OGH 8ObS29/07h

OGH8ObS29/07h16.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Kuras und die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Dr. Johann Ellersdorfer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Brigitte M*****, vertreten durch Dr. Lukas Fantur, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle *****, wegen 23.349 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Juli 2007, GZ 7 Rs 41/07m-16, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. Jänner 2007, GZ 6 Cgs 37/06g-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin

23.349 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.200 EUR (darin enthalten 200 EUR an USt) der Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 21. 4. 2004 Geschäftsführerin der späteren Gemeinschuldner GmbH, an der sie auch als Gesellschafterin beteiligt war, als sie dann ab September 2004 dort „als Gechäftsführerin beschäftigt" wurde. Als handelsrechtliche Geschäftsführerin wurde sie mit 4. 4. 2005 (im Firmenbuch eingetragen am 11. 5. 2005) im Zusammenhang mit dem Verkauf ihrer Gesellschaftsanteile abberufen und war danach dem neuen Geschäftsführer weisungsgebunden und zur Berichterstattung verpflichtet. Sie macht gegenüber dem beklagten Insolvenz-Ausfallgeldfonds Ansprüche aus offenem Entgelt für Juni 2005 sowie Urlaubszuschuss, Weihnachtsremuneration und Urlaubsersatzleistung samt Zinsen und Kosten geltend und darüber hinaus auch, dass ihr Dienstverhältnis durch Arbeitgeberkündigung fristwidrig zum 30. 6. 2005 gelöst worden sei, weshalb sie Anspruch auf Kündigungsentschädigung zum nächsten möglichen Kündigungstermin, also den 30. 9. 2005 habe.

Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 27. 1. 2006 diesen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin ja handelsrechtliche Geschäftsführerin gewesen sei. Diese Organtätigkeit habe auch noch fortgewirkt, weshalb die Klägerin nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG vom Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld ausgeschlossen sei. Dies hat sie auch im gerichtlichen Verfahren aufrecht erhalten.

Das Erstgericht gab der Klage auf zusammen 23.349 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld statt und ging dabei rechtlich davon aus, dass der Oberste Gerichtshof zu 8 ObS 13/03z ausgesprochen habe, dass der Ausschluss von leitenden Angestellten richtlinienwidrig sei und insoweit der Richtlinie unmittelbare Wirkung zukomme. Dies gelte auch für die neue Richtlinie 2002/74/EG , die nunmehr auch die Organmitglieder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen juristischen Personen erfasse. Zwar sei die Umsetzung dieser Richtlinie durch Aufhebung der Ausschlussbestimmung in § 1 Abs 6 Z 2 IESG noch nicht anzuwenden, jedoch sei eine Auslegung dahin vorzunehmen, dass im gegenständlichen Fall die Annahme einer zum Ausschluss folgenden Nachwirkung einer Organtätigkeit nicht der neuen Richtlinie 2002/74/EG entspreche. Hinsichtlich dieser Richtlinie würden die Voraussetzungen für eine direkte Anwendung ebenso vorliegen wie bei der früheren Richtlinie 80/987/EWG . Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge und schloss sich im Wesentlichen nur der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an. Auch nach Ansicht des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen vor, unter denen eine Richtlinie direkt anzuwenden wäre.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als nicht zulässig, da keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der §§ 2 ASGG, 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der beklagten Partei ist zulässig, da sich das Berufungsgericht nicht mit der Vorentscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 ObS 199/97s (ähnlich 8 ObS 9/04p mwN) auseinandergesetzt hat. Weiters hat das Berufungsgericht nicht Bedacht genommen auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Annahme einer unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie. Im Allgemeinen zeichnet sich das Regelungsinstrument der Richtlinie im Rahmen des Gemeinschaftsrechts gerade dadurch aus, dass es grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar ist, sondern von den Mitgliedstaaten in das innerstaatliche Recht durch entsprechende generelle Rechtsakte umzusetzen ist. Der Einzelne ist aus der Richtlinie weder unmittelbar verpflichtet noch unmittelbar berechtigt. Dies steht allerdings dem Grundsatz der richtlinienkonformen „Interpretation", wonach die österreichischen Regelungen möglichst so auszulegen sind, dass sie der Richtlinie entsprechen, nicht entgegen (vgl RIS-Justiz RS0111214 mit zahlreichen wN etwa SZ 71/174 oder SZ 74/15, zuletzt OGH 8 Ob 107/06b).

Davon zu unterscheiden ist die Annahme einer unmittelbaren Wirkung gegenüber dem Staat. Diese kommt aber nur unter den Voraussetzungen, dass die Richtlinien individuell ausreichend bestimmte Ansprüche gegen den „Staat" normiert und nicht fristgerecht umgesetzt wurde, in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0111917 mzwN zuletzt etwa 8 ObS 29/05f). Der Durchgriff auf eine Bestimmung einer noch nicht im österreichischen Recht umgesetzten Richtlinie während des Laufs der Umsetzungsfrist ist ausgeschlossen (vgl RIS-Justiz RS0111917, 6 Nc 3/06b). Genau das wurde aber von den Vorinstanzen - auch - angenommen. Dafür fehlt es hier aber schon deshalb an den Grundlagen, weil die Änderungsrichtlinie zur Insolvenzrichtlinie 2002/74/EG nach deren Art 2 Abs 1 bis zum 8. 10. 2005 umzusetzen war, die hier maßgeblichen Ansprüche im Konkursverfahren aber bereits davor entstanden sind.

Es hat daher für den vorliegenden Fall noch bei der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu bleiben, wonach auch dann, wenn ein Organmitglied abberufen wird, dessen bisheriger Anstellungsvertrag aber mangels Koppelung mit der Abberufung noch aufrecht ist, von einer relevanten Neubegründung eines Angestelltenverhältnisses nicht gesprochen werden kann und die Ausschlussbestimmung des § 1 Abs 6 Z 2 IESG zum Tragen kommt (vgl in diesem Sinne RIS-Justiz RS0077312 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zuletzt etwa OGH 8 ObS 9/04p, 8 ObS 21/05d; RIS-Justiz RS0076988 oder RIS-Justiz RS0101987). Dies hat gerade für den vorliegenden Fall zu gelten, in dem das „Beschäftigungsverhältnis" erst während der Zeit als Gesellschafterin und Geschäftsführerin begründet wurde und danach zum nächstmöglichen Termin aufgelöst wurde. Es war daher der Revision der Beklagten Folge zu geben und die Klage abzuweisen. Im Hinblick auf die doch komplexe europarechtliche Rechtslage und die nunmehrige Erfassung vergleichbarer Ansprüche sowie die komplexen Übergangsregelungen war jedoch ein Kostenersatzanspruch nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG von 1.000 EUR zuzüglich USt nach Billigkeit zuzuerkennen.

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