Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 2.638,80 EUR (darin 439,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (vgl § 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Rekurs nicht zulässig:
Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es „könnte auch für andere Verfahren von Relevanz sein, ob sich die Eltern der Klägerin - der Vater ist Facharzt - bei Kenntnis im Jahr 2000 von einem möglichen Kausalzusammenhang allgemein zwischen Interferon-Gaben bei Säuglingen und späterer spastischer Diplegie in höherem Ausmaß um die Klärung der Frage der Ursächlichkeit von hohen Interferon-Gaben bei Kleinkindern für spätere Bewegungsstörungen kümmern hätten müssen, als (bloß) die Ergebnisse der Studie, an der die Klägerin selbst teilnahm, abzuwarten".
Die Klägerin leidet jedenfalls seit August 1995 an einer Hypotonie im Rumpfbereich und einer ausgeprägten spastischen Diplegie mit entsprechender Gehbehinderung; seit zumindest dem Jahr 2000 besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass bei der Klägerin neurologische Ausfälle bestehen bleiben. Es handelt sich dabei um die Folgen einer Therapie, die an der Klägerin über Empfehlung der Ärzte der hämato-onkologischen Ambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde G***** zur Behandlung eines Hämangioms (einer kapillaren Wucherung) im Bereich des linken Ohrs und des Kinns ab Herbst 1994 vorgenommen worden war. Rechtsträgerin der Universitätsklinik ist die Beklagte.
Die Klägerin wandte sich, vertreten durch ihre Eltern, am 27. 9. 2005 an die Gemeinsame Schlichtungsstelle der Ärztekammer für die Steiermark, die den Antrag wegen Verjährung abwies. Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 1. 6. 2006 zugestellt. Die vorliegende Schadenersatzklage ist seit 30. 6. 2006 gerichtsanhängig. Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung ab. Das Berufungsgericht verneinte hingegen die Verjährung und trug dem Erstgericht die Prüfung der geltend gemachten Ansprüche auf.
Rechtliche Beurteilung
1. Berufungsgericht und Klägerin setzen den Beginn der Verjährungsfrist erst mit Kenntnis des Vaters von der Studie Dris. Ursula Gruber-Sedlmayr (et alteri) fest, an der die Klägerin selbst teilgenommen hatte; davor hätten die Eltern der Klägerin nur bloße Mutmaßungen über den Kausalzusammenhang zwischen der Interferon-Therapie und den Gesundheitsschäden anstellen können, die jedoch nicht für die Kenntnis aller die Schadenersatzansprüche begründenden Umstände genügt hätten. Diese Studie wurde anlässlich der 28. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie von 4. bis 7. April 2002 vorgestellt und gelangte dem Vater via Internet in der zweiten Hälfte des September 2002 zur Kenntnis.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist für den Beginn der Verjährungsfrist die beklagte Partei beweispflichtig (RIS-Justiz RS0034456); damit gehen auch Unklarheiten im Sachverhalt zu ihren Lasten. Die Klägerin wandte sich am 27. 9. 2005 an die Schlichtungsstelle, somit im Zweifel noch innerhalb von drei Jahren ab festgestellter Kenntnis ihres Vaters von der erwähnten Studie. Gemäß § 58a Abs 1 ÄrzteG bewirkte dieser Antrag die Hemmung der Verjährungsfrist. Da die Klägerin nach Zustellung der abweislichen Entscheidung der Schlichtungsstelle innerhalb eines Monats, somit unverzüglich, die vorliegende Schadenersatzklage beim Erstgericht überreichte (vgl dazu 1 Ob 281/03k = EFSlg 104.794), hat das Berufungsgericht zu Recht eine Verjährung der klägerischen Ansprüche verneint.
2.1. Die Beklagte meint demgegenüber in ihrem Rekurs zunächst, die Verjährungsfrist habe bereits mit Kenntnis des Vaters der Klägerin von den Schreiben Dris. Ursula Gruber-Sedlmayr vom 7. 4. und vom 13. 10. 2000 zu laufen begonnen. Allerdings ist in diesen Schreiben lediglich davon die Rede, nach neuesten internationalen Untersuchungen „erschein[e] es möglich", dass Interferon-Therapien im Säuglingsalter längerfristige neurologische Störungen verursachen „können"; es „schein[e] daher möglich", dass es sich um eine Schädigung des ersten motorischen Neurons durch die Interferon-Therapie im Säuglingsalter handelt. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kausalzusammenhang zwischen der Interferon-Therapie und den Gesundheitsschäden der Klägerin sei „derart vage formuliert", dass er für ihren Vater noch nicht ausreichend festgestanden habe, obwohl er Facharzt für Röntgenologie ist, erscheint daher durchaus vertretbar.
2.2. Die Beklagte wirft den Eltern der Klägerin vor, sie hätten ihrer Nachforschungspflicht nach Kenntnis der Schreiben Dris. Ursula Gruber-Sedlmayr vom 7. 4. und vom 13. 10. 2000 nicht genügt; sie hätten lediglich auf das Vorliegen der Studie gewartet, ohne sich diesbezüglich mit Dr. Ursula Gruber-Sedlmayr in Verbindung zu setzen, ohne sich um neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Literatur zu kümmern und ohne Privatgutachten einzuholen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gilt die Kenntnisnahme des Geschädigten von den maßgeblichen Umständen schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre, wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen hätte können. Dabei ist auf die Umstände des konkreten Falles abzustellen, die Nachforschungspflicht des Geschädigten darf auch nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0034327).
Zur Frage der Verpflichtung des Geschädigten, Privatgutachten einzuholen, wurde zunächst mehrfach die Auffassung vertreten, dies bedeutete jedenfalls eine Überspannung der Nachforschungspflicht
(etwa 6 Ob 273/98k; 7 Ob 242/99k = ecolex 2000/316 [Wilhelm]; 6 Ob
150/00b = ZVR 2002/14). Spätere Entscheidungen teilten diese Auffassung „in dieser Allgemeinheit" nicht; vielmehr komme es auch hier auf die Umstände des Einzelfalls an (etwa 8 Ob 285/00w; 7 Ob 249/01w = ecolex 2002/66 [Helmich]). In jüngerer Zeit wurde jedoch wieder betont, dass nur in besonderen Ausnahmesituationen die Einholung von Sachverständigenrat bis hin zur Einholung von Privatgutachten gefordert werden könne (7 Ob 322/04k). Das Berufungsgericht hat in Kenntnis dieser Rechtsprechung eine Verpflichtung der Eltern der Klägerin verneint, ein Privatgutachten zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der konkreten Interferon-Therapie und den Gesundheitsschäden der Klägerin einzuholen. Es hat darauf verwiesen, dass erst 1999/2000 „medizinisches 'Neuland' hinsichtlich des Zusammenhang[s] zwischen Interferon-Therapie und neurologischen Störungen bei Kindern" betreten wurde, dass wohl auch Privatgutachter zeitintensive Studien hätten durchführen müssen und dass derartige Privatgutachten kostenintensiv gewesen wären. Damit erscheint aber die Auffassung des Berufungsgerichts durchaus vertretbar, dass die Eltern der Klägerin das Vorliegen der Studie Dris. Ursula Gruber-Sedlmayr (et alteri) abwarten durften. Darauf, dass die Eltern der Klägerin sich nicht mit Dr. Ursula Gruber-Sedlmayr in Verbindung setzten, sondern der Vater lediglich mehr oder weniger zufällig im Internet auf deren Studie stieß, hat sich die Beklagte im Berufungsverfahren nicht gestützt; sie kann sich daher auch im Revisionsverfahren nicht darauf berufen. Die Schreiben Dris. Ursula Gruber-Sedlmayr vom 7. 4. und vom 13. 10. 2000 lösten somit entgegen der im Rekurs der Beklagten vertretenen Ansicht weder den Lauf der Verjährungsfrist noch Nachforschungspflichten der Eltern der Klägerin aus.
3. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend die vom Erstgericht angenommene Unschlüssigkeit des Klagebegehrens verneint. Tatsächlich stützt die Klägerin ihren Anspruch (jedenfalls unter anderem) auf die Unkenntnis und Unerfahrenheit der behandelnden Ärzte, was mögliche Nebenwirkungen einer Verabreichung hoher Interferon-Dosen an Säuglinge bzw Kleinkinder betraf, sowie auf mangelnde Aufklärung der Eltern darüber.
4. Zuletzt rügt die Beklagte in ihrem Rekurs noch, das Berufungsgericht habe verschiedene vom Erstgericht getroffene Feststellungen nicht übernommen. Damit greift sie aber die Beweiswürdigung der Vorinstanzen an und übersieht, dass der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.
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