OGH 7Ob103/08k

OGH7Ob103/08k27.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte W*****, vertreten durch Mag. Martin Paar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 11.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2008, GZ 4 R 204/07k-16, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juli 2007, GZ 13 Cg 150/06w-10, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 766,08 EUR (darin 127,68 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 1994) zugrunde. Artikel 8 und 9 lauten auszugsweise:

„Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten?

(Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

...

1.4. Alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert;

...

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Versicherungsvertragsgesetz 1958 (VersVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei.

...

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise und die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)

1. Der Versicherer hat binnen zwei Wochen nach Geltendmachung des Deckungsanspruches durch den Versicherungsnehmer und Erhalt der zur Prüfung dieses Anspruches notwendigen Unterlagen und Informationen dem Versicherungsnehmer gegenüber schriftlich den Versicherungschutz grundsätzlich zu bestätigen oder begründet abzulehnen.

Der Versicherer ist innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist berechtigt, diese durch einseitige Erklärung um weitere zwei Wochen zu verlängern.

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

2.1 dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikel 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

3. Für den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung oder das Vorgehen zur Beilegung des Streitfalles, für den Deckung begehrt wird, kann der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf Versicherungsschutz durch Beantragung eines Schiedsgutachterverfahrens oder ohne Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens gemäß § 12 VersVG gerichtlich geltend machen.

4. Die gänzliche oder teilweise Ablehnung der Kostenübernahme wegen nicht hinreichender oder fehlender Aussicht auf Erfolg oder sonstiger Meinungsverschiedenheiten im Sinne des Pkt 3. ist dem Versicherungsnehmer unter Bekanntgabe der Gründe und unter Hinweis auf die Möglichkeit eines Schiedsgutachterverfahrens gemäß Pkt 5. schriftlich mitzuteilen. Die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Kosten sind vom Versicherer zu tragen, sofern die sonstigen Voraussetzungen des Versicherungsschutzes vorliegen.

Unterlässt der Versicherer den Hinweis gemäß Abs. 1, gilt der Versicherungsschutz für die begehrte Maßnahme als anerkannt.

... "

Die Klägerin begehrte mit anwaltlichem Schreiben vom 20. 9. 2004 von der Beklagten Rechtsschutzdeckung für die gerichtliche Geltendmachung von Arzthaftungsansprüchen. Nach dem beigeschlossenen Entwurf für eine Klage habe sie bereits am Abend des 17. 6. 2003 nach Setzen eines Katheters starke Schmerzen im gesamten linken Beinbereich und in der Einstichstelle verspürt. Trotz umgehender Rücksprache mit dem behandelnden Personal seien keinerlei therapeutische Schritte gesetzt und der Verband im Implantatsbereich nicht entsprechend gewechselt worden. Aufgrund der bedenklichen Verschlechterung ihres Allgemeinzustands sei sie in ein anderes Krankenhaus verlegt worden, wo sogleich eine bakterielle Meningitis im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden sei. Aufgrund dessen und eines damit im Zusammenhang stehenden Abszesses im gesamten Wirbelsäulenbereich seien eine stationäre Behandlung über neun Wochen und anschließende umfangreiche Rehabilitationsmaßnahmen notwendig geworden. Die Implantation des Katheters und die entsprechende Nachbehandlung und Versorgung sei nicht lege artis erfolgt. Auch sei sie über die Möglichkeit einer Meningitiserkrankung nicht aufgeklärt worden. Sie erhebe ein Schmerzengeldbegehren in der Höhe von 26.000 EUR und ein mit 4.000 EUR bewertetes Feststellungsbegehren für die Haftung für sämtliche zukünftige nachteilige Folgen dieser Behandlung. Nach Erhalt des Klagsentwurfs nahm die zuständige Schadensreferentin der Beklagten eine Prüfung der Erfolgsaussichten zunächst durch Rücksprache mit einem Orthopäden, mit dem die Beklagte regelmäßig zusammenarbeitete, vor. Dieser kam nach einer ersten Prüfung zu der Ansicht, dass kein Kunstfehler vorliege. Die Beklagte beauftragte am 19. 11. 2004 auf eigene Kosten „im Einverständnis mit der Klägerin" einen gerichtlich beeideten Sachverständigen damit, ein Gutachten zur Frage, ob ein Kunstfehler vorliege, zu erstellen.

Am 17. 12. 2004 erkundigte sich der Rechtsanwaltsanwärter des Klagevertreters bei der Schadensreferentin der Beklagten telefonisch, ob das Gutachten vorliege. Die Schadensreferentin erklärte, dass das Gutachten noch nicht eingelangt sei. Sie bestätigte dabei weder die Rechtsschutzdeckung für die einzubringende Klage, noch erklärte sie ihr Einverständnis mit dem Einbringen der Klage. Im Anschluss an das Telefonat fertigte der Rechtsanwaltsanwärter aber einen Aktenvermerk an, in dem er „irrtümlich" festhielt, dass die Schadensreferentin eine Rechtsschutzzusage erteilt habe.

Am 18. 1. 2005 brachte der Klagevertreter, ohne nochmals mit einem Mitarbeiter der Beklagten Rücksprache gehalten zu haben, eine dem Entwurf entsprechende Klage ein.

Erst am 13. 12. 2005 erhielt die Beklagte das Sachverständigengutachten mit dem Inhalt, dass nach Ansicht des Gutachters kein schuldhaftes oder fehlerhaftes Vorgehen der behandelnden Ärzte ersichtlich sei. Trotz einer Behandlung lege artis sei es zu einer seltenen, aber typischen Komplikation gekommen. Hinsichtlich eines „hypothetischen" Schmerzengelds stellte das Gutachten Schmerzperioden dar. Die Beklagte leitete dieses Gutachten an die Klägerin am 15. 12. 2005 weiter.

Mit Schreiben vom 28. 4. 2006 lehnte die Beklagte schließlich die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten aufgrund des eingeholten Privatgutachtens mit der Begründung ab, aus diesem gehe eine lege artis durchgeführte Behandlung hervor. Das Unterliegen im Prozess sei daher wahrscheinlicher als ein Obsiegen, sodass im Sinn des Artikels 9.2.2. ARB 1994 die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abgelehnt werde.

Auch im von der Klägerin eingeleiteten Schadenersatzprozess wurde ein Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen eingeholt. In diesem kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die bei der Klägerin vorliegende exzessive Narbenbildung nicht durch das entzündliche Geschehen im Zusammenhang mit dem Setzen des Katheters bzw dem Abszess verursacht worden sei. Sowohl die Behandlung als auch die Nachbehandlung sei lege artis routinemäßig und standardisiert mit entsprechender Sorgfalt hinsichtlich der Sterilität durchgeführt worden.

Die Klägerin begehrt nun die Feststellung der Deckungspflicht auch hinsichtlich der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten dürfe kein strenger Maßstab angewendet werden. Biete der Versicherungsnehmer zulässige Beweismittel an, könne der Versicherer das Scheitern der Beweisführung und damit das völlige oder teilweise Fehlen der Erfolgsaussichten nicht unterstellen. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten komme eine antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht. Die Sachbearbeiterin der Beklagten habe gegenüber dem Mitarbeiter des Klagevertreters mündlich eine uneingeschränkte Rechtsschutzdeckung zugesagt.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung mit der Begründung, dass sie gemäß Artikel 9.2 ARB 1994 zur Durchführung von Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung berechtigt sei. Wenn sie nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis komme, dass die Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend sei, nämlich ein Unterliegen im Verfahren wahrscheinlicher als ein Obsiegen sei, so sei sie berechtigt, die volle Rechtsschutzdeckung abzulehnen. Der von den Parteien „übereinstimmend" beauftragte Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kunstfehler nicht ersichtlich sei, weshalb die Beklagte mangels ausreichender Erfolgsaussichten nur zur „Halbdeckung" verpflichtet gewesen sei. Dem Einwand vorgreifender Beweiswürdigung stehe entgegen, dass die Klägerin selbst der Einholung des Gutachtens zugestimmt habe. Da der Versicherer jederzeit berechtigt sei, Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung anzustellen, sei auch das im Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten zu berücksichtigen. Die Beklagte habe die Volldeckung überdies nicht zugesagt. Die Klägerin habe auch gegen ihre Kostenminimierungsobliegenheit verstoßen, weshalb Leistungsfreiheit eingewendet werde. Sie habe nämlich das Feststellungsbegehren mit 4.000 EUR bewertet, obwohl ihr dies bei einer Bewertung mit nur 100 EUR keine prozessualen Nachteile gebracht hätte. Weiters habe die Klägerin statt 8.400 EUR (ausgehend von dem von der Beklagten eingeholten Gutachten über die Schmerzperioden) 26.000 EUR an Schmerzengeld begehrt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da die Bedingungen in Artikel 9.2.2 - Unterliegen wahrscheinlicher als Obsiegen - einen Tatbestand festhielten, welcher grundsätzlich von § 63 ZPO abweiche, könne bezüglich der Abgrenzung zwischen „Volldeckung" und „Halbdeckung" die Judikatur zu § 63 ZPO nicht herangezogen werden. Hinreichende Erfolgsaussichten lägen dann vor, wenn die Zukunftsprognose bei einer ex ante Prüfung 50 % oder mehr ergebe. Die Beklagte habe entsprechend den Bestimmungen der ARB 1994 berechtigt Erhebungen im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der Klägerin durchgeführt. Diesen Erhebungen zufolge seien die Obsiegenschancen der Klägerin geringer als die Unterliegenschancen, weil das eingeholte Gutachten eindeutig ergeben habe, dass weder ein Kunstfehler noch ein Aufklärungsfehler vorliege. Eine vollständige Aufklärung sei durch einen von der Klägerin unterschriebenen Aufklärungsbogen dokumentiert. Es sei daher absehbar gewesen, dass die Klägerin in Beweisnotstand geraten werde. Die Beklagte habe im Hinblick auf das vorliegende Erhebungsergebnis zu Recht die Erfolgsaussichten nicht als hinreichend angesehen und nur die „Halbdeckung" gewährt.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil in eine Klagsstattgebung ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass nach ständiger Rechtsprechung im Deckungsprozess nicht der Haftpflichtprozess vorweg genommen werden dürfe und daher Beweisaufnahmen und Feststellungen zur Tatfrage insoweit überflüssig und sinnlos seien. Es müsse im Deckungsprozess, wenn im Haftpflichtprozess reine Tatfragen strittig seien, grundsätzlich sein Bewenden damit haben, dass im Haftpflichtprozess anzubietende Beweismittel einer Prüfung zu unterziehen seien, ob sie grundsätzlich geeignet seien, dem Kläger im Haftpflichtprozess zum Erfolg zu verhelfen. Dies gelte auch im vorliegenden Fall für die Beurteilung der strittigen „Halbdeckung". Der Unterschied zwischen den Risikoausschlüssen nach Artikel 9.2.2 und Artikel 9.2.3 ARB 1994 sei nämlich nur graduell in der Einschätzung der Höhe der Erfolgsaussichten, nicht aber in der Methode, wie der Versicherer zu seiner Einschätzung zu gelangen habe. Wollte man die Einholung eines Privatgutachtens zur Überprüfung der Erfolgsaussichten zulassen, so käme dies einer antizipierten Beweiswürdigung gleich. Hiezu käme, dass jener Versicherungsnehmer schlechter gestellt sei, der sich mit der Einbringung der Haftpflichtklage gegen den Schädiger hinhalten lasse und so dem Versicherer erst die faktische Möglichkeit biete, langwierige Ermittlungen durchzuführen. § 158 l Abs 1 VersVG (ihm folgend Artikel 9.3 f ARB 1994) sehe für den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer ein Schiedsgutachterverfahren innerhalb eines engen zeitlichen Rahmens vor, nicht aber die Möglichkeit des Versicherers, zur Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Haftpflichtprozess Sachverständigengutachten einzuholen und damit auf Beweismittel zurückzugreifen, welche ihm für die zu beurteilenden Erfolgsaussichten an sich versagt seien. In dem Einverständnis der Klägerin zur außergerichtlichen Gutachtenseinholung liege kein einvernehmliches Abgehen der Parteien von dieser Rechtslage. Es sei der Klägerin freigestanden, die Klage einzubringen, ohne das Gutachten abzuwarten. Ob eine solche Vereinbarung im Hinblick auf § 158p VersVG beachtlich wäre, bedürfe hier keiner weiteren Prüfung. Die Klägerin habe auch nicht gegen die Kostenminimierungsobliegenheit verstoßen. Nach §§ 56, 59 JN habe sich die Bewertung des Klägers nach der „Höhe seines Interesses" zu richten. Eine gesetzeskonforme Bewertung des Feststellungsbegehrens habe zwar auf die Höhe des Anwaltshonorars Einfluss, könne aber nicht als „unnötige" Kostenerhöhung im Sinne der Bedingungen qualifiziert werden. Dass die Klägerin gegen die gesetzlichen Bewertungsvorschriften verstoßen hätte, habe die Beklagte nicht vorgebracht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob dem Versicherer auch bei Gewährung bloßer „Halbdeckung" (nur) die Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen dürften wie zur Beurteilung gänzlich fehlender Erfolgsaussichten.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung ist im Deckungsprozess nicht der Haftpflichtprozess vorwegzunehmen. Beweisaufnahmen und Feststellungen zur Tatfrage, wer den Schaden des Versicherungsnehmers durch welches Verhalten herbeigeführt hat, sind insoweit überflüssig und sinnlos, weil sie keinerlei Bindungswirkung für den Haftpflichtprozess erzeugen. Es muss daher im Deckungsprozess, wenn im Haftpflichtprozess reine Tatfragen strittig sein werden, grundsätzlich damit sein Bewenden haben, dass im Haftpflichtprozess anzubietende Beweismittel einer Prüfung zu unterziehen sind, ob sie grundsätzlich geeignet sind, dem Kläger im Haftpflichtprozess zum Erfolg zu verhelfen, wobei sie aber grundsätzlich nicht bereits im Deckungsprozess aufzunehmen sind. Dies gilt insbesondere für jene Beweismittel, die in einem hohen Maß der richterlichen Würdigung unterliegen, wie dies bei Zeugen- und Parteiaussagen und Sachverständigengutachten der Fall ist (7 Ob 13/95; RIS-Justiz RS0081927). In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0081929; Knirsch, Verweigerung der Rechtsschutz-Versicherungsleistung wegen „keiner oder nicht hinreichender Aussicht auf Erfolg", AnwBl 1993, 725). Auch Kronsteiner vertritt in Kronsteiner/Lafenthaler, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung, S 118, die Ansicht, dass der Versicherer die freie richterliche Beweiswürdigung nicht vorweg nehmen dürfe.

Der Grundsatz in der Rechtsschutzversicherung, dass im Deckungsprozess die Beweisaufnahmen und die Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen zu unterbleiben haben und daher dem Versicherer eine vorweg genommene Beweiswürdigung verwehrt ist, gilt also allgemein und damit auch für die Prüfung der Frage, ob nach Artikel 9.2.2 ARB 1994 ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose - im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses aufgrund einer nachträglichen Prognose - nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt (7 Ob 236/97z). Es ist grundsätzlich daran festzuhalten, dass es nicht Sinn und Zweck der Rechtsschutzversicherung ist, dem Rechtsschutzversicherer die Möglichkeit zu geben, die Deckung mit der Berufung auf Argumente zu verweigern, deren Richtigkeit im Deckungsprozess unter Beweis zu stellen sind (7 Ob 13/95). Dass das von der Beklagten außergerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten der vorweg genommenen Prüfung und Würdigung von Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0043163, RS0043219) dienen sollte, die erst Gegenstand des Haftpflichtprozesses sein sollten, liegt auf der Hand und ist nicht strittig.

Davon, dass die Parteien - wie die Beklagte behauptet - eine Vereinbarung getroffen hätten, dass für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in diesem Fall vor Klagseinbringung ein Sachverständigengutachten einzuholen sei, kann keine Rede sein. Nach den Feststellungen beauftragte die Beklagte lediglich „im Einverständnis mit der Klägerin" einen Gutachter mit der Gutachtenserstellung. Daraus ist nicht abzuleiten, dass die Klägerin eine Einschränkung ihrer Rechtsposition mit der Beklagten vereinbaren hätte wollen. Das Einverständnis bezieht sich lediglich auf die von der Beklagten verlangte Begutachtung durch einen Sachverständigen. Für eine Zustimmung der Klägerin zu einer Einschränkung der Hauptleistungspflicht der Beklagten zu ihren Lasten dadurch, dass der Beklagten eine vorweg genommene Beweiswürdigung von im Haftpflichtprozess relevanten Tatsachen eingeräumt werden sollte, fehlt jeder Anhaltspunkt. Es braucht nicht weiter darauf eingegangen werden, ob eine derartige Vereinbarung zu Lasten des Versicherungsnehmers überhaupt wirksam wäre.

Eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin durch die Klagseinbringung ist nicht ersichtlich. Die Beklagte übergeht, dass sie nach Artikel 9.1 ARB 1994 die Verpflichtung hat, binnen zwei Wochen nach Geltendmachung des Deckungsanspruchs durch den Versicherungsnehmer und Erhalt der von ihm beigelegten Unterlagen und Informationen dem Versicherungsnehmer gegenüber schriftlich den Versicherungsschutz grundsätzlich zu bestätigen oder begründet abzulehnen hat. Dies hat die Beklagte nicht getan, sondern die Einholung eines Gutachtens verlangt und noch dazu dem Gutachter eine Begutachtenszeit von mehr als einem Jahr zugestanden. Sie hat damit nicht nur gegen Art 9.1 ARB 1994 verstoßen, sondern auch gegen den wortgleichen § 158n VersVG. Auf eine Vereinbarung, durch die von §§ 158j Abs 2 bis 158o VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen wird, kann sich der Versicherer nicht berufen (§ 158p VersVG). Die Beklagte, der der Klagsentwurf zur Genehmigung zugesandt wurde, hat hiezu innerhalb von 14 Tagen ausdrücklich keine Stellung genommen, also die Deckung weder bestätigt noch abgelehnt. Aus ihrer eigenen, vertrags- und gesetzwidrigen Nachlässigkeit kann die Beklagte keinen Obliegenheitsverstoß der Klägerin durch Einbringung der dem Entwurf entsprechenden Klage ableiten.

Ebenso kann die Beklagte der Klägerin nicht vorwerfen, sie habe gegen ihre Kostenminimierungsobliegenheit nach Artikel 8.1.1.4 ARB 1994 verstoßen, indem sie einen zu hohen Schmerzengeldbetrag eingeklagt und das Feststellungsbegehren zu hoch bewertet habe. Die Beklagte hatte den Klagsentwurf zur Verfügung und unterließ es, innerhalb der 14-tägigen Frist der Klägerin gegenüber eine Stellungnahme abzugeben oder Einwände gegen die Höhe des Begehrens oder Bewertung des Feststellungsbegehrens zu erheben. Sie brachte auch im Verfahren nichts vor, aus dem sich ergeben könnte, sie hätte - ohne vorgreifende Beweiswürdigung - einwenden können, dass der begehrte Schmerzengeldanspruch von vornherein jedenfalls zu hoch bemessen wäre. Auch was die Bewertung des Feststellungsbegehrens anlangt, konnte sie der Klägerin keine vertrags- oder gesetzwidrige Bewertung vorwerfen. Das Argument, die Klägerin hätte ihr Feststellungsbegehren aus Kostengründen eklatant unterbewerten und sich einer Streitwertbemängelung durch den Gegner aussetzen müssen, geht ins Leere.

Da die Beklagte - wie oben dargelegt - nicht die Beweiswürdigung im Haftpflichtprozess vorweg nehmen darf, kann schon aus diesem Grund die Einholung des außergerichtlichen Gutachtens bzw die Einholung des Gutachtens im Haftpflichtverfahren keinen Einfluss auf den Umfang der Rechtsschutzdeckung haben. Die Beweiswürdigung ist zu diesen beiden Zeitpunkten ja noch nicht geklärt.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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