OGH 2Ob164/07t

OGH2Ob164/07t18.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Patrick F*****, vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. Elisabeth F*****, vertreten durch Dr. Erich Ehn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. Mai 2007, GZ 45 R 8/07w-36, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29. September 2006, GZ 3 C 194/03k-27, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 21. 12. 1987 geschlossenen Ehe entstammen drei Kinder, geboren am 29. 5. 1992, 1. 4. 1995 und 6. 9. 1996. Die Ehe wurde im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 5. 1. 2005 rechtskräftig gemäß § 55 Abs 1 EheG geschieden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr der von der Beklagten begehrte Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG. Die Familie lebte bis zum Auszug des Klägers im Dezember 1998 gemeinsam in einer 113 m² großen Dreizimmerwohnung, die dem als Psychiater berufstätigen Kläger keine Möglichkeit bot, sich in Ruhe zur Arbeit zurückzuziehen. Die beklagte Ehefrau war neben ihrer Tätigkeit an der Hochschule für angewandte Kunst mit der Betreuung der Kinder befasst. Wegen der für fünf Personen „beengten" Raumsituation und der nervlichen Belastungen der Streitteile kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten, die den Eindruck gewannen, dass sie vom jeweils anderen keine Unterstützung oder kein Verständnis bekamen. Beide Streitteile waren nicht in der Lage, die Probleme des anderen zu erkennen und entsprechend Verständnis dafür aufzubringen.

Ab 1998 hatte der Kläger an einem großen Projekt im Rahmen des Fonds für wissenschaftliche Forschung zu arbeiten. Um in Ruhe arbeiten zu können und die umfangreichen Unterlagen unterzubringen, nahm er sich eine „Arbeitswohnung". Die Anmietung erfolgte auch im Hinblick auf den angegriffenen Zustand des Klägers, der am 20. 12. 1998 zur Gänze in diese Wohnung zog, weil er trotz Inanspruchnahme von professioneller Hilfe an Weinkrämpfen litt und nicht mehr schlafen konnte („Burn-out-Syndrom"). Er konnte deswegen seiner Berufstätigkeit nicht nachgehen. Die Beklagte hatte zwar Verständnis für den Wunsch des Klägers, in Ruhe arbeiten zu können, nicht aber für den gänzlichen Auszug. Sie meinte, der Kläger solle sich zusammenreißen. Seine Schwiegereltern hatten damals mehr Verständnis für den Zustand des Klägers als seine Gattin, was ihn kränkte. Er teilte der Beklagten zunächst nicht mit, wo die Wohnung gelegen sei und wie seine Telefonnummer lautete. Anfang 1999 ließ der Kläger der Beklagten über die Kinder seine Anschrift und Telefonnummer mitteilen.

Im Nachhinein erkannte der Kläger, dass auch die Beklagte unter einer hohen Belastung litt, weil sie mit der Betreuung der drei Kinder unter Stress stand und der Situation, die sich durch seine Erkrankung ergab, hilflos gegenüberstand. Von 1999 bis 2002 kam es zu insgesamt drei Mediationen. Der Kläger erwartete sich von dieser Maßnahme die einvernehmliche Regelung der Kinderbetreuung und des Tageslaufes, in der Folge auch der Trennung bzw Scheidung, während die Beklagte sich zunächst eine Wiederannäherung und ein Zusammenbleiben erhoffte. Die zwischen 25. 3. 1999 und 16. 6. 2000 geführten zwanzig Sitzungen einer Paartherapie brachten kein positives Ergebnis in dem Sinn, dass beide Parteien die Ehe fortsetzen wollten. Der Kläger wollte sich von der Beklagten trennen und sah die Fortsetzung der Ehe nur mehr als „utopisch".

Im Dezember 2000 erwarb die Beklagte ein Haus, in das sie in der Folge gemeinsam mit den drei Kindern einzog. Zu diesem Zeitpunkt war ihr klar, dass der Kläger nicht zu ihr zurückkommen und gemeinsam mit ihr wohnen wollte. Im Rahmen der Mediation war 2001 vereinbart worden, dass der Kläger in die ehemalige Ehewohnung zurückkehren sollte. Die Beklagte zog jedoch zunächst trotz gegenteiliger Zusage nicht aus. Dies störte den Kläger, weil er den Eindruck hatte, dass die Beklagte sowohl das Haus als auch die Wohnung haben wollte. Im Frühjahr 2002 verschlechterte sich der psychische Gesundheitszustand des Klägers so sehr, dass er selbstmordgefährdet war und eine stationäre Behandlung benötigte. Grund für diesen psychischen Zusammenbruch war zum Teil auch, dass es über einen längeren Zeitraum nicht zum Abschluss der Trennung und der Regelung der beiderseitigen und gemeinsamen Interessen gekommen war. Mit 1. 1. 2003 nahm der Beklagte eine neue Arbeitsstelle als therapeutischer Leiter einer Anstalt für abnorme Rechtsbrecher an. Eine einvernehmliche Regelung scheiterte. Die Beklagte wollte sich ab Februar 2003 nicht mehr an die im Rahmen der Mediation festgelegten Bedingungen für eine einvernehmliche Scheidung halten. Die Beklagte gründet den begehrten Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG primär auf das grundlose Verlassen der Familie zu Weihnachten 1998. Der Kläger sei ungeachtet der Versöhnungsbereitschaft der Beklagten nicht mehr in die Ehewohnung zurückgekehrt, obwohl er seit Anfang 1999 nicht mehr gesundheitlich beeinträchtigt gewesen sei. Vielmehr habe er nach seinem Auszug einen dreiwöchigen Segeltörn, eine Ausbildung als Fallschirmspringer und den Führerschein gemacht, sich ein Auto und ein Pferd gekauft sowie einen Privatreitlehrer engagiert.

Diesem Vorbringen hielt der Kläger den gegen seinen Willen erfolgten Kauf des Hauses im Jahr 2000 und seine auf die intensiv geführten Auseinandersetzungen zurückzuführende physische und psychische Beeinträchtigung entgegen, weswegen ein weiteres Zusammenleben für ihn unzumutbar gewesen sei.

Das Erstgericht wies ausgehend von dem eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt den Antrag der Beklagten auf Ausspruch des Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe ab. Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es das überwiegende Verschulden des Klägers aussprach. Die ordentliche Revision sei mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die vom Kläger herbeigeführte Trennung von der Familie sowie das daran anschließende Fehlen der Bereitschaft, die häusliche Gemeinschaft mit der Beklagten wiederaufzunehmen, habe die Zerrüttung der Ehe maßgeblich herbeigeführt. Aus den (vom Berufungsgericht nach Erledigung der Tatsachen/Beweisrüge übernommenen) Feststellungen des Erstgerichtes ergebe sich, dass der gesundheitliche Zustand des Klägers nach seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung im Dezember 1998 eine wesentliche Besserung erfahren habe. Erst für das Frühjahr 2002 habe das Erstgericht eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes festgestellt. Den Feststellungen des Erstgerichtes sei in keiner Weise zu entnehmen, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nach seinem Auszug aus der Ehewohnung nicht wieder in der Lage gewesen wäre, die häusliche Gemeinschaft mit der Beklagten aufzunehmen. Der Kläger habe nach seinem Auszug ausschließlich die Trennung bzw Scheidung von der Beklagten gewünscht, während die Beklagte zumindest bis zur Übersiedlung in das neu gekaufte Haus in Rodaun auf eine Rückkehr des Klägers gehofft habe. Das Verhalten der Beklagten, dem Kläger nicht die von ihm erwartete und benötigte Unterstützung zu vermitteln, sei zwar als geringfügiges Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe zu werten. Maßgebend sei aber die dem Auszug folgende Ablehnung des Klägers, die häusliche Gemeinschaft wiederaufzunehmen. Die Ehe der Streitteile sei erst objektiv zerrüttet gewesen, nachdem die Beklagte nach ihrem Umzug nach Rodaun und der erfolglosen Mediation 2001 erkannt habe, dass der Kläger nicht zurückkommen werde. Die außerordentliche Revision des Klägers bekämpft diesen Ausspruch mit dem Abänderungsantrag, den Antrag der Beklagten abzuweisen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil der festgestellte Sachverhalt den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers nicht trägt. Das Rechtsmittel ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen berechtigt. Wird die Ehe wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft geschieden (§ 55 EheG) und hat der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet, so ist dies auf Antrag des Beklagten im Urteil auszusprechen (§ 61 Abs 3 EheG). Bei dem Ausspruch nach der zitierten Gesetzesstelle kommt es nicht darauf an, ob der Kläger einen Scheidungstatbestand verwirklicht hat. Entscheidend ist allein, ob ihm ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist bzw bei beiderseitigem Verschulden, ob seine Schuld deutlich überwiegt (RIS-Justiz RS0057256; Stabentheiner in Rummel II/4³ § 61 EheG Rz 5 mwN). Trifft beide Ehegatten ein Verschulden, muss auch bei einem Ausspruch iSd § 61 Abs 3 EheG ein Verschulden eines der Ehegatten fast völlig in den Hintergrund treten, damit ein überwiegendes Verschulden des anderen Teiles angenommen werden kann (4 Ob 2031/96x = RIS-Justiz RS0057487 [T1]; Stabentheiner aaO mwN). Die außerordentliche Revision des Klägers wertet die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Besserung des gesundheitlichen Zustandes des Klägers nach seinem Auszug als nicht durch die erstgerichtlichen Feststellungen gedeckt und damit als Aktenwidrigkeit sowie als Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 498 Abs 1 ZPO). Zusätzlicher Kritikpunkt ist der vom Berufungsgericht angenommene graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile. Eine gänzliche Vernachlässigung des Verschuldens der Beklagten sei insbesondere aufgrund des psychischen Gesundheitszustandes des Klägers nicht gerechtfertigt. Der Auszug aus der Ehewohnung sei nicht grundlos, sondern aufgrund der Krankheit des Klägers erfolgt, während die Beklagte ihren Gatten nicht unterstützt und sich darauf beschränkt hätte, ihn aufzufordern, sich zusammenzureißen. Tatsächlich lassen die erstgerichtlichen Feststellungen nicht die „e contrario" Interpretation zu, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich nach seinem Auszug soweit gebessert, dass die unterlassene Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft ein - den Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG rechtfertigendes - Verschulden begründet. Vielmehr hat das Erstgericht, dessen Feststellungen das Berufungsgericht übernommen hat, zum Gesundheitszustand des Klägers nach seinem Auszug aus der Ehewohnung bis zu dem für das Jahr 2002 festgestellten psychischen Zusammenbruch mit Suizidgefährdung und stationärer Behandlung keine Feststellungen getroffen. Für die abschließende Beurteilung des Antrages der Beklagten ist aber von wesentlicher Bedeutung, ob dem Kläger die unterlassene Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft als Verschulden anzulasten ist. Dabei kommt dem Gesundheitszustand des Klägers entscheidende Relevanz zu.

Nach seinen Behauptungen sei ihm die Rückkehr in die Ehewohnung aufgrund seiner schlechten psychischen Verfassung in Verbindung mit den zunehmend intensiv geführten Auseinandersetzungen unzumutbar gewesen. Demgegenüber steht die Beklagte auf dem Standpunkt, das behauptete Freizeitverhalten des Klägers nach seinem Auszug zeige deutlich seine fehlende gesundheitliche Beeinträchtigung. Konkrete Feststellungen über den Zustand und das Verhalten des Klägers, insbesondere über die Ursache für die andauernde Trennung nach dem Auszug im Jahr 1998 bis zur eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe sind für die Verschuldensabwägung unumgänglich. Die unheilbare Zerrüttung der Ehe als Beendigung der geistigen, seelischen und körperlichen Gemeinschaft in objektiver Hinsicht und als subjektiver Verlust des Ehewillens (RIS-Justiz RS0056832; 9 Ob 52/03t; Stabentheiner aaO § 49 EheG Rz 17) ist mit der Übersiedlung der Beklagten im Jahr 2001 anzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt war die eheliche und häusliche Gemeinschaft der Ehegatten bereits seit über zwei Jahren beendet; auch der Beklagten war zu diesem Zeitpunkt klar geworden, dass ihre Hoffnung auf eine Rückkehr des Klägers vergeblich war. Da Verfehlungen der Ehegatten nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung in der Regel bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle mehr spielen (RIS-Justiz RS0056939; RS0056921), sind sowohl die weitere Entwicklung der Beziehung der Ehegatten, insbesondere ihr späteres Verhalten im Zusammenhang mit den Mediationen, als auch der psychische Zusammenbruch des Klägers im Jahr 2002 für die Frage der Verschuldensabwägung nicht mehr relevant. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren konkrete Feststellungen zu treffen haben, an welcher Ursache eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft (bis zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe) scheiterte; insbesondere ob die andauernde Trennung auf den schlechten Gesundheitszustand des Klägers oder - entsprechend den detaillierten Behauptungen der Beklagten - auf sein Streben aus der Ehe zurückzuführen war.

Ob das Erstgericht dafür eine Ergänzung des Beweisverfahrens für notwendig hält, bleibt seiner Beurteilung vorbehalten. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Stichworte