OGH 8ObS199/97s

OGH8ObS199/97s7.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Johann Meisterhofer und Mag.Christa Marischka als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gabriela G*****, vertreten durch Dr.Rudolf Jirovec, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Wien, Niederösterreich und Burgenland, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse S 209.547,45 sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.April 1997, GZ 10 Rs 81/97y-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16.Jänner 1997, GZ 13 Cgs 76/96b-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Der Antrag der Klägerin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 177 EGV wird zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit März 1991 Angestellte einer Spedition (GmbH & Co KG) und Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH vom 9.11.1993 bis 12.4.1994. Am 22.7.1994 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über die GmbH und die GmbH & Co KG abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete am 30.9.1994.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Betrag von S 241.383,73 netto sA Insolvenz-Ausfallgeld zu und wies ein Mehrbegehren von S 86.208,51 netto sA (teilrechtskräftig) ab. Über Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht dieses Urteil ab, und sprach der Klägerin lediglich Insolvenz-Ausfallgeld von S 16.162,82 samt 4 % Zinsen vom 1.8.1994 bis zum 31.1.1995 zu und wies ein Mehrbegehren von S 311.429,42 sA ab. Weiters erklärte es die Revision für nicht zulässig. In der rechtlichen Begründung führte das Berufungsgericht aus:

"Keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld haben gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG die Mitglieder des Organes einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. Von diesem Ausschließungstatbestand sind auch die Organmitglieder der Komplementärgesellschaft einer GesmbH & Co KG erfaßt (SZ 64/124 = DRdA 1992, 220).

Auf die rechtlichen und faktischen Einflußmöglichkeiten hinsichtlich der Geschäftsführung oder in bezug auf die Gesellschaft kommt es nicht an (VwGH ÖJZ 1984, 81; SZ 64/124; WBl 1993, 156).

Ob der Anspruchswerber im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch vertretungsbefugtes Organ war, ist dann unerheblich, wenn das Organmitglied nach Abberufung oder Rücktritt nur für kurze Zeit als Angestellter beschäftigt wird, wobei sein bisheriger Anstellungsvertrag aufrecht bleibt. Es liegt in diesem Fall keine relevante Neubegründung eines Angestelltenverhältnisses mit einer von der bisherigen Arbeitsleistung abgrenzbaren Tätigkeit vor. Die Organtätigkeit wirkt bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzung nach dem IESG fort (8 ObS 1018/95; 9 ObS 16/93 = RdW 1994, 151; 9 ObS 21/93 = DRdA 1994, 173).

Richtig ist wohl, daß der Oberste Gerichtshof in den beiden Entscheidungen 9 ObS 16/93 und 9 ObS 21/93 auf die bei einer GmbH relativ leicht zu handhabenden Mißbrauchsmöglichkeiten Bezug nahm; das bedeutet aber nicht, daß in jenen Fällen, in denen ein Rechtsmißbrauch im Zusammenhang mit der Zurücklegung der Organfunktion bzw mit der Abberufung aus dieser nicht nachweisbar ist, eine Fortwirkung der Organfunktion nicht anzunehmen sei. Die Personengruppe der Organmitglieder juristischer Personen ist vom Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld pauschal ausgenommen, ohne daß es auf die faktische und rechtliche Einflußmöglichkeit ankäme (DRdA 1992, 220). Die Gründe, die dazu führten, daß ein Angestellter eine Funktion in einem vertretungsbefugten Organ einer juristischen Person übernimmt, sind daher völlig irrelevant. Ebenso kommt es auf die Gründe, die in der Folge zu seiner Abberufung als Geschäftsführer führen, nicht an.

Durch die Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin per 12.4.1994 konnte daher der gesetzliche Ausschlußtatbestand nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG nicht mehr beseitigt werden.

Letztlich ist noch darauf zu verweisen, daß die Kündigung des Dienstverhältnisses nach der Aktenlage am 9.5.1994 (ON 1, AS 3) erfolgte, und nicht wie das Erstgericht feststellte, am 9.4.1994.

Aus den obenstehenden Ausführungen ergibt sich, daß die Ansprüche der Klägerin für den Zeitraum nach ihrer Abberufung als Geschäftsführerin nicht gesichert sind.

Nur die Ansprüche der Klägerin aus der Zeit vor ihrer Bestellung zur Geschäftsführerin bestehen zu Recht. Dabei handelt es sich um das Gehalt vom 1.11. bis zum 8.11.1993 in der Höhe von S 4.579,31, und die anteilige Weihnachtsremuneration für die Zeit vom 1.1. bis zum 8.11.1993 in der Höhe von S 15.621,77. Davon ist die Zahlung von S 4.038,26 in Abzug zu bringen, sodaß ein Betrag von S 16.162,82 verbleibt."

Weiters erklärte das Berufungsgericht die Revision für nicht zulässig, weil eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht vorliege. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes stehe in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (9 ObS 16/93, 9 ObS 21/93, 8 ObS 1018/95).

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Berufungsurteil abzuändern und der Klägerin S 225.710,27 netto sA Insolvenz-Ausfallgeld zuzusprechen. Hilfsweise wird beantragt, das Verfahren zu unterbrechen und den Europäischen Gerichtshof gemäß Art 177 EGV zur Vorabentscheidung anzurufen und nach Durchführung dieses Verfahrens das Urteil erster Instanz wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt, die Revision und den Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage der Richtlinien-Konformität des Ausschlusses einzelner Anspruchsberechtigter aus dem Kreise der Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20.10.1980 bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht Stellung genommen wurde.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Gemäß Art 1 Abs 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Ansprüche bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern wegen der besonderen Art des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnahmsweise ausschließen. Österreich hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und bei seinem Beitritt zur Europäischen Union (BGBl 45/1995) gemäß Artikel 29 der Beitrittsakte (die in Anhang I aufgeführten Rechtsakte sind Gegenstand der in jenem Anhang festgelegten Anpassungen) folgenden Vorbehalt gemacht:

D. Arbeitsrecht

Folgende Einträge werden im Anhang, Abschnitt I ("Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis besonderer Art") eingefügt:

"F.Österreich

1. Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zu deren gesetzlichen Vertretung berufen ist,

2. Gesellschafter, die befugt sind, einen beherrschenden Einfluß auf die Gesellschaft auszuüben, auch wenn dieser auf einer treuhändigen Verfügung beruht" (BGBl 45/1995 S 2291 idF der Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt, BGBl 680/1996, S 4679 Z 2 lit l). Gleichlautend ist auch dieser Vorbehalt der Republik Österreich im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 241 vom 29.8.1994, S 115, enthalten. Da im österreichischen Vorbehalt zu Art 1 Abs 2 der Richtlinie ebenso wie im wortgleichen § 1 Abs 6 Z 2 IESG weder auf die konkreten Mißbrauchsmöglichkeiten der Organe noch gar auf einen konkreten Mißbrauch der Insolvenzentgeltsicherung abgestellt wird und auch die in § 1 Abs 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis, bestimmte Arbeitsverhältnisse wegen ihrer besonderen Art generell von der Insolvenzentgeltsicherung auszunehmen, nicht davon abhängig gemacht wird, daß im Einzelfall ein Mißbrauch vorliegt (und erwiesen wird), sondern auf die ganz allgemein bei einer bestimmten Art von Arbeitsverhältnissen gegebenen Mißbrauchsmöglichkeiten abgestellt wird, kann den Ausführungen, bei offensichtlich nicht gegebenem Mißbrauch sei die Anwendung der Ausnahmsregelung nicht richtlinienkonform, nicht beigepflichtet werden. Diese Auslegung von Art 1 Abs 2 der Richtlinie wird noch dadurch bestätigt, daß Art 10 der Richtlinie die Mitgliedstaaten ganz allgemein ermächtigt, die zur Vermeidung von Mißbräuchen notwendigen Maßnahmen zu treffen und die vorgesehene Sicherung abzulehnen oder einzuschränken, wenn sich herausstellt, daß die Erfüllung der Verpflichtung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist. Durch diese Bestimmung wird anders als durch Art 1 Abs 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten eine Regelungsbefugnis lediglich zum Zweck der Vermeidung von Mißbräuchen, insbesondere durch eine Kollusion zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eingeräumt.

Im übrigen kann gerade im vorliegenden Fall - die Klägerin heiratete in der Folge den Alleingesellschafter der insolventen Arbeitgeberin - die bei Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit und wenige Monate vor Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens erfolgte Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin entgegen der Behauptung der Revisionswerberin keineswegs als "offenbarer Nichtmißbrauch" der Insolvenzentgeltsicherung angesehen werden, sondern ist der vorliegende Fall eher ein Beispiel für die Sachgerechtigkeit des in § 1 Abs 6 Z 2 IESG normierten generellen Ausschlusses.

Damit ist die Richtlinienkonformität von § 1 Abs 6 Z 2 IESG gegeben. Der Umstand, daß an der Richtlinienkonformität von Z 3 dieser Gesetzesstelle hinsichtlich der Ausnahme der leitenden Angestellten (vgl dazu Lechner, Leitende Angestellte und Insolvenz-Ausfallgeld, ZIK 1995, 103) Zweifel geäußert wurden, wirkt sich hinsichtlich der Organmitglieder aber nicht aus. Im Sinne der acte clair-Theorie (vgl EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs 283/81, Slg 1982, 3415 = NJW 1983, 1257) besteht keine Veranlassung ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, weshalb dieser Antrag - nach dem Vorbild von Art 89 B-VG (vgl SSV-NF 6/51; 8 ObS 27, 28/94) - zurückzuweisen ist (vgl SZ 68/249 = DRdA 1996/43, 412).

Nach ständiger Rechtsprechung besteht für Organmitglieder - auch nach

Abberufung oder Rücktritt derselben vor Konkurseröffnung - kein

Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld (WBl 1994, 24 = RdW 1994, 151;

DRdA 1994, 173; 8 ObS 1018/95 = RdW 1997, 32; zuletzt 8 ObS

2309/96h).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; besonderer Billigkeitsgründe für einen Kostenzuspruch trotz Unterliegens sind nicht gegeben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte