Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit je 2.076,66 EUR (darin enthalten je 346,11 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hatte als Fachärztin für Zahnheilkunde eine Kassenplanstelle. Sie schloss den Ordinationsbetrieb zum 31. 10. 2006 endgültig. Der Kassenvertrag wurde zum 31. 3. 2007 einvernehmlich beendet. Die Kassenplanstelle wurde nicht zur Nachbesetzung ausgeschrieben.
Die Einbindung von niedergelassenen Ärzten als Erbringer von Leistungen der Krankenbehandlung erfolgt durch Kassenverträge, die als Einzelverträge zwischen dem Arzt und dem Träger der Krankenversicherung abgeschlossen werden. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger schließt für den jeweiligen Träger der Krankenversicherung mit dessen Zustimmung mit der örtlich zuständigen Ärztekammer einen Gesamtvertrag ab, dessen Inhalt auch Inhalt des Einzelvertrags ist. Vorgesehen ist eine Bewirtschaftung, mit deren Hilfe die Anzahl der zu vergebenden Kassenverträge begrenzt und deren örtliche Verteilung gesteuert wird. Der Gesamtvertrag hat die Festsetzung der Anzahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte so zu gestalten, dass eine ausreichende Versorgung gesichert ist. Die Vergabe von Einzelverträgen hat nach den Bestimmungen des Gesamtvertrags und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer zu erfolgen. Die „Reihungskriterien-Verordnung" (BGBl II 2002/487) enthält detaillierte Bestimmungen, nach denen Bewerber einen Kassenvertrag erhalten können. § 6 Abs 5 des zwischen der Ärztekammer für Wien und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger geschlossenen Gesamtvertrags vom 25. 6. 1956 idF vom 1. 1. 2002 bestimmt, dass sich die Rechte und Pflichten der Parteien des Einzelvertrags aus dem Gesamtvertrag, dem Einzelvertrag und den zwischen den Parteien des Gesamtvertrags abgeschlossenen Zusatzvereinbarungen ergeben. Nach § 5 Abs 2 des Gesamtvertrags können die Vertragsparteien für die Auswahl der Vertragsärzte Richtlinien vereinbaren. Die Beklagten haben dementsprechend Richtlinien für die Auswahl und Invertragnahme von Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bzw Zahnärzten vereinbart. Die Präambel dieser Richtlinien hält fest, dass die Zahl der Stellen sowie deren regionale Verteilung im Einvernehmen zwischen der Ärztekammer für Wien, der Kurie der Zahnärzte (nunmehr Zweitbeklagte) und der Erstbeklagten festgelegt und unter Berücksichtigung des Bedarfs gegebenenfalls korrigiert werde. Nach gemeinsamer Durchführung von Bedarfsprüfungen und nach Maßgabe der Bevölkerungsentwicklung werden demnach neue Stellen errichtet sowie bestehende Stellen nachbesetzt oder aufgelassen. Als Grundlage gilt weiterhin der am 30. 9. 1997 gemeinsam erstellte Stellenplan. Nach § 7 Abs 1 der Richtlinien werden Stellen im Einvernehmen der Ärztekammer für Wien, der Kurie der Zahnärzte (nunmehr Zweitbeklagte) und der Wiener Gebietskrankenkasse ausgeschrieben. § 12 der Richtlinien regelt die Stellennachfolge. Sein Absatz 1 normiert, dass der erstgereihte Bewerber von den Beklagten aufzufordern ist, Verhandlungen über die Ordinationsübernahme mit dem bisherigen Ordinationsinhaber aufzunehmen. Bei Nichteinigung kann die Schlichtungskommission einberufen werden, die, zahlt der erstgereihte Bewerber den nach den Richtlinien als angemessen bezeichneten Preis nicht, festzustellen hat, dass der erstgereihte Bewerber aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden ist. Nach § 12 Abs 4 der Richtlinien ist Grundlage des Schätzwerts der in der betreffenden Praxis im Lauf der letzten drei Jahre erzielte Durchschnitt des Jahresumsatzes sowie der Wert des vorhandenen Inventars.
Die Klägerin begehrte wegen der nicht erfolgten Ausschreibung der Kassenplanstelle die Zahlung von 78.942 EUR sA (durchschnittlicher Jahresumsatz 38.941,81 EUR, Zeitwert des Inventars 10.000 EUR und notwendiger Rückbau der Spezialeinbauten 25.000 EUR zuzüglich USt). Aus dem Kontext der Richtlinie ergebe sich eine Ausschreibungspflicht der Beklagten. Diese seien aufgrund ihrer vertraglichen Beziehungen zur Klägerin verpflichtet gewesen, ihr bekannt zu geben, dass für die Übergabefähigkeit einer Kassenplanstelle ein Mindestumsatz beschlossen worden sei.
Die Beklagten bestritten eine derartige Ausschreibungspflicht, weil die Zahl der Stellen und die regionale Verteilung einvernehmlich zwischen den Beklagten und der Ärztekammer Wien festgelegt und gegebenenfalls korrigiert werde. Der gemeinsame Stellenplan vom 30. 9. 1997 sei damit keine fixe oder unveränderliche Größe. Seine Änderung erfordere daher keine besondere Beschlussfassung. Die Beklagten hätten am 27. 3. 2002 beschlossen, dass als Mindestumsatz für die Übergabefähigkeit einer Kassenplanstelle ein Betrag von 44.139 EUR heranzuziehen sei. Diesen Umsatz habe die Ordination der Klägerin nicht erreicht.
Ausgehend von der eingangs wiedergegebenen, insoweit unstrittigen Sach- und Rechtslage wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Ausschreibung bestehe nicht. Deshalb komme es auch nicht darauf an, ob der Klägerin die von den Beklagten zu Grunde gelegte Mindestumsatzgrenze für die Übergabefähigkeit einer Kassenplanstelle bekannt gewesen sei. Der Klägerin wäre es auch freigestanden, ihren Ordinationsbetrieb - unabhängig von einer Ausschreibung als Kassenplanstelle - zu veräußern.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision zu. Ein Bewerber um eine Kassenplanstelle habe keinen Anspruch auf Abschluss eines Einzelvertrags. Ebensowenig werde der Erhalt des Ordinationsstandorts in den Richtlinien gefordert. Damit sei auch ein Anspruch des bisherigen Ordinationsinhabers auf Ausschreibung einer an den bisherigen Ordinationsstandort gebundenen Kassenplanstelle zu verneinen. Nur die mit Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens in Zusammenhang stehenden Interessen des sich bewerbenden und des scheidenden Arztes würden geschützt. Haftungsbegründend könnte daher nur ein rechtswidriges Vergabeverfahren sein, welches das Recht des scheidenden Arztes auf Durchführung eines gesetzmäßigen Vergabeverfahrens beeinträchtige. Darüber hinaus habe der Oberste Gerichtshof mittlerweile die Einigung mit dem Ordinationsvorgänger oder das Akzeptieren des durch die Kommission festgesetzten Betrags als Bedingung für den Abschluss eines Kassenvertrags als unsachlich beurteilt. Selbst eine Ausschreibung der Kassenplanstelle hätte daher nicht zwangsläufig zu einer Übernahme der Ordination gegen Zahlung eines Ablösebetrags geführt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die Revisionswerberin gesteht ausdrücklich als richtig zu, dass die Richtlinien nicht explizit den Erhalt eines Ordinationsstandorts fordern und der bisherige Ordinationsinhaber auch keinen Anspruch auf Ausschreibung einer an den bisherigen Ordinationsstandort gebundenen Kassenplanstelle hat. Ihre Argumentation billigt aber dem Stellenplan, der nach der Lehre privatrechtlicher Natur ist (Kopetzki in Jabornegg/Resch/Seewald, Der Vertragsarzt im Spannungsfeld zwischen gesundheitspolitischer Steuerung und Freiheit der Berufsausübung, 37; Mosler, Probleme bei der „Vergabe" von Kassenverträgen an Ärzte/Ärztinnen, RdA 1996, 430; diese Qualifikation offen lassend 2 Ob 48/08k = RIS-Justiz RS0124647 [T1]), Schutzwirkungen zu Gunsten des Vermögens des scheidenden Arztes zu. Zusätzlich hält sie eine konkludente Änderung des Stellenplans durch eine unterlassene Ausschreibung für unzulässig, weil dies gegen § 342 Abs 1 Z 1 ASVG und § 5 Abs 2 des Gesamtvertrags verstoße. Dazu komme noch, dass die Zweitbeklagte gar nicht Partei des Gesamtvertrags sei und daher den Stellenplan als Teil des Gesamtvertrags nicht durch eine Vereinbarung mit der Erstbeklagten ändern könne.
Ihre Ausführungen sind - letztlich unabhängig von der Qualifikation des Stellenplans - aber nicht geeignet, ihre Ansprüche zu rechtfertigen.
2. § 342 Abs 1 Z 1 ASVG schreibt den Parteien des Generalvertrags vor, einen Stellenplan zu errichten, in dem Zahl und örtliche Verteilung der Vertragsarztstellen vorgegeben sind. Nach der zitierten Bestimmung ist Ziel dieses Stellenplans, unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und Verkehrsverhältnisse sowie der Bevölkerungsdichte und -struktur eine ausreichende ärztliche Versorgung der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten und deren Angehörigen zu sichern (Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung, 237; Kopetzki aaO 32; Funk, Rechtsstaatliche Anforderungen an die Vergabe von Kassenverträgen, VR 3/95, 52). Wenn auch die Regelungen des ASVG nicht nur das Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Optimierung der ärztlichen Versorgung, sondern auch jenes der Ärzteschaft als Kollektiv an einer Regulierung des Zugangs und die individuellen Interessen der bereits als Kassenärzte zugelassenen Ärzte sowie der Bewerber schützen sollen, liegt doch das Schwergewicht auf dem zentralen „Versorgungsauftrag" des ASVG, also in der Sicherstellung einer ausreichenden und zweckmäßigen, das Maß des Notwendigen nicht übersteigenden Krankenbehandlung (Resch in Jabornegg/Resch/Seewald aaO 151). Der Bedeutung dieses Versorgungsauftrags zu Gunsten der Bevölkerung trägt auch jene höchstgerichtliche Judikatur Rechnung, welche die Bereitschaft zur Zahlung der verlangten oder festgesetzten Ordinationsablöse (3 Ob 127/06s; 3 Ob 153/06f; 7 Ob 25/09s) oder die Nachfolge innerhalb der Familie in direkter Linie (7 Ob 299/00x; 2 Ob 48/08k = RIS-Justiz RS0115621 [T4]) als unsachliche Auswahlkriterien wertet. Die Forderung nach objektiven, transparenten und sachlich gerechtfertigten Kriterien für die Vergabe eines Kassenvertrags (RIS-Justiz RS0115621) bedeutet im Endeffekt, dass im Interesse der Bevölkerung an einer möglichst guten ärztlichen Versorgung und zum Schutz der Bewerber der geeignetste Kandidat auszusuchen ist (2 Ob 48/08k = RIS-Justiz RS0115622 [T 2]).
3. Die in der Revision zitierte Entscheidung 7 Ob 165/03w bejahte Schutzwirkungen aus dem Generalvertrag samt Zusatzvereinbarungen auch zu Gunsten des einzelnen (ausscheidenden) Vertragsarztes, der von den Regelungen der Ordinationsübernahme unmittelbar betroffen sei. Es müsse daher geprüft werden, ob die dort beklagte Gebietskrankenkasse im Zuge der Ordinationsübernahme rechtswidrig und schuldhaft gegen die Vereinbarungen über die Auswahl und Invertragnahme von Fachärzten verstoßen habe, indem sie eine Vergabe der frei gewordenen Ordination um einen höheren als den von ihr als angemessen eingeschätzten Betrag ausgeschlossen hätte. In 2 Ob 48/08k führte der Oberste Gerichtshof aus, dass der damals zu 7 Ob 165/03w beurteilte Fall ausschließlich vermögensrechtliche Ansprüche der (dortigen) Klägerin betroffen habe, deren Einbeziehung in den Schutzbereich der gesamtvertraglichen Vereinbarung nur deshalb - von den allgemeinen Grundsätzen abweichend - möglich gewesen sei, weil die „Hauptleistung", nämlich die Einhaltung der Regeln über die Ordinationsübernahme vorrangig ihre Interessen betroffen hätte. Der 2. Senat sah keinen Widerspruch zu seiner Rechtsauffassung, wonach die vermögensrechtlichen Interessen des scheidenden Kassenarztes vom Schutzbereich der (als unsachlich nicht maßgebenden) Reihungskriterien für die Vergabe eines Kassenvertrags ausgenommen seien.
4. Ein Anspruch des scheidenden Arztes auf Einhaltung des festgelegten Stellenplans in der Form, dass an seinem bisherigen Ordinationsstandort eine Kassenplanstelle aufrecht erhalten wird, ist weder der Judikatur des Obersten Gerichtshofs noch dem ASVG, dem Gesamtvertrag und den Richtlinien für die Vergabe zu entnehmen. Die im Stellenplan enthaltene örtliche Verteilung bezieht sich auf den Bezirk und in weiterer Untergliederung auf Sanitätssprengel und Orte. Der konkrete Standort der Ordinationsstätte wird nicht durch den Generalvertrag bestimmt (Mosler in Strasser aaO 239; vgl Kopetzki aaO 32). Die Klägerin macht nun Ansprüche geltend, die eindeutig aus der nicht erfolgten Ausschreibung der Kassenplanstelle am bisherigen Ordinationsstandort resultieren, indem sie den an diesem Standort erzielten Durchschnittsumsatz der letzten drei Jahre, den Wert des vorhandenen Inventars und die mangels Weitergabe der Ordination erforderlichen Aufwendungen für den Rückbau fordert. Hat sie aber, wie sie selbst zugesteht, keinen Anspruch auf Fortbestand der Ordination an diesem Standort, sind ihre Schäden nicht von einem rechtswidrigen Verhalten erfasst, das in der Unterlassung einer Ausschreibung überhaupt - und zwar aufgrund einer ihrer Ansicht nach willkürlichen, gesetzlich nicht gedeckten, gleichheitswidrigen und in Verletzung der vertraglichen Treuepflicht „verschwiegenen" Einführung einer Umsatzgrenze - bestehen soll. Mangels eines Anspruchs der Klägerin auf Erhalt des bisherigen Ordinationsstandorts können Schadenersatzansprüche auch nicht über eine Verletzung einer vertraglichen Fürsorgepflicht begründet werden. Fürsorgepflichten der Zweitbeklagten sind überdies deshalb zweifelhaft, weil die Vertretung von Einzelinteressen grundsätzlich nicht Aufgabe der Ärztekammer ist (3 Ob 153/06f). Wenn die Klägerin meint, das rechtswidrige Verhalten der Beklagten hätte eine Veräußerung „ihrer Ordination (als Unternehmen) wenigstens privat zu einem angemessenen Preis" verhindert, ist ihr entgegen zu halten, dass diese Verwertung als „Privatordination" nicht zwingend von der Ausschreibung einer Kassenplanstelle abhängig war.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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