OGH 12Os98/06p

OGH12Os98/06p5.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer, in der Strafsache gegen Lamin J***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 1, Abs 2 zweiter und vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG sowie einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 18 Ur 74/06h des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. August 2006, GZ 1 Rk 101/06v-4 (ON 254 der Ur-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Zum AZ 18 Ur 74/06h wird beim Landesgericht für Strafsachen Graz unter anderem gegen Lamin J***** alias Lanfand T***** eine Voruntersuchung wegen „§ 28 Abs 2, Abs 3, Abs 4 SMG, § 278a StGB" geführt (S 3 f verso). Zu diesem Verfahren befindet sich der Beschuldigte Lamin J***** seit 16. Dezember 2005 (ON 71) aus den (nunmehr noch aktuellen) Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 und 2 Z 1 und 3 lit b StPO in Untersuchungshaft.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Ratskammer eine Beschwerde des Lamin J***** wegen unangemessener Verzögerungen im Rahmen der Voruntersuchung „als unbegründet zurück", erteilte aus Anlass der Beschwerde jedoch der zuständigen Untersuchungsrichterin den Auftrag, vom zuständigen Beamten des Stadtpolizeikommandos Graz eine schriftliche Stellungnahme abzuverlangen, welche polizeilichen Ermittlungen und Vorarbeiten für die Vollanzeige noch durchgeführt werden müssen und bis zu welchem konkreten Termin die Vollanzeige vorgelegt werden kann. Zutreffend verwies die Ratskammer bei ihrer Entscheidung auf die komplexen Ermittlungen gegen zahlreiche Personen und die laufenden, terminmäßig überwachten Erhebungen der Untersuchungsrichterin über den Stand der polizeilichen Tätigkeit (Beschluss S 4).

Die umfangreiche, durch Auswertung einer Vielzahl von Abhörprotokollen überaus aufwändige, fast fünfhundert Seiten umfassende - damit den Zeitaufwand ihrer Verfassung rechtfertigende - und nach Verfahrensausscheidungen nunmehr noch fünf Personen betreffende Vollanzeige ist zwischenzeitig, nämlich am 16. August 2005, bei Gericht eingelangt (ON 253).

Die Grundrechtsbeschwerde behauptet weiterhin eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes iSd § 193 Abs 1 StPO, sodass Lamin J***** in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1 Abs 1 GRBG kann eine Grundrechtsbeschwerde ausschließlich wegen Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit erhoben werden, sofern die Grundrechtsverletzung durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes erfolgte. Es muss sich um eine funktionell grundrechtsrelevante gerichtliche Entscheidung oder Verfügung handeln (Mayrhofer/Steininger GRBG § 1 Rz 24; 14 Os 164/03).

Die der Ratskammer nach § 113 StPO zugewiesene Kompetenz erstreckt sich, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf die Erledigung von Beschwerden, die durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters veranlasst wurden. Die Beurteilung der eigentlichen Haftfrage, im Besonderen der Rechtmäßigkeit der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, fällt indes kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§§ 179 Abs 5 und 6, 182 Abs 4, 190 Abs 2, 193 Abs 6 StPO) in die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz, wobei - zur Erfüllung des Gebotes der Erschöpfung des Instanzenzuges für die taugliche Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 193 Abs 1 StPO - die vorherige Anrufung der Ratskammer unabdingbar ist (vgl 14 Os 144/96 und jüngst 11 Os 55/06g).

Damit kommt der Ratskammer eine Entscheidungsbefugnis in der Frage der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von vornherein nicht zu und hätte sie im vorliegenden Fall nicht die Kompetenz gehabt, die Untersuchungshaft als nicht (mehr) gesetzmäßig zu erklären oder gar deren Aufhebung zu verfügen.

Beim bekämpften Beschluss der Ratskammer handelt es sich demnach um keine funktionell grundrechtsrelevante gerichtliche Entscheidung. Die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde war somit zurückzuweisen. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass im Hinblick auf den Erhebungsumfang fallbezogen die Untersuchungsrichterin noch nicht verhalten war, neben ihren mehrfachen Urgenzen beim Stadtpolizeikommando G***** bereits Abhilfe im Sinne von § 27 Abs 1 StPO zu suchen (vgl 14 Os 77/06i).

Stichworte