OGH 16Ok23/04

OGH16Ok23/0420.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Wolfgang Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Dr. Erich Haas als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin N***** Limited, *****, UK-Northern Ireland, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin S***** GmbH, *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterlassung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und einstweiliger Verfügung, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 27. Juli 2004, GZ 29 Kt 335, 337/01-69, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die in Nordirland ansässige Antragstellerin stellt Human- und Veterinärarzneimittel her. Im Veterinärarzneimittelbereich erzeugt sie ca 80 Produkte, die sie in 110 Ländern vertreibt. Sie ist als Lohnhersteller für neun der zehn multinationalen (Veterinär-)Arzneimittelunternehmen tätig. Sie expandiert auch im Bereich Humanarzneimittel. Sie investiert kontinuierlich in Forschung und Entwicklung, Produktion und Qualitätskontrolle, wobei die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen den höchsten technischen Standards entsprechen.

Die Antragsgegnerin entwickelt, produziert und vermarktet generische Arzneien sowie pharmazeutische und biotechnologische Wirkstoffe weltweit. Penicilline werden von ihr sowohl zur (konzern-)eigenen Weiterverarbeitung als auch für ihre Kooperationspartner produziert. Das Produkt „crystalline flucloxacillin" stellt die Antragsgegnerin nicht her. Sie war immer und ist weiterhin bereit, der Antragstellerin das Produkt „crystalline amoxicillin sodium" zu liefern.

Penicillin G Sodium bekämpft Bakterien wie Streptokokken, Pneumokokken, Meningokokken, Gonokokken und Staphylokokken, die Ursache für Infektionskrankheiten sind. Es wird bei Wundinfektionen, Gewebsinfektionen und Infektionen des HNO-Traktes, des Atmungstraktes etc von Ärzten im Krankenhaus angewandt. Penicillin G Sodium ist bei allgemeinen Infektionen und bei vielen weiteren Indikationen einsetzbar. Es zählt zu den Schmalspektrum-Penicillinen und ist eines der ersten Antibiotika. Es wurde bereits in den 1950er Jahren in Kliniken eingeführt. Medizinisch gesehen ist es ein einfaches Produkt, das daher auch sehr leicht durch andere Antiinfektiva substituiert werden kann. Im Laufe der Zeit wurde versucht, mit drastischer Erhöhung der Dosen das Wirkspektrum zu verbreitern. Diese Methode war aber durch Nebenwirkungen - wie Störung des Elektrolythaushaltes und Wirkungen auf das Zentralnervensystem - begrenzt. Gleichzeitig wurden immer neue Antibiotikagruppen mit immer breiterem Wirkspektrum und weiteren Anwendungsvorteilen entwickelt, die die Stellung von Penicillin G Sodium in praktisch allen wichtigen Indikationen zurückgedrängt haben.

Die Methode zur Herstellung von Penicillin G Sodium ist vergleichsweise einfach. Das hiefür notwendige Wissen ist öffentlich bekannt. Es ist ein eher kostengünstig herzustellendes Antibiotikum mit vergleichsweise geringer Profitabilität. Penicillin G Sodium wurde in den Produktionsanlagen von Pharmaunternehmen immer häufiger durch andere Erzeugnisse ersetzt. Auf Grund dieser Marktaustritte ist die Antragsgegnerin nunmehr der einzige Erzeuger von Penicillin G Sodium, der in der Europäischen Union produziert, über eine Zulassung in der Europäischen Union für dieses Erzeugnis verfügt und Abnehmer in der Europäischen Union mit diesem Erzeugnis beliefert. Penicillin G Sodium ist säureempfindlich und kann deswegen nicht oral eingenommen werden. Es muss durch Infusionen oder Injektionen direkt in die Blutbahn verabreicht werden. Patienten treten daher als Direktnachfrager des Erzeugnisses nicht auf. Nachfrager sind Krankenhäuser und in geringerem Umfang auch niedergelassene Ärzte, die Penicillin G Sodium an ihre Patienten verabreichen. Am österreichischen Krankenhausmarkt spielt Penicillin G Sodium eine untergeordnete Rolle.

Vereinfacht lässt sich die Herstellungsweise von Penicillin G Sodium wie folgt darstellen:

Aus Pilzkulturen (biologischen Ausgangsstoffen), die in einem ersten Produktionsschritt gezüchtet werden, wird in einem zweiten Produktionsschritt Rohpenicillin hergestellt. Die Antragsgegnerin stellt die biologischen Ausgangsstoffe und das Rohpenicillin nicht her, sondern kauft Rohpenicillin am Weltmarkt ein und stellt in einem dritten Produktionsschritt daraus steriles Penicillin G Sodium her. Die Herstellung von sterilem Penicillin G Sodium ist seit dem Ende der 1960er Jahre patentfrei.

Bis zum Jahr 1999 bezog die Antragstellerin steriles Penicillin G Sodium in Bulkform vom Hersteller DSM. Dieser stellte die Produktion dieser Ware 1999 sowohl in seiner Fabrikationsanlage in Holland als auch in Mexiko ein. In beiden Produktionsanlagen war steriles Penicillin G Sodium entsprechend europäischen Zulassungsvorschriften produziert worden. Seit damals ist die Antragstellerin auf der Suche nach einem Lieferanten, der steriles Penicillin G Sodium in Bulkform gemäß europäischer Zulassungsvoraussetzungen produziert. Mit ihrem Antrag vom 21. 8. 2001 begehrt die Antragstellerin - gestützt auf §§ 35, 52 KartG sowie Art 82 EG - zuletzt (AS 307),

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblickt die Rekurswerberin darin, dass das Erstgericht über die Produkte crystalline flucloaxsillin sodium und crystalline amoxiciline sodium entschieden habe, obwohl diese vom Begehren der Rekurswerberin nicht (mehr) umfasst gewesen seien.

Wenngleich es zutrifft, dass die Rekurswerberin mit ihren Anträgen zuletzt nur noch die Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung in Bezug auf das Produkt Penicillin G Sodium und die Belieferung mit diesem Produkt anstrebte, so ist sie doch durch die Abweisung ihrer nicht mehr aufrechterhaltenen Anträge in Bezug auf die beiden vorgenannten Produkte nicht beschwert (RIS-Justiz RS0043907), führte doch diese Abweisung nicht einmal zu kostenrechtlichen Nachteilen für die Antragstellerin. Zum weiteren behaupteten Verfahrensmangel wird bei der Behandlung der Rechtsrüge Stellung genommen werden.

Unter dem Rekursgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung bekämpft die Antragstellerin folgende Feststellungen als Ergebnis einer unrichtigen Beweiswürdigung des Erstgerichts:

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