OGH 9ObA66/05d

OGH9ObA66/05d4.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Verband Steirischer Alten- und Betreuungsheime, Grazer Straße 10, 8130 Frohnleiten, vertreten durch Dr. Johannes Dörner und Dr. Alexander Singer, Rechtsanwälte in Graz, gegen den Antragsgegner Österreichische Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Handel, Transport, Verkehr, Teinfaltstraße 7, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Walter Silbermayr, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 2 ASGG, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die mit Schriftsatz des Antragstellers vom 19. Juli 2005 unter der Bezeichnung „Replik" vorgenommene Ausdehnung des Feststellungsantrags wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass Art V Nachtschwerabeitsgesetz-Novelle 1992, BGBl 473, idF der Bundesgesetze BGBl Nr. 662/1992, BGBl I Nr. 98/2001, auf Pflegeheime ohne Pflegestationen nicht zur Anwendung kommt; in eventu, dass der Nachtdienst in Pflegeheimen ohne Pflegestationen zwischen 22 Uhr und 6 Uhr regelmäßig und in erheblichem Ausmaß in die Arbeitsbereitschaft fällt, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Kollektivvertragsfähigkeit des Antragstellers und des Antragsgegners ergibt sich aus § 4 Abs 2 ArbVG. Diejenige des Antragstellers ist aber laut Beschluss des Bundeseinigungsamts beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Zl 12/BEA/1996-35, vom 1. Oktober 1996, auf das Bundesland Steiermark beschränkt (Blg ./A).

Mit seinem am 27. April 2005 beim Obersten Gerichtshof eingelangten Feststellungsantrag nach § 54 Abs 2 ASGG beantragt der Antragsteller die aus Punkt 2 des Spruchs hervorgehende Feststellung. Das von ihm erstattete Tatsachenvorbringen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Vom vorliegenden Antrag sind mehr als drei Arbeitnehmer betroffen. Im Verband des Antragstellers sind steirische Alten- und Betreuungsheime ohne Pflegestationen vereinigt. Das Arbeitsfeld der Arbeitnehmer in diesen Pflegeheimen lässt sich während des Nachtdienstes zusammenfassend so darstellen: In der Nacht wird niemand aufgenommen, nicht operiert, nicht geröntgt, es werden üblicherweise keine Wunden verbunden, keine Spritzen oder Infusionen verabreicht, usw. Es herrscht grundsätzlich Nachtruhe, die durch Kontrollgänge, Umlagerungen und Inkontinenz-Versorgungen kurzzeitig unterbrochen wird. Die Arbeitsbelastung ist in den Nachtruhezeiten zwischen 22 und 6 Uhr geringer als in einer Krankenanstalt. In die Nachtarbeitszeit fällt eine Arbeitsbereitschaft von ca 3 Stunden und 40 Minuten.

Dennoch beanstandete das Arbeitsinspektorat Graz in einem Besichtigungsbericht vom 19. 5. 2004, dass bei einen der Mitglieder des Antragstellers für die geleisteten Nachtdienste kein Zeitguthaben im Ausmaß der gesetzlich vorgeschriebenen zwei Stunden nach Art V § 3 Abs 1 iVm 2 Abs 1 Nachtschwerarbeitsgesetz-Novelle 1992 (NSchG-Nov) gewährt werde.

Der Antragsteller folgert daraus in rechtlicher Hinsicht: Das Gesetz definiere die Nachtschwerarbeit gemäß Art V § 2 iVm § 3 NSchG-Nov als unmittelbare Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten in bestimmten Einrichtungen in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, im Umfang von mindestens sechs Stunden, sofern diese Arbeitszeit nicht regelmäßig und in erheblichem Ausmaß in die Arbeitsbereitschaft fällt. Was unter erheblichem Ausmaß zu verstehen sei, lasse das Gesetz offen, unter Anlehnung an die vergleichbare Formulierung des § 5 AZG komme man zu einem Drittel der Gesamtarbeitszeit als Bezugsgröße. Das heißt, dass während einer sechsstündigen Arbeitsdauer eine zweistündige Erholungsmöglichkeit bestehen müsse. Im vorliegenden Fall überschreite die Zeit der bloßen Arbeitsbereitschaft und damit der möglichen Erholungsphase jedenfalls ein Drittel der Gesamtnachtarbeitszeit. Es bestehe ein rechtliches Interesse des Antragstellers daran, Klarheit darüber zu bekommen, ob die in Pflegeheimen ohne Pflegestation geleistete Nachtarbeit als Nachtschwerarbeit iSd Art V NSchG-Nov zu qualifizieren sei. Die verfehlte und unbegründete Annahme des Arbeitsinspektorats und die unklare Formulierung des Gesetzgebers machten eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs notwendig.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Feststellungsantrags. Sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch hinsichtlich des Eventualantrags fehle es am rechtlichen Interesse. Insbesondere begehre der Antragsteller mit dem Hauptantrag eine reine Wiederholung des Gesetzestextes, mit dem Eventualantrag eine unzulässige Sachverhaltsfeststellung. Der Antragsgegner wendete weiters ein, dass der Antragsteller auch Mitglieder vertrete, die Pflegeheime mit Pflegestationen betrieben. Im Übrigen sei es bei Pflegestationen nicht angezeigt, Nachtschwerarbeit schon dann zu verneinen, wenn ein Drittel auf Arbeitsbereitschaft entfalle. Aufgrund der besonderen Erschwernisse müsse zumindest die Hälfte einer sechsstündigen Arbeitszeit auf Arbeitsbereitschaft entfallen, um diese als „erheblich" qualifizieren zu können.

Rechtliche Beurteilung

Zur Zurückweisung des Schriftsatzes des Antragstellers vom 19. Juli 2005:

Die in diesem Schriftsatz vorgenommene Ergänzung des Antrages ist nicht zulässig. In seiner Entscheidung 8 ObA 52/03k hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, dass im Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG ergänzende Schriftsätze des Antragstellers lediglich insoweit zulässig sind, als damit Unvollständigkeiten oder Unklarheiten in der Sachverhaltsdarstellung beseitigt bzw Berichtigungen der Sachverhaltsbehauptungen vorgenommen werden. Hingegen ist die Geltendmachung neuer Anspruchsgrundlagen unzulässig, zumal sie zu einer neuerlichen Durchführung des gesamten Verfahrens iSd § 54 Abs 3 ASGG führen müsste, was aber mit dem Umstand in Widerspruch steht, dass diese Gesetzesstelle nur einen Auftrag zur Stellungnahme durch den Antragsgegner vorsieht. Daher sind - von den obigen Sinn als zulässig erachteten Verbesserungen abgesehen - ergänzende Schriftsätze des Antragstellers, die weitere Aufträge an den Antragsgegner zu Stellungnahme iSd § 54 Abs 3 erfordern würden, nicht zulässig. Schriftsätze, die dieses erforderten, sind daher grundsätzlich als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0119227, zuletzt 9 ObA 128/04w).

Den weiteren Erwägungen ist voranzustellen, dass der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG allein auf Grundlage des vom Antragsteller behaupteten Sachverhalts zu prüfen ist. Somit kann einem Einwand, der vom Vorbringen des Antragstellers abweichendes Tatsachenvorbringen enthält, nicht nachgegangen werden. Der Einwand des Antragsgegners, dass der Antragsteller auch Mitglieder habe, die Pflegestationen führen, ist daher unbeachtlich.

Den weiteren Ausführungen ist also zugrunde zu legen, dass sich der Antrag auf Pflegebetriebe bezieht, die keine Pflegestationen aufweisen.

Gemäß Art V § 1 NSchG-Nov gilt Art V für Arbeitnehmer, die in Krankenanstalten (Heil- und Pflegeanstalten) iSd § 2 Abs 1 Z 1 bis 6 des Krankenanstaltengesetzes in der geltenden Fassung oder in Pflegestationen von Pflegeheimen beschäftigt sind (Pkt. 1.) und Nachtschwerarbeit iSd § 2 leisten (Pkt. 2.). Gemäß Art V § 2 Abs 1 NSchG-Nov leistet ein Arbeitnehmer Nachtschwerarbeit, der in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr mindestens sechs Stunden in den in den Ziffern 1 bis 17 aufgezählten Einrichtungen beschäftigt ist und während dieser Zeit unmittelbar Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten leistet, sofern nicht in diese Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitsbereitschaft fällt. Zu den vom Gesetz genannten Einrichtungen zählen gemäß § 2 Abs 1 Z 11 NSchG-Nov „Pflegestationen in Pflegeheimen". Sämtliche anderen aufgezählten Einrichtungen sind (unstrittig) den von der Antragstellerin betriebenen Institutionen weder ähnlich noch vergleichbar. Gemäß § 3 Abs 1 NSchG-Nov gebührt für jeden Nachtdienst iSd § 2 ein näher beschriebenes Zeitguthaben.

Schwarz/Ziniel (Nachtschwerarbeitsgesetz, 93 ff) lehren, dass für die Gewährung eines Zeitguthabens gemäß Art V § 3 NSchG-Nov die Voraussetzungen des Art V § 2 Abs 1 NSchG-Nov kumulativ gegeben sein müssen. Es sei daher in einer der im § 2 Abs 1 des Art V NSchG-Nov genannten Einrichtungen oder in einer durch Kollektivvertrag oder Verordnung gleichgestellten Einrichtung Nachtarbeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr im Ausmaß von mindestens sechs Stunden in Form unmittelbarer Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten zu leisten, ohne dass in diese Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitbereitschaft falle. Ein erhebliches Ausmaß in diesem Sinne sei bei mehr als einem Drittel Arbeitsbereitschaft während der sechsstündigen Nachtarbeitszeit anzunehmen. Der OGH stellte dieser Lehrmeinung folgend in seinem Erkenntnis 8 ObA 274/98x gemäß § 54 Abs 2 ASGG unter anderem fest, dass die durch § 1 der NSchG-Nov 1992, erfassten Arbeitnehmer bereits dann Anspruch auf die Leistungen gemäß § 3 dieses Gesetzes haben, wenn die zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 erster Satz dieses Gesetzes in der Weise erfüllt sind, dass bei Zutreffen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen während der Nachtarbeit von zumindest 6 Stunden in diese Zeit vom Arbeitnehmer verrichtete unmittelbare Betreuungs- und Behandlungsarbeit im Ausmaß von zumindest 4 Stunden fällt.

Ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. Danach kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung besteht; dessen Fehlen führt nach ständiger Rechtsprechung zur Abweisung der Klage. Nichts anderes gilt für den Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG (zuletzt 9 ObA 128/04w). Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, welchen bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses im Rahmen eines Feststellungsantrages nach § 54 Abs 2 ASGG nicht, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind. Der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG dient nämlich der Prävention und der Prozessökonomie (RIS-Justiz RS0109383; RS0037479).

Dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Qualifikation von pflegerischen Tätigkeiten als Nachtschwerarbeit kumulativ vorliegen müssen, bestreitet weder der Antragsteller noch der Antragsgegner. Der Antragsteller hat sein rechtliches Interesse lediglich darauf gegründet, dass „die verfehlte und unbegründete Annahme des Arbeitsinspektorats und die unklare Formulierung des Gesetzgebers über den Anwendungsbereich des dem Antrag zugrunde liegenden Gesetzes" eine Entscheidung des Gerichts erforderlich mache. Weder Antragsteller noch Antragsgegner behaupten, dass Nachtschwerarbeit schon dann vorliegt, wenn diese außerhalb einer Einrichtung des Art V § 2 Abs 1 Nachtschwerarbeitsgesetz verrichtet wird. Der Hinweis auf die „unklare Formulierung des Gesetzgebers" allein ist schon wegen der unmissverständlichen zweimaligen Nennung von Pflegestationen in Pflegeheimen als Einrichtungen, die für die Verrichtung von Nachtschwerarbeit in Frage kommen, als Antragsbegründung nicht tragfähig. Schon nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers fehlt es an der vom Gesetz klar geforderten Voraussetzung einer entsprechenden Einrichtung, nämlich an einer Pflegestation, wie vom Antragsgegner zutreffend eingewendet wird, und damit am notwendigen rechtlichen Feststellungsinteresse. Fehlt es aber an einer notwendigen Voraussetzung für die Annahme des Vorliegens von Nachtschwerarbeit, begründet auch der Umstand, dass für den Antragsteller unklar sein könnte, was unter „erheblichem Ausmaß von Arbeitsbereitschaft" zu verstehen ist, nicht das erforderliche Interesse.

Auch die Behauptung des Antragstellers, eine Verwaltungsbehörde (Arbeitsinspektorat) lege für ihren Bereich Art V NSchG-Nov abweichend aus, kann eine Antragstellung nach § 54 Abs 2 ASGG nicht rechtfertigen. Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist es nach dieser Gesetzesstelle, arbeitsrechtliche Fragen, die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer strittig sind, zu entscheiden (Kuderna, ASGG², 343). Ein derartiger Streit besteht hier - wie dargestellt - nicht. Wie der Antragsgegner zutreffend einwendet, kann der Antragsteller Abhilfe gegen einen Verwaltungsbescheid nicht durch einen Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG, sondern nur im Verwaltungsweg suchen.

Da Haupt- und Eventualantrag schon mangels rechtlichen Interesses abzuweisen sind, erübrigt es sich auf den weiteren Einwand des Antragsgegners einzugehen, dass das Antragsbegehren vom personellen und örtlichen Wirkungsbereich des Antragstellers gar nicht zur Gänze gedeckt sei.

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