OGH 2Ob214/08x

OGH2Ob214/08x29.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** U*****anstalt, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) Peter J*****, 2.) W***** B*****gesellschaft mbH, *****, 3.) A***** Versicherungs AG, *****, alle vertreten durch Dr. Reinhold Kloiber, Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwälte in Mödling, wegen 50.464,49 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2008, GZ 11 R 85/08p‑24, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. April 2008, GZ 13 Cg 8/08d‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00214.08X.0129.000

 

Spruch:

1. Der Revision wird hinsichtlich des Erstbeklagten nicht Folge gegeben und daher insofern die Abweisung des Klagebegehrens als Teilurteil bestätigt.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Erstbeklagten die mit 6.056,42 EUR (darin enthalten 1.009,40 EUR USt) anteilig bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Der Revision wird im Übrigen, also hinsichtlich der zweit- und drittbeklagten Partei, Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden insofern aufgehoben; die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die diesbezüglichen Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6. 10. 2004 ereignete sich ein Arbeitsunfall während des Zuschüttens einer Künette. Der Erstbeklagte bediente dabei einen am von ihm gefahrenen LKW montierten und durch dessen Motorkraft betriebenen Greifarm eines Kranes von einer Plattform zwischen dem Fahrerhaus und der Ladefläche aus. Über Anweisung eines Arbeitskollegen öffnete und schloss er den Greifer immer wieder kurz, um das vom LKW in die Künette einzufüllende Material nicht in einem Schwall, sondern kontinuierlich einzubringen. Sein später verletzter Kollege, für den die klagende Partei als gesetzlicher Versicherungsträger Leistungen erbracht hat, hielt während des Auffüllens der Künette ein Kabel, dass u‑förmig in die Künette eingelegt war und so zugeschüttet werden sollte, dass es weiterhin aus der Künette herausragte, um weiter bearbeitet zu werden. Zum Unfall kam es dadurch, dass das Kabel durch das Einfließen von Zuschüttmaterial aus der Hand des später Verletzten gerissen wurde, der dem Kabel nachgriff und dabei vom Greifer eingeklemmt wurde, wodurch er den Zeigefinger und Teile des Daumens der rechten Hand verlor. Die gewählte Vorgangsweise entspricht nicht den Usancen auf Baustellen. Üblicherweise wird ein Kabel derart eingearbeitet, dass es beschwert oder an einer quer über die Künette gelegten Latte festgebunden ist. Der Erstbeklagte hatte bei Bedienung des Kranes zwar Sicht auf seinen Arbeitskollegen, nicht aber auf dessen konkrete Tätigkeit, insbesondere darauf, dass dieser ein aus der Künette ragendes Kabel in den Händen hielt.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand 50.464,49 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für all ihre sozialversicherungsrechtlichen Leistungen aus dem Unfall, soweit sie im Schaden Deckung finden, dessen Ersatz der Geschädigte ohne den in § 332 ASVG vorgesehenen Rechtsübergang von den Beklagten unmittelbar zu fordern berechtigt gewesen wäre. Die Haftung der drittbeklagten Partei wird mit der Haftpflichtversicherungssumme des unfallbeteiligten LKW begrenzt. Der Erstbeklagte hafte als Lenker und Bediener des am LKW angebrachten und mit dessen Motorkraft betriebenen Kranes aus seinem alleinigen Verschulden im Sinne grober Fahrlässigkeit, die Zweitbeklagte als Halterin des LKWs, die Drittbeklagte als dessen Haftpflichtversicherer. Das Verschulden des Erstbeklagten liege insbesondere darin, dass er trotz entsprechender Einschulung und Kenntnis der Bedienungsanleitung nicht dafür gesorgt habe, dass der später Verletzte sich nicht im Arbeitsbereich aufhalte.

Die Beklagten wandten ein, dass der Erstbeklagte den später Verletzten nicht habe sehen können und es dessen Sache gewesen sei, den Greifarm zu beobachten, was trotz des Haltens des Kabels leicht möglich gewesen sei. Den Erstbeklagten treffe daher kein Verschulden, auch eine Haftung nach EKHG sei nicht gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Erstbeklagte habe den Unfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verursacht. Der Unfall sei beim Betrieb des LKW erfolgt und der Verletzte beim Entladevorgang tätig gewesen, sodass der Haftungsausschluss nach § 3 EKHG zu bejahen sei. Aufgrund des Alleinverschuldens des Verletzten sei § 9 EKHG nicht heranzuziehen. § 1014 ABGB stelle keine Haftpflichtnorm dar.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Unter Übernahme der erstinstanzlichen Feststellungen gelangte es rechtlich zu dem Ergebnis, dass grobes Verschulden seitens des Erstbeklagten nicht vorliege, weil dieser mit der Vertrautheit seiner Arbeitskollegen, auch des später Verletzten, mit dem Entladen und Einfüllen von Ladegut in die ausgehobene Künette ausgehen habe können. Berücksichtige man, dass das beförderte Material zum Befüllen der Künette diente und in der konkreten Form eingebracht worden sei, um ein Überlaufen zu verhindern, sei auch das damit verbundene Halten des Kabels als beim Betrieb des LKW erbrachte Arbeitsleistung anzusehen und der Haftungsausschluss nach § 3 EKHG zu bejahen. Auch aus dem Hinweis der Berufungswerberin auf § 9 EKHG und 2 Ob 109/04z sei nichts zu gewinnen, weil im vorliegenden Fall eine Gefährdungshaftung des Arbeitsgebers als Halter ausscheide.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei unter Verweis auf die uneinheitliche Rechtsprechung zur Frage, ob § 1014 ABGB eine taugliche Anspruchsgrundlage im Sinne einer gesetzlichen Haftpflichtbestimmung darstelle. Auch sei das Berufungsgericht von 2 Ob 109/04z abgewichen und habe gemäß § 9 EKHG nicht geprüft, ob die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet worden sei. Der entsprechende Entlastungsbeweis sei als nicht gelungen anzusehen.

Die beklagten Parteien beantragen die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen zu § 9 EKHG zulässig und hinsichtlich des Erstbeklagten nicht, hinsichtlich der zweit- und drittbeklagten Partei dagegen im Ergebnis berechtigt:

1.) Nach § 333 Abs 1 ASVG haftet der Dienstgeber dem Dienstnehmer aus einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit nur bei Vorsatz. Eine Ausnahme von diesem Haftungsprivileg schafft § 333 Abs 3 ASVG, der die Haftungsbefreiung verneint, wenn ein Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht; die Haftung des Dienstgebers ist mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme beschränkt. Ansprüche in Fällen nach § 333 Abs 3 ASVG gehen gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf den Sozialversicherungsträger über. § 332 Abs 3 ASVG steht dem nicht entgegen (RIS‑Justiz RS0084425, RS0085209; 2 Ob 39/93 = SZ 66/110; Neumayr in Schwimann, ABGB3 VII ASVG § 332 Rz 144).

2.) Der Begriff „beim Betrieb" im Sinne des § 1 EKHG ist dahin zu bestimmen, dass entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeug eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs bestehen muss (RIS‑Justiz RS0022592; 2 Ob 204/08a). Nach Lehre und Rechtsprechung setzt das Abstellen eines Kraftfahrzeugs zum Zweck eines Be‑ oder Entladens dieses noch nicht außer Betrieb; das Be‑ und Entladen stellt daher einen Betriebsvorgang dar (2 Ob 67/04y; 2 Ob 301/04k mwN; 2 Ob 71/08t; 2 Ob 204/08a; RIS‑Justiz RS0058248 [T12], RS0022592 [T10]; Apathy EKHG § 1 Rz 29 ff; Schauer in Schwimann3 VI § 1 EKHG Rz 36).

Hier hing der Unfall des Dienstnehmers, für den die klagende Partei Ersatzleistungen erbracht hat, mit dem eigentlichen Entladevorgang zusammen. Es liegen keine Hinweise vor, dass der LKW als selbständige Arbeitsmaschine verwendet worden wäre, sondern ist von einem Zusammenhang der Entladetätigkeit mit dem Ladekran mit der Beförderung dieses Ladeguts durch das KFZ auszugehen (vgl Danzl, EKHG8, § 1 E 74a und 74b; Schauer in Schwimann ABGB3 VII § 1 EKHG Rz 36 f). Der Unfall hat sich somit beim Betrieb des KFZ ereignet.

3.) § 3 EKHG schließt unter anderem im Falle der Tötung oder Verletzung eines durch das Kraftfahrzeug beförderten Menschen die Anwendung des EKHG dann aus, wenn der Verletzte zur Zeit des Unfalls beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung wurde dieser Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG auch bei einer nicht unmittelbar im Zeitpunkt des Unfalls beförderten, beim Betrieb tätigen Person bejaht, wenn deren eigentliche berufliche Tätigkeit (auch) während der Beförderung ausgeübt wird: Zum Beispiel bei einem Helfer einer Müllabfuhr, der bei einem Reversiermanöver überrollt und getötet wurde, zu dessen Tätigkeiten es auch gehört hatte, dem Lenker des Müllfahrzeugs zu signalisieren, wann er weiterfahren könne (2 Ob 181/98a = SZ 71/120 = ZVR 1998/123) oder bei einem Lagerarbeiter, der mit einer Ladeschaufel des Kraftfahrzeugs befördert werden sollte, um eine eigene berufliche Tätigkeit, nämlich Ladearbeiten mit Hilfe einer Ladeschaufel auszuüben (2 Ob 56/00z; vgl dazu auch die in 2 Ob 204/08a zitierten Lehrmeinungen).

Hier wurde der verletzte Dienstgeber nicht zum Entladen des LKW eingesetzt, sondern er war damit beschäftigt, am Rande einer im Zuge des Entladevorgangs zu befüllenden Künette, ein in die Künette einzuarbeitendes Kabel in einer bestimmten Position zu halten. Seine Tätigkeit hatte daher mit dem Entladen selbst nichts zu tun, sondern sollte lediglich gewährleisten, dass nicht anlässlich des Entladevorgangs „Einbauten" in der Künette zur Gänze verschüttet würden. Diese Tätigkeit diente im Wesentlichen also bautechnischen Zwecken. Damit ist aber der Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG abzulehnen, weshalb es auf die in der Revision relevierten Fragen ebenso wenig entscheidungswesentlich ankommt, wie auf jene, ob der verletzte Dienstnehmer im Unfallszeitpunkt im Sinne des § 3 Z 3 EKHG befördert wurde oder nicht.

4.) Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts kann von einem unabwendbaren Ereignis iSd § 9 EKHG nicht ausgegangen werden. Ein besonders sorgfältiger Lenker (Kranführer) hätte nämlich darauf geachtet, dass sich niemand in der Nähe des Greifers befindet und dass das Kabel wie üblich beschwert oder festgebunden wird.

Andererseits ist dem Erstbeklagten aber auch kein Verschulden anzulasten, wurde er doch nach den Feststellungen beim Öffnen und Schließen des Greifers über Anweisung eines weiteren Arbeitskollegen tätig und hatte er zwar Sicht auf den später Verletzten, nicht aber auf dessen konkrete Tätigkeit. Die Klage wurde daher ihm gegenüber mangels Haftung aus Verschulden zu Recht abgewiesen.

Hinsichtlich der zweit- und drittbeklagten Partei ist dagegen die Haftung nach EKHG zu bejahen. Ein Mitverschulden des Verletzten ist zu verneinen. Einem aus der Hand gerissenem Gegenstand nachzugreifen, stellt eine unwillkürliche Handlung dar, die als Verschulden nicht angelastet werden kann. Dass der Verletzte den Greifer beobachten konnte, ändert daran nichts.

Da zwar der von der klagenden Partei ermittelte Schadensbetrag rechnerisch der Höhe nach außer Streit steht, die Kausalität im Hinblick auf nach dem Vorbringen der beklagten Partei tatsächlich nicht erbrachte Behandlungen strittig ist, war die Rechtssache betreffend die zweit- und drittbeklagte Partei unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung in Bezug auf den Erstbeklagten beruht auf § 41 Abs 1 ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.

Der Kostenvorbehalt hinsichtlich der zweit- und drittbeklagten Partei beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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