Spruch:
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. März 2008, AZ 135 Bl 156/07b (ON 17 des U-Aktes), verletzt im Ausspruch der Zurückweisung der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche das Gesetz in der Bestimmung des § 467 Abs 2 StPO.
In dem von der Gesetzesverletzung betroffenen Entscheidungsteil wird dieses Urteil aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, über die Berufung des Angeklagten Hamit S***** wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche meritorisch zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 10. Oktober 2007, GZ 11 U 128/07i-7, wurde Hamit S***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Gemäß § 369 StPO wurde er verpflichtet, dem Privatbeteiligten Andreas Ö***** 200 Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen. Noch in der Hauptverhandlung meldete der Beschuldigte Berufung „wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe" an (S 84).
Nach Urteilszustellung zog der Angeklagte die Berufung „wegen Nichtigkeit" zurück und führte unter einem das Rechtsmittel der Berufung „wegen Schuld und Strafe" aus. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe bekämpfte er ausdrücklich den Zuspruch eines Betrages von 200 Euro an den Privatbeteiligten Andreas Ö***** (ON 12).
Mit Urteil vom 11. März 2008, AZ 135 Bl 156/07b (ON 17 des U-Aktes), gab das Landesgericht für Strafsachen Wien der Berufung des Angeklagten wegen „Schuld und Strafe" keine Folge. Seine Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wies es mit der Begründung, dieses Rechtsmittels sei niemals zur Anmeldung gelangt, als unzulässig zurück (S 145, 159).
Rechtliche Beurteilung
Letzterer Entscheidungsteil steht, wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach § 467 Abs 2 erster Satz StPO hat der Berufungswerber entweder bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift (ua) ausdrücklich zu erklären, durch welche Punkte des Erkenntnisses (§ 464 StPO) er sich beschwert finde, widrigens auf die Berufung vom Rechtsmittelgericht keine Rücksicht zu nehmen ist.
Das Gesetz lässt dem Angeklagten also die Wahl, ob er die Beschwerdepunkte schon in der Anmeldung oder erst in der Ausführung der Berufung nennen will. Demnach steht es ihm frei, sowohl die Anmeldung der Berufung fristgerecht (§ 466 Abs 1 StPO) zu ergänzen als auch das Rechtsmittel in Richtung eines bei der Anmeldung nicht genannten Berufungsgrundes auszuführen. Aus der Bezeichnung (bloß) eines (zulässigen) Berufungspunktes allein darf daher ein stillschweigender Verzicht auf andere nicht abgeleitet werden. Eine Erweiterung der Beschwerdepunkte wäre nur unzulässig, wenn der Rechtsmittelwerber auf die Geltendmachung weiterer Berufungsgründe - ohne dass bei Überlegung aller Umstände ein vernünftiger Grund für Zweifel daran übrig bliebe - tatsächlich verzichtet hat (12 Os 13/04 mwN; siehe auch RIS-Justiz RS0100304, RS0115811).
Unbeschadet der bereits bei Anmeldung in der Hauptverhandlung vorgenommenen Konkretisierung der Berufung wegen „Nichtigkeit, Schuld und Strafe" (§ 464 Z 1 und 2 StPO) stand es dem Angeklagten Hamit S***** demnach frei, im Rahmen der Berufungsausführung auch den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche zu bekämpfen. Gemäß § 467 Abs 2 zweiter Satz StPO wäre sein darauf bezogenes Rechtsmittelvorbringen auch trotz des Umstands zu beachten gewesen, dass es im Rahmen der Ausführung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe erstattet worden ist.
Das Rechtsmittelgericht hätte die Berufung des Hamit S***** wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche somit nicht als verspätet zurückweisen dürfen, sondern meritorisch erledigen müssen. Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereichte dem Angeklagten zum Nachteil, weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, die Berufungsentscheidung partiell zu kassieren und in dem davon betroffenen Umfang Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 292 letzter Fall StPO).
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