OGH 10Ob10/06b

OGH10Ob10/06b14.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** s.a.s. (ehemals R***** S.A.), *****, Frankreich, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Klaus H*****, Landwirt, *****, vertreten durch Dr. Ferdinand Rankl, Rechtsanwalt in Micheldorf, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens (EUR 7.056,--), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Steyr als Rekursgericht vom 19. Juli 2005, GZ 1 R 168/05g-9, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Kirchdorf an der Krems vom 27. April 2005, GZ 2 C 436/05k-5, einschließlich dem diesem vorangegangenen erstinstanzlichen Verfahren als nichtig aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der wiederaufnahmsklagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die wiederaufnahmsklagende Partei ist schuldig, der wiederaufnahmsbeklagten Partei die mit EUR 499,39 (darin EUR 83,23 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

2. Die von den Parteien weiters eingebrachten, als „Ordentlicher Revisionsrekurs" (ON 20) und „Revisionsrekursbeantwortung" (ON 23) bezeichneten Schriftsätze werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Zur Vorgeschichte:

1.1. Im Verfahren 2 C 187/97b (nunmehr 2 C 1843/03v) des Erstgerichtes wurden die auf Produkthaftung wegen fehlerhafter Airbag-Auslösung gerichtete Schadenersatzklage des nunmehrigen Wiederaufnahmsbeklagten und der vom Erstgericht erlassene Zahlungsbefehl vom 29. 7. 1997 der nunmehrigen Wiederaufnahmsklägerin, die ihren Sitz in Frankreich hat, am 24. 4. 1998 im Rechtshilfeweg durch Übergabe an einen Angestellten (dessen Befugnis zur Entgegennahme von der Wiederaufnahmsklägerin bestritten wird) zugestellt.

Am 1. 10. 1998 wies das Erstgericht den Antrag der nunmehrigen Wiederaufnahmsklägerin auf neuerliche Zustellung im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass schon die erste Zustellung gesetzmäßig erfolgt sei (2 C 187/97b-16). Mit Beschluss vom 22. 6. 1999 hob das Rekursgericht über Rekurs der nunmehrigen Wiederaufnahmsklägerin den Beschluss des Erstgerichtes auf und trug diesem - im Hinblick auf das Fehlen einer ordnungsmäßigen Zustellung des Zahlungsbefehls - dessen neuerliche Zustellung auf (5 R 118/98w-20). Der Oberste Gerichtshof wies den dagegen erhobenen Revisionsrekurs des nunmehrigen Wiederaufnahmsbeklagten mit Beschluss vom 28. 2. 2000, 3 Ob 227/99z-31, als jedenfalls unzulässig zurück.

1.2. Entgegen dem Auftrag des Rekursgerichtes, den Zahlungsbefehl neuerlich zuzustellen, leitete das Erstgericht im Rechtshilfeweg Erhebungen über die Ordnungsmäßigkeit des am 24. 4. 1998 vorgenommenen ersten Zustellvorgangs ein (2 C 1843/03v-32). Diese Erhebungen führten allerdings zu keinem Ergebnis, worauf das Erstgericht am 10. 2. 2005 die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls vom 29. 7. 1997 mit der Begründung bestätigte, dass „seitens der französischen Behörden am 22. 9. 1998 die Ordnungsgemäßheit der Zustellung, sohin die Gesetzmäßigkeit durch das Tribunal de Grande Instance de Nanterre bestätigt wurde" (2 C 1843/03v-62).

1.3. Am 22. 2. 2005 wies das Erstgericht den Antrag der nunmehrigen Wiederaufnahmsklägerin, die erteilte Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls vom 29. 7. 1997 aufzuheben, mit der Begründung ab, dass die seinerzeitige Zustellung ordnungsgemäß erfolgt sei. Entsprechend dem Zusatzabkommen über Rechtshilfe und rechtliche Zusammenarbeit zwischen der Republik Österreich und der Französischen Republik zum Haager Übereinkommen betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen samt Anhang (BGBl 1980/236) sei eine Übersetzung nicht erforderlich, weil ein Schriftstück durch bloße Übergabe oder zu eigenen Handen zuzustellen sei. Verweigere der Empfänger die Annahme, so habe die ersuchte Behörde das Schriftstück auf ihre Kosten übersetzen zu lassen. Der Zustellungsempfänger habe durchaus die Möglichkeit gehabt, die Annahme des Schriftstückes zu verweigern, was aber nicht geschehen sei. Im Übrigen habe der Oberste Gerichtshof mit seinem Beschluss vom 28. 2. 2000 „dem Erstgericht aufgetragen, über die Rechtmäßigkeit der Zustellung des Zahlungsbefehles im Rechtshilfeweg bei der Entscheidung über den mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Einspruch zu entscheiden" (2 C 1843/03v-64).

2. Zum Verfahren über die Wiederaufnahmsklage:

2.1. Gegen diese beiden Beschlüsse des Erstgerichtes vom 10. 2. 2005 und vom 22. 2. 2005 brachte die Wiederaufnahmsklägerin am 15. 3. 2005 beim Erstgericht eine auf § 530 Abs 1 Z 6 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage ein, in der sie die Benützbarkeit einer rechtskräftigen Vorentscheidung, nämlich des Aufhebungsbeschlusses des Landesgerichtes Steyr vom 22. 6. 1999, 5 R 118/98w-20 (siehe 1.1.), geltend machte; mit dieser Entscheidung sei dem Gericht die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls vom 29. 7. 1997 aufgetragen worden.

2.2. Der Wiederaufnahmsbeklagte beantragte die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Wiederaufnahmsklage.

2.3. Mit Urteil vom 27. 4. 2005 (ON 5) wies das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage mit folgender Begründung ab:

„Wie die beklagte Partei richtig aufgezeigt hat, liegt keine rechtskräftige Vorentscheidung im Sinne § 530 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO vor. Der Oberste Gerichtshof hat - wie seiner Entscheidung zu entnehmen ist - entgegen der Meinung der klagenden Partei dem Erstgericht nicht eine neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehles aufgetragen, welche Entscheidung aber ausgehend von der Richtigkeit der Rechtsansicht der Klägerin sich in den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes finden hätte müssen, sondern die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zustellung des Zahlungsbefehles im Rechtshilfeweg. Das Erstgericht hat sich daher an die in der gegenständlichen Sache ergangenen Aufträge des Obersten Gerichtshofes gebunden erachtet, da der Oberste Gerichtshof zuvor eine selbständige Anfechtbarkeit von Zustellanordnungen verneint hat.

Somit liegt schon der von der Klägerin behauptete Wiederaufnahmsgrund, den diese in der Entscheidung des Rekursgerichtes ON 20 des Aktes erblickt, nicht vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war und sich eine weitere Erörterung etwa der Bestimmungen des § 530 Abs. 2 ZPO erübrigt."

Die in der Begründung angesprochene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wird nicht näher spezifiziert; gemeint ist offenbar der Zurückweisungsbeschluss vom 28. 2. 2000, 3 Ob 227/99z-31.

2.4. Das Gericht zweiter Instanz sah die angefochtene Entscheidung als Beschluss und das dagegen von der Wiederaufnahmsklägerin erhobene Rechtsmittel als Rekurs an. Die Wiederaufnahmsklage wurde „unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Erstgerichtes zurückgewiesen und das vorangegangene Verfahren für nichtig erklärt". Der von der Wiederaufnahmsklägerin als Wiederaufnahmsgrund herangezogene Auftrag des Rekursgerichtes vom 22. 6. 1999, 5 R 118/98w-20, den Zahlungsbefehl neuerlich zuzustellen, sei von der Bindungswirkung nicht erfasst. Da eine bereits eingetretene materielle und formelle Rechtskraft der Entscheidung durch eine neuerliche Zustellung nicht mehr berührt werde, habe das Erstgericht jedenfalls die Rechtmäßigkeit der (ersten) Zustellung des Zahlungsbefehls zu prüfen gehabt. Überdies sei die Wiederaufnahmsklage unzulässig iSd § 530 Abs 2 ZPO, weil die vom Titelgericht abgelehnte Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung mit Rekurs bekämpft werden hätte müssen. Das Erstgericht sei „unter Bezug auf die hierauf ergangene oberstgerichtliche Rechtsprechung" bewusst von der als Wiederaufnahmsgrund herangezogenen zweitinstanzlichen Entscheidung abgewichen.

Mit seiner zutreffenden Begründung, dass kein Wiederaufnahmsgrund iSd § 530 Abs 1 Z 6 ZPO vorliege, habe das Erstgericht die Unschlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage wahrgenommen. Dies hätte zur Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage führen müssen, wie dies vom Wiederaufnahmsbeklagten in seinen Einwendungen richtig aufgezeigt worden sei.

Der Rekurs (Revisionsrekurs) sei zulässig, weil das Erstgericht von der rechtlichen Beurteilung des Rekursgerichtes abgewichen sei und das Rekursgericht dies entgegen seiner ursprünglichen Rechtsansicht gebilligt habe, sodass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO vorliege.

2.5. Gegen die Entscheidung richtet sich der (Revisions-)Rekurs der Wiederaufnahmsklägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

2.6. Der Wiederaufnahmsbeklagte beantragt, dem (Revisions-)Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

3. Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

3.1. Die Wiederaufnahmsklägerin legt ihrem Revisionsrekurs zugrunde, dass auch ein Abweichen des Rekursgerichtes von einer von ihm selbst früher vertretenen Rechtsansicht aufgrund der Bindungswirkung unzulässig und rechtswidrig sei. Das Rekursgericht habe vorerst mit Beschluss vom 22. 6. 1999 (5 R 118/98w-20) dem Erstgericht die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls aufgetragen, da dessen Zustellung nach österreichischem Recht nicht rechtmäßig erfolgt sei. In seinem Beschluss vom 30. 11. 1999 (= Ausspruch über die Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses gegen den Beschluss vom 22. 6. 1999, 5 R 118/98w-20) habe das Rekursgericht diese Rechtsansicht allerdings revidiert und sei zum Ergebnis gelangt, dass sich sowohl die Form als auch die Wirksamkeit der Zustellung nach dem Recht des ersuchten Staates (Frankreich) richten. Auf dieser Grundlage habe das Erstgericht Erhebungen im Rechtshilfeweg eingeleitet, die nach wie vor nicht abgeschlossen seien. Im nunmehr bekämpften Beschluss meine das Rekursgericht, dass die Zustellung nach französischem Recht zu beurteilen sei. Gemäß § 527 Abs 1 ZPO sei das Erstgericht an einen rekursgerichtlichen Auftrag zur neuerlichen Zustellung gebunden, zumindest an die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichtes. Ungeachtet dessen, vor allem ungeachtet des Umstandes, dass eine rechtswirksame Zustellung bisher nicht erfolgt sei, habe das Erstgericht die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls vom 29. 7. 1997 bestätigt. Diese Vorgangsweise sei wegen des Verstoßes gegen die Bindungswirkung der rekursgerichtlichen Entscheidung vom 22. 6. 1999 rechtswidrig und berechtige zur Wiederaufnahmsklage gemäß § 530 Abs 1 Z 6 ZPO. Die in der angefochtenen Entscheidung weiters vertretene Ansicht, die Ablehnung der Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung durch das Erstgericht wäre (nur) mit Rekurs zu bekämpfen gewesen, widerspreche dem Wortlaut des § 530 Abs 2 ZPO und der dazu ergangenen Rechtsprechung.

3.2. Weist das Gericht nach mündlicher Verhandlung die Wiederaufnahmsklage mangels Vorliegens eines Wiederaufnahmsgrundes mit Urteil ab, obwohl die Klage gemäß § 538 ZPO zurückzuweisen gewesen wäre, ist eine trotzdem ergriffene Berufung von der zweiten Instanz als Rekurs zu behandeln. Eine in diesem Sinn den Beschluss auf Klagszurückweisung bestätigende Entscheidung ist bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO mit Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar (10 Ob 107/05s = RIS-Justiz RS0044264 [T6]).

3.3. Der von der wiederaufnahmsklagenden Partei herangezogene Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 6 ZPO (seinem Wesen nach nach heutigem Verständnis ein Nichtigkeitsklagegrund) dient dem Schutz der materiellen Rechtskraft (Jelinek in Fasching/Konecny2 IV/1 § 530 ZPO Rz 125 f). Er soll nicht nur der Einmaligkeitswirkung zum Durchbruch verhelfen und zur Aufhebung einer die Rechtskraft einer Vorentscheidung verletzenden Entscheidung und zur Zurückweisung der zugrunde liegenden Klage führen, sondern ist auch auf den Fall anwendbar, dass nur die Bindungswirkung der rechtskräftigen Vorentscheidung außer Acht gelassen wurde. In diesem zweiten Fall muss die Wahrnehmung der Rechtskraft zu einer Erneuerung des Vorprozesses und zur neuerlichen Entscheidung unter Bindung an die aufgefundene rechtskräftige Vorentscheidung führen (Fasching, Lehrbuch2 Rz 2059).

Eine gemäß § 530 Abs 1 Z 6 ZPO wahrnehmbare Rechtskraftverletzung liegt nur vor, wenn der früheren Entscheidung Rechtskraftwirkung iSd § 411 ZPO zukommt. Die wiederaufnahmsklagende Partei stützt sich diesbezüglich auf den Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 22. 6. 1999, 5 R 118/98w-20, mit dem der erstgerichtliche Beschluss (mit dem der Antrag auf neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls abgewiesen wurde) aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls aufgetragen wurde.

Bei dieser sich formell als aufhebend (behebend), materiell aber als abändernd darstellenden rekursgerichtlichen Entscheidung (§ 527 Abs 1 ZPO; siehe näher RIS-Justiz RS0044037) handelt es sich um eine verfahrensgestaltenden Beschluss, der weder prozessbeendend wirkt (vgl RIS-Justiz RS0053137) noch das zu entscheidende Rechtsverhältnis neu gestaltet (vgl RIS-Justiz RS0041398). Selbst wenn ihm eine verfahrensrechtliche Bindungswirkung zukommt, ist diese auf das laufende Verfahren beschränkt und erfasst nur das Prozessgericht und das Rechtsmittelgericht. Materielle Rechtskraft kommt ihm schon deshalb nicht zu, weil nicht über ein Rechtsschutzbegehren entschieden wurde (siehe näher Fasching/Klicka in Fasching/Konecny2 III § 411 ZPO Rz 25).

Mangels Rechtskraftfähigkeit der von der Wiederaufnahmsklägerin herangezogenen Vorentscheidung fehlt es an einem tauglichen Wiederaufnahmsgrund, weshalb die Wiederaufnahmsklage zu Recht zurückgewiesen wurde.

Die wiederaufnahmsklagende Partei hat nach dem Ergänzungsbeschluss des Rekursgerichtes vom 30. 1. 2006 (ON 17), mit dem lediglich der (Revisions-)Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig erklärt wurde, erneut ein als „Ordentlicher Revisionsrekurs" bezeichnetes Rechtsmittel eingebracht (ON 20), das von der wiederaufnahmsbeklagten Partei wiederum beantwortet wurde (ON 23). Diese Schriftsätze sind wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels und der Rechtsmittelbeantwortung unzulässig (6 Ob 150/05k; RIS-Justiz RS0041666).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 iVm § 41 ZPO. Die zweite Rechtsmittelbeantwortung ist im Hinblick auf das zum Zeitpunkt der Einbringung schon verbrauchte Beantwortungsrecht nicht zu honorieren.

Stichworte