OGH 14Os103/06p

OGH14Os103/06p10.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Roland als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Adnan P***** und Haktan T***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Haktan T***** sowie die diesen Angeklagten betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 7. Juni 2006, GZ 442 Hv 3/06t-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlass werden die Wahrsprüche zu den Hauptfragen 1., 2. und 3. II. und das darauf beruhende angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im die Angeklagten Adnan P***** und Haktan T***** betreffenden Schuldspruch A. wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB sowie im den Angeklagten Haktan T***** betreffenden Schuldspruch B. II. und in der zu B. nach §§ 127 und 15 StGB gebildeten Subsumtionseinheit, weiters im beide Angeklagten betreffenden Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung, in der Verweisung des Privatbeteiligten Sebastian O***** auf den Zivilrechtsweg und der zugleich verkündete, den Angeklagten Adnan P***** betreffende Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht verwiesen.

Im Übrigen wird die den Schuldspruch B. betreffende Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Haktan T***** zurückgewiesen. Dieser Angeklagte wird mit seiner darüber hinausgehenden Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung, die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten Haktan T***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Haktan T***** und Adnan P***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen - abweichend von der wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (zu A.), Haktan T***** überdies des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB (zu B.) schuldig erkannt.

Danach haben in Wien

A. Haktan T***** und Adnan P***** am 23. März 2006 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) „dem Sebastian O***** dadurch, dass sie gemeinsam die Tat planten, sich bedrohlich zu ihm hinstellten, um ihn einzuschüchtern und ihn aufforderten, sein Handy herauszugeben, Adnan P***** Haktan T***** aufforderte, das Handy mitzunehmen, Haktan T***** das Handy an sich nahm und zu Sebastian O***** sagte, wenn er nicht zur Polizei gehe, würde ihm auch nichts passieren, mithin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Handy der Marke NOKIA 3220 im Wert von rund 150 Euro, mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern";

B. Haktan T***** im Zeitraum Februar und März 2006 fremde bewegliche Sachen, nämlich Handys in jeweils nicht mehr festzustellendem Wert, unbekannt gebliebenen Geschädigten mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

I. in zumindest zehn Angriffen weggenommen und II. in zumindest fünf Angriffen wegzunehmen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass der dagegen nur von Haktan T***** erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde konnte sich der Oberste Gerichtshof zunächst davon überzeugen, dass der vom Nichtigkeitswerber nicht geltend gemachte, sowohl ihn als auch den Mitangeklagten Adnan P***** benachteiligende und damit von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO zum Schuldspruchsfaktum A./ vorliegt (§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 344 zweiter Satz StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616, § 290 Rz 9). Tatmittel des Raubes nach § 142 StGB ist Gewalt gegen eine Person oder eine qualifizierte Drohung, das heißt eine solche mit „gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB)". Die Drohung muss sich somit auf eine gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit beziehen, sodass eine Drohung mit einer bloßen körperlichen Misshandlung iSd § 115 StGB als Begehungsmittel ausscheidet (Eder-Rieder in WK² § 142 Rz 32). Zwar muss die Drohung nicht in einer direkten mündlichen Äußerung bestehen, sondern kann auch in einer Gebärde oder - nach den Tatumständen - etwa auch im drohenden „Umzingeln" des Opfers zum Ausdruck kommen (vgl Mayerhofer StGB5 § 142 E 13; 15 Os 130/93 ua). Das im Wahrspruch der Geschworenen - ohne nähere Konkretisierung der Tatumstände - festgestellte „bedrohliche Hinstellen" zur „Einschüchterung" des Tatopfers, verbunden mit der Aufforderung, das Handy herauszugeben, lässt jedoch nicht erkennen, ob damit nach dem Tatplan der Angeklagten eine gegenwärtige konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Bedrohten in der oben dargelegten Bedeutung angekündigt werden sollte.

Dafür reicht auch die wahrspruchsgegenständliche Äußerung des Beschwerdeführers, dem Bedrohten werde „nichts passieren", wenn er nicht zur Polizei gehe, nicht aus, wobei diese im Übrigen zeitlich nach vollendeter Wegnahme der Sache erfolgte und damit weder für den Bruch des Gewahrsams noch für die Begründung neuen eigenen Gewahrsams kausal war.

Die Unterlassung des Schwurgerichtshofes, im Rahmen der Schuldfragen nach einem konkreten historischen Geschehen zu fragen (§ 312 Abs 1 zweiter Satz StPO), macht das Urteil zwar prinzipiell aus der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO nichtig (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 40 f), doch werden Rechtsfehler unter dem Gesichtspunkt fehlender Feststellungen von der Z 11 lit a erfasst (12 Os 57/05d, 13 Os 17/06h ua). Dies zwingt zur Aufhebung des betroffenen Schuldspruchs und Anordnung einer neuen Verhandlung und Entscheidung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 344 StPO).

Der aus den Gründen der Z 4, 8, 9, 10a, 11 lit a und 12 des § 345 Abs 1 StPO gegen den Schuldspruch B. gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Hakan T***** kommt dagegen nur teilweise Berechtigung zu. Die Fragenrüge (Z 6, teils nominell unter Z 10a) macht zutreffend geltend, dass es der Schwurgerichtshof auch unterlassen hat, die Taten in der Hauptfrage 3 II. den Begehungsmodalitäten entsprechend zu konkretisieren, um eine Beurteilung der Rechtsfrage, ob zumindest eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung (§ 15 Abs 2 StGB) vorlag, zu ermöglichen (vgl die diesbezügliche Verantwortung des Angeklagten [S 205 f, 339 f]).

Diese erneute Unterlassung des Schwurgerichtshofes, im Rahmen der Schuldfragen nach einem konkreten historischen Geschehen zu fragen, macht das Urteil im Schuldspruch B. II. aus Z 6 des § 345 Abs 1 StPO nichtig (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 40f).

Dies macht die Aufhebung auch des Schuldspruchs hinsichtlich der unter B. II. beschriebenen Taten und demzufolge der nach §§ 127 und 15 StGB gebildeten, durch Teilrechtskraft zerschlagenen (Ratz, WK-StPO § 289 Rz 10) Subsumtionseinheit notwendig, wobei letztere im zweiten Rechtsgang mit oder ohne Faktum B. II. neu zu bilden sein wird (Ratz, JBl 2005, 294 ff).

Angesichts der kassatorischen Entscheidung zu den Schuldsprüchen A. und B. II. erübrigt sich ein Eingehen auf das diesbezügliche Rechtsmittelvorbringen sowie die Sanktionsrüge (Z 13). Die Berufungen sind somit gegenstandslos.

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde zum Schuldspruch B. keine Berechtigung zu.

Mit dem Einwand, die (verbleibende) Hauptfrage 3 (I) sei „dermaßen unbestimmt, dass eine Verurteilung nicht möglich, sondern nichtig ist", legt die Beschwerde nicht dar, welche konkreten weiteren Fragenmerkmale geboten gewesen wären (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584) und macht nicht deutlich, welche Umstände aus welchen Gründen im konkreten Fall zur Individualisierung der Taten erforderlich sein sollten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 290; 15 Os 38/03), sodass sie sowohl unter dem Aspekt der Z 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO als auch des „§ 345 Abs 1 Z 4 iVm § 260 Z 1 und 2 StPO" eine am Gesetz orientierte Darstellung verfehlt.

Die Individualisierung im Urteilsspruch konnte im aktuellen Fall bloß in Form einer Zusammenfassung gleichartiger, pauschal durch Tatzeitraum, Tatort und Art der weggenommenen fremden beweglichen Sachen indivisualisierbarer Taten erfolgen, was unter dem Aspekt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes ebensowenig zu beanstanden ist (Ratz, aaO Rz 291).

Soweit der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO - neben einer in der Anführung der in den Entscheidungsgründen festgestellten Tatsachen bestehenden Ordnungsfunktion - eine sichere Individualisierungsgrundlage bezweckt, streiten daraus resultierende Zweifel im Fall einer nachfolgenden Verurteilung im Übrigen für die Annahme von Tatidentität und damit das Vorliegen des aus dem XX. Hauptstück der StPO resultierenden Verfolgungshindernisses (zum Ganzen: Ratz, aaO Rz 266 bis 268, 288, 291).

Ein Fehler der Fragestellung, wie ihn der Beschwerdeführer - unter kontext - und sinnentkleideter fragmentarischer Zitierung der Hauptfrage 3 - in der als undeutlich bezeichneten Formulierung „im Angriff wegnehmen", erblickt, können aus Z 9 nicht erfolgreich gerügt werden (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 76). Im Übrigen kommt die als undeutlich kritisierte Wortfolge gar nicht vor, sondern beinhaltet die Fragestellung vielmehr die - zweifellos deutliche - Formulierung „in zumindest zehn Angriffen weggenommen".

Unter dem Aspekt der Z 12 verfehlt die Rüge mit ihrer (sinngemäßen) Forderung nach Beurteilung der Taten als Unterschlagung nach § 134 StGB eine methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz, indem sie die expliziten Feststellungen im Wahrspruch der Geschworenen übergeht, wonach der Beschwerdeführer unbekannt gebliebenen Geschädigten fremde bewegliche Sachen, nämlich Handys mit Zueignungs- und auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen hat. Soweit die Beschwerde weiters die Möglichkeit einer Subsumtion unter § 142 Abs 1 oder 2 StGB in den Raum stellt, ist sie nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt.

Indem der Rechtsmittelwerber in der Tatsachenrüge (Z 10a) seine (umfassend geständige) Verantwortung zusammengefasst wiederholt und erneut die Unterstellung seines Verhaltens unter § 134 StGB begehrt, vermag er keinerlei sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen, sondern bekämpft ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial bloß das von den Geschworenen ausdrücklich bejahte Vorliegen eines Zueignungsvorsatzes bereits bei der Wegnahme der Mobiltelefone.

Im Übrigen negiert er die gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach in Fällen, in denen - wie hier - eine Täuschung nur zu einer Gewahrsamslockerung, nicht aber zur Begründung von Alleingewahrsam an der Sache selbst durch den Täter führt, der Gewahrsamsbruch also erst durch eine nachfolgende Handlung des Täters bewirkt wird, ein („listig vorbereiteter" oder „listig verdeckter") Diebstahl vorliegt (vgl dazu zuletzt 14 Os 51/03 mwN; Kirchbacher/Presslauer in WK² § 146 Rz 54).

Die Instruktionsrüge (Z 8) übersieht mit ihrer Kritik am Unterbleiben einer „Belehrung nach § 134 StGB" und zur „Abgrenzung zwischen Raub und Unterschlagung", dass eine Rechtsbelehrung nach § 321 Abs 2 StPO nur eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf welche die gestellten Fragen gerichtet sind, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes zu enthalten hat, nicht aber Deliktsmerkmale anderer Tatbestände, derentwegen eine Frage gar nicht gestellt wurde (Mayerhofer StPO5 § 345 Z 8 E 22; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 19).

Der Verfahrensrüge (Z 4) behauptet mit ihrer unsubstantiierten und nicht am Gesetz orientierten These, das Geständnis des Angeklagten sei - mangels zuvor stattgehabter Besprechung mit einem Verteidiger oder Erziehungsberechtigten oder Beiziehung einer dieser Personen zur Vernehmung vor der Sicherheitsbehörde - nichtig, keine Verletzung einer der in § 345 Abs 1 Z 4 StPO - entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers - taxativ (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 193 ff) aufgezählten Vorschriften und ist einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

Es zeigt sich somit, dass in Ansehung der Schuldspruchsfakten A und B II die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst aber noch nicht einzutreten hat (§§ 285e, 344 StPO), sodass es die aufgezeigten Mängel erforderlich machen, schon bei nichtöffentlicher Sitzung die Wahrsprüche zu den Hauptfragen 1., 2. und 3. II. und das darauf beruhende Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A. wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und im Schuldspruch B II sowie in der zu B. nach §§ 127, 15 StGB gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß in den, weiters im beide Angeklagten betreffenden Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung, in der Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg und den zugleich verkündeten, den Angeklagten Adnan P***** betreffenden Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO unter Anordnung der Verfahrenserneuerung vor dem nunmehr sachlich zuständigen Jugendschöffengericht (§ 13 Abs 2 Z 1 StPO, § 27 Abs 2 JGG; Ratz, WK-StPO § 349 Rz 3 letzter Satz; § 289 Rz 19; Mayerhofer StPO4 E 19 ff; RIS-Justiz RS101029) aufzuheben. Im zweiten Rechtsgang wird der Entscheidung (auch) der unberührt gebliebene Teil des Wahrspruches (zur Hauptfrage 3. I.) und der Schuldspruch zugrunde zu legen sein.

Die Kostenersatzpflicht des Erstangeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Davon nicht betroffen sind jene Kosten, welche auf die amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO entfallen (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12). Eine etwaige Kostenseparation käme dem Erstgericht zu (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7, 11; § 389 Rz 11 bis 14).

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