OGH 9ObA106/07i

OGH9ObA106/07i8.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. Helmut S*****, vertreten durch Gabler Gibel & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65-67, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 22.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. April 2007, GZ 7 Ra 23/07i-14, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Dezember 2006, GZ 27 Cga 6/06g-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.189,44 EUR (darin 198,24 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 1974 als Angestellter bei der Beklagten beschäftigt. Auf sein Dienstverhältnis ist die Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) anzuwenden. Der Kläger suchte beim Präsidenten des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht um die Namhaftmachung eines gerichtlich beeideten ärztlichen Sachverständigen an, um seine Dienstunfähigkeit durch ein Gutachten bestätigen zu lassen. Diesem Ersuchen wurde auch stattgegeben, der namhaft gemachte Sachverständige kam zum Kalkül, dass der Kläger seiner bisherigen oder einer anderen Tätigkeit bei der Beklagten nicht mehr nachgehen kann und es ihm daher nicht zuzumuten ist, den bisherigen oder auch einen anderen Dienst im vollen Umfang zu versehen. Die Pensionsversicherungsanstalt lehnte mit Bescheid vom Juli 2006 den Antrag des Klägers vom 10. 4. 2006 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab. Das vom Kläger angestrengte Sozialgerichtsverfahren ist noch offen. Der Kläger forderte die Beklagte unter Vorlage des von ihm eingeholten Gutachtens auf, seine Dienstunfähigkeit anzuerkennen, dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 10. 8. 2006 ab. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass er in seinem Dienstverhältnis zur Beklagten seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens Jv 37-5/06 des Landesgerichts St. Pölten dienstunfähig sei; weiters stellte er das Eventualbegehren, die Beklagte sei schuldig, den Kläger mit Wirkung des Klagstags in den Ruhestand, in eventu auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen. Zusammengefasst brachte er vor, dass er gemäß § 149 Abs 3 DO.A Anspruch auf Ruhestandsversetzung habe, weil eine Dienstunfähigkeit gemäß § 207 DO.A eingetreten sei. Durch Vorlage eines Gutachtens nach § 207 Abs 3 Z 2 DO.A, in welchem seine Dienstunfähigkeit bescheinigt worden sei, habe er auch die formellen Voraussetzungen für eine derartige Ruhestandsversetzung erfüllt. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei nicht dienstunfähig, das von ihm vorgelegte Gutachten entspreche nicht den Voraussetzungen des § 207 DO.A.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat die Rechtsauffassung, dass ein Dienstunfähigkeitsgutachten im Sinn des § 207 Abs 3 Z 2 DO.A nur dann vorliege, wenn dieses von der beklagten Anstalt in Auftrag gegeben werde. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt, die vom Kläger privat in Auftrag gegebene Gutachtenserstellung könne, auch wenn der Sachverständige durch den zuständigen Präsidenten eines Landesgerichts namhaft gemacht worden sei, das Verfahren nach § 207 DO.A nicht ersetzen. Insbesondere sei bei der vom Kläger gewählten Vorgangsweise das beiderseitige Gehör durch allfällige Sachverständigenbefragung nicht gewährleistet.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass § 207 Abs 4 DO.A dahin auszulegen sei, dass bei Geltendmachung einer Dienstunfähigkeit der Dienstnehmer zunächst den Weg eines Antrags beim Pensionsversicherungsträger bzw einer Klage beim Sozialgericht zu beschreiten habe. Im Falle einer ablehnenden Entscheidung habe der Dienstnehmer die Dienstgeberin zu verständigen. Diese habe dann entweder eine Versetzung in die Wege zu leiten oder das Verfahren zur Erstellung eines Gutachtens gemäß Abs 3 Z 2 des § 207 DO.A einzuleiten. Ergebe sich allerdings aus dem Gutachten des sozialgerichtlichen Verfahrens das Vorliegen einer Dienstunfähigkeit unzweifelhaft, dann könne die Feststellung der Dienstunfähigkeit auch ohne Durchführung des in Abs 3 Z 2 vorgesehenen Verfahrens getroffen werden. Diese Vorgangsweise lasse klar erkennen, dass die Kollektivvertragsparteien keine Einholung eines privaten Gutachtens durch den Dienstnehmer vorsehen wollten, sondern lediglich der Dienstgeberin diese Überprüfungsmöglichkeit einräumen bzw unter den entsprechenden Voraussetzungen die Verpflichtung hiezu auferlegen wollten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zu § 207 DO.A fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 149 Abs 3 DO.A („Übergangsbestimmung zu § 32 - Versetzung in den Ruhestand") sind unkündbare Angestellte in den Ruhestand zu versetzen, wenn die Dienstunfähigkeit gemäß § 207 DO.A eingetreten ist. Die Versetzung in den Ruhestand hat in diesen Fällen mit dem Monatsersten zu erfolgen, der unmittelbar auf den Zeitpunkt folgt, zu dem der Versicherungsträger Kenntnis vom Eintritt der Dienstunfähigkeit erlangt hat oder bei rechtzeitiger Verständigung durch den Angestellten (§ 207 Abs 4) erlangen hätte müssen. Gemäß § 207 Abs 1 DO.A („Übergangsbestimmung zu § 33 - Dienstunfähigkeit") sind auf Angestellte, die zuletzt vor dem 1. Jänner 1996 in den Dienst eines österreichischen Sozialversicherungsträgers eingetreten sind, ab dem 1. Juli 2004 die Absätze 2 bis 6 anzuwenden. Gemäß § 207 Abs 2 DO.A liegt Dienstunfähigkeit im Sinn des § 149 DO.A vor, wenn der Angestellte infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands unfähig ist, den bisherigen oder einen anderen Dienst zu versehen, der von ihm mit Rücksicht auf die bisherige Verwendung und seine Vorbildung billigerweise verlangt werden kann. Nach § 207 Abs 3 DO.A gilt der Angestellte als dienstunfähig, wenn 1. Anspruch auf Invaliditätspension gemäß § 254 ASVG bzw Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG bzw auf Knappschaftsvollpension gemäß § 279 ASVG besteht oder 2. aufgrund des Gutachtens eines gerichtlich beeideten ärztlichen Sachverständigen, der vom Präsidenten des für den Wohnort des Angestellten für Sozialrechtssachen in erster Instanz zuständigen Gerichts namhaft gemacht wird, die Dienstunfähigkeit im Sinn des Abs 2 festgestellt wird. § 207 Abs 4 DO.A lautet: „Der Angestellte ist verpflichtet, den Versicherungsträger von allen Entscheidungen oder Vergleichen in einem ihn betreffenden Pensionsfeststellungsverfahren (Pensionsversicherungsträger, Sozialgerichte) unverzüglich zu verständigen. Beantragt der Angestellte binnen vier Wochen nach Eintritt der Rechtskraft einer ablehnenden Gerichtsentscheidung unter Vorlage des Urteils sowie sämtlicher in diesem Verfahren erstellten Gutachten die Prüfung der Dienstunfähigkeit durch den Versicherungsträger, ist dieser binnen vier Wochen ab Antragstellung verpflichtet, 1. unter Bedachtnahme auf Abs 2 eine Versetzung in die Wege zu leiten oder 2. das Verfahren zur Erstellung eines Gutachtens gemäß Abs 3 Z 2 einzuleiten. Wenn eine Versetzung unter Bedachtnahme auf Abs 2 nicht in Betracht kommt und dem bzw den im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens erstellten Gutachten das Vorliegen von Dienstunfähigkeit unzweifelhaft zu entnehmen ist, dann kann die Feststellung der Dienstunfähigkeit auch ohne Durchführung des in Z 2 vorgesehenen Verfahrens getroffen werden; auch in diesem Fall ist die vierwöchige Frist ab Antragstellung zu beachten".

Gemäß § 207 Abs 5 DO.A ist der Angestellte verpflichtet, sich den vom Versicherungsträger angeordneten zumutbaren Untersuchungen gemäß Abs 3 Z 2 zu unterziehen. Leistet der Angestellte einer solchen Anordnung aus seinem Verschulden nicht Folge, so liegt es im Ermessen des Versicherungsträgers, unter Bedachtnahme auf den festgestellten Sachverhalt über die Dienstunfähigkeit zu entscheiden. Eine solche Entscheidung kann jedoch nur dann getroffen werden, wenn der Angestellte auf die Säumnisfolgen schriftlich aufmerksam gemacht und ihm für die Befolgung der Anordnung eine Frist von mindestens einem Monat gesetzt wurde.

Durch § 207 Abs 2 DO.A wird zunächst klargestellt, dass der dort genannte Dienstunfähigkeitsbegriff für den Angestellten günstiger ist als derjenige der Berufsunfähigkeit, weil nur auf die konkrete Tätigkeit bzw andere im Betrieb vorhandene Tätigkeiten abzustellen ist. Besteht demnach keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung oder Versetzung, bedarf es nicht auch des Ausschlusses einer Verweisbarkeit auf allgemeine andere Tätigkeiten. Wie aus dem letzten Satz des § 207 Abs 4 DO.A unmissverständlich hervorgeht, ist der Anspruch auf Invaliditätspension bzw Berufsunfähigkeitspension (wobei ein entsprechendes Gutachten zugunsten des Pensionswerbers ausreicht) oder das Vorliegen eines Gutachtens nach § 3 Z 2 Voraussetzung, dass ein Dienstnehmer wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden darf. Zutreffend haben die Vorinstanzen daher erkannt, dass es dem Willen der Kollektivvertragsparteien entsprach, dass ein Dienstnehmer, der sich auf seine Dienstunfähigkeit beruft, zunächst den Weg der Antragstellung beim Pensionsversicherungsträger bzw, soferne notwendig, den Klageweg beim Sozialgericht beschreitet. Erst danach soll eine weitere Überprüfung stattfinden können, weil, wie schon dargelegt, Dienstunfähigkeit auch dann vorliegen kann, wenn eine allgemeine Berufsunfähigkeit im Sinn des ASVG verneint wurde. Nach der Systematik dieser Kollektivvertragsbestimmung ist daher eine Auslegung in dem Sinn geboten, dass § 207 Abs 3 DO.A nur die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit programmatisch aufzeigt, während die Folgeabsätze darlegen, wie im Einzelnen vorzugehen ist. Zutreffend gelangte daher das Berufungsgericht zur Rechtsauffassung, dass es nicht dem Dienstnehmer anheim gestellt ist, dieses Verfahren zu umgehen und auf kurzem Wege selbst ein Gutachten einzuholen, sei es auch durch Einschaltung eines Präsidenten des Landesgerichts, der einen Sachverständigen namhaft macht. Demgegenüber ist das Verständnis des Klägers mit den für Kollektivverträge geltenden Auslegungsgrundsätzen nicht in Einklang zu bringen.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass, wie schon von den Vorinstanzen zutreffend erkannt, das Hauptbegehren nicht feststellungsfähig ist. Ob jemand dienstunfähig ist, ist eine Tatsachenfrage. Bloße Tatsachen, mögen sich daran auch Rechtsfolgen knüpfen, sind nicht im Sinn des § 228 ZPO feststellungsfähig (RIS-Justiz RS0021983 [T1]; RS0038943). Bloße rechtliche Qualifikationen, Eigenschaften oder Vorfragen eines Rechts sind nicht feststellungsfähig (9 Ob 250/02h).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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