OGH 9Ob101/06b

OGH9Ob101/06b18.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin B***** Rechtsanwalts KEG, *****, gegen die Erlagsgegner 1. Dr. Stefan P*****, 2. Mag. Christina P*****, beide wohnhaft *****, 3. Josef W*****, 4. Gertrude Ö*****, die Vierterlagsgegnerin vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, wegen gerichtlicher Hinterlegung nach § 1425 ABGB, über den Revisionsrekurs der Erlegerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 10. Mai 2006, GZ 22 R 73/06a-10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 24. Jänner 2006, GZ 1 Nc 4/06w-3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss der Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Dritterlagsgegner und die Vierterlagsgegnerin sind schuldig, der Erlegerin die mit je EUR 834,48 (darin EUR 139,08 USt) bestimmten Kosten jeweils einer Rekursbeantwortung und je zur Hälfte die mit EUR 1.101,08 (darin EUR 183,51 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Erlegerin erlegte den Betrag von EUR 18.000 und beantragte beim Erstgericht, diesen Erlag gemäß § 1425 ABGB anzunehmen. Sie habe am 7. 6. 2005 im Auftrag der Erlagsgegner einen Kaufvertrag über die im Erlagsantrag näher bezeichnete Liegenschaft zum Kaufpreis von EUR 185.000 errichtet und dabei auch die Funktion der Treuhänderin übernommen. Der Ersterlagsgegner und die Zweiterlagsgegnerin haben im Kaufvertrag als Käufer, der Dritterlagsgegner und die Vierterlagsgegnerin als Verkäufer fungiert. Der vereinbarte Kaufpreis sei in der Folge auf dem Konto der Erlegerin eingelangt; hievon sollten EUR 100.000 an den Dritterlagsgegner bzw EUR 85.000 an die Vierterlagsgegnerin gelangen. Die Ausfolgung sollte erst dann erfolgen, wenn die entsprechenden Urkunden vorliegen bzw Voraussetzungen erfüllt seien (Genehmigung der Grundverkehrskommission). Die Übergabe der Liegenschaft sei wenige Tage nach der Unterfertigung des Kaufvertrags, der Anmerkung der Rangordnung und dem Eingang des Kaufpreises auf dem Treuhandkonto erfolgt. Am 11. 7. 2005 habe sich auf der kaufgegenständlichen Liegenschaft ein Murenabgang ereignet, der die Wasserzufuhr zum Haus unterbrochen habe. Mit Schreiben vom 13. 7. 2005 habe die Zweiterlagsgegnerin die Erlegerin von diesem Ereignis verständigt. Sie habe erfahren, dass bereits im August 2002 eine Mure abgegangen sei. Die Verkäufer hätten nicht die von der Gemeinde aufgetragenen Maßnahmen durchgeführt, weshalb die Käufer erwägen, infolge Verschweigung von Altlasten vom Kaufvertrag zurückzutreten. Die Erlegerin solle den Kaufpreis nicht an die Verkäufer ausfolgen. Mit weiterem Schreiben vom 5. 8. 2005 habe die Zweiterlagsgegnerin mitgeteilt, dass der Kaufpreis nach Genehmigung der Grundverkehrskommission nun doch, vorbehaltlich jedoch der Zurückbehaltung eines Restbetrags von EUR 18.000, ausgefolgt werden könne. Dieser Betrag diene als Sicherheit für noch ausstehende Altlasten, die Behebung der Murenschäden und Absicherung gegen spätere Katastrophen, aber auch für die Entsorgung von Sperrmüll, der von den Verkäufern zurückgelassen worden sei, sowie die Wiederinstandsetzung des desolaten Wassersystems des Hauses. Nach der Genehmigung durch die Grundverkehrskommission habe die Erlegerin am 16. 9. 2005 den Betrag von EUR 90.270 an den Dritterlagsgegner bzw den Betrag von EUR 76.730 an die Vierterlagsgegnerin ausgefolgt. Den Restbetrag von EUR 18.000 habe die Erlegerin vorerst zurückbehalten. Die Vierterlagsgegnerin habe der Erlegerin die grundbücherliche Durchführung des Kaufvertrags untersagt, obwohl bereits sämtliche Urkunden vorgelegen seien. Infolge dieser unklaren Sach- und Rechtslage bestünden für die Erlegerin gerechtfertigte Zweifel, in welchem Ausmaß eine Auszahlung zu erfolgen habe, weshalb sie den Restbetrag von EUR 18.000 bei Gericht hinterlege.

Das Erstgericht nahm diesen Erlag gemäß § 1425 ABGB an und sprach aus, dass der Erlag nur über gemeinsamen schriftlichen Antrag der Erlagsgegner oder auf Grund der Entscheidung eines Gerichts bzw einer Verwaltungsbehörde ausgefolgt werde.

Auf Grund der beiden Rekurse des Dritterlagsgegners und der Vierterlagsgegnerin änderte das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluss dahin ab, dass der Erlagsantrag der Erlegerin hinsichtlich des Betrags von EUR 18.000 abgewiesen werde. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil das Rekursgericht nicht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 309/00b und 7 Ob 272/01h gefolgt sei. Es bestünden keine Unklarheiten für die Treuhänderin, weil die Voraussetzungen für die Ausfolgung des Kaufpreises laut Kaufvertrag bereits vorliegen. Die Weiterleitung des Kaufpreises sollte nur vom Vorliegen bestimmter Urkunden abhängen; die Verkäufer sollten für keine bestimmte Eigenschaft des Kaufobjekts haften.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Erlegerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den erstinstanzlichen Beschluss wiederherzustellen.

Die Vierterlagsgegnerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Der gerichtliche Erlag eines geschuldeten Betrags befreit den Schuldner gemäß § 1425 ABGB nur dann, wenn entweder die dort näher bezeichneten (hier jedoch nicht maßgeblichen) oder sonst „andere wichtige Gründe" vorliegen. Zu diesen anderen wichtigen Gründen, die immer nur auf Gläubigerseite gegeben sein dürfen, gehört ua, dass mehrere Prätendenten die Forderung je für sich geltend machen, beide Ansprüche einander ausschließen und der Schuldner bei zumutbarer Prüfung nicht ohne weiteres erkennen kann, wer der wirklich Berechtigte ist, sohin für den Schuldner insoweit eine unklare Rechtslage gegeben ist (10 Ob 2058/96m ua). Zu diesen anderen zur Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB berechtigenden wichtigen Gründen kann auch der Fall gehören, dass im Rahmen einer (im ABGB selbst nicht geregelten und in ihrer Gestaltung weitgehend der Privatautonomie überlassenen) mehrseitigen Treuhandschaft fraglich ist, ob der hingebende Treugeber einen Rückgabe- oder der andere Treugeber einen Herausgabeanspruch hat (vgl Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1425 Rz 2a mwN).

Die Erlegerin fungiert nach ihrem Vorbringen als offene Treuhänderin im Rahmen einer mehrseitigen Treuhandschaft. Als solche hat sie der von ihr übernommenen Treuhandverpflichtung sorgfältig nachzukommen und die gegensätzlichen Interessen der Treugeber bestmöglich zu wahren (RIS-Justiz RS0107334 ua). Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach erkannt hat, dass der Treuhänder spätere Dispositionen lediglich eines Treugebers, die dem anderen Treugeber offenbar zum Nachteil gereichen, unberücksichtigt lassen muss (vgl RIS-Justiz RS0010415, RS0010472 ua). Es sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen dem Treuhänder von den beteiligten Treugebern gegensätzliche Weisungen erteilt werden. Alle Weisungen kann der Treuhänder in einem derartigen Fall naturgemäß nicht befolgen; er läuft uU sogar Gefahr doppelt beansprucht zu werden, insbesondere dann, wenn sowohl ein Rückgabe- als auch ein Ausfolgeanspruch erhoben werden (vgl Reischauer aaO § 1425 Rz 4). Der Treuhänder kann daher nach ständiger Rechtsprechung bei Auftreten eines Konflikts zwischen den Treugebern und unklarer Sach- oder Rechtslage - ähnlich dem Prätendentenstreit - ebenfalls zur gerichtlichen Hinterlegung des Treuguts gemäß § 1425 ABGB schreiten;

dies vor allem dann, wenn unklar ist, ob die Ausfolgungsbedingungen erfüllt sind (vgl Reischauer aaO § 1425 Rz 4a ff; Koch, Leistungsstörungen und Treuhänderpflichten, ecolex 1997, 147 [150];

Rahmatian, Zivil- und standesrechtliche Probleme im Zusammenhang mit der zweiseitigen Treuhand, AnwBl 1997, 454 [456]; 7 Ob 523/91; 7 Ob 626/92; 3 Ob 1590/95; 10 Ob 2058/96m; 5 Ob 309/00b; 7 Ob 272/01b; 10 Ob 309/02t; RIS-Justiz RS0010415, RS0010472 ua). Die Erhebung strittiger Tatumstände, etwa auf Grund widersprüchlicher Erklärungen der Treugeber, ist auch einem rechtskundigen Treugeber nicht zumutbar (vgl Heidinger in Schwimann, ABGB³ VI § 1425 Rz 13 mwN; 6 Ob 308/02s ua).

Diese Voraussetzungen liegen hier für die erlegende Treuhänderin vor. Verursacht wurden die Unklarheiten laut Erlagsantrag von den Kaufvertragsparteien, den Erlagsgegnern. Der von den Parteien eines Liegenschaftskaufvertrags unter Einschaltung eines Rechtsanwalts abgeschlossene Treuhandvertrag darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit dem zugrundeliegenden Kaufvertrag zu beurteilen (Koch aaO 149; 5 Ob 588/87; 7 Ob 272/01b ua). Die Ausfolgung des Kaufpreises war im vorliegenden Fall an das Vorliegen bestimmter Urkunden und die Genehmigung der Grundverkehrskommission geknüpft. Nach Abschluss des Kaufvertrags trat jedoch, ausgelöst durch einen Murenabgang auf der kaufgegenständlichen Liegenschaft, zwischen den Vertragsparteien ein schwerwiegender außerplanmäßiger Konfliktfall auf, der nach dem Vorbringen der Erlegerin offenbar weder im Treuhand- noch im Kaufvertrag bedacht worden war. Nach dem Murenabgang wies die Käuferseite die Treuhänderin an, den Kaufpreisrest von EUR 18.000 nicht an die Verkäufer auszufolgen, weil Altlasten verschwiegen worden seien, während die Verkäufer wiederum die Durchführung der Auszahlung forderten und der Treuhänderin untersagten, die Verbücherung durchzuführen.

Der Erleger hat im Erlagsantrag den Hinterlegungsgrund zu nennen und die Erlagsgegner namentlich zu bezeichnen. Letztere genießen kraft der verfahrensrechtlichen Erklärung des Erlegers Parteistellung (Reischauer aaO § 1425 Rz 16; 6 Ob 308/02s; RIS-Justiz RS0110882 ua). Das Hinterlegungsgericht hat mit einer gewissen Formstrenge zu prüfen, ob im Erlagsantrag der Erleger und die Gläubiger, für die erlegt wird, sowie der Erlagsgegenstand und der Erlagszweck bezeichnet sind (6 Ob 308/02s ua). Dies ist hier der Fall. Die Hinterlegung nach § 1425 ABGB hat die Schuldbefreiung des Erlegers zum Ziel. Die Rechtmäßigkeit der Hinterlegung ist nicht im außerstreitigen Verfahren, sondern im Rechtsweg zu klären. Das Außerstreitgericht prüft nur, ob das Vorliegen von Erlagsgründen behauptet wurde. Ob diese tatsächlich gegeben sind, ist - entgegen der Annahme des Rekursgerichts - nicht zu untersuchen. Es ist lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich des Erlagsantrags vorzunehmen (vgl Reischauer aaO § 1425 Rz 15 und 17; Heidinger aaO § 1425 Rz 24; RIS-Justiz RS0112198 ua). Nur in diesem Rahmen ist daher der Annahmebeschluss im Rechtsmittelverfahren überprüfbar. Wenn jedoch schon aus den Angaben des Erlegers hervorgeht, dass der von ihm benannte Erlagsgegner nicht Gläubiger des Erlegers sein kann, ist der Hinterlegungsantrag abzuweisen (6 Ob 308/02s; RIS-Justiz RS0112198 ua). Dies ist jedoch nicht der Fall. Neuerungen können bei der Überprüfung der Schlüssigkeit des Erlagsbeschlusses nicht berücksichtigt werden, muss doch die Schlüssigkeit im Hinblick auf die Aktenlage im Zeitpunkt des Erlagsbeschlusses geprüft werden. Eine nachträgliche inhaltliche Erweiterung des Akteninhalts kann keine Berücksichtigung bei der Schlüssigkeitsprüfung finden. Auch wenn behauptet wird, der Erleger mache unrichtige oder unvollständige Angaben über die Rechte der einzelnen Erlagsgegner, ist eine rasche Abwicklung beabsichtigt gewesen. Die Schlüssigkeit ist nur auf Grund der Behauptungen des Erlegers im Erlagsantrag zu überprüfen (vgl 6 Ob 308/02s ua).

Entgegen den vorstehenden Ausführungen unterzog das Rekursgericht den vorliegenden Erlagsantrag nicht bloß einer Schlüssigkeitsprüfung, sondern überprüfte auch gleich den Kaufvertrag dahin, ob die laut Erlegerin von den Käufern geltend gemachten Altlasten zur Zurückbehaltung eines Teils des Kaufpreises berechtigen. Das Rekursgericht qualifizierte die Annahme, die Mängelfreiheit des Kaufobjekts wäre eine ungeschriebene Bedingung für die Ausfolgung des Kaufpreises, als „eher lebensfremd" und lehnte den Gerichtserlag der Treuhänderin ab. Dabei wurde allerdings das Vorbringen im Erlagsantrag, die Käufer hätten gegenüber der Erlegerin geltend gemacht, dass ihnen für die Beurteilung des Kaufobjekts wesentliche Umstände von den Verkäufern verschwiegen worden seien, bei der vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung ebenso vernachlässigt wie der Umstand, dass auch die Verkäufer der Treuhänderin die vom ursprünglichen Abwicklungsplan abweichende Weisung erteilt haben, keine Verbücherung vorzunehmen. Ob aber letztlich den Käufern, nachdem sie mit dem Erlag des Kaufpreises bei der Treuhänderin ihrer Verpflichtung aus dem Kaufvertrag entsprochen haben, zufolge des erst danach entdeckten Murenabgangs im Jahr 2002 und diesbezüglich angeblich unterbliebener Maßnahmen der Verkäufer ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (vgl 7 Ob 626/92 ua), ist wie alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen der Auslegung der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen entgegen der Auffassung des Rekursgerichts und der Revisionsrekursgegnerin nicht im außerstreitigen Erlagsverfahren, sondern erst in einem allfälligen Rechtsstreit zu prüfen (vgl Reischauer aaO § 1425 Rz 17 und 34 ua). Zusammenfassend hat das Rekursgericht zu Unrecht das Vorliegen eines wichtigen Grunds iSd § 1425 erster Satz ABGB zum gerichtlichen Erlag des Betrags von EUR 18.000 verneint. Zureichende Gründe, von der ständigen Rechtsprechung, namentlich den vom Rekursgericht angesprochenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 309/00b und 7 Ob 272/01h, abzuweichen, wurden in der Rekursentscheidung nicht aufgezeigt. Der Erlagsantrag der Erlegerin war iSd vorstehend zitierten Rechtsprechung hinreichend deutlich und schlüssig. Ihrem Revisionsrekurs ist daher stattzugeben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidungen über die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens beruhen auf § 78 Abs 2 AußStrG.

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