Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Annahme, der Angeklagte Franz K***** habe zu den unter A I. 1. festgestellten Tatsachen die Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG begangen, demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Franz K***** hat durch die zu A I. 1. des Schuldspruches als erwiesen angenommenen Tatsachen das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG begangen und wird hiefür sowie für die nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zur Last liegenden Vergehen unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28 Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren verurteilt.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Schuldspruch des Mitangeklagten Michael P***** enthaltenden Urteil wurde Franz K***** „der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und des Vergehens nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG" (A I. 1.), des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG (A II.) sowie mehrerer Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1, 2 und 4 WaffG (B I., II. 1., und IV) schuldig erkannt.
Danach hat er - soweit für die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider „Kokain mit zumindest durchschnittlichem Wirkstoffgehalt (40-50 %, vgl US 15), großteils jedoch überdurchschnittlichem Wirkstoffgehalt gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt, indem er in wiederholten Angriffen von 1995 bis 22. April 2005 insgesamt ca 60 kg an Michael Johannes P*****, die abgesondert verfolgten Friedrich Franz W***** und Christian M***** sowie an eine Vielzahl weiterer, nicht näher bekannter Abnehmer verkaufte, wobei er die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge zumindest das 25fache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmachte (A I. 1.)."
Rechtliche Beurteilung
Ausschließlich gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Franz K*****, die ihr Ziel verfehlt.
Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Milos Z*****, „der bestätigen könne, wenn es enge Kontakte gegeben hat zwischen den Angeklagten" (S 367/IV) wurde zwar entgegen § 238 StPO ohne Begründung (diese wurde im Übrigen auch in der Urteilsausfertigung nicht nachgeholt), im Ergebnis aber zu Recht abgelehnt. Denn das angegebene Beweisthema, der Zeuge, der langjähriger Vertrauter des Suchtmittellieferanten „Marcello" sei, könne Auskunft darüber geben, ob es eine Bekanntschaft zwischen den Angeklagten gab, lässt eine Relevanz für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage nicht erkennen. Auch der in der Beschwerde nachgetragenen - und somit unbeachtlichen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325) - Begründung ist übrigens nicht zu entnehmen, warum dieser Zeuge bestätigen können sollte, dass der Angeklagte von „Marcello" kein oder nur weniger Kokain bezogen hat. Die in der Verfahrensrüge weiters vorgebrachte Kritik an der unter Abweisung bzw - prozessordnungswidriger - Negierung entsprechender Gegenanträge durchgeführten abgesonderten Vernehmung eines anonymisierten Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten ist nicht berechtigt.
Die Vernehmung des anonymen Zeugen erfolgte nach dem Bericht der beisitzenden Richterin dergestalt, dass dieser mit der Vorsitzenden in einem Nebenzimmer saß und die Befragung durch die Vorsitzende auf einen Bildschirm in den Verhandlungssaal übertragen wurde. Die Fragen des Staatsanwaltes und des Verteidigers wurden von der beisitzenden Richterin an die Vorsitzende im Nebenzimmer weitergegeben. Der anonyme Zeuge trug eine Baseballkappe, eine Perücke und eine getönte Sonnenbrille. Sein Gesichtsteint war durch Schminke dunkel gefärbt worden.
Die Vernehmung wurde darüber hinaus in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt (§ 250 Abs 1 StPO). Die Öffentlichkeit wurde gemäß § 229 Abs 2 StPO ausgeschlossen, drei Vertrauenspersonen der Angeklagten wurde jedoch der Verbleib im Verhandlungssaal gestattet. Der Angeklagte stellte die Anträge, den Zeugen persönlich und kenntlich im Verhandlungssaal erscheinen zu lassen (S 305/IV), „den Zeugen aussagen zu lassen und nicht vorzulesen" (S 311/IV), die Videoaufzeichnung der Vernehmung dem Angeklagten vorzuführen, um sich allenfalls daraus ergebende Fragen mit dem Angeklagten koordinieren und absprechen zu können (S 319/IV), sowie schließlich den Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Herstellung der technischen Möglichkeiten für eine direkte Fragestellung (S 325/IV). Zunächst ist festzuhalten, dass die in das Ermessen des Gerichts gestellten prozessleitenden Verfügungen, den Zeugen anonymisiert (§§ 166a iVm 248 Abs 1 erster Satz StPO), abgesondert (§ 250 Abs 3 StPO) oder in Abwesenheit des Angeklagten (§ 250 Abs 1 StPO) zu vernehmen, grundsätzlich auch miteinander kombiniert werden können (Kirchbacher, WK-StPO § 247 Rz 77). Diese Zeugenschutzmaßnahmen stehen jedoch in einem Spannungsverhältnis zu den Interessen der Verteidigung (Art 6 Abs 3 lit d MRK). Demgemäß ist - der Rechtsprechung des EGMR folgend - den Gerichten die Verpflichtung auferlegt, die Interessen der Verteidigung gegen dasjenige von Zeugen an der Wahrung ihrer Anonymität gegeneinander abzuwägen und die Erschwernisse der Verteidigung durch die Vorgangsweise der Justizbehörde zu kompensieren (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 83).
Diese Interessenabwägung nachvollziehend sieht § 166a StPO die dort vorgesehenen Möglichkeiten auch nur dann vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass der Zeuge sich oder einen Dritten im Fall der Identifizierung einer ernsten Gefahr für Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit aussetzen würde. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ergibt sich nicht nur aus den Angaben dieses Zeugen (S 329 f/IV; es ist der Beschwerde zuwider auch nicht notwendig, dass sich der gefährdete Zeuge gerade vor dem Angeklagten fürchtet) im Zusammenhalt mit der eine Gefahrensituation bestätigenden Aussage des Zeugen W***** (S 301/I), sondern auch aus dem durch die sichergestellten Waffen objektivierten, vom Angeklagten ausgehenden Bedrohungspotential. Durch die Zeugenschutzmaßnahmen wurden Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Denn abgesehen davon, dass diese Aussage nicht den einzigen, sondern nur einen von mehreren Belastungsbeweisen darstellte, hatte der Verteidiger die Möglichkeit, den Zeugen zu befragen und so dessen Glaubwürdigkeit zu überprüfen (Art 6 Abs 1 lit d MRK; Grabenwarter, EMRK2, § 24 Rz 113 ff). Nach dem Inhalt des Protokolls wurde dem Verteidiger überdies die Gelegenheit gegeben, sich zum Zweck der Fragestellung mit dem Angeklagten, dem nach seiner Wiedereinführung der Inhalt der Aussage des Zeugen zur Kenntnis gebracht worden war (§ 250 Abs 1 StPO), zu besprechen (S 327/IV). Danach waren auch die Reaktionen des Zeugen auf die Fragen durch die Übertragung der Vernehmung auf einen Bildschirm im Verhandlungssaal für die Prozessparteien beobachtbar (S 325/IV).
Warum durch den Umstand, dass die vom Verteidiger formulierten Fragen nicht direkt, sondern mittelbar durch die Vorsitzende gestellt wurden, Verteidigungsrechte verkürzt wurden, vermag die Beschwerde ebensowenig darzulegen, wie die eingewendete Verletzung des fairen Verfahrens durch die Vernehmungstechnik der Vorsitzenden, die dem Zeugen Teile seiner polizeilichen Niederschrift vorhielt. Unter Anführung einer Passage aus der Aussage des Zeugen W***** (S 61/III) stellt die Mängelrüge (Z 5) eigenständige Erwägungen zur Glaubwürdigkeit dieses Zeugen an, ohne aber - den Anfechtungskategorien dieses Nichtigkeitsgrundes folgend - einen Begründungsmangel aufzeigen zu können. Mit der abschwächenden Tendenz der Angaben dieses Zeugen im Lauf des Verfahrens haben sich die Tatrichter ausführlich auseinandergesetzt (US 30 f), sodass auch insofern keine Unvollständigkeit des Urteils gegeben ist. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Aus ihrem Anlass konnte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugen, dass beim Schuldspruch A I. 1. das Gesetz unrichtig angewendet wurde. Setzt ein Täter Suchtgift in einer Menge in Verkehr, die zumindest das 25fache der Grenzmenge beträgt, so sind die jeweiligen Handlungseinheiten zu einer Subsumtionseinheit zusammenzufassen. § 28 Abs 4 Z 3 SMG stellt angesichts fehlender Gewerbsmäßigkeitsqualifikation eine besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz für jeweils große Mengen (mithin „die im Abs 2 bezeichnete Tat") - vergleichbar dem für wert- und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB - dar, sodass § 28 Abs 2 SMG, nach Abs 4 Z 3 qualifiziert - ungeachtet der unselbständigen Qualifikation nach Abs 3 erster Fall - stets nur ein einziges Verbrechen begründet (RIS-Justiz RS0117464, Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud § 28 Rz 76). Da das Erstgericht von der Begehung mehrerer Verbrechen ausging und bei der Strafbemessung neben der vielfachen Überschreitung der Grenzmenge auch das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit Vergehen als erschwerend gewertet hat (US 43), war gemäß § 290 Abs 1 StPO (§ 281 Abs 1 Z 10 und 11 zweiter Fall StPO) vorzugehen, weil durch die Annahme mehrerer Verbrechen nicht nur eine Strafbemessungsvorschrift verletzt wurde und ein Nachteil für den Angeklagten bei der Vorgangsweise des Erstgerichtes daher nicht ausgeschlossen werden kann (15 Os 157/04). Somit war die Annahme mehrerer Verbrechen aus dem Spruch des Urteils auszuschalten, dieser zu korrigieren, der Strafausspruch aufzuheben und mit Strafneubemessung vorzugehen.
Dabei wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit mehreren Vergehen, die einschlägigen Vorstrafen, den langen Tatzeitraum, die vielfache Überschreitung der Grenzmenge und den raschen Rückfall. Mildernd war die geständige Verantwortung zu den Schuldspruchfakten B. zu berücksichtigen.
Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen und dem hohen Gefährdungspotential, das sich aus der massiven und langjährigen Suchtgiftdelinquenz erschließen lässt, ist eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren schuld- und tatangemessen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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