OGH 8ObS5/08f

OGH8ObS5/08f2.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Franz Boindl und Dr. Michael Umfahrer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef G*****, vertreten durch Posch Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 8.299,20 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld, über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Jänner 2008, GZ 7 Rs 160/07m-13, womit über Berufung der Beklagten das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Juli 2007, GZ 6 Cgs 77/06i-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.713,31 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 285,55 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die ab 1. 7. 2008 wirksame Änderung der Parteienbezeichnung der Beklagten auf „Insolvenz-Entgelt-Fonds-Service GmbH (IAF-Service GmbH)" durch Art 4 BGBl I 2008/82 ist amtswegig zu berücksichtigen.

Der Kläger war bei dem Einzelunternehmer Hermann ***** F***** (in der Folge: Einzelunternehmer) als Angestellter beschäftigt. Am 6. 9. 2005 schloss der Einzelunternehmer mit der F***** GmbH (in der Folge: GmbH) einen Unternehmenskaufvertrag, wonach das Einzelunternehmen sowie neun im Eigentum des Einzelunternehmers stehende Liegenschaften mit allen Verbindlichkeiten um einen Kaufpreis von 1 EUR veräußert werden sollten. Der Kläger wurde am 6. 9. 2005 zum Geschäftsführer der GmbH bestellt. Die Eintragung in das Firmenbuch erfolgte am 13. 9. 2006. Der Einzelunternehmer, der Alleingesellschafter und bis 6. 9. 2005 Geschäftsführer der GmbH war, übertrug am 6. 9. 2005 seine Geschäftsanteile an der GmbH treuhändig auf den Kläger.

Hintergrund des Unternehmenskaufvertrags war, dass der Einzelunternehmer mit Selbstmord gedroht hatte, falls über sein Einzelunternehmen aufgrund der bereits bestehenden Zahlungsunfähigkeit der Konkurs eröffnet würde. Er wollte seinen Namen nicht im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren genannt sehen. Es wurde ein Betriebsberater konsultiert und geplant, die GmbH, die bis dahin lediglich als Mantelgesellschaft ohne operative Tätigkeit existiert hatte, zu aktivieren und ihr das Einzelunternehmen mit sämtlichen Verbindlichkeiten um einen symbolischen Preis von 1 EUR zu übertragen. Im Unternehmensvertrag war vorgesehen, dass die GmbH sämtliche Dienstverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten übernimmt. Zweck des Unternehmenskaufvertrags war ausschließlich, dass der Einzelunternehmer im Konkurs nicht namentlich aufscheine.

Es kann nicht festgestellt werden, dass geplant war, dass beim Einzelunternehmer Geschäftsfelder oder Sparten verbleiben sollten. Vielmehr sollte das Unternehmen zur Gänze an die GmbH übergehen. Dass der Kläger nach der Unternehmensveräußerung noch Tätigkeiten für den Einzelunternehmer entfalten hätte sollen oder können, kann nicht festgestellt werden.

Die übrigen Dienstnehmer des Einzelunternehmers begründeten mit der GmbH neue Dienstverhältnisse und wurden von dieser bei der Gebietskrankenkasse angemeldet. Der Kläger blieb bis zu seinem Austritt gemäß § 25 KO am 7. 10. 2005 als Angestellter des Einzelunternehmers angemeldet.

Über das Vermögen der GmbH wurde aufgrund eines Eigenantrags vom 15. 9. 2005 - in welchem ausdrücklich angeführt wurde, dass die vereinbarte Unternehmensübernahme der „ordnungsgemäßen Abwicklung des Konkursverfahrens" dienen sollte - am 16. 9. 2005 Konkurs eröffnet. Bei einer Gläubigerausschusssitzung am 22. 9. 2005 wurde einstimmig der Beschluss einer Rückabwicklung des Unternehmenskaufvertrags gefasst. Der Masseverwalter wurde ermächtigt, vom Unternehmenskaufvertrag gemäß § 21 KO zurückzutreten. Das entsprechende Rücktrittsschreiben des Masseverwalters wurde noch in der Gläubigerausschusssitzung dem anwesenden Rechtsvertreter des Einzelunternehmers überreicht. Am 23. 9. 2005 erfolgte die vom Masseverwalter „vorsichtsweise" beantragte Schließung des Unternehmens der GmbH.

Mit Beschluss vom 23. 9. 2005 wurde über das Vermögen des Einzelunternehmers Konkurs eröffnet.

Der Kläger trat nach Konkurseröffnung über das Vermögen des Einzelunternehmers und Unternehmensschließung, die das Konkursgericht am 29. 9. 2008 anordnete, am 7. 10. 2005 gemäß § 25 KO aus dem Dienstverhältnis aus.

Nach Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld durch die Beklagte begehrt der Kläger (dem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist bewilligt worden war) Insolvenz-Ausfallgeld in der rechnerisch unstrittigen Höhe von 8.299,20 EUR (laufendes Entgelt bis 7. 10. 2005 samt anteiligen Sonderzahlungen; Urlaubsersatzleistung; Kündigungsentschädigung; Zinsen und Kosten).

Der Masseverwalter sei vom Unternehmenskaufvertrag zurückgetreten. Die Verfügungsgeschäfte seien nie durchgeführt worden. Der Kläger sei auch nie wirtschaftlicher Eigentümer der GmbH geworden.

Die Beklagte, die zuletzt nicht mehr bestritt, dass der Kläger nicht „Übernehmer" des Einzelunternehmens wurde, wendet ein, dass die GmbH aufgrund des Betriebsübergangs in alle mit dem Einzelunternehmer bestehenden Arbeitsverhältnisse eingetreten sei. Der Rücktritt des Masseverwalters könne bloß ex nunc Wirkung entfalten. Es hafte somit die GmbH für die Schulden des Veräußerers. Deshalb entfalle eine Haftung der Beklagten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es erachtete rechtlich, dass zwar die GmbH zunächst als Arbeitgeberin in das Dienstverhältnis des Klägers eingetreten sei; durch den Rücktritt des Masseverwalters gemäß § 21 KO sei jedoch eine Rückabwicklung erfolgt, die auch das Dienstverhältnis des Klägers betroffen habe. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen wollte, wäre für die Beklagte nichts gewonnen. Ginge man nämlich davon aus, dass das Unternehmensveräußerungsgeschäft gemäß § 879 ABGB nichtig gewesen sei, weil es ausschließlich zu Täuschungszwecken geschlossen worden sei, hätte gar kein Unternehmensübergang stattgefunden. In diesem Fall wäre § 3 Abs 1 AVRAG nicht anwendbar. Auch unter Zugrundelegung dieser Auffassung sei der Einzelunternehmer als Arbeitgeber des Klägers anzusehen.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Beklagten das Urteil des Erstgerichts im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. § 3 Abs 2 AVRAG komme nicht zur Anwendung, weil über das Vermögen des Einzelunternehmers erst nach Abschluss des Unternehmenskaufvertrags Konkurs eröffnet worden sei. Der Unternehmenserwerber trete gemäß § 3 Abs 1 AVRAG aufgrund des ex-lege-Übergangs aller Rechte und Pflichten in das Arbeitsverhältnis ein. Die Rücktrittserklärung des Masseverwalters gemäß § 21 KO führe nicht zur rückwirkenden Aufhebung des Vertrags. Es unterbleibe nur seine weitere Erfüllung. Es sei daher beim Übergang des Dienstverhältnisses des Klägers gemäß § 3 Abs 1 AVRAG auf die GmbH geblieben. Dem Kläger stünden daher im Konkurs des Einzelunternehmers keine Ansprüche gegen die Beklagte zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die inhaltlich allein aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, das klagestattgebende Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht den Zeitpunkt, zu welchem sich ein Betriebsübergang verwirklicht, unrichtig beurteilte. Die Revision ist auch berechtigt.

Das Berufungsgericht ist erkennbar davon ausgegangen, dass der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts, also der Unternehmenskaufvertrag vom 6. 9. 2005, automatisch den Betriebsübergang bewirkte.

Dieser Auffassung kann sich der Oberste Gerichtshofs nicht anschließen:

Ob ein Betriebsübergang vorliegt, der zu einem ex-lege-Übergang der Arbeitsverhältnisse gemäß § 3 Abs 1 AVRAG führt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen, wie etwa der Übernahme der materiellen und immateriellen Aktiva und des Großteils der Belegschaft, des Übergangs der Kundschaft, des Grades der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und der Dauer einer eventuellen Einstellung dieser Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Übergang (RIS-Justiz RS0082749; 9 ObA 55/98y = SZ 71/100 uva).

Nach herrschender Auffassung (Gahleitner in ZellKomm § 3 AVRAG Rz 32; Binder, AVRAG [2001] § 3 Rz 75 ff; Holzer/Reissner AVRAG2 [2006] Erl § 3 Rz 5; Krejci, Betriebsübergang [1996] 54) ist ein Betriebsübergang dann als vollzogen zu betrachten, wenn die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Betrieb oder Betriebsteil und damit die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen auf den Erwerber übergegangen sind. Es ist somit auf die tatsächliche Übernahme der arbeitstechnischen Organisations- und Leitungsmacht durch den Erwerber abzustellen, wobei dieser Zeitpunkt durchaus zwischen dem Zustandekommen des Verpflichtungsgeschäfts und dem Vollzug des Verfügungsgeschäfts liegen kann.

Auch der Europäische Gerichtshof stellt auf den Übergang des Unternehmens ab (Rs C-305/94 Hertaing, Slg 1996 I-5927 = wbl 1997, 69 [s dazu Kiendl wbl 1997, 57 ff]; Rs C-478/03 Celtec Ltd, Slg 2005 I-4389 = DRdA 2005, 442), also auf jenen Zeitpunkt, ab welchem der neue Inhaber den Betrieb unter Bewahrung seiner Identität weiterführt (EuGH C-478/03 R n 35 f).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wurde somit der Betriebsübergang durch den Abschluss des Unternehmenskaufvertrags vom 6. 9. 2005 allein noch nicht bewirkt. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob die GmbH im Sinn der dargelegten Grundsätze je die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Betrieb erhielt. Das ist ausgehend von den getroffenen Feststellungen zu verneinen: Die bis zuletzt wirtschaftlich dem Einzelunternehmer gehörige GmbH wurde ausschließlich deshalb aktiviert, damit nicht der Einzelunternehmer wegen der bereits bestehenden Konkursvoraussetzungen den Konkursantrag stellen musste, sondern der Konkurseröffnungsantrag auf die GmbH „überwälzt" werden konnte. Der Unternehmenskaufvertrag wurde ausschließlich zu diesem Zweck geschlossen. Bereits 10 Tage nach Vertragsabschluss erfolgte über Eigenantrag der GmbH die Konkurseröffnung. Anhaltspunkte dafür, dass die GmbH je die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Einzelunternehmen erhielt, fehlen. Auch die Beklagte, die sich auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs stützt und daher nach allgemeinen Grundsätzen behauptungs- und beweispflichtig ist, brachte nicht vor, dass die nur wegen der beabsichtigten „Schonung" des Einzelunternehmers vor den nachteiligen Folgen einer Konkurseröffnung über sein Vermögen aktivierte GmbH die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Unternehmen erhielt. Die chronologische Abfolge zeigt vielmehr deutlich, dass der Einzelunternehmer mit der gesamten Konstruktion nur den Zweck verfolgte, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Konkursabwicklung bei der GmbH stattfinden zu lassen. Daran ändern auch die Feststellungen, wonach Gegenstand des Unternehmenskaufvertrags das gesamte Einzelunternehmen sein sollte, nichts, weil das Erstgericht überdies feststellte, dass der Zweck der Konstruktion darin bestand, den Einzelunternehmer von den nachteiligen Folgen einer Konkurseröffnung über sein Vermögen zu bewahren. Anders als die übrigen Dienstnehmer des Einzelunternehmers, die mit der GmbH neue Dienstverhältnisse begründeten und bei der Gebietskrankenkasse von der GmbH angemeldet wurden, schloss der Kläger auch keinen neuen Dienstvertrag mit der GmbH. Er war und blieb demnach bis zu seinem berechtigten Austritt gemäß § 25 KO am 7. 10. 2005 Dienstnehmer des Einzelunternehmers.

Da die Beklagte somit nicht in der Lage war, das Vorliegen eines Betriebsübergangs nachzuweisen, bestehen die der Höhe nach unstrittigen Ansprüche des Klägers auf Insolvenz-Ausfallgeld im Konkurs des Einzelunternehmers zu Recht. Aus diesem Grund bedarf es keiner Auseinandersetzung damit, welche Konsequenzen ein Rücktritt des Masseverwalters gemäß § 21 KO von einem Unternehmenskaufvertrag im Zusammenhang mit einem bereits erfolgten, hier jedoch gerade nicht gegebenen Betriebsübergang hätte. Ebenfalls aus diesem Grund muss auch nicht darauf eingegangen werden, ob die ständige, bis zuletzt aufrecht erhaltene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach das Bestehen einer Solidarschuldnerschaft des Übergebers mit dem Übernehmer einen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld im Konkurs des Übergebers ausschließt (RIS-Justiz RS0108284; 8 ObS 2164/96k = SZ 70/168 = DRdA 1998/24 [krit Wachter]; 8 ObS 219/99k = DRdA 2001/10 [krit Wachter]; 8 ObS 94/00g = DRdA 2001/22 [krit Reissner]; zuletzt 8 ObS 17/06t), von der das Berufungsgericht bei Verneinung des Anspruchs des Klägers auf Insolvenz-Ausfallgeld erkennbar ausgegangen ist, hier im Hinblick darauf überhaupt angewendet werden könnte, dass die Arbeitnehmerforderungen bei der ebenfalls insolventen GmbH nicht einbringlich gemacht werden können (s dazu 8 ObS 119/02m = wbl 2003/16).

Der Berechtigung des Klagebegehrens schadet auch der Umstand nicht, dass der Kläger zum Geschäftsführer der GmbH berufen wurde, was nach der bis 30. 9. 2005 geltenden Fassung des § 1 Abs 6 Z 2 IESG zum Ausschluss von Ansprüchen auf Insolvenz-Ausfallgeld führte (8 ObS 268/98i = SZ 72/116; 8 ObS 27/07i mwN). Mangels Vorliegens eines Betriebsübergangs entfaltet nämlich die Geschäftsführerstellung des Klägers bei der GmbH für die Beurteilung der Berechtigung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld im Konkurs des Einzelunternehmers keine Relevanz.

Es war demnach der Revision Folge zu geben und das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Berufungsbeantwortung gebührt lediglich 180 % Einheitssatz (§ 23 Abs 9 RATG; eine Berufungsverhandlung fand nicht statt).

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