Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie als
Teilurteil
lauten:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 29.273,64 samt 5,625 % Zinsen von 4. 7. 2002 bis 31. 12. 2002 und 5,5 % Zinsen seit 1. 1. 2003 zu bezahlen.
Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 29,92 samt 5,625 % Zinsen von 4. 7. 2002 bis 31. 12. 2002 und 5,5 % Zinsen seit 1. 1. 2003 zu bezahlen, wird abgewiesen. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten."
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte verursachte am Samstag, dem 21. 4. 2002 mit dem am Vortag (für das Wochenende) gemieteten Sportwagen der Marke Ferrari 360 Modena auf der Wiener Höhenstraße bei Tageslicht, guter Sicht und trockener Fahrbahn (Kopfsteinpflaster) einen Verkehrsunfall. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 60 km/h. Der Beklagte näherte sich bergauffahrend einer Steilkurve, die „seiner Einschätzung nach mit maximal 40 bis 50 km/h durchfahren werden konnte", mit einer Geschwindigkeit von ca 100 km/h, bremste vor Annäherung an die Unfallstelle und fuhr aufgrund eines dabei unterlaufenen Fahrfehlers mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h gegen eine Betonmauer. Der Beklagte, der sich gelegentlich schnelle Fahrzeuge ausborgte, kannte die Höhenstraße, die er bereits mehrmals „rennmäßig" bewältigt hatte. Durch den Anprall wurde der Ferrari total beschädigt. Der Fahrzeugschaden betrug EUR 72.000. Der Kaskoversicherer des klagenden Vermieters leistete eine Teilzahlung von EUR 38.366,36. Der Beklagte bezahlte einen Kaskoselbstbehalt von EUR 4.360.
Bereits am 24. 9. 2001 hatte der Beklagte diesen Ferrari für eine Probefahrt benutzt. Anlässlich der Ausfolgung des Fahrzeuges war er auf das Bestehen einer Vollkaskoversicherung und eines Selbstbehaltes hingewiesen worden. Über die (dem Vertragsformblatt angeschlossenen) allgemeinen Vertragsbedingungen des klagenden Vermieters war nicht gesprochen worden, insbesondere war kein Hinweis auf Punkt 4 („Versicherungsschutz") der allgemeinen Vertragsbedingungen erfolgt, der wie folgt lautet:
„Der Vermieter hat für das gegenständliche Fahrzeug eine Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung gemäß den allgemein gültigen Bedingungen für die Kraftfahrzeugversicherung abgeschlossen. Die Deckungssumme für die gesetzliche Haftpflichtversicherung beträgt EUR 7,630.000. Die Vollkaskoversicherung ist mit einem generellen Selbstbehalt von 5 %, mindestens EUR 4.360 inklusive Mehrwertsteuer belastet. Sollte aus irgendeinem Grund, den der Mieter oder Fahrer zu vertreten hat, die gegnerische Haftpflichtversicherung oder die eigene Vollkaskoversicherung den Schaden nicht tragen, so ist der Schaden vom Mieter bzw Fahrer zur Gänze zu ersetzen. Diese trifft insbesondere den verbleibenden Selbstbehalt aus der Vollkaskoversicherung. Für Schäden, die durch überhöhte, nicht angepasste Geschwindigkeit, insbesondere bei nasser, verschneiter oder eisglatter Straße verursacht werden, haftet der Mieter bzw Lenker im vollen Umfang. Weiters haftet der Mieter bzw Lenker für alle Nebenkosten im vollen Umfang, welche nicht von der Versicherung getragen werden. Ferner hat der Mieter bzw Fahrer den Vermieter von einer allfälligen Inanspruchnahme aufgrund des EKHG schad- und klaglos zu halten."
Anlässlich der in Graz am 20. 4. 2002 erfolgten Übergabe wurde kein schriftlicher Mietvertrag geschlossen, es wurde aber die Geltung der Bedingungen „wie beim letzten Mal, alles gehabt" vereinbart. Erst am 23. 4. 2002 unterzeichnete der Beklagte den schriftlichen Mietvertrag (einschließlich der angeschlossenen - unveränderten - allgemeinen Vertragsbedingungen: Beil A).
Entgegen der Zusicherung des Klägers bestand für das Fahrzeug nur eine Teilkaskoversicherung.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des klagenden Vermieters auf Ersatz des restlichen Fahrzeugschadens abzüglich der Versicherungsleistung und des vom Beklagten bezahlten Selbstbehaltes. Dem Beklagten sei aufgrund der weit überhöhten Geschwindigkeit, die zum Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug geführt habe, grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Auch im Falle des Bestehens einer Vollkaskoversicherung wäre der Versicherer gemäß § 61 VersVG aufgrund des groben Verschuldens regressberechtigt gewesen, weshalb der nicht erfolgte Abschluss einer Vollkaskoversicherung nicht kausal für den Schadenseintritt gewesen sei. Die Haftung in vollem Umfang lasse sich auch aus Punkt 4 der allgemeinen Vertragsbedingungen ableiten. Der Beklagte beruft sich wegen der zugesicherten Vollkaskoversicherung auf einen konkludent zustande gekommenen Haftungsausschluss hinsichtlich sämtlicher Schäden, die über den Selbstbehalt hinausgingen, und bestreitet die durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung begründete grobe Fahrlässigkeit. Die in Punkt 4 der allgemeinen Vertragsbedingungen enthaltene Bestimmung über die volle Haftung des Mieters sei als versteckte Klausel iSd § 864a ABGB nicht Vertragsbestandteil geworden und grob benachteiligend für den Beklagten, der den Mietvertrag nur im Vertrauen auf einen umfassenden Versicherungsschutz abgeschlossen hätte. Das Erstgericht verpflichtete mit Teilurteil den Beklagten zur Zahlung von EUR 29.303,56 sA. Es ging aufgrund der im ersten Rechtsgang durch das Berufungsgericht überbundenen Rechtsansicht (ON 17) von einer vertraglichen Beschränkung der Haftung des Beklagten auf grobe Fahrlässigkeit aus und wertete diese Haftungsvoraussetzung bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer kurvenreichen, dem Beklagten genau bekannten Strecke als verwirklicht.
Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Beklagten dieses Teilurteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens von EUR 29.303,56 sA ab. Es verneinte eine allein durch Überschreitung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit begründete grobe Fahrlässigkeit des Beklagten, der die für Anmietung maßgeblichen außergewöhnlichen Eigenschaften eines derartigen Fahrzeuges ausgenutzt und dabei im Zuge des Durchfahrens einer Kurve einen Fahrfehler begangen habe. Dagegen richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene außerordentliche Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag, das Teilurteil des Erstgerichtes wiederherzustellen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und teilweise auch berechtigt. In den Fällen einer unentgeltlichen Überlassung eines Fahrzeugs zum Gebrauch wurde in der Judikatur eine vertraglich vereinbarte Beschränkung der Haftung auf leicht fahrlässige Beschädigungen bejaht, wenn dem Übernehmer des Fahrzeuges entweder - wie hier - fälschlicherweise das Bestehen einer Vollkaskoversicherung zugesichert wurde (5 Ob 2015/96a: Leihvertrag iSd § 979 ABGB bei Überlassung eines Fahrzeuges wegen Lieferverzug des Autohändlers) oder keine Aufklärung erfolgte, dass entgegen der Verkehrsauffassung das überlassene Fahrzeug nicht kaskoversichert war (2 Ob 289/03v:
Überlassung eines Ersatzfahrzeuges im Rahmen eines Reparaturauftrages; vgl 1 Ob 35/03h = SZ 2003/30: Probefahrt eines Kaufinteressenten).
Die Bestimmung des § 1109 ABGB über die Rückstellungspflicht des Bestandnehmers ist ebenso dispositiver Natur (RIS-Justiz RS0020737) wie jene des § 979 ABGB (RIS-Justiz RS0097229). Es bestehen daher keine Bedenken, die in der eben zitierten Judikatur zur unentgeltlichen Überlassung von Kraftfahrzeugen dargelegten Kriterien auch auf die entgeltliche Gebrauchsüberlassung aufgrund eines Mietvertrages anzuwenden, zumal auch hier die auf die Einschränkung des Haftungsrisikos bezogene Erwartungshaltung des Mieters geschützt werden soll. Bei diesem Verständnis der vertraglichen Vereinbarung, dem auch der Beklagte nicht entgegentritt, stellt sich somit primär die Frage der Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit, zumal auch eine Vollkaskoversicherung, deren Bestehen dem Beklagten zugesichert worden war, nur leicht fahrlässig herbeigeführte Schäden abgedeckt hätte (§ 61 VersVG). Ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, erübrigt sich eine Erörterung der in Punkt 4 der Vertragsbedingungen enthaltenen, vom Kläger angezogenen Regelung über die Haftung für sämtliche Schäden aufgrund überhöhter Geschwindigkeit. Die Beurteilung der Schwere eines Verschuldens ist zwar einzelfallbezogen und verwirklicht nur bei einer krassen, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmenden Fehlbeurteilung eine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0087606; RS0042405 [T5 und 19]). Eine derartige korrekurbedürftige Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht hier allerdings unterlaufen.
Grobe Fahrlässigkeit fordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0030272). Sie setzt eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus, die sich über die alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, wobei der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass der Verstoß gegen das normale Handeln auffallend ist und der Vorwurf in höherem Maß gerechtfertigt ist (RIS-Justiz RS0031127 [T1]). Im Bereich des Versicherungsvertragsrechtes wird grobe Fahrlässigkeit dann bejaht, wenn schon einfachste naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RIS-Justiz RS0080371). Ein Verhalten eines Versicherungsnehmers, von dem dieser wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalles oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern, ist grob fahrlässig (RIS-Justiz RS0080414). Pflichtverletzungen, welche das gewöhnliche Maß an nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens erheblich übersteigen, bedeuten ein grobes Verschulden (RIS-Justiz RS0030303 [T3]). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelfall abhängig sein kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen und die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (RIS-Justiz RS0080275 [T 27]). Richtig ist zwar, dass in der Judikatur in Einzelfällen das Einhalten einer hohen Geschwindigkeit nur im Zusammentreffen mit anderen groben Aufmerksamkeitsfehlern, wie dem Hantieren an Musikanlagen (RIS-Justiz RS0030417 [T3, 4 und 5]) oder dem Bücken nach heruntergefallenen Gegenständen (RIS-Justiz RS0030417 [T7]) als grobe Fahrlässigkeit gewertet wurde und die bloße Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet (80 km/h) für sich alleine keine grobe Fahrlässigkeit begründete (RIS-Justiz RS0080484). Der gegen den Beklagten zu richtende Vorwurf lässt sich hier aber nicht auf eine nicht ins Gewicht fallende, bloße Geschwindigkeitsüberschreitung reduzieren; die Unfallsituation war bei einer Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände, insbesondere der - als notorisch vorausgesetzten - Besonderheiten der Wiener Höhenstraße (mehrere enge Kurven, Kopfsteinpflaster mit negativen Auswirkungen auf die Bremsverzögerung, an Wochenenden starker Ausflugsverkehr) durch eine besondere Gefährlichkeit gekennzeichnet. Bei Annäherung an eine Kurve, die sogar nach der subjektiven Einschätzung des im Umgang mit Sportfahrzeugen offenbar nicht unerfahrenen Beklagten nur ein Befahren mit 40 bis 50 km/h zuließ, wurde die höchstzulässige Geschwindigkeit von 60 km/h deutlich überschritten. Diese als eklatant zu wertende Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer notorisch gefährlichen Strecke bedeutete ein hohes Gefahrenpotential und rechtfertigt die Annahme grober Fahrlässigkeit (vgl 7 Ob 121/03z:
Geschwindigkeit von 140 km/h statt 80 km/h auf der Südautobahn - Wechselabschnitt).
Das in der Revisionsbeantwortung gebrachte Argument, laut der Werbung des Klägers solle sich ein Mieter wie ein bekannter Formel 1-Rennfahrer fühlen, weshalb der klagende Vermieter nicht mit der strikten Einhaltung aller Verkehrsregeln rechnen dürfe, überzeugt nicht. Zunächst sind die angeblichen Werbebehauptungen des Vermieters nicht festgestellt. Abgesehen davon stellt die Anmietung eines derartigen, unter anderem durch sein besonderes Beschleunigungsvermögen herausragenden Sportwagens keinen Freibrief für ein rücksichtsloses, andere Verkehrsteilnehmer abstrakt gefährdendes Fahrverhalten des Mieters dar, der sich über Verkehrsbeschränkungen offenbar bewusst hinwegsetzt. Der Beklagte haftet aus diesen Erwägungen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes für den Fahrzeugschaden, bei dessen Bemessung allerdings ein Rechenfehler des Erstgerichtes zu berücksichtigen war. Die Subtraktion der Versicherungsleistung (EUR 38.366,36: Beil J) und des Selbstbehaltes (EUR 4.360) vom festgestellten Fahrzeugschaden (EUR 72.000) ergibt einen Schadensbetrag von EUR 29.273,64. Die Kostenentscheidung gründet sich jeweils auf § 52 ZPO.
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