OGH 8ObA86/06i

OGH8ObA86/06i31.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und KR Ernst Boran als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Klaus P*****, vertreten durch Dr. Stephan Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei O***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Richard Bickel, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 6.385,36 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. August 2006, GZ 13 Ra 44/06b-25, womit über Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Jänner 2006, GZ 44 Cga 89/04f-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 1.967,53 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 230,59 EUR USt, 584 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 24. 11. 1999 als Kraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt.

Am 18. 1. 2004 gegen 15.00 Uhr fuhr der Kläger mit seinem LKW auftragsgemäß Richtung Osten. Er erreichte am selben Tag Linz. Am Montag, dem 19. 1. 2004 erhielt der Kläger den Auftrag, Dienstag früh Zwischenladungen vorzunehmen. Das bedeutete eine Fahrt von Wien nach Böheimkirchen, zurück nach Wien und von Wien nach Tirol. Da in Böheimkirchen die Hubwagen des zu beliefernden Unternehmens kaputt waren, musste der Kläger selbst abladen. Üblicherweise wird das Auf- und Abladen von Mitarbeitern der jeweiligen Unternehmen übernommen. Als der Kläger am 20. 1. 2004 einen Anruf vom Disponenten der Beklagten (der auch für die Entgegennahme von Beendigungserklärungen und den Ausspruch von Beendigungserklärungen zuständig ist) erhielt, dass er eine weitere Zwischenladung in Böheimkirchen einschieben müsse, erklärte der Kläger, dass er damit nicht einverstanden sei. Er werde aufhören, er habe die Schnauze voll, die zweiwöchige Kündigungsfrist werde er sicher nicht einhalten. Dabei erwähnte der Kläger von körperlichen Beschwerden nichts. In weiterer Folge erledigte der Kläger noch die ihm aufgetragenen Arbeiten und fuhr am nächsten Tag mit dem LKW nach Tirol, lud die Waren ordnungsgemäß ab und suchte einen Arzt auf. Dieser schrieb ihn mit 21. 1. 2004 krank. Anschließend räumte der Kläger im Fahrzeug alle seine privaten Sachen aus, fuhr den LKW nach Feldkirch und stellte ihn am Firmengelände der Beklagten ab. Er legte die Fahrzeugschlüssel und die Krankmeldung in das Großraumbüro der Beklagten. Er sagte kein Wort und verließ das Büro unverzüglich.

Das Ausräumen des Fahrzeuges von privaten Sachen auch während eines Krankenstandes oder des Urlaubes ist nicht üblich. Auch der Kläger räumte bis zu diesem Vorfall das Fahrzeug während eines Krankenstandes oder eines Urlaubes nicht aus.

In weiterer Folge erschien der Kläger nicht mehr im Betrieb der Beklagten.

Die (schriftliche) Endabrechnung der Beklagten erfolgte per 6. 2. 2004.

Aufgrund der telefonischen Vorankündigung des Klägers, dass er die Arbeit nicht mehr machen werde und dadurch, dass er wortlos den Schlüssel im Betrieb der Beklagten abgab, ging die Beklagte davon aus, dass der Kläger seinen bereits mündlich angekündigten vorzeitigen Austritt wahr mache.

Der Kläger begehrt - der rechnerischen Höhe nach nicht strittige - 6.385,36 EUR brutto sA (Entgeltfortzahlung bis 3. 3. 2004 zuzüglich anteiliger Sonderzahlungen und zwei Monatsentgelte Abfertigung). Er habe das Dienstverhältnis nicht gekündigt. Vielmehr sei das Dienstverhältnis durch einseitige Erklärung der Beklagten beendet worden. Die Beklagte habe bei Abrechnung gegenüber der Gebietskrankenkasse die unrichtige Behauptung aufgestellt, das Dienstverhältnis habe durch Arbeitnehmerkündigung geendet. Im Übrigen müssten nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe Beendigungserklärungen schriftlich erfolgen. Die Beklagte wendet ein, dass das Dienstverhältnis durch Erklärung des Klägers geendet habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang neuerlich ab.

Es erachtete rechtlich, dass der Kläger das Dienstverhältnis am 20. 1. 2004 gekündigt habe. Dem Kläger stünden daher keine Ansprüche zu. Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung Folge, änderte das Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und ging davon aus, dass die telefonische Erklärung des Klägers, er werde aufhören, er habe die Schnauze voll und er werde die Kündigungsfrist nicht einhalten, im Zusammenhang mit dem Ausräumen des LKW von den privaten Sachen des Klägers und der Übergabe der Fahrzeugschlüssel an die Beklagte nur als unberechtigter vorzeitiger Austritt aus dem Dienstverhältnis qualifiziert werden könne. Allerdings bestimme der anzuwendende Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe für Arbeiter in seinem Art XI Punkt 2, dass das Dienstverhältnis nach einer einmonatigen Betriebszugehörigkeit nur zum Ende einer Lohnwoche und nur schriftlich gelöst werden könne. Dieses kollektivvertraglich vereinbarte Schriftformgebot solle Unklarheiten insbesondere über den Inhalt einer diesem Schriftlichkeitsgebot nicht entsprechenden Beendigungserklärung vermeiden. Der Kläger habe seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis nicht schriftlich erklärt. Es komme daher seiner Erklärung keine Rechtswirksamkeit zu. Das Dienstverhältnis habe somit über den 20. 1. 2004 hinaus aufrecht bestanden. Dem Kläger gebühre Entgeltfortzahlung. Die Beendigung des Dienstverhältnisses sei erst durch die (schriftliche) Endabrechnung der Beklagten erfolgt. Die Beklagte habe somit das Dienstverhältnis unter Wahrung der Schriftform während des Krankenstandes des Klägers beendet. Dem Kläger gebühre daher auch die Abfertigung.

Die dagegen von der Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der unstrittig anzuwendende Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe für Arbeiter lautet in seinem Art XI - Auflösung des Dienstverhältnisses wörtlich wie folgt:

„1. Bei einer Beschäftigungsdauer bis zu einem Monat sowie im beiderseitigen Einverständnis kann das Dienstverhältnis jederzeit gelöst werden.

2. Nach einmonatiger Betriebszugehörigkeit kann das Dienstverhältnis nur zum Ende einer Lohnwoche schriftlich gelöst werden.

3. Wird das Dienstverhältnis vom Dienstgeber oder vom Dienstnehmer einseitig gelöst, gelten nachstehende Kündigungsfristen:

bei einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von einem Monat bis zu einem Jahr eine Woche;

bei einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren zwei Wochen;

bei einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit über fünf Jahren drei Wochen....."

Aus Art XI Punkt 2 des Kollektivvertrages ergibt sich nach dem bei der Auslegung in erster Linie maßgeblichen Wortsinn (RIS-Justiz RS0010089) eindeutig, dass das dort vorgesehene Schriftformgebot den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerkündigung betrifft. Die Entlassung und der vom Dienstnehmer erklärte vorzeitige Austritt aus dem Dienstverhältnis sind hingegen nach dem Wortlaut von Art XI Punkt 2 des Kollektivvertrages nicht umfasst.

Zutreffend hat das Berufungsgericht die telefonische Erklärung des Klägers vom 20. 1. 2004 im Zusammenhang mit seinem weiteren Verhalten (Ausräumen des LKW; Zurückstellung der Fahrzeugschlüssel) als unberechtigten vorzeitigen Austritt gewertet (RIS-Justiz RS0028578; 9 ObA 259/88). Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes ist zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Damit gilt es die Frage zu beantworten, ob - wie es das Berufungsgericht ohne nähere Begründung bejahte - das Schriftformgebot des Art XI Punkt 2 des Kollektivvertrages analog auch auf die Erklärung des vorzeitigen Austrittes bzw die Entlassungserklärung des Arbeitgebers auszudehnen ist. Orientiert am erkennbaren Zweck des Schriftformgebotes sprechen sowohl Argumente für eine analoge Anwendung als auch Argumente gegen eine analoge Anwendung: Durch die Notwendigkeit, die Kündigungserklärung schriftlich abzugeben, werden Unsicherheiten darüber, ob überhaupt eine Kündigung ausgesprochen wurde, ebenso vermieden wie Unsicherheiten über den Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung, der insbesondere im Hinblick auf die einzuhaltende Kündigungsfrist von Bedeutung ist. Neben der Beweisfunktion dient das Schriftformgebot dem Schutz vor Übereilung. Insbesondere die Beweisfunktion des Schriftformgebotes könnte durchaus als Argument dafür herangezogen werden, dieses Schriftformgebot auch auf andere Beendigungserklärungen (Entlassung; vorzeitiger Austritt) auszudehnen. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass die vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund durch eine analoge Ausweitung des Schriftformgebotes erschwert würde. Selbst gravierende Tatbestände, die den Dienstnehmer zum vorzeitigen Austritt oder den Dienstgeber zur Entlassung berechtigten, wären an das Schriftformgebot gebunden.

Vor allem aber ist hier zu beachten, dass Art XI Punkt 1 des Kollektivvertrages ausdrücklich vorsieht, dass eine einvernehmliche Beendigung des Dienstverhältnisses - unabhängig von der Beschäftigungsdauer - jederzeit erfolgen kann, woraus zweifelsfrei abzuleiten ist, dass für eine einvernehmliche Beendigung das Schriftformgebot keine Geltung haben soll. Berücksichtigt man nun, dass die Kollektivvertragsparteien einerseits die Formlosigkeit der einvernehmlichen Beendigung, andererseits das Schriftformgebot für die Kündigungserklärung festlegten, ist davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien, denen grundsätzlich zu unterstellen ist, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen (RIS-Justiz RS0008828), das Schriftformgebot nur für die Kündigungserklärung normieren wollten. Den Kollektivvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, dass ihnen nicht bekannt war, dass neben der (formlos möglichen) einvernehmlichen Beendigung einerseits und der ordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses andererseits auch die Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund besteht. Daraus folgt, dass Art XI Punkt 2 des Kollektivvertrages dahin auszulegen ist, dass das Schriftformgebot nur für Kündigungserklärungen, nicht aber für die Erklärung des vorzeitigen Austrittes bzw für die Entlassung des Dienstnehmers zu gelten hat. Die vom Berufungsgericht zutreffend als vorzeitige Austrittserklärung bewertete Äußerung des Klägers, er habe die Schnauze voll, er werde die Kündigungsfrist sicher nicht einhalten, unterlag somit nicht dem kollektivvertraglichen Schriftformgebot für Kündigungserklärungen. Bereits aus diesem Grund bestehen die Ansprüche des Klägers auf Entgeltfortzahlung bzw auf Abfertigung nicht zu Recht. Das Ersturteil war daher wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Eine Verbindungsgebühr für die Revision steht nicht zu.

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