OGH 4Ob63/09g

OGH4Ob63/09g19.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W***** AG *****, und 2. Dr. H***** F*****, beide vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. M***** H*****, wegen 18.632,16 EUR sA, über die Revision des Zweitklägers (Revisionsinteresse 4.867,16 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2009, GZ 30 R 24/08g-18, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 18. März 2008, GZ 13 Cg 54/07d-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Rechtsvorgängerin des Zweitklägers, eine Rechtsanwaltssozietät, war Abonnentin des vom *****-Verlag verlegten und vom Beklagten herausgegebenen „***** Juristenkalender". Für seine Tätigkeit als Herausgeber erhielt der Beklagte vom Verlag ein Pauschalhonorar. Der Verlag übernahm die Vervielfältigung, Verarbeitung und Vermarktung des Werks. Die Loseblattsammlung wird jährlich durch austauschbare Ergänzungslieferungen aktualisiert. Die Aktualisierungslieferung 2003 wies einen Fehler auf; eine Fristentabelle für Zustellungen innerhalb der verhandlungsfreien Zeit vom 24. 12. 2003 bis 6. 1. 2004 führte als Ende der vierwöchigen (Berufungs-)Frist den 4. 2. 2004 anstelle des 3. 2. 2004 an. Im Manuskript des Beklagten war das Fristende noch richtig mit 3. 2. 2004 angegeben. Es konnte nicht festgestellt werden, bei welchen der anschließenden Arbeitsschritte im Bereich des Verlags und aus welchem Grund das betreffende Datum schließlich auf den 4. 2. 2004 abgeändert wurde. Als der Beklagte im August oder September 2003 die Fristentabelle des Kalenders 2003 nochmals durchsah, erkannte er den Fehler und erstellte aufgrund dessen eine Aktualisierung des vom Fehler betroffenen Blatts mit den entsprechenden Tabellen für fristauslösende Zustellungen in den Monaten Oktober, November und Dezember 2003. Er übermittelte diese Aktualisierung im Zuge der Arbeit an der Aktualisierungslieferung 2004 an den Verlag. Dieser lieferte das aktualisierte Blatt, in dem der Ablauf der vierwöchigen Berufungsfrist für die in der Zeit vom 24. 12. 2003 bis 6. 1. 2004 einlangenden Urteile richtig mit dem 3. 2. 2004 angegeben war, um den 20. 12. 2003 an die Abonnenten des Juristenkalenders aus. Die Aktualisierungslieferung wurde der Rechtsanwaltssozietät in der Zeit zwischen dem 24. 12. 2003 und 31. 12. 2003 zugestellt, dort aber nicht sofort eingeordnet und das mit dem Fehler behaftete Blatt daher nicht sofort ausgetauscht. Auf der Aktualisierungslieferung 2004 befand sich kein ausdrücklicher Hinweis auf Druckfehler, insbesondere auch nicht auf die fehlerhafte Fristberechnung des Kalenders 2003. Der Beklagte hatte die Mitarbeiter des Verlags nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man die Abonnenten anlässlich der Aktualisierungslieferung 2004 auf den Druckfehler aufmerksam machen sollte. Die Rechtsanwaltssozietät vertrat die Erstklägerin in einem Verfahren vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien (BGHS), zog für die Berechnung der Berufungsfrist gegen das - ihr am 29. 12. 2003 zugestellte - Urteil die Tabelle des „***** Juristenkalenders" heran und gab die Berufung am 4. 2. 2004 zur Post. Die Berufung wurde als verspätet zurückgewiesen. Ein Wiedereinsetzungsantrag blieb erfolglos.

Die Kläger nahmen für den dadurch erlittenen Schaden zunächst den Verlag in Anspruch. Ihre Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. 6 Ob 256/06z verneinte die Haftung des Verlags wegen mangelnder Ersatzfähigkeit von bloßen Vermögensschäden im Rahmen der Produkthaftung, aufgrund einer Haftungsausschlussklausel im Impressum des gegenständlichen Druckwerks und aufgrund des Umstands, dass der Herausgeber nicht Erfüllungsgehilfe des Verlags sei.

Die Kläger begehrten nun vom Herausgeber den im Verfahren vor dem BGHS erlittenen Schaden. Die als verspätet zurückgewiesene Berufung wäre erfolgreich gewesen. Der Beklagte hafte für Inhalt und Richtigkeit des von ihm herausgegebenen Druckwerks. Aus der im Juristenkalender enthaltenen Formulierung, wonach „folgende Tabellen die Errechnung des Endes der gebräuchlichsten Fristen ersparen sollten", ergebe sich, dass der Beklagte die Richtigkeit der Angaben garantiert habe. Das Vertragsverhältnis zwischen dem Verlag und dem Beklagten entfalte Schutzwirkungen zugunsten der Käufer, so auch zugunsten der Rechtsanwaltssozietät. Der Beklagte habe den Fehler in der Fristentabelle bereits im Sommer 2003, also noch rechtzeitig vor Auslieferung der Aktualisierungslieferung 2004 erkannt. Er hätte daher dafür Sorge tragen müssen, dass der Verlag allfällige Käufer und Abonnenten des „***** Juristenkalenders" auf den Fehler in der Fristentabelle in der Aktualisierungslieferung 2003 in aller Deutlichkeit aufmerksam mache. An den beklagten Rechtsanwalt sei der erhöhte Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB anzulegen.

Der Beklagte wendete ein, er habe den Fehler weder verursacht noch verschuldet, noch sei dieser in seiner Sphäre bzw in seinem Verantwortungsbereich aufgetreten. Er stehe mit den Abonnenten des Verlags in keiner Rechtsbeziehung und sei an den Einnahmen des Verlags nicht beteiligt. Nach Erkennen des Fehlers habe er den Verlag und dieser wiederum noch vor Beginn des Fristenlaufs (durch Zusendung der nächsten Ergänzungslieferung) die Abonnenten verständigt. Die verspätet erhobene Berufung wäre überdies nicht erfolgreich gewesen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Zwischen den Klägern und dem Beklagten bestehe kein Vertragsverhältnis. Die Haftung des Herausgebers oder Autors eines Druckwerks gegenüber dessen Käufer könne nur im Wege der Berufung auf vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten zu Gunsten des Erwerbers oder im Wege der Inanspruchnahme einer rein deliktischen Haftung begründet werden. Die Kläger machten jedoch nur einen bloßen Vermögensschaden geltend, auf den sich die Schutzwirkung zugunsten Dritter grundsätzlich nicht beziehe. Da der Beklagte weder ein absolut geschütztes Recht noch ein Schutzgesetz verletzt habe, hafte er auch nicht deliktisch. Überdies habe der Beklagte den Schaden nicht verursacht, weil dieser nicht in seiner Sphäre entstanden und zum Zeitpunkt der Korrektur der Druckfahnen noch nicht vorhanden gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens und sprach aus, dass die Revision - wegen des Fehlens von Rechtsprechung zur Herausgeberhaftung - zulässig sei. Die vorliegende Fallkonstellation der Haftung des Herausgebers eines Druckwerks für einen darin enthaltenen Fehler gegenüber dem Erwerber sei mit der - von der Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen bejahten - Haftung eines Sachverständigen gegenüber Dritten vergleichbar. Der Beklagte habe allerdings den Fehler im Fristenkalender 2003 nicht verursacht. Er hätte ihm auch nicht anlässlich der Fahnenkorrektur auffallen können, weil er darin noch nicht enthalten gewesen sei. Er sei daher nicht in seiner Sphäre entstanden, sondern in jener des Verlags. Dem Beklagten könne daher keine Verletzung des Verlagsvertrags und auch keine Verletzung von Prüf-, Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den Abonnenten des „***** Juristenkalenders" angelastet werden. Der Beklagte wäre auch nicht verpflichtet gewesen, darauf hinzuwirken, dass der Verlag die Bezieher des Juristenkalenders ausdrücklich auf den Druckfehler hinweist. Dies würde zu einer Überspannung der Schutz- und Sorgfaltspflichten mit dem Ergebnis führen, dass der Beklagte für einen Fehler einzustehen hätte, den er nicht verursacht habe und der auch nicht seiner Sphäre zuzurechnen sei.

Die Erstklägerin ließ die berufungsgerichtliche Entscheidung unbekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Zweitklägers ist entgegen dem - gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts wegen des Fehlens von erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die Haftung des Verfassers für inhaltliche Mängel des Druckwerks wird in der Lehre größtenteils verneint (so Harrer, Auskunft, Vertrauen und Haftung, Zak 2006/699, 403 [404 f]; Büchele in Kucsko, urheber.recht [2008] 382; Krejci in Rummel, ABGB3 §§ 1172 f Rz 56). Andere Autoren lehnen eine Einstandspflicht für Druckfehler im Rahmen der Produkthaftung ab, bejahen die Haftung für fehlerhafte Druckwerke nach allgemeinem Deliktsrecht (Meyer, Die Haftung für fehlerhafte Aussagen in wissenschaftlichen Werken, ZUM 1997, 26 [30]; Walter, Österreichisches Urheberrecht I [2008] Rz 1832, 1834).

Zur Frage, ob sich aus dem Verlagsvertrag Drittschutzpflichten ergeben, wird vereinzelt im (deutschen) Schrifttum Stellung genommen (diese verneinend Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht3 [2005] Rz 1046; Höckelmann, Die Produkthaftung für Verlagserzeugnisse [1994] 65; Neumann, Haftungsprobleme bei primären Vermögensschäden infolge unzutreffender Inhalte entgeltlich erworbener Druckwerke [1984] 220 ff). Differenzierend äußert sich Foerste (NJW 1991, 1433 [1437 FN 68]), indem er auf die Materialien zum deutschen Verlagsgesetz 1901 verweist und meint: „Die Korrekturpflicht nach § 20 Abs 1 Verlagsgesetz bezweckt ausweislich der Materialien (...) aber keinen Schutz Dritter". Wenig später heißt es allerdings bei diesem Autor: „Besteht die Gefahr, dass durchschnittliche Leser bestimmte Textaussagen für gesichertes Erfahrungswissen halten, auf dessen Richtigkeit vertrauen und dadurch sich oder Dritte verletzen, so treffen auch den Autor Schutzpflichten. Er muss für Klarheit oder aber für inhaltliche Richtigkeit sorgen, und zwar, wo man sich auf ihn verlässt, auch für Druckfehlerkorrektur". Bei Oechsler (in Staudinger, BGB [2009] § 2 ProdHaftG Rz 79) heißt es: „Richtiger Ansicht nach handelt es sich bei der Haftung für inhaltliche Fehler von Büchern ... um einen Sonderfall der allgemeinen Auskunftshaftung, der unter den dort vorgesehenen engen Voraussetzungen zu behandeln ist". Nordemann-Schiffel (in Fromm/Nordemann, Urheberrecht10 [2008] §§ 31 f VerlG Rz 16 ff) erwähnt im Hinblick auf die Haftung für inhaltliche Mängel überhaupt nur den Verlag.

2. Der Oberste Gerichtshof erstreckt die objektiv rechtlichen Sorgfaltspflichten eines Sachverständigen auf Dritte, wenn er damit rechnen muss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis gelangen und diesen als Grundlage für ihre Dispositionen dienen wird. Geschützt ist demnach der Dritte, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Wesentlich ist daher vor allem, zu welchem Zweck das Gutachten erstattet wurde. Mangels ausdrücklicher Bestimmung im Vertrag kann sich die Beurteilung nach der Verkehrsübung richten (vgl 8 Ob 51/08w). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht die Haftung des Herausgebers für möglich gehalten, eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten nach den konkreten Umständen aber verneint.

3. Der Umfang von Schutz- und Sorgfaltspflichten ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (vgl RIS-Justiz RS0106373 [T4]).

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob der Beklagte nach Kenntnisnahme des - ihm nicht zurechenbaren - Fehlers in der Fristentabelle zur unverzüglichen und ausdrücklichen Mitteilung an den Verlag verpflichtet gewesen wäre, um allfällige Schäden von dessen Abonnenten hintanzuhalten.

Der Beklagte hat bei Erkennen des nicht von ihm zu vertretenden Fehlers im August oder September 2003 die (erst Ende 2003 anzuwendende) Tabelle richtiggestellt und diese Richtigstellung dem Verlag (zugleich mit den für das Folgejahr 2004 bearbeiteten Tabellen) übermittelt. Er durfte damit rechnen, dass der Verlag diese Ergänzungsblätter den Abonnenten rechtzeitig weitergibt und dadurch ein Schaden durch Anwendung einer unrichtigen Tabelle gar nicht entstehen konnte. Mangels Kenntnis des Abnehmerkreises konnte er auch nicht direkt an die Abonnenten herantreten. Der Verlag hat die Richtigstellung auch tatsächlich noch im Jahr 2003 ausgeliefert (sie langte in der Kanzlei des Zweitklägers zwischen 24. und 31. 12. 2003 ein, wurde dort aber zunächst nicht eingeordnet). Er hat damit genau das getan, was der Beklagte mit Übersendung der korrigierten Blätter beabsichtigte und was einen Schaden hätte verhindern sollen, nämlich die ihm nicht bekannten Abonnenten zu informieren. Mehr hätte der Beklagte auch nicht erreichen können, wenn er den Verlag auf den dort unterlaufenen Fehler ausdrücklich aufmerksam gemacht hätte. Auch in einem solchen Fall hätte er keine (rechtliche) Einflussmöglichkeit auf allfällige Maßnahmen des Verlags gehabt und ihn daher auch nicht dazu veranlassen können, die Abonnenten deutlicher (nämlich ausdrücklich) oder früher zu informieren. Der Schaden entstand letztlich erst dadurch, dass die Rechtsvorgängerin des Zweitklägers die Einordnung der Aktualisierungslieferung mit zeitlicher Verzögerung vornahm und sich zum Zeitpunkt der Verfassung der Berufung noch der „alten" und fehlerhaften Fristentabelle bediente.

Aufgrund dieser Umstände ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Annahme einer unverzüglichen (ausdrücklichen) Warnpflicht des Beklagten seine Schutz- und Sorgfaltspflichten überspannen würde, jedenfalls vertretbar und stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende (krasse) Fehlbeurteilung dar.

4. Mangels Verletzung des an den Beklagten anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabs kann die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob der Herausgeber des Juristenkalenders den Abonnenten des Verlags als Sachverständiger haftet, offen bleiben.

Die Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit derRevision hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

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