OGH 8Ob97/08k

OGH8Ob97/08k2.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Dieter R*****, vertreten durch Mag. Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, gegen die beklagten Parteien 1.) Horst S*****, und 2.) Sylvia S*****, beide wohnhaft in *****, beide vertreten durch Dr. Bernd Brunner, Rechtsanwalt in Tulln, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 10. April 2008, GZ 21 R 81/08g‑47, mit dem das Endurteil des Bezirksgerichts Tulln vom 25. Jänner 2008, GZ 2 C 645/05t‑43, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, dem Kläger die mit 490,40 EUR (darin 81,73 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger als Vermieter begehrte von den Beklagten als Mieter eines Hauses die Bezahlung eines Mietzinsrückstands von 12.352,24 EUR sA für den Zeitraum vom 1. 5. 2002 bis 1. 5. 2005 sowie die Räumung des Hauses wegen qualifizierten Mietzinsrückstands gemäß § 1118 zweiter Fall ABGB (ein auch auf den Tatbestand des erheblich nachteiligen Gebrauchs gemäß § 1118 erster Fall ABGB gestütztes Räumungsbegehren ist für das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr relevant).

Die Beklagten hielten dem Mietzinsbegehren entgegen, dass ihnen aufgrund diverser Mängel des Bestandobjekts ein Anspruch auf „vollständige Mietzinsminderung" zustehe.

Mit Teilurteil vom 28. 2. 2007 gab das Erstgericht dem Klagebegehren mit 4.251 EUR statt (eine spruchmäßige Abweisung des restlichen Klagebegehrens erfolgte nicht, lässt sich aber den Gründen entnehmen). Das Erstgericht billigte den Beklagten eine Mietzinsminderung von 70 % zu und sprach aus, dass sie für den Zeitraum von September 2003 bis November 2006 einen reduzierten monatlichen Mietzins von 109 EUR, insgesamt somit 4.251 EUR schuldeten.

Dieses Urteil wurde dem Beklagtenvertreter am 23. 3. 2007 zugestellt; die Beklagten erhoben keine Berufung. Der vom Kläger erhobenen Berufung, die sich ausschließlich gegen die (im Revisionsverfahren nicht mehr gegenständliche) ebenfalls nur implizit erfolgte Abweisung des Räumungsbegehrens wegen erheblich nachteiligen Gebrauchs des Bestandobjekts richtete, wurde mit Urteil des Berufungsgerichts vom 24. 8. 2007 rechtskräftig nicht Folge gegeben.

Nach Rechtskraft des Teilurteils fand nur mehr die mündliche Streitverhandlung vom 14. 12. 2007 statt. Die Beklagten brachten hierin ergänzend vor, zwischenzeitig den Mietzinsrückstand von 4.251 EUR (samt gestaffelten Zinsen) bezahlt und für den vom Gericht laut Teilurteil bestimmten künftigen Mietzins einen Dauerauftrag eingerichtet zu haben. Dazu legten sie einen Überweisungsbeleg vom 21. 11. 2007 über5.920,04 EUR mit der Widmung „Mietzinsvorschreibung von 9. 03 bis 11. 07",eine Zahlungsbestätigung über 114,60 EUR vom 13. 12. 2007 sowie eine Bankbestätigung vom 11. 12. 2007 über die Errichtung eines Dauerauftrags von 109 EUR monatlich ab 12. 12. 2007 „bis auf weiteres", vor.

Der Kläger hielt sein Räumungsbegehren aufrecht. Der die Mietzinszahlungen festsetzende Teil des Teilurteils sei mangels Anfechtung spätestens Ende April 2007 rechtskräftig gewesen; die über ein halbes Jahr danach erfolgte Zahlung sei als grobes Verschulden zu werten; dasselbe gelte für die nach dem Urteilszeitraum fällig gewordenen Mietzinse.

Die Beklagten replizierten, dass der urteilsmäßig bestimmte Mietzinsrückstand rechtzeitig vor dem für den 14. 12. 2007 anberaumten Verhandlungstermin beglichen worden sei und grobes Verschulden nicht vorliege. Eine weitergehende Begründung erfolgt nicht.

Das Erstgericht wies mit Endurteil das Räumungsbegehren ab. Rechtlich führte es aus, dass die Beklagten vor Schluss der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung den ausständigen, nach § 1096 ABGB gemäßigten und rechtskräftig mit Teilurteil ermittelten Mietzins samt Zinsen bezahlt hätten. Die am 21. 11. 2007 erfolgte Zahlung der Beklagten könne nicht als verspätet gewertet werden.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Klägers das erstgerichtliche Urteil im Sinn der Stattgebung des Räumungsbegehrens ab und ließ die ordentliche Revision zu. Seine rechtliche Beurteilung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Wenn ein Mieter, dem aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 1 MRG gekündigt oder der aus dem Grund des § 1118 zweiter Fall ABGB auf Räumung geklagt worden sei und den am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden treffe, vor Schluss der der Entscheidung des Gerichts erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichte, sei die Kündigung aufzuheben. Sei die Höhe des geschuldeten Betrags strittig, habe das Gericht vor Schluss der Verhandlung darüber durch Beschluss zu entscheiden (§ 33 Abs 2 iVm Abs 3 MRG). Schon aus dem Gesetzestext könne abgeleitet werden, dass das Privileg nur von einem Mieter in Anspruch genommen werden könne, der sowohl kein grobes Verschulden zu verantworten habe als auch spätestens vor Schluss der Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichte. Dem bis dahin ohne grobes Verschulden in Verzug geratenen Mieter werde durch die gesetzlich vorgeschriebene Entscheidung über die Höhe des geschuldeten Betrags nicht ein Freibrief ausgestellt, nach Rechtskraft der Zwischenentscheidung ohne jede Begründung mit der Zahlung bis zum Schluss der Verhandlung zuwarten zu dürfen. Eine übereinstimmende Interpretation habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 257/03t vorgenommen, der ein vergleichbarer Sachverhalt zugrundeliege. Darin habe der Oberste Gerichtshof dargelegt, dass beim Zahlungsverzug im Allgemeinen nur eine Verspätung von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten toleriert werde. Solche Schwierigkeiten seien nach den (in der zitierten Entscheidung) getroffenen Feststellungen ab Jänner 2002 nicht mehr vorgelegen, weshalb die Beklagte den Rückstand schon im Frühjahr hätte bezahlen können. Allerdings sei der Oberste Gerichtshof letztlich zu einer Abweisung des Räumungsbegehrens gelangt, weil er der Beklagten aus anderen Aspekten (insbesondere auch wegen einer vom Beklagtenvertreter erteilten unrichtigen Rechtsauskunft) mangelndes grobes Verschulden zugebilligt habe. Die zitierte Entscheidung ließe sich problemlos auf den vorliegenden Fall anwenden. Dem Teilurteil sei sogar eine qualifizierte Bedeutung beizumessen, zumal es einen umgehend zu befolgenden Leistungsbefehl enthalte und einen Exekutionstitel darstelle. Mit Ablauf der dem Kläger offenstehenden Berufungsfrist gegen das Teilurteil sei für die Beklagten klargestellt gewesen, wieviel sie an Rückstand und für den nachfolgenden Zeitraum an monatlichem Mietzins zu bezahlen hätten. Das Argument, mit dem die Beklagten im Verfahren ihr grobes Verschulden an einem allenfalls bestehenden Zahlungsrückstand in Abrede gestellt hätten (Fehleinschätzung der Höhe der Zinsminderung), sei damit weggefallen. Ein anderes Argument für das Fehlen des groben Verschuldens sei von den insoweit behauptungs‑ und beweisbelasteten Beklagten nicht geltend gemacht worden.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage, ob und inwieweit ein auf Räumung gemäß § 1118 zweiter Fall ABGB geklagter Mieter, der sich auf sein Zinsminderungsrecht nach § 1096 Abs 1 ABGB berufen habe, nach Rechtskraft eines die Beschlussfassung nach § 33 Abs 2 MRG substituierenden Teilurteils monatelang mit der Zahlung des Rückstands zuwarten dürfe, soweit überblickbar keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (einschließlich des Vorliegens von Feststellungsmängeln) mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig (§ 508a Abs 1 ZPO).

Die Rechtsmittelwerber relevieren als erhebliche Rechtsfrage ihre Auffassung, dass § 33 Abs 2 MRG bedeute, dass eine Zahlung des nicht durch grobes Verschulden entstandenen Mietzinsrückstands vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausreichend sei. Die Meinung des Berufungsgerichts, dass ein derartiger Mietzinsrückstand, sobald er mit Teilurteil festgestellt sei, sofort zu bezahlen wäre, sei „rechtsirrig". Für die Interpretation des Berufungsgerichts spreche weder die Entscheidung 6 Ob 257/03t noch die Entscheidung 7 Ob 242/01s.

Mit diesen Ausführungen zeigen die Rechtsmittelwerber indes keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob sich die Beklagten angesichts der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 6 Ob 257/03t (SZ 2003/161), in der die Auffassung, dass eine Zahlung bis zum Schluss der Verhandlung ausreichend sei, ausdrücklich als falsch bezeichnet wurde, weil nach Wegfall von Zahlungshindernissen der Rückstand sofort zu begleichen sei, noch erfolgreich darauf berufen können, den Gesetzestext des § 33 Abs 2 MRG „missverstanden zu haben" bzw ob im erstinstanzlichen Vorbringen, dass Zahlung bis zum Schluss der Verhandlung ausreiche, eine derartige missverständliche Interpretation von den, für das Fehlen des groben Verschuldens behauptungs‑ und beweispflichtigen Beklagten (RIS‑Justiz RS0069316; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österr Wohnrecht Rz 37 mwN) überhaupt hinreichend geltend gemacht wurde, kann auf sich beruhen. Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0021072, RS0020952; vgl auch T. Hausmann aaO Rz 38 mwN; Binder in Schwimann ABGB3 § 1118 Rz 113 mwN; teilw krit: Würth in Rummel ABGB3 § 1118 Rz 19 mwN), dass auch erst im Zuge des Verfahrens aufgelaufene Bestandzinsrückstände das auf § 1118 ABGB gestützte Räumungsbegehren rechtfertigen können, weil für die Berechtigung des Auflösungsbegehrens wegen Nichtzahlung des Bestandzinses nicht die Sachlage bei Klageeinbringung, sondern jene bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz entscheidend ist. Damit ist klargestellt, dass während des Räumungsstreits fällig werdende Bestandzinse, die nicht zeitgerecht bezahlt werden, den Aufhebungstatbestand des § 1118 ABGB erfüllen können, selbst dann, wenn der zunächst geltend gemachte Mietzinsrückstand einmal bezahlt wurde, sofern die später aufgelaufenen Bestandzinsrückstände (neuerlich) einen im Sinn des § 1118 ABGB qualifizierten Zinsrückstand ergaben und nicht innerhalb der Geltendmachung des erst fällig gewordenen Betrags gewährten Nachfrist bezahlt wurden.

Im hier zu beurteilenden Fall haben die Beklagten trotz der ihnen mit Teilurteil vom 28. 2. 2007 (zugestellt am 23. 3. 2007), das sie unbekämpft ließen, ausgesprochenen Verpflichtung einen monatlichen Mietzins von 109 EUR zu bezahlen, den für die Zinsperioden April 2007 bis November 2007 fällig gewordenen Mietzins erst am 21. 11. 2007 bezahlt, obwohl der Kläger sein Räumungsbegehren aufrecht erhalten hat. Ein rechtfertigendes Vorbringen, aus welchen Gründen der seit April 2007 unstrittig in der angeführten Höhe fällige Mietzins abermals nicht fristgerecht für die jeweilige Zinsperiode zur Einzahlung gebracht wurde, haben die Rechtsmittelwerber nicht erstattet.

Die Frage, ob den Mieter am Mietzinsrückstand ein grobes Verschulden trifft, ist jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängig (9 Ob 200/99y; RIS‑Justiz RS0042773). Den ihm eingeräumten Ermessensspielraum hat das Berufungsgericht hiebei nicht überschritten. Insgesamt kann daher in der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das auf § 1118 zweiter Fall ABGB gestützte Räumungsbegehren berechtigt sei, eine aus Gründen der Rechtssicherheit das korrigierende Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erfordernde rechtliche Fehlbeurteilung nicht erblickt werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979).

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