesgericht Wien davon ausgegangen, dass die Grundsätze der tatbestandlichen Handlungseinheit auch bei Ehrenbeleidigungs- und Medienstrafsachen Geltung haben (Ratz in WK²
Vor §§ 28-31 Rz 23 und 104; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 521; siehe dazu auch Jescheck/Weigend AT5 712). Tatobjekt des Vergehens der Üblen Nachrede nach § 111 StGB ist nicht jede einzelne Äußerung, die in einem gegebenen Zusammenhang aufgestellt wird, sondern das „Zeihen einer verächtlichen Gesinnung oder eines unehrenhaften Verhaltens". Die einmalige Verwirklichung des Tatbestandes lässt eine Mehrheit von (inhaltlich gleich oder ähnlich gelagerten: „materieller Zusammenhang", Ratz in WK² Vor §§ 28-31 Rz 23) Behauptungen zu, sodass in Hinblick auf einzelne Aussagen kein Freispruch zu ergehen hatte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 523). Teilaspekte der Handlungseinheit können als Strafzumessungsgesichtspunkte (Strafbemessungstatsachen) - ohne Einschränkung durch das für Nichtigkeitsgründe geltende Neuerungsverbot - mit Berufung releviert werden.
Das Berufungsgericht hat sich bei der Behandlung einer Strafberufung an den verfahrensrechtlichen Maximen zu orientieren. Nach der auch im Einzelrichterverfahren anzuwendenden Bestimmung des § 474 StPO (§ 489 Abs 1 StPO) erkennt der Gerichtshof nach Durchführung eines öffentlichen Gerichtstags zur Verhandlung über die Berufung (§§ 471 - 473 StPO), wenn er die Berufung nicht als unzulässig oder ungegründet zurückzuweisen oder seine eigene Nichtzuständigkeit auszusprechen findet, in der Sache selbst nach den für die Urteilsfällung der Gerichtshöfe erster Instanz geltenden Vorschriften, insofern nicht in den nächstfolgenden Paragraphen etwas anderes angeordnet ist. Denen (§§ 475 f StPO) zufolge ist aber eine Kassation und Verweisung an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung nur in bestimmten - hier nicht relevanten Fällen - vorgesehen, nicht hingegen zur ausschließlich die Straffrage betreffenden Entscheidung. Nach Durchführung eines Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung durfte daher das Berufungsgericht in Stattgebung einer Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe die Sache nicht an das Erstgericht verweisen, sondern hätte in der Sache selbst erkennen müssen (vgl Ratz, WK-StPO § 295 Rz 2 und 4; § 473 Rz 3; § 474 Rz 7; Fabrizy, StPO9 § 295 Rz 1).
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Privatangeklagte vorliegend in Hinblick auf die vom Erstgericht als nicht tatbestandsmäßig erachteten Äußerungen den Wahrheitsbeweis (§ 111 Abs 3 StGB) angeboten hat, war doch dem Berufungsgericht selbst dessen Durchführung im Rahmen der Behandlung der Strafberufung nicht verwehrt (§ 473 StPO; vgl dazu WK-StPO § 295 Rz 2). Überdies verletzt auch der darin begründete Widerspruch in der Entscheidung des Oberlandesgerichts, dass im Tenor der Berufung des Angeklagten (zur Gänze) nicht Folge gegeben wurde, in den Gründen aber dazu kein Eingehen auf die Argumente seiner Strafberufung erfolgt ist, sondern diese auf die kassatorische Entscheidung verwiesen wurde, § 474 StPO.
Weil das Urteil des Oberlandesgerichtes in letztem Punkt sowie im Ausspruch gemäß § 390a StPO zum Nachteil des Angeklagten wirkte, war es, soweit es über die Berufungen des Privatanklägers und des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe und den Kostenausspruch erkannte, aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Wien zu verweisen.
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