OGH 8Ob55/09k

OGH8Ob55/09k29.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Spenling, Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Glawischnig und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas D*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, wegen Vertragsaufhebung und 11.115,89 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 10. März 2009, GZ 5 R 26/09v-5, mit dem infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 2. Februar 2009, GZ 31 Cg 8/09z-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte mit seiner Klage die Aufhebung von zwölf jeweils durch Ausführungsdatum und Angaben über den Umfang spezifizierten Kommissions- und Kaufgeschäften sowie die Zahlung von 11.115,89 EUR sA, Zug um Zug gegen Rückstellung von 541,89 näher bezeichneten Zertifikaten. Die Beklagte habe den durch Annahme der Aufträge zustande gekommenen Kommissionsverträgen durch Selbsteintritt gemäß § 400 UGB entsprochen. Der Gesamtkaufbetrag entspreche dem Klagebetrag. Der Kläger erklärte, die Geschäfte wegen listiger Irreführung iSd § 870 ABGB und veranlasstem Irrtum iSd § 871 ABGB anzufechten. Er sei über wertbildende Eigenschaften im Hinblick auf die Zertifikate in die Irre geführt worden. In Kenntnis der wahren Umstände, insbesondere der Risikosituation sowie der Verquickung der Beklagten mit anderen beteiligten Gesellschaften, hätte der Kläger diese Zertifikate nicht zu den gebotenen Bedingungen gekauft. Im Zuge der Bewerbung des Produkts habe die Beklagte - ebenso wie eine ihrer Tochtergesellschaften - eine (in der Klage näher ausgeführte) Vielzahl falscher und irreführender Angaben gemacht bzw beim Kläger unzutreffende Vorstellungen über den Gegenstand seiner Investitionen und deren Risikoträchtigkeit bewirkt. Auch der Kapitalmarktprospekt habe wesentliche (ebenfalls in der Klage näher ausgeführte) Risikofaktoren verschwiegen. Durch die unrichtigen Angaben im Kapitalmarktprospekt sei der Kläger als durchschnittlicher Anleger getäuscht worden.

Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Der Kläger begehre die Aufhebung von in der Zeit zwischen 29. 3. 2007 und 14. 1. 2008 abgeschlossenen Kommissions- und Kaufverträgen, deren Kaufpreis jeweils unter 10.000 EUR liege. Dem Klagevorbringen sei ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang der einzelnen Verträge iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN nicht zu entnehmen, sodass keine Zusammenrechnung stattfinde. Der angerufene Gerichtshof sei daher sachlich unzuständig.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Mehrere in einer Klage von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhobene Ansprüche seien für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit nach § 55 Abs 1 JN nur dann zusammenzurechnen, wenn sie iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stünden. Dies sei dann der Fall, wenn die Ansprüche allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können. Ein rechtlicher Zusammenhang liege vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Ein solcher Zusammenhang bestehe aber dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben könne.

Nach den für die Beurteilung maßgebenden Angaben des Klägers seien die angefochtenen Verträge jeweils durch die Annahme separater Aufträge zustande gekommen. Ein gemeinsamer Auftrag sei in der Klage nicht behauptet worden. Damit müsse aber ein die Umstände jedes einzelnen Vertrags präzisierender Sachverhalt vorgebracht werden, was der vom Kläger begehrten Zusammenrechnung entgegenstehe. Dem Argument, der Vertragsanfechtung liege der idente Sachverhalt zu Arglist und Irreführung zugrunde, sei entgegenzuhalten, dass schon aufgrund der Klageangaben über den Kursverfall im relevanten Zeitraum und im Hinblick auf die sich in diesem Zusammenhang wandelnde Wirkung von Werbung und Produktinformation die Umstände der Vertragsabschlüsse zu den verschiedenen Zeitpunkten differenziert zu beurteilen sein werden. Die unterschiedlichen Abschlusszeitpunkte könnten daher zu divergierenden Beurteilungen der angestrebten Vertragsaufhebungen führen. Jeder Anspruch sei daher gesondert zu betrachten.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei im Hinblick auf eine Vielzahl bereits anhängiger gleichartiger Klagen zuzulassen. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, sie aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des ordentlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

1) Nach § 55 Abs 1 Z 1 JN sind die Werte mehrerer in einer Klage von einer einzelnen oder gegen eine einzelne Person geltend gemachter Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn die einzelnen Ansprüche voneinander abhängig sind, sodass keiner für sich allein existieren kann, oder wenn sie aus einer gemeinsamen Tatsache oder aus einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind. In rechtlichem Zusammenhang stehen Ansprüche, wenn sie aus einem einheitlichen Vertrag oder einer Gesetzesvorschrift abgeleitet werden. Dabei reicht es aber nicht aus, dass ein und dasselbe Rechtssubjekt aus einem gleichartigen Rechtstitel mehrfach belangt wird; vielmehr können nur die Identität einer Rechtsvorschrift (einheitliche Rechtsvorschrift) oder des Rechtsgeschäfts (einheitliches Rechtsgeschäft) oder ein fortdauerndes Rechtsverhältnis den notwendigen Zusammenhang schaffen. Die Ansprüche müssen somit aus einer Gesetzesstelle abgeleitet werden und miteinander in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. In einem tatsächlichen Zusammenhang stehen alle Klageansprüche, die aus demselben Klagesachverhalt abzuleiten sind. Dies ist dann der Fall, wenn das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (Gitschthaler in Fasching/Konecny, § 55 JN Rz 13, 15, 20; Mayr in Rechberger³ § 55 JN Rz 2 und 3, je mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Bei der Beurteilung der Frage, ob zwischen mehreren Forderungen des Klägers ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht, ist ausschließlich vom Vorbringen des Klägers auszugehen (RIS-Justiz RS0106759).

2) Dass die in der Klage geltend gemachten Ansprüche aus mehreren gleichartigen Verträgen zwischen denselben Personen abgeleitet werden, kann - insoweit ist dem Rekursgericht beizupflichten - die Zusammenrechnung der einzelnen Ansprüche für sich allein nicht rechtfertigen (8 ObA 105/03d; 8 Ob 118/08y uva). Anders wäre dies dann, wenn die einzelnen Geschäfte Teil eines einheitlichen Gesamtvertrags wären. Dies hat aber der Kläger in erster Instanz nicht behauptet. Sein dazu im Revisionsrekurs erstattetes Vorbringen („Ansparplan im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses") verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich.

3) Zu Recht verweist der Revisionsrekurswerber aber auf den Umstand, dass er in seiner Klage die Anfechtung aller vom Klagebegehren umfassten Geschäfte mit der irreführenden Werbung der Beklagten bzw der ihr seiner Ansicht nach zuzurechnenden Gesellschaften und mit der Unrichtigkeit bzw irreführenden Gestaltung des Kapitalmarktprospekts begründet hat. Mit diesem Hinweis auf die Werbung und auf den Kapitalmarktprospekt machte er aber in der Klage sehr wohl einen einheitlichen (denselben) Sachverhalt als Anspruchsgrundlage für die Anfechtung aller den Gegenstand der Klage bildenden Geschäfte geltend.

Das Rekursgericht hat dies auch richtig erkannt, hält dem aber entgegen, dass wegen des im relevanten Zeitraum erfolgten Kursverfalls der Zertifikate und der sich daher wandelnden Wirkung von Werbung und Produktinformation eine unterschiedliche Beurteilung der zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschlossenen Geschäfte denkbar sei. Die Anfechtung könne somit hinsichtlich der einzelnen Geschäfte ein unterschiedliches Schicksal haben, was die Zusammenrechnung der Ansprüche ausschließe.

Die dieser Auffassung des Rekursgerichts zugrunde liegende Rechtsprechung ist nicht dahin zu verstehen, dass eine Zusammenrechnung nur dann stattzufinden hat, wenn die Entscheidung über jeden der geltend gemachten Ansprüche nur gleich ausfallen kann. Es ist auch nicht zulässig, bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Zusammenrechnung nicht allein auf das Klagevorbringen, sondern auf allenfalls denkbare Einwände des Gegners - hier also etwa darauf, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt auf die dem Kaufentschluss des Klägers zugrunde liegende Werbung nicht mehr hätte vertraut werden dürfen - abzustellen. Entscheidend ist vielmehr, ob allen Ansprüchen derselbe anspruchsbegründende Sachverhalt zugrunde liegt. Nur im zuletzt genannten Fall rechtfertigt der dadurch vermittelte tatsächliche Zusammenhang der geltend gemachten Ansprüche deren Zusammenrechnung. Dieser Fall ist aber hier gegeben, zumal der Kläger sämtliche den Gegenstand der Klage bildenden Geschäfte wegen gleichgerichteter (fortwährender) Irreführung angefochten und sich dabei für alle Ansprüche auf denselben anspruchsbegründenden Sachverhalt - nämlich auf irreführende Aussagen in der sämtlichen Kaufentschlüssen zugrunde liegenden Werbung und im Kapitalmarktprospekt - berufen hat.

Da somit die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche zusammenzurechnen sind, war in Stattgebung des Revisionsrekurses wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet.

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