OGH 7Ob151/07t

OGH7Ob151/07t17.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert EUR 26.000), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12. April 2007, GZ 5 R 190/06g-36, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 10. August 2006, GZ 10 Cg 52/05k-28, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.315,08 (darin enthalten EUR 219,18 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision für zulässig erklärt, weil die Bedeutung der Frage der Gesetzmäßigkeit der Fassung der vorliegenden Klauseln unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes über den Einzelfall hinausgehe. Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes ist die Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Vorauszuschicken ist, dass hier die seit 1. 1. 2007 in Kraft stehenden Bestimmungen der §§ 174 und 176 VersVG und § 18b VAG in der Fassung des Versicherungsrechts-Änderungsgesetzes (VersRÄG) 2006, BGBl I Nr 95/2006, noch nicht anzuwenden sind (§ 191c Abs 8 VersVG, § 129j Abs 1 VAG).

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit Verbandsklagen befasst, die in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) von Lebensversicherern enthaltene Klauseln zum Gegenstand hatten.

Die vorliegenden Klauseln 1 bis 4 betreffen kapitalbildende (klassische) Lebensversicherungen.

Sie lauten wie folgt:

„Klausel 1:

Der Rückkaufswert entspricht nicht der Summe der bezahlten Prämien. Er errechnet sich wegen des gebotenen Versicherungsschutzes und der angefallenen Kosten nach den hiefür geltenden Vorschriften.

Klausel 2:

Der Rückkaufswert entspricht nicht der Summe der bezahlten Prämien. Der Rückkaufswert bzw die prämienfreie Versicherungssumme errechnet sich wegen des gebotenen Versicherungsschutzes, der angefallenen Kosten und nach Berücksichtigung eines Abschlages auf die tarifliche Deckungsrückstellung nach den tariflichen Grundsätzen. Aufgrund der bei Vertragsabschluss anfallenden Abschlusskosten steht in der ersten Zeit nach Versicherungsbeginn noch kein Rückkaufswert zur Verfügung. Erst in den Folgejahren entwickelt sich ein Rückkaufswert, der durch die notwendige laufende Amortisation der angefallenen Kosten anfangs noch sehr niedrig ist, dann jedoch progressiv ansteigt, bis er zu Vertragsende die vereinbarte garantierte Erlebensleistung (Versicherungssumme) erreicht. Die individuellen vertragsbezogenen Werte entnehmen Sie bitte den besonderen Versicherungsbedingungen (Anhang zur Polizze RP1), die Bestandteil des Vertrages sind.

Klausel 3:

Alle Erklärungen, die wir abgeben, sind ebenfalls nur dann gültig, wenn sie schriftlich erfolgen und firmenmäßig gezeichnet sind.

Klausel 4:

Ihnen gegenüber abgegebene Erklärungen werden wirksam, wenn sie an Ihrer uns bekanntgegebenen Adresse bei Ihrer Anwesenheit zugegangen wären."

Die Klausel 1 entspricht fast wortgleich den jeweiligen Klauseln 1 in den Entscheidungen 7 Ob 131/06z, 7 Ob 140/06y und 7 Ob 173/06a. Sie wurden als intransparent im Sinn von § 6 Abs 3 KSchG und als unwirksam im Sinn der §§ 176 Abs 4 und 173 Abs 3 VersVG erkannt. Da im vorliegenden Fall feststeht, dass die Tabelle keine Angaben zur Höhe des Stornoabschlags enthält (RIS-Justiz RS0121730), kommt es darauf, ob und wann allenfalls die Rückkaufswerttabellen den Versicherungsnehmern zukamen, nicht mehr an. Im Unterlassungsprozess nach § 28 KSchG kann auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Bedingungen ohnehin nicht Rücksicht genommen werden, für eine geltungserhaltende Reduktion ist kein Raum (RIS-Justiz RS0038205).

Die Klausel 2 entspricht, ausgenommen den letzten Satz, im Wesentlichen der Klausel 2 in 7 Ob 131/06z. Es gilt für sie das zu Klausel 1 Ausgeführte. Auch sie konkretisiert den Stornoabschlag nicht ausreichend. Der letzte Satz der Klausel, nämlich der Hinweis auf einen Anhang zur Polizze in der Klausel selbst, lässt daher schon deshalb keine andere Beurteilung zu.

Die Klauseln 3 und 4 entsprechen fast wörtlich den Klauseln 3 und 4 in 7 Ob 131/06z und den Klauseln 2 und 3 in 7 Ob 140/06y und 7 Ob 173/06a.

Die Klauseln 5 bis 9 wurden zu Verträgen vereinbart, die fondsgebundene Lebensversicherungen betreffen.

Sie lauten:

„Klausel 5:

Soweit ihre Prämie nicht zur Deckung der Kosten bestimmt ist, führen wir sie den von Ihnen gewählten Investmentfonds zu, in dem wir Fondsanteile erwerben. Diese bilden die Deckungsrückstellung Ihres Vertrages.

Klausel 6:

Wir entnehmen der Deckungsrückstellung alle anfallenden Kosten und die zur Deckung des Ablebensrisikos bestimmten Risikoprämien. Dies kann dazu führen, dass die Deckungsrückstellung vollständig aufgebraucht wird. In diesem Fall tritt der Vertrag ohne Ansprüche außer Kraft.

Klausel 7:

Die Folgeprämien können nur im Lastschriftverfahren bezahlt werden. Wir buchen sie jeweils bei Fälligkeit von dem uns angegebenen Konto ab. Zahlungen, die auf andere Weise erfolgen, brauchen wir nicht anzunehmen oder können wir binnen 14 Tagen zurückweisen. In diesen Fällen tritt Zahlungsverzug ein.

Klausel 8:

Der Rückkaufswert entspricht nicht der Summe der bezahlten Prämien, sondern bemisst sich an der Deckungsrückstellung abzüglich noch nicht amortisierter Vertragserrichtungskosten und einer Bearbeitungsgebühr von 1 %.

Klausel 9:

Rückkauf und Prämiengleichstellung - Falls Sie Ihren Vertrag kündigen, sind wir verpflichtet, den Rückkaufswert zu erstatten. Sie können auch eine Umwandlung des Vertrages in einen prämienfreien verlangen. Die Mindesttodesfallsumme entfällt sodann. Wir weisen darauf hin, dass der Rückkaufswert innerhalb der ersten 10 Jahre nicht der Summe der einbezahlte Prämien entspricht, sondern sich an der Deckungsrückstellung gemäß nachstehender Tabelle bemisst:

...

Bei Kündigung nach 10 Jahren Prämienzahlungsdauer entspricht unsere Leistung dem Geldwert der Deckungsrückstellung."

Die zu Klausel 9 genannte Tabelle ist gegliedert nach Versicherungsjahren (1-10) und nach Rückkaufswerten, die jeweils der in Jahren ausgedrückten Versicherungsdauer zugeordnet sind und in Prozenten angeführt werden, und zwar für das erste Versicherungsjahr mit 0 %, für das zweite mit 40 % usw, für das zehnte Versicherungsjahr mit 92,5 %.

Soweit die Revisionsausführungen davon ausgehen, dass Modellrechnungen in vollständiger Form stets dem Versicherungsnehmer übergeben worden seien, entfernen sie sich von den Feststellungen. Es konnte nämlich gerade nicht festgestellt werden, dass Modellrechnungen dem Verbraucher stets bei Vertragsabschluss ausgehändigt wurden. Weiters wurde die Modellrechnung nicht als Vertragsgrundlage genannt, und in ihr selbst wurden die angeführten Werte ausdrücklich als unverbindlich bezeichnet.

Die Klauseln 5, 6, 8 und 9 entsprechen im Wesentlichen den Klauseln 1, 2, 7 in 7 Ob 4/07z, der Klausel § 18 Abs 2 in 7 Ob 233/06z, der Klausel 4 in 7 Ob 23/07v und der Klausel 12 in 7 Ob 82/07w. Auch diese Klauseln wurden als nicht dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG entsprechend und auch gegen § 176 Abs 4 VersVG verstoßend erkannt. Aus der in der Klausel enthaltenen Tabelle kann der einzelne Versicherungsnehmer jedenfalls den ihn treffenden Stornoabschlag nicht nachvollziehen.

Es liegt also (nunmehr) hinsichtlich der vorliegenden Klauseln bereits ausreichend oberstgerichtliche Judikatur vor. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen damit im Einklang. Maßgebend für die Frage, ob eine erhebliche Rechtsfrage zur Entscheidung vorliegt, ist der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof (7 Ob 82/07w; RIS-Justiz RS0112921).

Den vorhin zitierten Entscheidungen lag allerdings eine der Klausel 7 entsprechende Bestimmung nicht zugrunde. Die zu § 879 Abs 3 ABGB ergangene Judikatur kann aber auf sie ohne weiteres angewandt werden, sodass auch sie keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft.

Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Abweichen vom dispositiven Recht unter Umständen schon dann eine gröbliche Benachteiligung sein, wenn sich dafür keine sachliche Rechtfertigung ins Treffen führen lässt, jedenfalls aber dann, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (7 Ob 23/07v mwN; RIS-Justiz RS0016914). Die Beurteilung, ob die Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen sachlich gerechtfertigt ist, erfordert damit eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessenabwägung.

Der Oberste Gerichtshof hat zu 4 Ob 50/00g = RIS-Justiz RS0113222 ausgesprochen, dass das Einzugsermächtigungsverfahren für alle Beteiligten grundsätzlich Vorteile biete und es daher noch keine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB sei, wenn der Schuldner zum Ausgleich für die mit der Nichtigerteilung einer Einzugsermächtigung verbundenen Kostennachteile des Gläubigers (Barzahleraufschlag) zu entrichten habe. Eine grobe Benachteiligung des Konsumenten liegt aber ganz eindeutig dann vor, wenn das Lastschriftverfahren - wie durch die Klausel vereinbart - die einzig zulässige Zahlungsart sein soll. Nach Klausel 7 ist die Beklagte nämlich berechtigt, Zahlungen auf andere Art und Weise als dem Einzugsermächtigungsverfahrens nicht anzunehmen und den Versicherungsnehmer in Zahlungsverzug zu setzen. Es kann keinesfalls im Interesse eines Konsumenten liegen, dass Barzahlungen oder Überweisungen, also ganz alltägliche und gebräuchliche Zahlungsarten, zur Gänze ausgeschlossen sind. Der sich dem Versicherungsnehmer bietende Vorteil des Einzugsermächtigungsverfahrens kann nicht bewirken, dass er damit gleichsam „zwangsbeglückt" wird. Wird aber einem Konsumenten ohne sachlichen Grund eine spezielle Zahlungsart dadurch aufgezwungen, dass Leistungen auf andere Art nicht schuldbefreiend sind, so ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass hier eine offenbare gröbliche Benachteiligung zu bejahen ist, nicht zu beanstanden; sie hält sich im Rahmen der Judikatur.

Es wurden also insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

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