OGH 4Ob211/07v

OGH4Ob211/07v11.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* Versicherung AG, *, vertreten durch Dr. Michael Brunner und Dr. Elmar Reinitzer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Margit R*, vertreten durch Dr. Karin Metz, Rechtsanwältin in Wien, wegen 12.776,34 EUR sA und Feststellung (Streitwert insgesamt 17.776,34 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7. September 2007, GZ 5 R 125/07z‑12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2007:E86057

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

 

1. Die damals neunjährige Tochter der Beklagten war in einem „Familienhotel" in eine Glasschiebetür gelaufen und hatte sich dabei schwer verletzt. Die Tür stand normalerweise offen, im geschlossenen Zustand war sie für Kinder aufgrund der Lichtverhältnisse nur schwer erkennbar. Zudem war sie nicht aus Sicherheitsglas gefertigt.

In einem Vorprozess wurde der Reiseveranstalter zur Leistung von Schadenersatz verurteilt. Nach Auffassung des dortigen Erstgerichts hätte die Beklagte ihre Tochter zwar vor den besonderen Gefahren der Tür warnen müssen; das sei aber unerheblich, da ein Verschulden des gesetzlichen Vertreters dem Kind nicht als Mitverschulden zugerechnet werden könne. Der Beklagten war in diesem Verfahren der Streit verkündet worden, sie hatte sich daran aber nur als Vertreterin ihrer Tochter beteiligt.

Im hier zu beurteilenden Regressprozess verlangt die Haftpflichtversicherung des Reiseveranstalters von der Beklagten die Hälfte des Schadenersatzes, den sie dem Kind aufgrund des Urteils im Vorprozess geleistet hat; damit verbindet sie ein (wohl irrtümlich nicht auf die Hälfte beschränktes) Feststellungsbegehren. Die Beklagte treffe ein Verschulden am Schadenseintritt, da sie ihre Tochter nicht vor der Gefahrenquelle gewarnt habe. Zufolge Streitverkündung sei die Beklagte an das Ergebnis des Vorprozesses gebunden, wonach sie ihre Aufsichtspflicht verletzt habe.

Die Vorinstanzen verneinten sowohl eine Bindungswirkung als auch eine Aufsichtspflichtverletzung und wiesen die Klage daher ab. Dagegen richtet sich eine außerordentliche Revision der Klägerin, die die Missachtung der Bindungswirkung und das Fehlen von Rechtsprechung zur Aufsichtspflicht von Eltern in einem Hotel geltend macht.

Rechtliche Beurteilung

2. Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren soweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand (1 Ob 2123/96d = SZ 70/60; RIS‑Justiz RS0107338).

Die aufgrund dieser Rechtsprechung eine Bindung annehmende Revision der Klägerin übersieht, dass schon das Berufungsgericht eine ebenfalls darauf gestützte Nichtigkeitsberufung verworfen hat, woran der Oberste Gerichtshof gebunden ist (RIS‑Justiz RS0039226, vgl auch RS0043405). Zudem verkennt sie, dass die (rechtliche) Beurteilung des Verhaltens der Mutter keinerlei Auswirkungen auf den Ausgang des Vorprozesses hatte. Für ein allfälliges Mitverschulden der Tochter wäre es im Vorprozess zwar möglicherweise relevant gewesen, ob die Mutter sie vor der Tür gewarnt hatte. In beiden Verfahren war aber unstrittig, dass das nicht der Fall gewesen war. Die Entscheidungen beruhen daher in diesem Punkt ohnehin auf derselben Sachverhaltsgrundlage. Eine im Vorprozess ohne Notwendigkeit geäußerte Rechtsmeinung zur Aufsichtspflicht der Mutter kann nach der dargestellten Rechtsprechung keinesfalls Bindungswirkung entfalten.

3. Ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt, hängt - auch bei einem Hotelaufenthalt - von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0027323 [T4]) und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (7 Ob 251/06x = FamZ 2007, 73). Die Auffassung der Vorinstanzen, dass Eltern in einem Kinderhotel nicht auf die Suche nach möglichen Gefahrenquellen gehen müssen, ist alles andere als unvertretbar.

Stichworte