OGH 3Ob91/08s

OGH3Ob91/08s3.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lenneis, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Grace Wandiri R*****, vertreten durch Dr. Hannes Lattenmayer, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, wegen Eheaufhebung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Februar 2008, GZ 45 R 655/07t-97, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 22. August 2007, GZ 38 C 66/04h, 173/04v-89, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Kläger, ein österreichischer Staatsbürger, und die Beklagte, eine kenianische Staatsangehörige, schlossen am 8. Jänner 2003 miteinander in Mombasa (Kenia) die (für beide erste) Ehe, der keine Kinder entstammen. Der letzte gemeinsame Aufenthalt war in Wien. Die Parteien hatten einander in Kenia kennen gelernt. Die Beklagte war etwa Ende Jänner 2003 mit ihrem Sohn (aus einer früheren Beziehung) nach Österreich gereist.

Am 9. April 2004 stellte man in einem Krankenhaus eine HIV-Infektion der Beklagten fest. Sie hatte während aufrechter Ehe keinen Geschlechtsverkehr mit anderen Männern und hatte in den letzten Jahren auch keine Spritzen bekommen, ebensowenig wurde ihr Blut abgenommen. Sie hatte weder Operationen noch Drogen konsumiert. Die Infektion fand bereits vor der Eheschließung zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt statt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger nach Information über die HIV-Infektion der Beklagten zu erkennen gegeben hätte, die Ehe fortsetzen zu wollen, auch nicht, dass die Parteien danach noch Geschlechtsverkehr miteinander gehabt hätten.

Am 11. Mai 2004 gab der Kläger eine - mittlerweile rechtskräftig zurückgewiesene - Scheidungsklage zu gerichtlichem Protokoll. Die Klage auf Aufhebung der Ehe brachte er am 20. Oktober 2004 ein.

Der Kläger brachte vor, es sei für ihn eine totale Überraschung gewesen, als sich im März 2004 herausgestellt habe, dass seine Ehefrau, die er seit 2001 kenne, HIV-positiv sei. Daran habe er nie gedacht. Hätte er davon gewusst, hätte er sie nie geheiratet. Er habe auch sofort erklärt, die Ehe nicht fortsetzen zu wollen und eine Scheidungsklage eingebracht. Die Beklagte müsse auch von ihrer Ansteckung gewusst und sie ihm verschwiegen haben.

Die Beklagte wendete ein, sie habe den Kläger nicht getäuscht, weil sie erst mit diesem von der Infektion erfahren habe. Er habe danach mehrfach den Willen zur Fortsetzung der Ehe kundgetan und auch mehrfach mit ihr die Ehe vollzogen. Ihr drohe bei einer Aufhebung der Ehe die Abschiebung nach Kenia, was sich mangels entsprechender medizinischer Versorgung negativ auf ihren Gesundheitszustand und ihre Lebenserwartung auswirken würde.

Das Erstgericht hob die Ehe der Streitteile mit Rechtskraft seines Urteils auf.

Ausgehend von seinen eingangs großteils wiedergegebenen Feststellungen bejahte es die Voraussetzungen des § 37 (Abs 1) EheG. Als Aufhebungsgrund komme ein für die Eheschließung kausaler Irrtum über eine schwere, unheilbare, das Eheleben beeinträchtigende körperliche Krankheit in Betracht. Diese habe hier bei der Beklagten schon vor der Eheschließung bestanden, auch wenn sie bei dieser noch nicht erkennbar gewesen sei. Sowohl aus subjektiver als auch aus objektiver Sicht hätte die Kenntnis des Klägers von der HIV-Infektion der Beklagten den Kläger von der Eheschließung abgehalten. Ein Fortsetzungswille des Klägers sei nicht feststellbar. Angesichts der kurzen Ehedauer und des Fortbestehens des Aufhebungsgrundes könne von einer mangelnden sittlichen Rechtfertigung der Aufhebung nicht gesprochen werden.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Auch dieses Gericht wendete ohne Weiteres österreichisches Zivilrecht an. Es verneinte eine in der Berufung geltend gemachte Aktenwidrigkeit und übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich.

In rechtlicher Hinsicht sah es auf Grund der festgestellten HIV-Infektion der Beklagten sowohl eine wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung als auch die Gefahr des tatsächlichen Ausbruchs von AIDS als gegeben an. Die Infektion sei nicht heilbar. Ungeachtet des möglichen Zusammenlebens bei entsprechenden Schutzmaßnahmen seien wegen letzteren Umstands und der Ansteckungsgefahr für den Kläger Umstände gegeben, die eine Aufhebung der Ehe nach § 37 EheG rechtfertigten. Die Beklagte habe die konkrete Gefahr ihrer Abschiebung nicht deutlich machen können; das Erstgericht habe zudem zutreffend dargelegt, dass weder die Dauer der Ehe noch sonstige Kriterien der bisherigen Lebensgestaltung das Begehren auf Aufhebung der Ehe als nicht gerechtfertigt erscheinen ließen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

1. Zwar hat sich auch das Berufungsgericht mit kollisionsrechtlichen Fragen nicht befasst; die Anwendung österreichischen Sachrechts trifft aber im Ergebnis ohnehin zu; entgegen der Ansicht der Beklagten wirft der vorliegende Fall erhebliche Rechtsfragen zum auf Aufhebungsklagen nach EheG anzuwendenden Recht wegen Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung dazu nicht auf. Davon kann nämlich keine Rede sein, auch wenn diese bisher keine Fälle der Eheaufhebung iSd EheG betraf. Sowohl die umfassende Regelung des § 17 Abs 1 IPRG als auch die dazu ergangene Judikatur umfassen nämlich sowohl die Nichtigerklärung als auch die Aufhebung der Ehe (iSd österreichischen materiellen Rechts). Wie der Oberste Gerichtshof (zuerst im Fall einer Ehenichtigkeitsklage gegen österreichisch-sowjetische Ehegatten) darlegte, sind gemäß § 17 Abs 1 IPRG die Voraussetzungen der Eheschließung, der Ehenichtigkeit und der Aufhebung für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut, also gemäß § 9 IPRG nach dem Recht des Staates, dem die Person angehört, zu beurteilen. § 17 IPRG regelt ua auch die Rechtsfolgen der Verletzung von sachlichen (nicht zur Form zählenden) Ehevoraussetzungen, und zwar alle Rechtsfolgen des maßgeblichen Rechts, die an die Missachtung sachlicher Voraussetzungen geknüpft sind. Von der Wirkung einer derartigen Verletzung wird freilich immer das gesamte Eheverhältnis erfasst, unabhängig davon, ob die Verletzung beide Personalstatuten - wenn auch aus verschiedenen Gründen - oder nur eines von ihnen betrifft (8 Ob 700/88 = EvBl 1990/8 unter Berufung auf Schwimann in Rummel, ABGB1 § 17 IPRG Rz 2 und 3; weiters 5 Ob 609/89 = SZ 62/159 = JBl 1990, 351; 8 Ob 577/93 = SZ 67/56 = JBl 1995, 55 [Pichler] = EvBl 1995/2 ua; RIS-Justiz RS0077152; ebenso nunmehr Verschraegen in Rummel³ § 17 IPRG Rz 1-3; Neumayr in KBB² § 17 IPRG Rz 1). Dass zu diesen sachlichen Voraussetzungen auch Konsenserfordernisse (wie Irrtumsfreiheit; bei § 37 EheG geht es eben um Willensmängel bei der Eheschließung: RIS-Justiz RS0056192) zählen, ist unstrittig (s Verschraegen aaO Rz 2 und Neumayr aaO). Hier bejahten die Vorinstanzen einen nach § 37 Abs 1 EheG relevanten Irrtum des Klägers über den anderen Partner betreffende Umstände. Damit regelt aber auch das österreichische Personalstatut des Klägers die Aufhebung der Ehe wegen dieses Willensmangels iSd dargestellten Rechtsprechung. Auf eine vorliegende Verletzung der sachlichen Ehevoraussetzungen nach kenianischem Recht hat er sich nicht berufen. Es erübrigte sich daher letztlich für die Vorinstanzen, auf das internationale und materielle Privatrecht von Kenia einzugehen (vgl dazu näher Verschraegen aaO Rz 3 S 108 in Teilband II/6).

2. Nach der bisherigen Rechtsprechung zu § 37 Abs 1 EheG fallen unter die den anderen betreffenden Umstände, die einen Ehegatten bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von deren Eingehung abgehalten hätten, neben schweren geistigen oder psychischen Erkrankungen, die von Dauer und zumindest mit hochgradiger Wahrscheinlichkeit unheilbar sind, wobei die pathologische Anlage dazu genügt, auch körperliche Mängel (Schwimann/Weitzenböck in Schwimann, ABGB³ § 37 EheG Rz 3 mit zahlreichen N der Rsp).

Zwar kann weder jeder körperliche Mangel noch jede beliebige Krankheit den Aufhebungsgrund bilden, weil eben nicht in jedem Fall das Kriterium „bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe" erfüllt ist. Das gilt auch für Erbkrankheiten oder an sich unheilbare Krankheiten, deren Vorliegen das Eheleben nicht entscheidend beeinträchtigen, wohl aber für schwere unheilbare Krankheiten, bei denen das sehr wohl der Fall ist (OLG Wien EFSlg 51.565 [unter Berufung auf Pichler in Rummel1 § 37 EheG Rz 4]; Schwimann/Weitzenböck aaO mwN; Stabentheiner in Rummel³ §§ 36-38 EheG Rz 5). Der Oberste Gerichtshof hat ua die Beischlafsunfähigkeit als einen solchen Umstand beurteilt (2 Ob 451/38 = SZ 20/230). Ausgehend vom Wesen der Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft (§ 90 Abs 1 EheG) muss das umso mehr für schwere, praktisch unheilbare Erkrankungen gelten, die noch dazu ansteckend sind (Schwimann/Weitzenböck aaO).

Nach der Entscheidung 9 Ob 303/01a (= SZ 2002/24 = JBl 2003, 50 [abl Hoyer] = EvBl 2002/133) soll bei bloßen Krankheitsanlagen die hohe Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs der geistigen oder psychischen Krankheit erforderlich sein. Darauf einzugehen erübrigt sich aber angesichts der allgemein bekannten Infektionsgefahr durch das HI-Virus, die solche Fälle von den in der zitierten Entscheidung erfassten Krankheiten grundlegend unterscheidet. Es kann daher eine bestehende HIV-Infektion mit einer nur angelegten, aber noch in keiner Weise bemerkbaren Anfälligkeit für eine psychische Erkrankung nicht verglichen werden. Daher kommt es darauf, ob das volle Krankheitsbild von AIDS bei der Beklagten „nie ausbrechen muss", nicht an. Dass die Unzumutbarkeit weiteren Zusammenlebens ein Kriterium für das Vorliegen eines Eheaufhebungsgrundes nach § 37 Abs 1 EheG wäre, vermag die Beklagte weder aus dem Gesetz selbst noch mit irgendwelchen dazu ergangenen Entscheidungen zu begründen.

Es geht an dem in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs verankerten Irrtumsbegriff völlig vorbei, wenn die Beklagte aus dem Durchseuchungsgrad ihres Heimatstaats auf ein Nichtbestehen eines „objektiven" Irrtums des Klägers schließen will. Irrtum im zivilrechtlichen Sinn ist als unrichtige (1 Ob 114/71 = SZ 44/59 = JBl 1972, 203; 7 Ob 684/88 uva) oder fehlende Vorstellung von der Wirklichkeit (Rummel in Rummel³ § 871 ABGB Rz 2) stets subjektiv und die Anfechtung des Rechtsgeschäfts wird auch durch allfälliges Verschulden des Irrenden nicht ausgeschlossen (3 Ob 15/53 = SZ 26/71 uva; RIS-Justiz RS0014897 [zu § 871 ABGB]; Schwimann/Weitzenböck aaO Rz 2)

Insgesamt hält sich somit die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, die schon vor der Eheschließung eingetretene HIV-Infektion der Beklagten rechtfertige die Aufhebung der Ehe nach § 37 Abs 1 EheG, auch wenn ein Schutz vor Ansteckung durch den infizierten Partner an sich möglich wäre, schon wegen der dessen ungeachtet weiter bestehenden Gefahr im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Eine von diesem wahrzunehmende Fehlbeurteilung im Einzelfall vermag die Beklagte nicht darzulegen.

3. Entgegen ihrer Ansicht kommt es auf eine von ihr als - ungeachtet ihres nunmehr länger als fünf Jahre dauernden Aufenthalts in Österreich - möglich angesehene Abschiebung in ihre kenianische Heimat für die Frage, ob die Aufhebung der Ehe iSd des § 37 Abs 2 EheG sittlich gerechtfertigt ist, nicht an. Anders als die Härteklausel nach § 54 EheG (für bestimmte Ehescheidungsgründe) stellt diese Norm nicht darauf ab, ob die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde, sondern allein auf die bisherige Gestaltung des ehelichen Lebens. Nach der von der Lehre gebilligten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt es demnach darauf an, ob sich die Ehe bewährt hat, um den Ausgleich von Härten geht es dagegen nicht (1 Ob 331/59 ua, RIS-Justiz RS0056272; Schwimann/Weitzenböck aaO Rz 5). Eine mangelnde sittliche Rechtfertigung der Aufhebung kommt überhaupt nur bei länger dauernder Ehe, die hier bis zur Klage nicht vorliegt, oder mangels (nicht behaupteter) Auswirkung auf die Lebensgemeinschaft in Betracht (7 Ob 395/65; 7 Ob 297/74 = SZ 48/1; Koch in KBB² § 37 EheG Rz 4; Schwimann/Weitzenböck aaO mwN). Auch in diesem Punkt besteht daher höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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