OGH 9ObA46/06i

OGH9ObA46/06i7.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Hans F*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S*****AG *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2006, GZ 7 Ra 174/05t-17, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1) Zur Revision des Klägers:

Der Revisionswerber lässt außer Acht, dass es für die Bedeutung einer Willenserklärung nicht primär auf den Willen des Erklärenden, sondern vielmehr auf das Verständnis ankommt, das ein redlicher Erklärungsempfänger von dieser gewinnen durfte und gewonnen hat (objektiver Erklärungswert). Ein versteckter Dissens liegt daher dann vor, wenn die Erklärungen der Parteien in ihrem objektiven Sinn aneinander vorbeigehen (also einen unterschiedlichen objektiven Erklärungswert haben), ohne dass dies den Parteien bewusst wird. Decken sich die Willenserklärungen äußerlich und umfassen sie alle wesentlichen Vertragspunkte, kann demnach von einem versteckten Dissens nur bei objektiv mehrdeutigen oder unvollständigen Erklärungen bei gleichzeitiger Nichtübereinstimmung des Gewollten gesprochen werden, wobei der objektive Erklärungswert mit Hilfe der Auslegungsregeln zu ermitteln ist. Maßgebend sind daher nicht die subjektiven Vorstellungen der Parteien; vielmehr ist die Frage zu klären, ob die (iSd §§ 914 ABGB ausgelegten) Willenserklärungen bei Beurteilung ihres objektiven Erklärungswertes taugliche Grundlage für einen Vertragsabschluss sein können (RIS-Justiz RS0014702; 2 Ob 40/05d; 9 ObA 28/05s).

Die Ermittlung des objektiven Erklärungswertes einer Willenserklärung ist immer eine Frage des Einzelfalls und daher im Allgemeinen nicht geeignet, die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zu verwirklichen. Eine krasse Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz, die dessen ungeachtet die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte, vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen.

Die Meinung des Revisionswerbers, die Willenserklärungen der Parteien seien unbestimmt und unverständlich, weil in ihrer Vereinbarung der vereinbarte Geldbetrag nicht ausdrücklich als Brutto- oder Nettobetrag definiert wurde, ist unzutreffend. Bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswertes ist nicht nur auf den bloßen Wortlaut der schriftlichen Erklärung sondern auch auf Umfeld und Vorgeschichte des Abschlusses der schriftlichen Vereinbarung abzustellen. Daher ist ua auch zu berücksichtigen, dass den Verhandlungen das Anbot auf Auszahlung der auf Basis des Ruhegehaltabkommens gebildeten Rückstellung zugrunde lag und dass die Parteien - auch der Kläger - bei all ihren im Laufe der Verhandlungen angestellten Berechnungen von der dem Kläger letztlich zustehenden monatlichen Bruttopension ausgingen. Vor diesem Hintergrund kann in den Ausführungen des Berufungsgerichtes über den objektiven Erklärungswert der beiderseitigen Willenserklärungen und in der darauf gegründeten Verneinung des vom Kläger behaupteten Dissenses keine unvertretbare, die Zulässigkeit der Revision rechtfertigende Fehlbeurteilung erblickt werden.

2) Zur Revision der Beklagten:

Die Revisionswerberin stellt nicht in Frage, dass ein Geschäftsirrtum auch durch die Unterlassung einer gebotenen vorvertraglichen Aufklärung veranlasst werden kann (§ 871 Abs 2 ABGB; im Detail: 1 Ob 23/04w mwN); sie bestreitet aber, im konkreten Fall zu der vom Berufungsgericht verlangten Aufklärung des Klägers verpflichtet gewesen zu sein.

Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung erstreckt sich die vorvertragliche Aufklärungspflicht auf alle Umstände, über die der Vertragspartner nach den durch die Verkehrsanschauung geprägten Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten kann. Insofern kann es auch wesentlich sein, inwieweit der Vertragspartner zum Ausdruck bringt, dass für ihn bestimmte Punkte von besonderer Bedeutung sind (1 Ob 23/04w; 7 Ob 154/00y je mwN). Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Arbeitgeber gegenüber seinen ehemaligen Arbeitnehmern im Zusammenhang mit Vorschlägen, die auf eine Befreiung des Arbeitgebers von weiteren direkten Leistungsverpflichtungen aus einer Pensionsvereinbarung hinauslaufen, zur umfassenden Aufklärung verpflichtet ist (9 ObA 243/02d; 8 ObA 100/04w). Wie weit diese Aufklärungspflicht im konkreten Fall reicht, ist eine Frage des Einzelfalls, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen - die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann. Eine krasse Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz zeigt aber die Revisionswerberin nicht auf. Sie verneint jegliche Aufklärungspflicht mit der Begründung, dass auch die hier ausgezahlte Rückstellung dem Entgeltbegriff unterliege und der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, den Arbeitnehmer darüber aufzuklären, dass Arbeitsentgelt - der Verkehrsauffassung entsprechend - brutto ausgezahlt werde. Damit trägt sie aber den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht Rechnung. Die Beurteilung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers kann sich nicht im Abstellen auf den arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff und auf daraus - losgelöst vom Einzelfall - abgeleitete Schlussfolgerungen beziehen. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass es sich hier um die Auszahlung einer Rückstellung handelt, die der durchschnittliche Arbeitnehmer im Allgemeinen nicht mit der ihm vertrauten Zahlung des laufenden Entgelts gleichsetzen wird. Berücksichtigt man ferner die Höhe der vereinbarten Zahlung und die daraus abzuleitende große Bedeutung für den Beklagten, so erweist sich die Auslegung der Aufklärungspflicht der Beklagten durch die zweite Instanz vor dem Hintergrund der eben zitierten Rechtsprechung jedenfalls nicht als krasse Fehlbeurteilung.

Stichworte