European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0060OB00230.08D.1106.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Anträge der Parteien auf Bestimmung von Kosten des Revisionsrekursverfahrens werden zurückgewiesen.
Begründung
Die am 28. 3. 1994 geborene Anna und der am 11. 3. 1997 geborene Nikolaus sind eheliche Kinder. Die Ehe der Kindeseltern wurde am 2. 4. 2003 geschieden. Der Kindesvater leistet für die mj Anna seit 1. 1. 2004 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 642 EUR. Für den mj Nikolaus betrug seine Unterhaltsleistung vom 1. 3. 2003 bis 31. 3. 2007 monatlich 546 EUR, seit 1. 4. 2007 leistet er monatlich 668 EUR. Unstrittig ist, dass seine Unterhaltszahlungen unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Kindesmutter die Familienbeihilfe bezieht, jeweils dem 2,5fachen Durchschnittsbedarf der Kinder entsprechen.
Mit Schriftsatz vom 6. 2. 2008 beantragten die Kinder, den Vater zur Leistung eines Sonderbedarfs für kieferorthopädische Behandlungen von 1.279,10 EUR für Anna und von 739,55 EUR für Nikolaus zu verpflichten. Für Anna seien im Zeitraum zwischen 28. 3. 2006 bis 27. 3. 2007 1.000 EUR und vom 28. 3. 2007 bis 27. 3. 2008 1.500 EUR an Behandlungskosten angefallen. Davon habe die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter 1.220,90 EUR übernommen. Für Nikolaus seien Behandlungskosten in Höhe von insgesamt 1.350 EUR für den Zeitraum zwischen 23. 3. 2006 bis 22. 3. 2007 angefallen, wovon die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter 610,45 EUR übernommen habe. Die jeweiligen Differenzbeträge habe der Vater als Sonderbedarf zu ersetzen.
Der Vater stellte nicht in Abrede, dass kieferorthopädische Behandlungen einen Sonderbedarf begründen können, ersuchte jedoch um Berücksichtigung des Umstands, dass er zum fortlaufenden monatlichen Unterhalt bereits den „Höchstbetrag" leiste.
Das Erstgericht wies die Anträge auf Gewährung von Sonderbedarf ab. Die begehrten Beträge fänden bereits in der Differenz zwischen dem jeweiligen Regelbedarf und dem vom Kindesvater geleisteten laufenden Unterhalt in Höhe des 2,5fachen Regelbedarfs Deckung.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kinder nicht Folge. Erbringe der Vater - wie hier - ohnehin monatliche Unterhaltsleistungen in einer den Regelbedarf beträchtlich übersteigenden Höhe, so dürfe er zur Deckung eines Sonderbedarfs nur dann verhalten werden, wenn der Unterhaltsberechtigte trotz dieser Unterhaltsbeiträge nicht imstande wäre, diese Kosten auf sich zu nehmen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Unterhaltsberechtigte beweisen könnte, dass der Überhang der regelmäßigen Unterhaltsleistungen durch die Bestreitung eines anderen Sonderbedarfs bereits aufgezehrt wäre. Derartiges hätten die Unterhaltsberechtigten aber nicht behauptet. Eine Gegenüberstellung des jeweiligen Regelbedarfs und der vom Vater tatsächlich erbrachten Leistungen ergebe, dass der geltend gemachte Sonderbedarf darin problemlos Deckung finde.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei laufenden, mit dem 2,5fachen des Regelbedarfs limitierten Unterhaltsleistungen Sonderbedarf nur bei einem Deckungsmangel zuzusprechen sei oder unter der Voraussetzung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ohne Rücksicht auf einen Deckungsmangel gewährt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Kinder ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen auch berechtigt.
1. Dass die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung regelmäßig Sonderbedarf sind, entspricht ständiger Rechtsprechung (9 Ob 507/95 = SZ 68/38; 10 Ob 118/07v = EFSlg 83.289) und wird im vorliegenden Fall vom Unterhaltspflichtigen auch nicht bestritten.
2. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Abgeltung eines Sonderbedarfs Ausnahmecharakter. Seine Berücksichtigung findet regelmäßig nur bei einem „Deckungsmangel" statt. Ein Deckungsmangel liegt dann vor, wenn der Sonderbedarf nicht aus der Differenz zwischen dem bereits festgesetzten, den Allgemeinbedarf deckenden Unterhalt und dem Regelbedarf bestritten werden kann (10 Ob 61/05a; 9 Ob 47/06m).
Erhält jedoch der Unterhaltsberechtigte lediglich deshalb Unterhaltsbeiträge, die nicht der vollen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen entsprechen, weil er schon die Luxusgrenze erreicht hat, muss der Sonderbedarf nach neuerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 5/08s unter Hinweis auf 2 Ob 89/03g = EFSlg 103.876 und 9 Ob 47/06m) zusätzlich zugesprochen werden, weil bei einer solchen Konstellation das Argument der nicht zu billigenden Überalimentierung des Unterhaltsberechtigten ins Leere ginge. Leistungen aus dem Titel des Sonderbedarfs sind nämlich zweckbestimmt und stehen nicht zur freien Verfügung des Unterhaltsberechtigten (Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 275 Pkt 7. mwN; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht³ 18).
3. Der Zuspruch von Sonderbedarf zusätzlich zu einer die „Luxusgrenze" erreichenden Unterhaltsleistung setzt aber auch voraus, dass seine Deckung dem Unterhaltspflichtigen angesichts dessen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zumutbar ist.
4. Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Fall an, kann der begehrte Sonderbedarf nur dann zusätzlich zu den monatlichen Unterhaltsbeiträgen zugesprochen werden, wenn der insgesamt zu leistende Betrag dem hier unterhaltspflichtigen Vater angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist.
Die Vorinstanzen haben die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters nicht geprüft, sodass sich eine Ergänzung des Verfahrens als unumgänglich erweist.
5. Dem Revisionsrekurs der Kinder war Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs 2 AußStrG. Ein Kostenersatz findet im Verfahren über Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder nicht statt.
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