OGH 5Ob278/06b

OGH5Ob278/06b13.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solè als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Mj Dino Luca M***** (geboren am 6. Februar 2002), vertreten durch die Eltern Sonja M***** und Günther M*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Horst Lumper, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Entziehung der Obsorge, über den Revisionsrekurs der Eltern gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 28. August 2006, GZ 1 R 187/06t-S-18, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 5. Juli 2006, GZ 7 P 95/05g-S-13, bestätigt wurde, nachstehenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am 6. 2. 2002 geborene Mj Dino Luca M***** ist das eheliche Kind der Sonja und des Günther M*****. Die Ehe der Eltern ist aufrecht. Die Obsorge für das Kind kommt bisher den Eltern zu. Seit 12. 5. 2004 werden die Eltern in der Erziehung des Kindes vom Vorarlberger Kinderdorf, Regionalteam Bregenz, unterstützt. Weil festgestellt wurde, dass die Eltern dem Kind nicht die nötige Förderung zukommen ließen, wurde mit Beschluss des Erstgerichtes vom 14. 6. 2005 über Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers den Eltern des Kindes aufgetragen, an den Arbeitstagen des Vaters das Kind von einer Tagesmutter oder durch eine professionelle Einrichtung betreuen zu lassen. Seit dem 11. 10. 2005 wird das Kind an Wochentagen regelmäßig im Umfang von vier Stunden täglich von einer Tagesmutter betreut. Seit 6. 3. 2006 verbringt das Kind jeweils täglich fünf Stunden bei der Tagesmutter.

Es besteht wenig bis keine Bereitschaft der Kindeseltern, an Themen der Kindererziehung aktiv mitzuarbeiten. Sie haben kein Bewusstsein für Begriffe wie Schutz, Konstanz, Förderung oder Regeln bezüglich des Umganges mit Kindern. Beide zeigen wenig Eigenverantwortung und glauben, mit der außerfamiliären Betreuung ihrer Kinder das Nötigste erfüllt zu haben. Sie haben keine Einsicht, welchen Einfluss ihr eigenes Verhalten, der Umgang miteinander sowie das soziale Umfeld auf die Entwicklung des Kindes hat.

Der Vater will bezüglich der Förderung des Kindes seine Ruhe. Am Verdacht des Kindesmissbrauches durch einen der Familie bekannten Nachbarn gibt er ausschließlich der Mutter die Schuld. Die mütterliche Großmutter, die sich in der Vergangenheit gelegentlich um das Kind gekümmert hat, wohnt nicht mehr in unmittelbarer Nähe der Kindeseltern. Sie kümmert sich bereits um eine geistig schwerbehinderte Tochter und hat kein Interesse, das Kind bei sich aufzunehmen.

Der Mj Dino Luca M***** zeigt Verwahrlosungstendenzen. Er ist nicht in der Lage, sich mit sich selbst zu beschäftigen bzw allein zu spielen. Er kennt kaum Regeln, weil ihm die Mutter alles durchgehen lässt. Das Kind hat an seinem Alter gemessen einen niedrigen Wortschatz. Zwar wurde durch die Betreuung der Tagesmutter der Wortschatz etwas gebessert, jedoch besteht immer noch ein Sprachdefizit. Für die Tagesmutter ist es schwierig, die Eltern in den Förderungsprozess des Kindes einzubeziehen, weil sich diese nicht an Abmachungen halten. So haben etwa die Eltern eine Frühforderung besonders dem sprachlichen Bereich mit dem Hinweis abgelehnt, sie seien nicht zu blöd, dem Kind das Sprechen selbst beizubringen. Neben Verzögerungen in der Sprachentwicklung zeigt das Kind ein auffällig „grenzenloses" Verhalten. In der Wohnung der Eltern befindet sich kaum altersgemäßes Spielzeug, das auf eine spielerische Beschäftigung der Mutter mit dem Kind hinweist. Zwischen den Kindeseltern kommt es oft zu Auseinandersetzungen, bei denen keine Rücksicht auf die Anwesenheit des Kindes genommen wird. Die Mutter ist im Umgang mit dem Kind deutlich überfordert. Für die Mutter wurde am 18. 1. 2001 zu 7 P 163/00z des Bezirksgerichtes Bregenz gemäß § 273 ABGB eine Sachwalterin mit der Aufgabe bestellt, für die Betroffene sämtliche finanziellen Angelegenheiten zu erledigen, sie vor Ämtern, Behörden, Banken und Sozialversicherungsträgern zu vertreten. Im Sachwalterschaftsverfahren wurde durch einen Gutachter eine intellektuelle Minderbegabung der Mutter festgestellt. Die Voraussetzungen der Sachwalterbestellung bestehen nach wie vor. Die Mutter ist nicht in der Lage, ihre finanziellen Angelegenheiten selbst verantwortungsvoll zu erledigen.

Der Vater ist bei der Firma B***** in Bregenz als Metallarbeiter beschäftigt und leistet dort viele Überstunden, er arbeitet auch an Samstagen und Sonntagen. Am Familienleben nimmt er wenig teil. Er kann nicht akzeptieren, dass die Mutter mit den ihr übertragenen Aufgaben überfordert ist. Selbst ist er nicht in der Lage, den Minderjährigen zu betreuen. Die Mutter hat auch immer wieder den Haushalt grob vernachlässigt.

Von Mitarbeitern des Vorarlberger Kinderdorfes wurde anlässlich von Hausbesuchen festgestellt, dass die Betreuung und Überwachung des damals dreijährigen Kindes unzureichend war, indem etwa die Mutter nicht verhinderte, dass das Kind eine Tablette aus einer Medikamentenschachtel nahm und in den Mund steckte, eine Plastikschüssel auf den Herd stellte und diesen einschaltete oder die Eltern nicht einmal die Anwesenheit eines Besuchers bemerkten. Einen Verdacht eines sexuellen Übergriffes eines Nachbarn gegen den Minderjährigen, der auch aus dem Verhalten des Kindes von der Tagesmutter bestätigt wurde, nahmen die Kindeseltern nicht ausreichend ernst.

Die Mutter bringt das Kind oft unpünktlich zur Tagesmutter und holt es unpünktlich ab. Auch die körperliche Pflege und Bekleidung des Kindes wird vernachlässigt.

Am 21. 4. 2006 beantragte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, den Eltern die Obsorge für den Minderjährigen zur Gänze zu entziehen und dem örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. Durch die Betreuung einer Tagesmutter habe sich die Situation des Kindes nicht wesentlich verbessert. Es erhalte immer noch zu wenig Förderung und sei dadurch in seiner Entwicklung beeinträchtigt. Außerdem habe sich herausgestellt, dass die Eltern das Kind weder vor einem sexuellen Missbrauch durch einen ihrer Bekannten schützen konnten noch danach der Situation entsprechend handelten und für das Kind auch keine Hilfe organisierten.

Die Hilfestellung durch den ambulanten Familiendienst, die Betreuung durch eine Tagesmutter und die Entlastung der Eltern durch die Großmutter mütterlicherseits reichten nicht aus, für eine ordentliche Pflege und Erziehung zu sorgen. Das Kindeswohl könne nur durch Unterbringung des Kindes in einer geeigneten Pflegefamilie gesichert werden.

Die Kindeseltern sprachen sich gegen die Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger aus.

Ausgehend von den wiedergegebenen Feststellungen entzog das Erstgericht den Kindeseltern die Obsorge über den mj Dino Luca gemäß § 176 Abs 1 ABGB und übertrug die Obsorge für das Kind zur Gänze dem Jugendwohlfahrtsträger.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, dass das Kindeswohl des Minderjährigen bei Belassung in der Obsorge seiner Eltern ernstlich gefährdet sei. Es bestehe eine konkrete ernste Gefahr für die Entwicklung des Kindes, weil die Eltern ihm weder entsprechende Zuwendung noch Förderung zukommen ließen. Die Mutter bedürfe zu ihrem eigenen Schutz der Hilfe eines Sachwalters und sei mit der Erziehung des Kindes gänzlich überfordert. Insbesondere habe sie auch kein Interesse, das Kind einer gezielten Sprachförderung zuzuführen. Das sei deshalb von Bedeutung, weil das Kind bereits ein Sprachdefizit aufweise, das von den Eltern nicht wahrgenommen werde. Letztlich seien beide Eltern an der Kindererziehung uninteressiert. Auch sei die Betreuung und Überwachung des Kindes nicht ausreichend. Die Zukunftsprognose für das Kind sei im Fall eines Verbleibes des Kindes bei den Eltern negativ. Es drohe eine Verwahrlosung des Kindes, wenn es in der Obsorge der Eltern verbleibe. Andere Verwandte oder nahe stehende oder geeignete Personen seien für die Betreuung des Minderjährigen nicht zu finden. Deshalb sei die Übertragung der alleinigen Obsorge an den jeweils örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger dem Grundsatz des Kindeswohles entsprechend vorzunehmen. Einem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Eltern gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.

Es verneinte die von den Rekurswerbern geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Rekurswerber hatten geltend gemacht, dass es das Erstgericht unterlassen habe, sämtliche notwendigen Beweise amtswegig einzuholen, um zu einem dem Kindeswohl entsprechenden Ergebnis zu gelangen. Insbesondere könne ohne kinderpsychologisches Fachgutachten die Gefährdung des Kindeswohles nicht abgeklärt werden. Die Eltern seien bereit, alles für die Förderung des Kindes zu tun. Insbesondere bedürfe es einer genauen Abklärung, ob das Herausreißen des Kindes aus dem bisher gewohnten Umfeld nicht zu traumatischen Erlebnissen des Kindes führe. Die Belassung des Kindes in der Obsorge der Eltern sei vor allem in Anbetracht dessen zu befürworten, dass das Kind künftig einen Ganztageskindergarten besuchen und Sprachförderung in Anspruch nehmen werde. Allenfalls hätte auch geklärt werden müssen, ob nicht andere Maßnahmen, wie z.B. die Zuziehung einer Wochenpflege, dem Wohl des Kindes eher entsprechen würden.

Das Rekursgericht verneinte diesen Verfahrensmangel mit der Begründung, dass die Gefahr der Verwahrlosung des Kindes bei Belassung in der Obsorge der Eltern evident sei. Durch andere Maßnahmen wie eine wochenweise Unterbringung des Kindes oder ein Ganztagesbesuch des Kindes im Kindergarten könne der Betreuungsmangel durch die Eltern nicht vermieden werden.

Das Rekursgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass die Entziehung der Obsorge als äußerste Notmaßnahme anzuordnen sei, weil die Eltern das Kindeswohl gefährdeten. Es sei erwiesen, dass die Mutter mit der Betreuung und Erziehung des Kindes offensichtlich überfordert sei. Weder sei sie in der Lage, das Kind in entsprechender Weise selbst zu betreuen und in einem positiven Sinn auf die Erziehung des Kindes hinzuwirken, noch habe sie Maßnahmen zur sprachlichen Förderung des Kindes, die ihr empfohlen worden seien, wahrgenommen. Vielmehr habe sie sich dazu ablehnend und wenig einsichtig verhalten. Der Vater zeige ein offenkundiges Desinteresse an der Erziehung und Förderung des Kindes.

Selbst eine enge Bindung des Kindes zu beiden Eltern rechtfertige es nicht, bei der bestehenden Verwahrlosungstendenz und Überforderung der Kindeseltern diesen die Obsorge zu belassen. Eine gedeihliche Entwicklung und Förderung des Kindes könne nur ein Obsorgewechsel sicherstellen. Bisherige andere Maßnahmen hätten sich als nicht ausreichend herausgestellt.

Das Rekursgericht bestätigte damit die erstinstanzliche Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung nicht zulässig sei, weil über den vorliegenden Anlassfall hinaus keine Rechtsfragen im Sinn des § 62 AußStrG entscheidungserheblich seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Eltern mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer Abweisung des Antrages auf Obsorgeentziehung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Jugendwohlfahrtsträger - Bezirkshauptmannschaft Bregenz - hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet und darin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Eltern ist zulässig, jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

Schon bisher entsprach es höchstgerichtlicher Rechtsprechung, dass im Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren ein vom Gericht zweiter Instanz verneinter erstinstanzlicher Mangel in dritter Instanz geltend gemacht werden kann, wenn Interessen des Kindeswohls das erfordern. Die im Pflegschaftsverfahren gebotene Beachtung des Kindeswohls erfordert nämlich die Wahrnehmung aller Verfahrensgarantien, um dadurch sachlich richtige Entscheidungen zu gewährleisten (RIS-Justiz RS0106788; vgl RS0050037). Das wird nunmehr auch für die Rechtslage nach dem AußStrG 2005 judiziert (4 Ob 135/05i = ZAK 2005/28). Die gänzliche Entziehung der Obsorge der Eltern und deren Übertragung an den Jugendwohlfahrtsträger stellt die schwerwiegendste Maßnahme dar, die zufolge § 176b ABGB voraussetzt, dass diese Maßnahme im Interesse des Kindes dringend geboten ist, was nach einem strengen

Maßstab geprüft werden muss (1 Ob 601/95 = JBl 1996, 714; 1 Ob 57/97g

= EF 84.089; RIS-Justiz RS0007101 [T11] ua).

Von Amts wegen hat das Gericht dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt werden und sämtliche Hinweise auf solche Tatsachen entsprechend berücksichtigt werden (§ 16 Abs 1 AußStrG).

Der Revisionsrekurs der Eltern enthält den Vorwurf, dass durch Unterlassung der Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens bewirkt wurde, weil dieses Beweismittel besonders geeignet gewesen wäre, Tatsachengrundlagen für die Beurteilung des Kindeswohls zu schaffen und zu verbreitern. Insbesondere seien die enge emotionale Bindung des Kindes an seine Eltern und die Folgen eines Obsorgewechsels in dieser Hinsicht nicht ausreichend geprüft worden.

Das Rekursgericht hat dieser Rüge nur entgegengehalten, die Gefahr der Verwahrlosung des Kindes bei Belassung in der Obsorge der Eltern sei evident.

Diese Sach- und Rechtslage gebietet eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Rüge eines Verfahrensmangels im Sinn des § 57 Z 4 AußStrG, wie er hier von den Eltern geltend gemacht wurde.

Den Rechtsmittelwerbern ist zuzugestehen, dass bei der umfassenden Prüfung, ob das Kindeswohl durch Belassung des Kindes in der Obsorge seiner Eltern gefährdet ist, in der Regel die Einholung eines kinderpsychologischen oder kinderpsychiatrischen Gutachtens bedingt, weil dadurch eine Verbreiterung der Tatsachengrundlagen über die geistige und seelische Entwicklung des Kindes inklusive einer Zukunftsprognostik geschaffen werden kann. Das trifft auch dort zu, wo die Entwicklung eines Kindes - erkennbar durch ganz konkrete Auffälligkeiten - derart gestört erscheint, dass von fachkundigen Personen wie Sozialarbeitern, Kindergartenbetreuern oder Lehrern entsprechende Wahrnehmungen berichtet und dadurch aktenkundig werden. Auch solche Gegebenheiten sind in der Regel durch ein Fachgutachten zu objektivieren.

Im vorliegenden Fall sind Entwicklungsstörungen des betroffenen Kindes als maßgebliche Gefährdungsmomente festgestellt worden. Der Minderjährige weist insbesondere einen seinem Alter entsprechend zu geringen Wortschatz auf und ist überdies mit einer Sprach-(Sprech-)störung behaftet. Er bedarf nach den maßgeblichen Feststellungen einer konkreten Sprachförderung, die bisher nicht ausreichend durchzusetzen war.

Den gegebenen Entwicklungsrückstand konnte der Minderjährige mit den bisher in Anspruch genommenen Maßnahmen nicht aufholen. Von den Revisionsrekurswerbern wird diese Tatsache zwar nicht ausdrücklich zugestanden, jedoch in Wahrheit nicht in Frage gestellt. Die Revisionsrekursbeantwortung macht deutlich, dass diese Defizite nach wie vor bestehen und dass die Eltern nicht einmal unter dem Druck des anhängigen Verfahrens eine grundlegende Änderung ihrer Haltung zu den notwendigen Förderungsmaßnahmen bekundet haben. Des weiteren machen die Revisionsrekurswerber geltend, dass zwischen ihnen und dem Kind eine derart starke Beziehung bestehe, dass schon allein deshalb ein Obsorgewechsel nicht angezeigt sei. Dazu ist anzumerken, dass der emotionale Eltern-Kind-Aspekt wie auch der der Erziehungskontinuität als besonderer Wert bei jeder Entscheidung über eine Obsorgeentziehung berücksichtigt werden muss. Unter diesem Aspekt ist ganz besonders streng zu prüfen, ob die Entziehung der Obsorge als äußerste Notmaßnahme aus Gründen des gesamtverstandenen Kindeswohls unausweichlich ist.

Im Verfahren haben sich aber keine Hinweise darauf ergeben, dass auf Grund einer besonderen psychischen Disposition des Kindes eine über das normale Maß hinausgehende Bindung an seine Eltern bestünde und daher eine - den Entzug der Obsorge nicht mehr rechtfertigende - psychische Schädigung des Kindes durch Herausreißen aus seinem bisherigen Familienverband zu befürchten wäre.

Daher musste diese Frage keiner Sachverständigenbeurteilung unterzogen werden.

In der Revisionsrekursbeantwortung wird dazu der Standpunkt vertreten, dass eher ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit von Mutter und Vater eingeholt hätte werden müssen, ohne dabei die nachteiligen Erfahrungen und Fakten der Vergangenheit in Frage zu stellen. Zusammengefasst werden jene Umstände aufgezeigt, die auch in die Feststellungen Eingang gefunden haben und ein Desinteresse des Vaters an der Erziehung des Kindes sowie eine Überforderung der Mutter bei den spezifischen Erziehungsaufgaben verdeutlichen. Steht aber letzteres fest, bedarf es keiner Klärung der Frage mehr, worauf die Defizite der Mutter zurückzuführen sind; außerdem ist ein verwertbares Gutachten ja schon im Verfahren über die Sachwalterbestellung eingeholt worden.

Zusammengefasst lässt sich daher auf Basis der vorliegenden Verfahrensergebnisse beurteilen, dass durch die Unterlassung der Einholung eines kinderpsychologischen Fachgutachtens bzw eines Gutachtens über die Erziehungsfähigkeit der Mutter keine Mangelhaftigkeit im Sinn des § 57 Z 4 AußStrG bewirkt wurde, die eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache gehindert hätte.

Es trifft auch der Vorwurf nicht zu, die Entscheidung habe eine Prognose über zukünftige Entwicklungen unterlassen, ohne die eine Gefährdung des Kindeswohles nicht zu beurteilen wäre. Gerade die festgestellten Mängel in der Erziehung und Förderung der geistigen Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes tragen die Prognose in sich, dass ohne eine Änderung in den Obsorgeverhältnissen der Minderjährige in seinen Entwicklungsmöglichkeiten entscheidend und auf Dauer beeinträchtigt sein würde.

Was schließlich noch den Einwand betrifft, es könne auch mit einem gelinderen Mittel als einer gänzlichen Entziehung der Obsorge das Auslangen gefunden werden, wie dies zu prüfen § 176b ABGB aufträgt (vgl auch 1 Ob 57/97g ua), ist klar zu stellen, dass solche Maßnahmen durch den Jugendwohlfahrtsträger in der Vergangenheit bereits gesetzt wurden. Den Erziehungsmissständen konnte weder durch Elternberatung, noch durch Betreuung seitens des ambulanten Familiendienstes des Vorarlberger Kinderdorfs noch durch die letztlich vom Gericht angeordnete Unterbringung des Kindes bei einer Tagesmutter oder durch Förderungsmaßnahmen im Kindergarten in ausreichendem Maß abgeholfen werden.

Auf weitergehende Aktivitäten des Jugendwohlfahrtsträgers im Zusammenhang mit erheblichen Erziehungsproblemen der Mutter bei einem anderen Kind kann mangels entsprechender Feststellungen im erstinstanzlichen Beschluss nicht eingegangen werden. Insgesamt steht nach den maßgeblichen Feststellungen fest, dass das Wohl des Minderjährigen Dino Luca, geboren am 6. 2. 2002 infolge einer Vernachlässigung der Erziehungspflichten seiner Eltern insoweit gefährdet ist, als seine Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind. Durch Unterbringung in einer Pflegefamilie ist diesbezüglich eine wesentliche Verbesserung zu erwarten. Im Interesse des Kindes ist daher die Obsorgeentziehung dringend geboten. Mit anderen Mitteln ist eine Sicherung des Wohls des Kindes nicht zu erwirken.

Dem Revisionsrekurs der Eltern war daher der Erfolg zu versagen. Zufolge § 107 Abs 3 AußStrG findet im Verfahren über die Obsorge eine Kostenersatz nicht statt.

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