OGH 2Ob23/08h

OGH2Ob23/08h30.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Markus H*****, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Kolarz & Augustin in Stockerau, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Waneck & Kunze in Wien, wegen 20.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2007, GZ 1 R 166/07z-58, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. August 2007, GZ 19 Cg 195/04d-53, teils abgeändert, teils bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.187,28 EUR (darin 197,88 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der 1989 geborene Kläger leidet an einer Erkrankung der Schilddrüse (chronische Immunthyreoiditis Hashimoto), deren Verlauf durch Medikamente nicht beeinflusst werden kann. Behandelbar sind lediglich die Symptome, die im Falle des Klägers ab Februar 2002 auftraten und sich in blasser, trockener und schuppiger Haut, Lidödemen, schütterem und sprödem Kopfhaar, fehlender Scham- und Achselbehaarung, Müdigkeit, Kälteempfinden, Konzentrationsschwierigkeiten und einem Stillstand des Längenwachstums äußerten. Während dieser Zeit war der Kläger der Kleinste in seiner Klasse und deshalb sowie wegen seiner schütteren Haare dem Spott seiner Klassenkollegen ausgesetzt. Alle diese Beeinträchtigungen des Klägers erreichten aber nicht den Grad körperlicher oder psychischer Schmerzen.

Bei einem Kontrolltermin im Krankenhaus der beklagten Partei im Mai 2003 wurden die Krankheitssymptome zwar festgestellt, aber nicht zum Anlass genommen, die erforderlichen Untersuchungen einzuleiten. Erst im November 2003 wurden diese Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse die Diagnose der erwähnten Autoimmunerkrankung ermöglichten. Die Behandlung der Krankheitssymptome setzte somit erst mit einer vermeidbaren Verzögerung von sechs Monaten ein. Der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns hat auf den langfristigen Krankheitsverlauf aber keinen Einfluss. Auch das vorübergehende Wachstumsdefizit hat der Kläger in der Zwischenzeit aufgeholt. Der Kläger begehrte von der beklagten Partei Schmerzengeld im Betrag von 20.000 EUR sA sowie die Feststellung deren Haftung für die durch den verzögerten Behandlungsbeginn verursachten künftigen Schäden. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beeinträchtigungen des Klägers hätten keinen Krankheitswert, ein „ersatzfähiges Schmerzgeschehen" liege nicht vor. Die verspätete Diagnose habe auch zu keinen Dauerfolgen geführt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung hinsichtlich des Leistungsbegehrens dahin ab, dass es dem Kläger 5.000 EUR sA zusprach. Im Übrigen bestätigte es das angefochtene Urteil und sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, dass das Schmerzengeldbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Am Krankheitswert der festgestellten Symptome und der Beschwerden des Klägers, die Folgen seiner medizinisch diagnostizierten und behandlungsbedürftigen Immunerkrankung seien, könne nicht gezweifelt werden. Sie begründeten schadenersatzrechtlich relevante nachteilige Einwirkungen auf seine Persönlichkeitsstruktur. Das Gesamtbild der physischen und psychischen Beeinträchtigungen, die beim Kläger aufgrund des um sechs Monate verzögerten Behandlungsbeginns länger bestanden hätten, rechtfertige ein Schmerzengeld von 5.000 EUR. Da sich die Verzögerung auf den Krankheitsverlauf nicht auswirke, seien Folgebeeinträchtigungen ausgeschlossen.

Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, dass es zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage, „ob im Fall der Beeinträchtigung des Gesundheitszustands (ohne körperliche Verletzung und bei an sich bestehender Schmerzempfindungsfähigkeit) ein Schmerzengeldanspruch auch für eine krankheitswertige Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens, allerdings ohne medizinisch messbare Schmerzempfindungen," bestehe, an höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.

Die beklagte Partei ließ den stattgebenden Teil der zweitinstanzlichen Entscheidung unbekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen den abweisenden Teil des Berufungsurteils erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Die den zweitinstanzlichen Zulassungsausspruch begründende Rechtsfrage betrifft nur die Berechtigung des Schmerzengeldanspruchs dem Grunde nach, die das Berufungsgericht unbekämpft bejahte und in dritter Instanz somit nicht mehr strittig ist. Sie entzieht sich daher der Überprüfung des erkennenden Senats. Selbst wenn das Berufungsgericht die Zulässigkeit der ordentlichen Revision zu Recht ausgesprochen haben sollte, wäre diese nach der ständigen Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn der Kläger zumindest eine für die Entscheidung präjudizielle (andere) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung geltend machen würde (RIS-Justiz RS0102059; Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 502 ZPO Rz 11). Diese Voraussetzung trifft jedoch nicht zu:

1.) Die Höhe des angemessenen Schmerzengelds ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO begründet (RIS-Justiz RS0042887). Dies gilt zwar nicht im Falle einer eklatanten Fehlbemessung, die aus dem Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt (RIS-Justiz RS0031075); eine solche Fehlbemessung wird in der Revision aber nicht aufgezeigt. Der Kläger beharrt auf der Angemessenheit des von ihm in der Klage geltend gemachten Schmerzengelds, vernachlässigt dabei jedoch, dass er der Bezifferung seines Anspruchs eine um „zumindest eineinhalb Jahre" verspätete Diagnosestellung zugrundegelegt hat (vgl AS 6 und 18) und auch bei der Formulierung seines Feststellungsbegehrens von einer mehr als ein Jahr lang „unterlassenen Behandlung" ausgegangen ist. Nach den Verfahrensergebnissen hat die beklagte Partei aber eine Verzögerung mit der Erstellung der Diagnose und dem Behandlungsbeginn von (lediglich) sechs Monaten zu verantworten.

Auch die Prozessbehauptung, er habe durch die unterlassene Behandlung „über Monate hin Schmerzen" gehabt, vermochte der Kläger nicht unter Beweis zu stellen. Statt dessen hat das Erstgericht festgestellt, dass die mit den Krankheitssymptomen verbundenen Beeinträchtigungen physischer und psychischer Natur physischen oder psychischen Schmerzen nicht gleichzuhalten sind.

Schon diese Feststellungen legen nahe, dass die Bemessung eines Schmerzengelds nur mit einem deutlich geringeren als dem eingeklagten Betrag möglich sein konnte. Wenn nun der Kläger die Höhe des Zuspruchs im Wesentlichen mit der Behauptung bemängelt, dieser bleibe (auch) deutlich hinter jenem zurück, der „üblicherweise bei sechs Monaten leichten Schmerzen gewährt wird", vermag er schon im Hinblick darauf, dass er keine medizinisch erfassbaren Schmerzen erlitten hat, keine gravierende Fehlbemessung durch das Berufungsgericht darzutun. Die Rechtsmittelausführungen, wonach er unter qualvollen Zukunftsängsten, Depressionen, Angstzuständen, neurotischen Reaktionen, psychosomatischen Störungen und Schlafproblemen gelitten habe, gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und sind daher unbeachtlich. Insgesamt werden in der Revision keine Argumente vorgetragen, die Anlass zu einer Korrektur der zweitinstanzlichen Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof geben könnten.

2.) Sind weitere Schäden (Spät- und Dauerfolgen) aus dem im Feststellungsbegehren bezeichneten Ereignis ausgeschlossen, ist dem Geschädigten das Interesse an der Haftung des Schädigers für künftige Schäden abzusprechen (RIS-Justiz RS0038826). Das Erstgericht hat festgestellt, dass der verspätete Behandlungsbeginn auf den langfristigen Krankheitsverlauf keinen Einfluss hat. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, Folgebeeinträchtigungen (im Sinne von Spät- und Dauerfolgen) seien somit ausgeschlossen, betrifft die Auslegung einer Urteilsfeststellung im Einzelfall und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf (RIS-Justiz RS0118891). Sie ist auch unbedenklich, stimmt sie doch mit dem Ergebnis des medizinischen Sachverständigengutachtens, auf welches das Erstgericht seine Feststellungen stützte, überein. Die Beurteilung der Vorinstanzen, das Feststellungsbegehren sei nicht berechtigt, hält sich somit im Rahmen der höchstgerichtlichen Judikatur.

3.) Da es der Lösung von Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision des Klägers zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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