Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen. Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Streitteile sind Pharmaunternehmen und vertreiben (ua) orale Kontrazeptiva („Pille"). Im Jahr 2006 bewarb die Beklagte in Fachzeitschriften ein bestimmtes Kontrazeptivum, das in Österreich am 12. April 2006 zugelassen worden war. Im Revisionsrekursverfahren strittig sind noch folgende Werbeaussagen, die sich ausschließlich an ein Fachpublikum richteten und blickfangartig herausgestellt waren:
Unbeschwerte Zyklen bzw keine Zwischenblutungen
positiver Effekt auf Haut und Haare
keine Libidoveränderungen
stimmungsaufhellend
Dazu verwies die Beklagte in Fußnoten, die teilweise wegen der geringen Schriftgröße kaum lesbar waren, auf Fachartikel, die Mitarbeiter ihres Mutterunternehmens verfasst hatten. Es handelte sich dabei nicht um Ergebnisse klinischer Prüfungen iSv § 2a Abs 1 AMG, wie sie nach § 9a AMG einem Zulassungsantrag beizufügen wären, sondern von Anwendungsbeobachtungen iSv § 2a Abs 3 AMG. Dass die Artikel einer „Peer-Review", dh einer unabhängigen Überprüfung durch Fachkollegen, unterzogen worden wären, steht nicht fest.
Die Fachinformation zum Kontrazeptivum nennt die strittigen (positiven) Wirkungen nicht, wohl aber folgende - „sehr häufige" bis „gelegentliche" - Nebenwirkungen:
Zwischen- und Schmierblutungen (mehr als 20 %)
Akne (zwischen 1 % und 10 %)
Haarausfall (zwischen 0,1 % und 1 %)
Libidoveränderungen (zwischen 0,1 % und 1 %)
Depressive Verstimmungen (zwischen 1 % und 10 %)
Die Klägerin begehrt, soweit im Revisionsrekursverfahren noch relevant, das Verbot der oben genannten Werbeaussagen. Sie verstießen einerseits in unvertretbarer Weise (§ 1 UWG) gegen § 50a Abs 3 Z 3 AMG, da sie nicht mit den Angaben der Fachinformation vereinbar seien. Zum anderen seien sie unrichtig, zumindest aber nicht ausreichend wissenschaftlich belegt iSv § 6 Abs 3 AMG. Bloße Anwendungsbeobachtungen reichten dafür nicht aus. Die Werbung sei daher auch zur Irreführung der angesprochenen Kreise geeignet (§ 2 UWG).
Die Beklagte hält dem entgegen, dass sich die Werbeaussagen nur an Fachkreise gerichtet hätten. Maßgebend sei daher deren Verkehrsauffassung. Da es sich dabei hauptsächlich um Fachärzte handle, die mit den in Fußnoten zitierten wissenschaftlichen Publikationen vertraut seien, bestehe weder die Gefahr einer Irreführung noch einer Beeinflussung. Anwendungsbeobachtungen seien grundsätzlich aussagekräftige Instrumente zur Beurteilung von Arzneimittelwirkungen. Im konkreten Fall würden die angewandten Methoden und das Design der Untersuchung offen gelegt; diese hätten „den gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Arzneimittelgesetzes und den Qualitätsstandards der deutschen Gesundheitsbehörde" entsprochen und seien mit Zustimmung der „lokalen Ethikkommission" durchgeführt worden. Aus der Anwendungsbeobachtung ergebe sich ein drastischer „Nebenwirkungsrückgang" auf „asymptotisch Null". Es gehöre zum gynäkologisch-fachärztlichen Allgemeinwissen, dass bei allen oralen Kontrazeptiva irreguläre Blutungen, insbesondere in den ersten Einnahmezyklen, auftreten könnten. Darauf werde auch in der Fachinformation unter der Überschrift „Beeinflussung der Zyklusstabilität" hingewiesen. Aufgrund des „drastischen Nebenwirkungsrückgangs" sei die Formulierung „unbeschwerte Zyklen" dennoch nachvollziehbar begründet. Auch die Aussage „positiver Effekt auf Haut und Haare" ergebe sich statistisch signifikant aus den Anwendungsstudien. Gleiches gelte für die Formulierungen „keine Libidoveränderungen" und „stimmungsaufhellend". Damit seien alle Werbeaussagen hinreichend fachlich gedeckt.
Ein Widerspruch zur Fachinformation liege nicht vor, da sich die Daten für das Kontrazeptivum aufgrund neuerer Beobachtungen verbessert hätten. Nachweislich bessere tatsächliche Daten über die Eigenschaften des Arzneimittels könnten auch nicht irreführend sein. Die Darstellungsform sei gewählt worden, um den verschreibenden Ärzten entsprechend den Intentionen des § 50a Abs 3 AMG die Gelegenheit zu geben, sich persönlich ein Bild vom therapeutischen Wert des beworbenen Arzneimittels zu machen. Die Anwendungsbeobachtungen stünden jedem Arzt in anerkannten Datenbanken zur Verfügung. Irreführungsgefahr sei daher ausgeschlossen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag im noch strittigen Umfang ab. Ärzte wüssten aufgrund ihrer Ausbildung, dass Medikamente, insbesondere solche, die massiv in den Hormonhaushalt des Körpers eingriffen, unterschiedlich gut vertragen würden und bei verschiedenen Menschen auch verschiedene Wirkungen und Nebenwirkungen haben könnten. Es sei ihnen daher bewusst, dass es neben den positiven Wirkungen eines oralen Kontrazeptivums auch Nebenwirkungen gebe, die die positiven Wirkungen bei einem bestimmten Patientenkreis konterkarierten oder nicht eintreten ließen. Die angesprochenen Kreise fassten die Aussagen zu Zyklusstabilität, den Effekten auf Haut und Haar, (keiner) Libido-Veränderung und stimmungsaufhellender Wirkung nicht als Behauptung einer „allgemein und jederzeit eintretenden" Wirkung auf. Durch die Anwendungsbeobachtungen sei bescheinigt, dass die strittigen Werbeaussagen - „auf ihren Kern reduziert" - für einen Großteil der Patientinnen zuträfen. Damit sei die Wahrheit der (so verstandenen) Aussagen bescheinigt.
Das Rekursgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei.
Zwar habe auch die Beklagte nicht behauptet, dass sich ihre Werbeaussagen auf klinische Prüfungen ieS stützten. Die Fachartikel über die positiven Wirkungen des Kontrazeptivums genügten jedoch zur Bescheinigung von deren Richtigkeit. Dennoch habe die Beklagte nicht mit gutem Grund annehmen können, ihre Werbung verstoße nicht gegen die einschlägigen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes. Ebenso wie bei der Irreführungseignung einer Arzneimittelwerbung sei hier ein strenger Maßstab anzulegen. Zwar sei für die im Jahr 2006 verteilte Werbung zufolge § 95 Abs 8c AMG iVm § 94c Abs 14 AMG noch § 50 AMG idF vor dem BG BGBl I 153/2005 maßgebend. Danach dürfe Arzneimittelwerbung ua mit der Fachinformation nicht „im Widerspruch" stehen. Das stimme allerdings in der Sache mit § 50a AMG idgF überein, wonach die Werbung mit der Fachinformation „vereinbar" sein müsse. Die strittigen Werbeaussagen seien zwar „in ihrem Kernbereich" wahr. Sie stünden jedoch mit den in der Fachinformation unter „Nebenwirkungen" angeführten gegenteiligen Effekten in einem klaren Widerspruch. Das gelte auch angesichts des Umstands, dass die angesprochenen Fachkreise durchaus im Stande seien, diesen Widerspruch „aufzulösen" und die Werbeaussagen dahin zu verstehen, dass die in der Fachinformation genannten Nebenwirkungen auftreten könnten, beim überwiegenden Anteil der Patientinnen jedoch (gegenteilige) positive Effekte einträten.
Nach dem Verhaltenskodex der PHARMIG sei die Werbung - strenger als nach § 50a AMG - auf die zugelassenen Indikationen beschränkt. Eine rein wissenschaftliche Information über Forschungsergebnisse sei zwar zulässig. Im vorliegenden Fall habe aber der zuständige Fachausschuss der PHARMIG bereits festgestellt, dass (auch) die noch strittigen Werbeaussagen gegen den Verhaltenskodex verstießen. Die Beklagte könne daher nicht (mehr) mit guten Gründen an ihrer gegenteiligen Auffassung festhalten. Zudem habe die beanstandete Werbung durch das schlagwortartige Herausheben der positiven Wirkungen nichts mehr mit einer rein wissenschaftlichen Information über Forschungsergebnisse zu tun.
Selbst wenn man einen Verstoß gegen § 50 Abs 2 Z 3 AMG aF (bzw § 50a Abs 3 Z 3 AMG idgF), also einen sachlichen Widerspruch zur Fachinformation, verneinen wollte, müssten die beanstandeten Werbeaussagen zumindest als irreführend iSd § 2 UWG beurteilt werden. § 6 Abs 2 AMG untersage Angaben, die nicht den Tatsachen entsprächen oder zur Irreführung geeignet seien. Eine Irreführung liege nach § 6 Abs 3 Z 1 AMG insbesondere dann vor, wenn dem Arzneimittel eine Wirksamkeit beigemessen werde, die nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis oder nach den praktischen Erfahrungen nicht hinreichend belegt sei. Da hier ausdrücklich auch „praktische Erfahrungen" genannt seien, um die behauptete Wirksamkeit eines Arzneimittels „hinreichend" zu belegen, könne zwar nicht angenommen werden, dass Aussagen über die Wirksamkeit nur getroffen werden könnten, wenn sie durch eine klinische Untersuchung ieS bestätigt würden. Vielmehr reiche eine (bloße) Anwendungsbeobachtung grundsätzlich aus. § 6 Abs 3 AMG behandle die Frage der Irreführung jedoch nicht abschließend. Die Beklagte habe gegen § 2 UWG verstoßen, weil ein nicht ganz unerheblicher Teil der angesprochenen Ärzte die strittigen Ankündigungen dahin verstehen werde, dass bei der Einnahme des Kontrazeptivums die in der Fachinformation beschriebenen Nebenwirkungen tatsächlich nur seltener einträten.
Die Entscheidung hänge von der Beurteilung einer erheblichen Rechtsfrage iSv § 528 Abs 1 ZPO ab, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen habe, ob
- bei (wahren) Werbeaussagen über positive Wirkungen eines Arzneimittels ein Verstoß gegen § 50 Abs 2 Z 3 AMG aF (bzw § 50a Abs 3 Z 3 idgF) schon dann vorliege, wenn die Fachinformation den gegenteiligen Effekt als mögliche Nebenwirkungen anführe,
- eine (bloße) Anwendungsbeobachtung ausreiche, um die Wirksamkeit eines Arzneimittels iSd § 6 Abs 3 Z 1 AMG „hinreichend" zu belegen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Für die beanstandete Werbung galten noch die Bestimmungen des AMG idF vor dem BGBl I 153/2005. Denn obwohl der mit „Werbebeschränkungen" überschriebene fünfte Abschnitt des Arzneimittelgesetzes idF des BG BGBl I 153/2005, der ua § 50a AMG enthält, nach § 95 Abs 8c AMG schon am 2. Jänner 2006 in Kraft getreten ist, hatte Werbematerial nach § 94c Abs 14 AMG (erst) bis zum 1. Jänner 2007 den neuen Anforderungen zu entsprechen. Damit ist für die im Jahr 2006 verteilte Werbung der Beklagten noch das alte Recht maßgebend. Der Senat hat allerdings bereits klargestellt (4 Ob 58/07v; 4 Ob 78/07k), dass § 50a Abs 3 Z 3 AMG („Werbung für Arzneimittel [...] darf weder Aussagen noch bildliche Darstellungen enthalten, die [...] 3. nicht mit Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation [Zusammenfassung der Produkteigenschaften - SPC] vereinbar sind.") inhaltlich mit dem zuvor geltenden § 50 Abs 2 Z 3 AMG übereinstimmt („Arzneimittelwerbung darf weder Aussagen noch bildliche Darstellungen enthalten, die [...] 3. im Widerspruch zur Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation stehen"). Auf die Frage, ob altes oder neues Recht anwendbar ist, kommt es daher nicht an.
2. Arzneimittelwerbung verstößt nur dann gegen § 50a Abs 3 Z 3 AMG (§ 50 Abs 2 Z 3 AMG aF), wenn sie Angaben enthält, die mit dem Inhalt der Fachinformation im engeren Sinn unvereinbar sind, dh in einem sachlichen Widerspruch dazu stehen (4 Ob 58/07v; 4 Ob 78/07k). Eine (nicht irreführende) Werbung mit Wirkungen, die nicht in der Fachinformation genannt sind, ist daher grundsätzlich zulässig (4 Ob 78/07k). Dabei kommt es nicht darauf an, ob man in Anwendung von § 1 UWG auf die (streng zu prüfende, 4 Ob 58/07v; 4 Ob 78/07k) Vertretbarkeit der diesbezüglichen Rechtsauffassung abstellt oder aber - was die jeweiligen Kläger weder hier noch in 4 Ob 58/07v oder 4 Ob 78/07k anstrebten - als Grundlage des Unterlassungsanspruchs unmittelbar § 85 AMG heranzieht und damit auf Erwägungen zur subjektiven Vorwerfbarkeit überhaupt verzichtet (4 Ob 81/07a).
Dass die beworbenen Wirkungen nicht in der Fachinformation genannt sind, begründet daher noch keinen Verstoß gegen § 50a Abs 3 Z 3 AMG (§ 50 Abs 2 Z 3 AMG aF).
3. Zu prüfen ist allerdings, ob die strittigen Werbeaussagen in einem sachlichen Widerspruch zur Fachinformation stehen. Dafür ist nicht allein der Wortlaut maßgebend, sondern es ist durch Auslegung zu ermitteln, welchen Inhalt Werbung und Fachinformation tatsächlich haben (4 Ob 58/07v).
3.1. Die Beklagte stellt die noch strittigen positiven Wirkungen in der Werbung blickfangartig heraus; der erläuternde und teilweise relativierende Verweis auf die Studien findet sich großteils in kaum lesbaren Fußnoten (vgl die von der Beklagten vorgelegten Beilagen /6 und ./7). Demgegenüber nennt die Fachinformation - teilweise sehr häufige (mehr als 20 %), jedenfalls nicht bloß seltene - Nebenwirkungen, die den beworbenen Wirkungen diametral entgegenstehen. Das Rekursgericht zeigt (wenngleich in Zusammenhang mit der Erörterung der Irreführungseignung) zutreffend auf, dass nicht unerhebliche Teile der angesprochenen Kreise die Werbung dahin verstehen werden, dass die in der Fachinformation beschriebenen Nebenwirkungen tatsächlich nur seltener einträten. Damit legt das Rekursgericht den Inhalt der Werbung zutreffend dar. Denn auch die für die Anwendung von § 50a Abs 3 Z 3 AMG (§ 50 Abs 2 Z 3 AMG aF) erforderliche Auslegung einer Werbeaussage muss sich zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen am Empfängerhorizont orientieren. Dabei ist - wie allgemein im Recht der Arzneinmittelwerbung (RIS-Justiz RS0121785 zur Irreführungseignung; 4 Ob 58/07v und 4 Ob 78/07k zur Vertretbarkeit einer Rechtsansicht) - ein strenger Maßstab anzulegen.
3.2. Anders als vom Revisionsrekurs angenommen handelt es sich dabei um eine Rechtsfrage: Denn die Beurteilung der Wirkung einer Werbeaussage auf die beteiligten Verkehrskreise ist eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen; sie ist eine Tatfrage, wenn das nicht der Fall ist (4 Ob 62/95 = MR 1995, 189 - Österreichs größte Qualitätszeitung; RIS-Justiz RS0039926 T26, T28, T32). Ersteres gilt jedenfalls dann, wenn es nicht auf das inhaltliche Verständnis der betroffenen Fachkreise ankommt, sondern auf die auf diese Kreise ausgeübte psychologische Wirkung (4 Ob 45/97i = ÖBl 1998, 238 - Zocord R).
Was in diesem Zusammenhang „inhaltliches Verständnis" bedeutet, zeigt deutlich 4 Ob 58/07v: Dort war strittig, ob Fachkreise aus der Bezeichnung eines Wirkstoffs als „selektiver PPAR-gamma-Aktivator" ableiteten, dass dieser Wirkstoff zur Behandlung bestimmter Krankheiten geeignet sei. Diese Frage lässt sich selbstverständlich nicht mit den Erfahrungen des täglichen Lebens klären. Demgegenüber ist das Verständnis einer sich pointiert auf Begriffe des Alltagslebens stützenden Werbeaussage (ua unbeschwerte Zyklen; positiver Effekt auf Haut und Haare; stimmungsaufhellende Wirkung) ohne jeden Zweifel einer Beurteilung nach der allgemeinen Lebenserfahrung zugänglich.
3.3. Auch wenn die angesprochenen Kreise - wie die Vorinstanzen annehmen - die Werbung nicht wörtlich nehmen (dh die versprochenen Wirkungen nicht „allgemein und jederzeit" erwarten), steht (zumindest) das oben genannte Verständnis in einem sachlichen Widerspruch zu den Angaben der Fachinformation über die teilweise beträchtliche Häufigkeit von Nebenwirkungen, die den angekündigten Wirkungen diametral entgegenstehen.
Dass ein solcher Widerspruch vorliegt, ergibt sich in Wahrheit auch aus dem Vorbringen der Beklagten. Denn sie verweist darauf, dass ihre Anwendungsbeobachtungen zu nachweislich besseren Daten führten als die der Fachinformation zugrunde liegenden klinischen Studien (AS 69 = ON 3 S 16); diese Studien hätten nur eine beschränkte Aussagekraft, weswegen die Ergebnisse der Anwendungsbeobachtungen die in der Werbung vorgenommenen „Präzisierungen" erforderten (AS 57 = ON 3 S 10); aus der Anwendungsbeobachtung ergebe sich ein drastischer Nebenwirkungsrückgang (gemeint offenkundig: gegenüber der Fachinformation) auf „asymptotisch Null" (AS 59 = ON 3 S 11). Auch die Beklagte sieht daher einen tatsächlichen Widerspruch zwischen ihren Anwendungsbeobachtungen und jenen klinischen Studien, die der Fachinformation zugrunde liegen. Daraus folgt aber auch zwingend ein Widerspruch zwischen den die Anwendungsbeobachtungen schlagwortartig wiedergebenden Werbeaussagen und der Fachinformation selbst.
4. Die Beklagte wendet ein, dass ihre Werbung wahr sei. Die Vorinstanzen nahmen das für ein bestimmtes Verständnis der beanstandeten Aussagen als bescheinigt an. Anders als das Erstgericht hielt das Rekursgericht diesen Umstand aber für unerheblich.
Die Auffassung des Rekursgerichts trifft zu. Sie entspricht nicht nur dem Wortlaut von § 50a Abs 3 Z 3 AMG, der nur auf die Vereinbarkeit zwischen Werbung und Fachinformation abstellt, nicht aber (auch) auf die sachliche Richtigkeit der Werbung. Auch der Zweck und die systematische Stellung der Bestimmung sprechen für dieses Verständnis.
4.1. Die Fachinformation soll Ärzten, Pharmazeuten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe (§ 15 Abs 1 AMG, § 10 Abs 1 AMG aF) jene Informationen bieten, die sie für die Verschreibung oder Abgabe der dokumentierten Arzneispezialität benötigen (4 Ob 58/07v). Dafür muss sie einen gesicherten, dh im Zulassungsverfahren dokumentierten und geprüften Inhalt haben. Die Werbebeschränkung des § 50a Abs 3 Z 3 AMG (§ 50 Abs 2 Z 3 AMG aF) soll (auch) verhindern, dass die Fachinformation als sichere Grundlage für die Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln und damit auch das Zulassungsverfahren selbst durch eine damit nicht vereinbare Werbung relativiert wird. Daher kann es nicht auf die allfällige Richtigkeit (eines bestimmten Verständnisses) der Werbung ankommen. Soweit ein Widerspruch mit der Fachinformation vorliegt, sollen wissenschaftlich strittige Fragen nach der Wertung des Gesetzes gerade nicht im Wettbewerbsprozess geklärt werden. Vielmehr muss der Werbende zunächst eine Änderung der Fachinformation erwirken.
4.2. Dieses Auslegungsergebnis folgt auch aus systematischen Erwägungen. Wäre die inhaltliche Richtigkeit der Werbung maßgebend, verlöre § 50a Abs 3 Z 3 AMG (§ 50 Abs 2 Z 3 AMG aF) seine eigenständige, durch das besondere Gewicht des damit geschützten Rechtsguts (der Gesundheit der Patienten) begründete Bedeutung. Denn dass sachlich unrichtige Werbung unzulässig ist, ergibt sich schon aus § 2 UWG und - konkretisiert - aus § 6 AMG. Die Sonderbestimmung zur Vereinbarkeit mit der Fachinformation muss daher einen darüber hinausgehenden Inhalt haben.
4.3. Der im Revisionsrekurs genannte § 24 Abs 4 Z 3 AMG widerlegt diese Auffassung in keiner Weise. Danach bedürfen (ua) Änderungen der Fachinformation (ua) in Bezug auf Nebenwirkungen der „Zustimmung durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, es sei denn, diese Änderungen [...] sind ausschließlich im Hinblick auf eine verbesserte Produktsicherheit erforderlich." Solcherart „erforderlich" sind Änderungen aber nur dann, wenn Nebenwirkungen festgestellt werden, die in der Fachinformation nicht oder nur in geringerem Ausmaß genannt sind. Hingegen ist die Produktsicherheit nicht berührt, wenn - wie hier - in klinischen Studien festgestellte und daher in die Fachinformation aufgenommene Nebenwirkungen nach neueren Erkenntnissen nicht oder nur in geringerem Ausmaß auftreten.
Einen ähnlichen Schutzzweck hat der im Revisionsrekurs ebenfalls genannte § 75b Abs 6 AMG. Danach hat der Zulassungsinhaber die Anwender und Apotheker unverzüglich davon in Kenntnis zu setzen, wenn auf Grund von „Meldungen über Nebenwirkungen" wesentliche Änderungen im Hinblick auf die „für die Sicherheit der Arzneispezialität bedeutenden Angaben" ua in der Fachinformation erfolgen. Für die hier zu beurteilende Situation ist diese Bestimmung schon deswegen irrelevant, weil sie an der Änderung der Fachinformation und nicht an neuen tatsächlichen Erkenntnissen anknüpft. Zudem dient sie ebenfalls nur dem Aufrechterhalten der Produktsicherheit bei einem Auftreten von Nebenwirkungen, die in der (früheren) Fachinformation nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt waren. Eine Unvereinbarkeit zwischen einer Werbeaussage und einer für den Werbenden nachteiligeren Fachinformation kann auch sie nicht rechtfertigen.
4.4. Diese Erwägungen sind wie folgt zusammenzufassen: Bei Prüfung der Frage, ob eine Arzneimittelwerbung mit der Kennzeichnung, Gebrauchsinformation oder Fachinformation vereinbar ist (§ 50a Abs 3 Z 3 AMG), kommt es auf den Wahrheitsgehalt der Werbung nicht an.
5. Soweit sich der Revisionsrekurs auf die angeblich fehlende Eignung der Werbung stützt, eine spürbare Nachfrageverlagerung zu bewirken, fehlt es an erstinstanzlichem Vorbringen. Diese Argumentation läuft zudem darauf hinaus, dass die beanstandete Werbung ohnehin wirkungslos sei. Dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt.
6. Der Unterlassungsanspruch ist damit schon nach § 50a Abs 3 Z 3 AMG (§ 50 Abs 2 Z 3 AMG aF) iVm § 1 UWG bzw § 85 AMG begründet. Auf die weitere Frage, ob eine (bloße) Anwendungsbeobachtung die Wirksamkeit eines Arzneimittels iSd § 6 Abs 3 Z 1 AMG „hinreichend" belegen kann, kommt es daher nicht an. Ebenso unerheblich ist die wettbewerbsrechtliche Bedeutung eines möglichen Verstoßes gegen den Verhaltenskodex der PHARMIG. Diese Fragen sind daher nicht weiter zu erörtern.
7. Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)