OGH 10ObS68/05f

OGH10ObS68/05f18.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Scherz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj Alexander Maria W*****, geboren am 24. November 1998, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz ua Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Land Oberösterreich, Bahnhofsplatz 1, 4021 Linz, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. April 2005, GZ 11 Rs 28/05z-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Oktober 2004, GZ 17 Cgs 58/04i-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 1. 12. 2003 Pflegegeld der Stufe 3 in einer monatlichen Höhe von EUR 413,50, ab 1. 1. 2005 EUR 421,80, zu bezahlen und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen und die künftig fällig werdenden jeweils am Ersten des Folgemonats im Nachhinein.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 898,49 (darin EUR 149,75 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 USt) bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 24. 11. 1998 geborene Kläger leidet an Nierenversagen. Er bezieht seit Mai 2003 Pflegegeld der Stufe 1. Mit Bescheid vom 11. 2. 2004 lehnte die beklagte Partei seinen Antrag vom 14. 11. 2003 auf Erhöhung des Pflegegeldes mit der Begründung ab, dass kein Pflegebedarf von mehr als 75 Stunden pro Monat bestehe.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren insoweit statt, als es die beklagte Partei verpflichtete, dem Kläger ab 1. 12. 2003 ein Pflegegeld der Stufe 2 im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen und das Mehrbegehren auf Zahlung eines Pflegegeldes der Stufe 5 abwies. Nach den Feststellungen steht mit der ab 1. 12. 2003 beurteilten Erkrankung des Klägers folgender Pflegebedarf in Verbindung:

Beim Kläger wird eine Peritonealdialyse durchgeführt, also eine Bauchfelldialyse, bei der das Blut nicht wie sonst üblich außerhalb des Körpers mit einem speziellen Filter gereinigt wird, sondern zur Dialyse das gut durchblutete Bauchfell des Patienten als körpereigene Filtermebran verwendet und dabei eine Dialyselösung in die Bauchhöle eingeflößt wird, welche die giftigen Stoffwechselprodukte aufnimmt. Nach einigen Stunden wird die Dialyseflüssigkeit mit den Harnbestandteilen wieder aus der Bauhöhle ausgelassen. Ansonsten gesunde Erwachsene können diese Dialyse selbständig durchführen. Beim Kläger musste eine solche Dialyse bis Ende März 2004 dreimal in der Woche durchgeführt werden, von April bis einschließlich August 2004 täglich und seit September 2004 wieder viermal in der Woche. Die Peritonealdialyse erfolgt über einen dauerhaften Bauchkatheter und kann von einem ansonsten gesunden Kind im Alter des Klägers selbständig nicht durchgeführt werden. Auch der Kläger benötigt dafür eine Betreuungsperson. Der Zeitaufwand für einen Dialysevorgang inklusive Vor- und Nachbereitung und notwendiger Pflege- und Sterilisierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Katheter beträgt etwa 70 Minuten.

Einmal in der Woche muss mit dem Kläger nach Bad Ischl zur Blutabnahme gefahren werden. Dieser Vorgang dauert ca eine Stunde. Die Blutwerte werden dann per Post zugeschickt.

Zudem benötigt der Kläger eine Plasmapherese, die an der Universitätsklinik in Innsbruck durchgeführt wird. Die Plasmapherese war bis Jänner 2004 notwendig, zwischenzeitig nicht notwendig und ab Anfang April 2004 wieder notwendig. Der Zeitaufwand für die Betreuungsperson dabei ist hoch. Insgesamt benötigt man für eine Plasmapherese zumindest 10 Stunden inklusive Fahrzeit.

Zusätzlich zum Bauchkatheter verfügt der Kläger dauerhaft über einen zweiten Katheter, nämlich einen zentralen Venenkatheter mit zwei Schenkeln, der an einer unzugänglichen Stelle im Brustbereich liegt und den auch ein ansonsten gesunder Erwachsener selbst nicht pflegen und sterilisieren könnte. Der Venenkatheter muss alle zwei Tage gespült, gereinigt und frisch verbunden werden, was durchschnittlich 30 Minuten dauert (im Monat somit 15 Stunden).

Auch im Bereich des Bauchkatheters ist neben der Dialyse noch an bestimmten Tagen zB bei Hitze und bei Schwitzen eine zusätzliche Pflege notwendig, und zwar 1 bis 2 mal in der Woche eine zusätzliche Pflege im Ausmaß von 15 bis 20 Minuten, somit durchschnittlich 2 Stunden monatlich.

Der Kläger benötigt zum An- und Auskleiden Betreuung beim Anziehen der Oberbekleidung wegen der notwendigen Vorsicht gegenüber den beiden Kathetern; der Zeitaufwand hiefür beträgt monatlich 10 Stunden.

Die Katheter erschweren auch die tägliche Körperpflege, bei der es wie beim An- und Auskleiden ansonsten keinen Unterschied im Pflegebedarf zu einem gleichaltrigen gesunden Kind gibt. Die besonders vorsichtige Reinigung in diesem Bereich ergibt einen zusätzlichen täglichen Pflegeaufwand von 15 Minuten.

Der Kläger benötigt gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind beim Essenseinnehmen eine gewisse Animierung, weil wegen der Erkrankung und wegen der Diätkost weniger Appetit besteht. Der Zeitbedarf dafür beträgt 20 Minuten täglich, somit 10 Stunden monatlich; dazu kommt noch, dass an ca 10 Tagen im Monat ein direktes Eingeben des Essens nötig ist, somit entsteht ein weiterer Pflegebedarf von 10 Stunden, insgesamt somit für die Essenseinnahme ein Pflegebedarf von 20 Stunden monatlich. Bei einem gleichaltrigen gesunden Kind besteht kein entsprechender Pflegebedarf mehr.

Der Kläger kann die Notdurft selbst verrichten. Lediglich bei Harndrang während der Dialyse ist es notwendig, dass ihm die Betreuungsperson die Harnflasche reicht und auch entleert, der Zeitaufwand hiefür beträgt 7 Minuten pro nächtlicher Dialyse, bei einer viermaligen Dialyse pro Woche somit 2 Stunden pro Monat.

Der Kläger benötigt verschiedene Medikamente, die teilweise aufgelöst werden müssen; überdies muss er auch motiviert werden, um diese Medikamente zu nehmen; der tägliche Zeitaufwand für diese Medikamenteneinnahme beträgt 30 Minuten täglich, somit 15 Stunden pro Monat.

Für sämtliche Wege außerhalb des Hauses benötigt der Kläger Begleitung. Dies ist grundsätzlich auch bei einem gleichaltrigen Kind (bis zum Erreichen des Schulalters) der Fall. Der Kläger braucht extra auch auf dem Spielplatz besondere Beaufsichtigung wegen der Infektionsgefahr. Zudem braucht er eine Begleitung bei den Arztwegen, also beim Aufsuchen der Universitätsklinik Innsbruck und des Krankenhauses in Bad Ischl; zusätzlich treten auch Arztwege auf, die bei einem gesunden gleichaltrigen Kind nicht vorkommen, die aber nicht genauer quantifiziert werden können. Feststeht allerdings, dass die therapeutisch und ärztlich notwendigen Wege außer Haus in einem Ausmaß von zumindest 50 Stunden monatlich über das Maß hinausgehen, das bei einem gleichaltrigen ansonsten gesunden Kind erforderlich ist.

Zwischen April und August 2004 traten beim Kläger gehäuft Bauchspeicheldrüsenentzündungen mit entsprechenden Schwächezustand bei Krankheitsschüben auf, wodurch sich in diesem Zeitraum ein Pflegemehrbedarf dadurch ergab, dass eine Peritonealdialyse täglich notwendig war; in diesem Zeitraum war der Zustand des Klägers an etwa 5 Tagen im Monat so schlecht, dass an diesen Tagen eine Vollunterstützung bei der täglichen Körperpflege, bei der Verrichtung der Notdurft und beim Ankleiden erforderlich war.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass bei Kindern nach § 4 Abs 3 OöPGG der Pflegebedarf relevant sei, der gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind als behinderungsbedingter Pflegemehraufwand bestehe, wobei nach der Rechtsprechung jedenfalls Mindestwerte nicht heranzuziehen seien. Für den Zeitraum vom 1. 12. 2003 bis Ende März 2004 ergebe sich ein Pflegebedarf von 79,5 Stunden, von April 2004 bis einschließlich August 2004 ein solcher im Ausmaß von 109 Stunden monatlich und ab September 2004 ein Pflegebedarf von 84,5 Stunden, weshalb durchgehend Pflegegeld der Stufe 2 gebühre. Von den übrigen Rechtsausführungen des Ersturteils ist für das Rechtsmittelverfahren nur noch relevant, dass das Erstgericht für die Fahrten außer Haus zur Krankenbehandlung einen Fixwert von 10 Stunden anrechnete.

In der dagegen erhobenen Berufung bekämpfte der Kläger das Ersturteil nur insoweit als ihm kein Pflegegeld der Stufe 3 gewährt wurde, weil (trotz des festgestellten Zeitaufwandes von zumindest 50 Stunden für ärztlich und therapeutisch notwendige Wege außer Haus) der in § 4 Abs 4 Z 3 OöPGG festgelegte Maximalwert von 50 Stunden monatlich für Hilfsverrichtungen nicht ausgeschöpft, sondern dafür lediglich der fixe Zeitwert von 10 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn gemäß § 2 Abs 3 OöEinstV angerechnet wurde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Nach seiner Ansicht hätten die vom Obersten Gerichtshof in der E 10 ObS 190/03v angestellten Erwägungen zur behaupteten Gleichheits- und Gesetzwidrigkeit des § 2 Abs 3 EinstV auch für den vorliegenden Fall Geltung, weil die hier anzuwendenden Bestimmungen des OöPGG und der EinstV zum OöPGG mit jenen des BPGG und des EinstV zum BPGG gänzlich gleichlautend seien. Diese - auch vom Berufungsgericht geteilten - Überlegungen des Höchstgerichts seien daher der Anregung, hinsichtlich § 2 Abs 3 der EinstV zum OöPGG ein Normprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten, entgegenzuhalten. Daran ändere auch die Bestimmung des § 4 Abs 3 OöPGG nichts, weil damit der Landesgesetzgeber lediglich aus Gründen der Rechtssicherheit die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum pflegebedingten Mehraufwand bei Kindern und Jugendlichen im Gesetz festschreiben (SSV-NF 15/106), damit aber nicht die auch für pflegebedürftige behinderte Kinder und Jugendliche geltenden Fixwerte für Hilfsverrichtungen habe außer Kraft setzen wollen. Es wäre sogar gleichheitswidrig, würde man bei einem behinderten Kind oder Jugendlichen den den Fixwert für eine Hilfsverrichtung übersteigenden Hilfsbedarf - im vorliegenden Fall die erforderliche Mobilitätshilfe im weiteren Sinn von 50 Stunden monatlich - zur Gänze als Pflegebedarf anrechnen, während für einen erwachsenen Pflegebedürftigen mit einem gleich großen Hilfsbedarf für dieselbe Hilfsverrichtung nur der Fixwert von 10 Stunden monatlich veranschlagt würde. Auch in der E 10 ObS 102/01z (SSV-NF 16/23) sei ausgesprochen worden, dass weder bei Kindern und Jugendlichen noch bei Erwachsenen der Fixwert von 10 Stunden monatlich für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn überschritten werden dürfe. Diese Entscheidung werde zwar von Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld Rz 384 als überholt abgelehnt. Das Höchstgericht habe jedoch auch in der E 10 ObS 142/04m bei einem pflegebedürftigen Kind, das krankheits- und therapiebedingt viel häufiger zu Untersuchungen, Behandlungen und Therapien und ärztlichen Kontrollen gebracht werden musste als ein nicht behindertes Kind dieses Alters, nur einen Zeitaufwand von 10 Stunden monatlich für die erforderliche Mobilitätshilfe im weiteren Sinn anerkannt. Bei Beachtung dieser höchstgerichtlichen Judikatur könne der Berufung des Klägers kein Erfolg zukommen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil zwar höchstgerichtliche Judikatur zur Frage der Anwendung der Fixwerte für Hilfsverrichtungen bei pflegebedürftigen behinderten Kindern und Jugendlichen bestehe, sich der Oberste Gerichtshof jedoch bisher - soweit überblickbar - noch nicht mit der Literaturkritik dieser Entscheidungen auseinandergesetzt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass die beklagte Partei verpflichtet werde, ihm Pflegegeld der Stufe 3 ab 1. 12. 2003 zu bezahlen und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen und die künftig fällig werdenden am Ersten eines jeden Monats im Voraus; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und, weil das Berufungsgericht von der (jüngeren) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abwich, auch berechtigt.

Der Revisionswerber hält daran fest, dass § 2 Abs 3 der EinstV zum OöPGG, womit für jede Hilfsverrichtung ein auf einen Monat bezogener fixer Zeitwert von 10 Stunden festgesetzt wurde, gesetzwidrig sei, weil diese Bestimmung in Widerspruch zu § 4 Abs 3 OöPGG stehe. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung sei bei Kindern und Jugendlichen nämlich zwingend immer jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen sei, das über das erforderliche Ausmaß an Pflege für gleichaltrige nicht behinderte Kinder und Jugendliche hinausgehe. Subsidiär dazu enthalte § 4 Abs 4 OöPGG eine Verordnungsermächtigung zur Festlegung näherer Bestimmungen, auch betreffend die Festlegung verbindlicher Pauschalwerte für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen, wobei der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden dürfe.

Die Verordnungsermächtigung des § 4 Abs 4 Z 3 OöPGG sei im Lichte der grundsätzlichen Bestimmung des § 4 Abs 3 OöPGG dahin auszulegen, dass die Verordnung auch vorzusehen habe, dass der gesetzlichen Verpflichtung des § 4 Abs 3 OöPGG hinsichtlich der zwingenden Berücksichtigung des tatsächlichen Mehraufwandes behinderter Kinder und Jugendlicher gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern und Jugendlichen entsprochen werde. Dementsprechend hätte die EinstV vorsehen müssen, dass der Maximalwert von 50 Stunden monatlich bei Hilfsverrichtungen schon mit jeder einzelnen Hilfsverrichtung erreicht werden könne. § 2 Abs 3 der EinstV sei daher gesetzwidrig, weil Durchführungsverordnungen nur im Rahmen der Gesetze ergehen könnten, diesen also nicht widersprechen dürften.

Selbst wenn der Gesetzgeber mit der Festschreibung der Rechtsprechung in § 4 Abs 3 OöPGG - wie das Berufungsgericht meine - die für pflegebedürftige behinderte Kinder und Jugendliche geltenden Fixwerte für Hilfsverrichtungen nicht außer Kraft habe setzen wollen, ergebe sich schon aus dem Stufenbau der Rechtsordnung, dass dieser Effekt geradezu zwangsläufig eintrete. Die übergeordnete Bestimmung sei mit der Regelung über Fixwerte bei Hilfsverrichtungen gemäß der EinstV zum OöPGG nämlich unvereinbar, was zwangsläufig die Gesetzwidrigkeit der Verordnungsbestimmung zur Folge habe.

Dementsprechend sei nach stRsp bei behinderten Kindern und Jugendlichen auch die Geltung der sonst vorgesehenen Mindestwerte ausgeschlossen. Die einseitige rechtliche Beurteilung, Unterschreitungen von Mindestwerten zuzulassen, Überschreitungen von Fixwerten hingegen auszuschließen würde zu einer system- und gleichheitswidrigen Benachteiligung behinderter Kinder und Jugendlicher führen, für die im Übrigen gar keine unsachlichen Ergebnisse eintreten könnten, weil der Höchstwert für den Pflegebedarf aller Hilfsverrichtungen zusammen auf gesetzlicher Ebene (§ 4 Abs 4 OöPGG) ohnehin mit 50 Stunden begrenzt sei.

Es erscheine daher nicht gleichheitswidrig und „verfassungsbedenklich", wenn der Gesetzgeber zwischen zwei verschiedenen Systemen bei der Berechnung des Pflegeaufwandes für Erwachsene einerseits und für Kinder und Jugendliche andererseits unterscheide; dies etwa in dem Sinn, dass bei letzteren immer der gesamte tatsächlich bestehende, den natürlichen Pflegeaufwand übersteigende Pflegebedarf (behinderungsbedingter Mehraufwand gegenüber gesunden Gleichaltrigen) aller denkbarer Pflege- und Hilfsverrichtungen zu berücksichtigen sei (gleichgültig, ob er über oder unter Mindest- bzw Fixwerten liege), während bei Erwachsenen das System aus Mindest-, Richt- und Fixwerten zur Anwendung komme.

Die gegenteilige Entscheidung 10 ObS 102/01z widerspreche dem § 4 Abs 3 OöPGG und sei nach der einschlägigen Literatur überholt (Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld, FN 659 zu Rz 384); während aus der Entscheidung 10 ObS 142/04m für den Standpunkt des Berufungsgerichtes nichts gewonnen werden könne, weil dort nur „mangels anderer Anhaltspunkte" der Fixwert von 10 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn zugrundegelegt worden sei.

Der Revisionswerber regt weiterhin an, hinsichtlich der Bestimmung des § 2 Abs 3 EinstV zum OöPGG einen Verordnungsprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen, weil diese Bestimmung dem § 4 Abs 3 OöPGG widerspreche. Die Berücksichtigung der Fixwerte von nur 10 Stunden für Hilfsvorrichtungen behinderter Kinder und Jugendlicher im Falle eines - wie hier - tatsächlich festgestellten behinderungsbedingten höheren Betreuungsaufwandes verstoße nämlich gegen § 4 Abs 3 OöPGG und sei daher ebenso gesetzwidrig wie die keinen Auslegungsspielraum einräumende und daher nach ihrem Wortlaut auch für Kinder und Jugendliche anzuwendende Fixwertregelung des § 2 Abs 3 EinstV zum OöPGG.

Dazu wurde Folgendes erwogen:

Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten. Da Kinder und Jugendliche auch ohne Behinderung bestimmte Verrichtungen nicht selbständig durchführen können, ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs nur jenes Ausmaß an Betreuung und Hilfe zu berücksichtigen, das über das altersmäßig erforderliche Ausmaß hinausgeht (10 ObS 2305/96k = SSV-NF 10/96 = SZ 69/210; RIS-Justiz RS0106555). Dieser in der Judikatur entwickelte Grundsatz wurde mit der Novelle BGBl I 1998/111 in das BPGG und mit der ab 1. 1. 1999 in Geltung stehenden Novelle 1999/8 in das hier anzuwendende OöPGG aufgenommen:

Nach § 4 Abs 3 OöPGG 1993, LGBl 1993/64 idF LGBl 1999/8, ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht. Somit ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nunmehr auch nach dem Text des OöPGG (vgl zur früheren Rechtslage SSV-NF 10/96) ein Vergleich zwischen behinderten Minderjährigen mit gleichaltrigen nicht behinderten Kindern bzw Jugendlichen anzustellen. Nur der bei behinderten Minderjährigen auftretende „pflegebedingte Mehraufwand" ist durch die Gewährung von Pflegegeld auszugleichen, während der altersbedingte Pflegeaufwand bei der Beurteilung des Pflegegeldanspruches auszuscheiden ist (RIS-Justiz RS0106555; zuletzt: 10 ObS 142/04m uva).

Dementsprechend hat der erkennende Senat auch schon klargestellt, dass eine verpflichtende Übernahme der in § 1 Abs 4 EinstV vorgesehenen zeitlichen Mindestwerte bei Kindern und Jugendlichen nicht in Betracht kommt, sondern ausschließlich der tatsächliche Mehraufwand im Vergleich zu gleichaltrigen Nichtbehinderten maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0115907; zuletzt: 10 ObS 80/03t; Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld, Rz 382 mwN in FN 655 [wo auch die vom Berufungsgericht herangezogene E 10 ObS 102/01z = SSV-NF 16/23 als „ggtlg und vereinzelt geblieben" zitiert ist]).

Im vorliegenden Fall geht es nur noch um den fixen Zeitwert für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn nach § 2 Abs 2 EinstV, wozu die Begleitung des Pflegebedürftigen bei unbedingt erforderlichen Verrichtungen außer Haus, insbesondere auch die Begleitung zu krankheits- oder therapiebedingten Untersuchungen, Behandlungen und Kontrollen bei Ärzten oder Therapeuten zählt (SSV-NF 11/5; 16/4; 16/23 ua). In der neueren stRsp des erkennenden Senates, wurde zu dieser Hilfsverrichtung bereits wiederholt ausgesprochen, es treffe zwar zu, dass auch ein nicht behindertes Kind im Alter des Klägers noch einer Begleitung zum Arzt oder zur Therapie bedürfe; entscheidend sei aber, dass das behinderte Kind krankheits- oder therapiebedingt viel häufiger zu Untersuchungen, Behandlungen, Therapien und ärztlichen Kontrollen gebracht werden müsse als ein nicht behindertes Kind und daher insoweit ein pflegebedingter Mehraufwand bestehe (SSV-NF 16/4; 16/23 ua; zuletzt: 10 ObS 142/04m unter ausdrücklichem Abgehen von der „noch gegenteiligen" E 10 ObS 66/01f).

Greifeneder/Liebhart (aaO Rz 384), die auch die hier vorliegende Fallkostellation ansprechen, gehen somit zu Recht davon aus, dass für die in § 2 EinstV genannten Fixwerte nichts anderes gelten kann, als für die Mindestwerte, weil auch in diesem Zusammenhang bei Kindern und Jugendlichen ausschließlich der behinderungsbedingte Mehraufwand zu berücksichtigen ist; nimmt doch § 4 Abs 3 OöPGG (wie die gleichlautende Bestimmung des § 4 Abs 3 BPGG) auf den „Pflegebedarf" bei Kindern und Jugendlichen Bezug, der Betreuung und Hilfe umfasst (s auch Greifeneder/Liebhart aaO FN 659 [unter Hinweis auf die bereits in FN 655 zitierte „überholte" E 10 ObS 102/01z = SSV-NF 16/23, in der die Geltung von Fix- und Mindestwerten auch für Kinder und Jugendliche vertreten wurde).

Es ist also nicht nur für den Betreuungsbedarf, sondern auch beim Zeitaufwand für Hilfsverrichtungen bei Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß bei gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht. Für sie sind also auch die Pauschalwerte nach § 2 Abs 3 der OöEinstV, die stets iSd OöPGG auszulegen ist (Tomandl, Grundriss5 Rz 240 mwN in FN 201), nicht verbindlich.

Die in diesem Fall vom Berufungsgericht befürchtete Gleichheitswidrigkeit liegt nicht vor, weil es sich hier um eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung handelt; nämlich um eine solche zwischen Erwachsenen und Kindern bzw Jugendlichen, denen - wie der erkennende Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat - schon aus ihrer biologischen Entwicklung heraus ein in den Obsorgeregelungen des Privatrechts (§§ 144 ff, 166 f, 187, 216 ABGB) zum Ausdruck gebrachter natürlicher, wenngleich alters- und entwicklungsabhängiger Betreuungsaufwand durch ihre Eltern bzw den sie betreuenden Elternteil oder Vormund zukommen muss (SSV-NF 10/96 = SZ 69/210).

Außerdem ist ohnehin sowohl für die eine als auch für die andere Gruppe die gesetzliche Schranke des § 4 Abs 4 Z 3 OöPGG zu berücksichtigen, wonach der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden darf (so auch: Greifeneder/Liebhart aaO Rz 384). Was aber die abschließende Argumentation des Berufungsgerichtes betrifft, trotz umfangreicherer Hilfsverrichtungen sei auch in der jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 142/04m nur ein Zeitaufwand von 10 Stunden monatlich für die erforderliche Moblitätshilfe im weiteren Sinn bei einem pflegebedürftigen Kind anerkannt worden, wird übersehen, dass für die Zugrundelegung eines Fixwertes aus dieser Entscheidung nichts zu gewinnen ist; darin hat der erkennende Senat nämlich nur ausgesprochen, dass entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen bei der Bemessung des Pflegebedarfes auch der von der dortigen Klägerin „dafür in Anschlag gebrachte Zeitaufwand" von 10 Stunden monatlich zu berücksichtigen ist.

Angesichts des festgestellten Zeitaufwandes von mehr als 50 Stunden monatlich für Moblitätshilfe im weiteren Sinne waren hiefür somit nicht nur 10 sondern 50 Stunden zu veranschlagen. Damit erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 3 (Pflegebedarf von mehr als 120 Stunden monatlich), weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn seiner Rechtsmittelanträge abzuändern waren. Da das Pflegegeld aber gemäß § 14 Abs 1 OöPGG erst jeweils am Monatsletzten fällig wird, war die beklagte Partei zur Zahlung der künftig fällig werdenden Beträge nicht - wie beantragt - am Ersten eines jeden Monats im Voraus, sondern am Ersten des Folgemonats im Nachhinein zu verpflichten (Greifeneder/Liebhart aaO Rz 98).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. In der Berufung hat der Kläger keine Kosten verzeichnet.

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