OGH 10ObS66/01f

OGH10ObS66/01f24.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hoch als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Hans Herold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj Mara F*****, vertreten durch die Mutter Maria B*****, ebendort, diese vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Land Niederösterreich, Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2000, GZ 9 Rs 221/00m-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Februar 2000, GZ 5 Cgs 159/99w-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird mit der Maßgabe bestätigt, dass in Punkt 3. des Urteilsspruches die Bezeichnung "Stufe 2" durch die Bezeichnung "Stufe 1" ersetzt wird.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung, wonach der am 20. 2. 1997 geborenen Revisionswerberin ab 1. 3. 2000 Pflegegeld der Stufe 1 unter Anrechnung der erhöhten Familienbeihilfe zusteht, ist zutreffend.

Den nur noch diese Beurteilung bekämpfenden Revisionsausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 4 Abs 1 des hier anzuwendenden nö Pflegegeldgesetzes 1993, LGBl 1993/47 idF LGBl 1999/6 (NÖPGG, Gliederungszahl 9220/00) gebührt das Pflegegeld ab Vollendung des 3. Lebensjahres, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde. Nach Abs 2 besteht Anspruch auf Pflegegeld in der Höhe der Stufe 1: für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs 1 durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich beträgt; in der Höhe der Stufe 2: für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs 1 durchschnittlich mehr als 75 Stunden monatlich beträgt. Nach Abs 3 ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß der Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht.

Nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfs sind nach § 4 Abs 4 NÖPGG von der Landesregierung durch Verordnung festzulegen.

Diese Verordnung hat insbesondere festzulegen: 1. Eine Definition der Begriffe "Betreuung" und "Hilfe", 2. Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand, wobei verbindliche Mindestwerte zumindest für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind,

3. verbindliche Pauschalwerte für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen, wobei der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden darf.

Nach § 2 der von nö Landesregierung erlassenen Einstufungsverordnung zum NÖPGG, LGBl 1993/76 idF LGBl 1999/39 (NÖEinstV, Gliederungszahl 9220/01) sind unter "Hilfe" aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind. Hilfsverrichtungen sind

1. die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamten und Bedarfsgütern des täglichen Lebens, 2. die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, 3. die Pflege der Leib- und Bettwäsche, 4. die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und 5. die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn. Für jede Hilfsverrichtung ist ein - auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen (§ 2 Abs 2 und 3 NÖEinstV).

Dass es sich bei diesem Katalog des § 2 NÖEinstV um eine taxative Aufzählung handelt (RIS-Justiz RS0107533; SZ 70/13 uva), und dass bei der Beurteilung des Pflegebedarfs für Kinder nur jenes Ausmaß an Betreuung und Hilfe zu berücksichtigen ist, welches über das altersgemäß erforderliche Ausmaß hinausgeht (§ 4 Abs 3 NÖPGG; RIS-Justiz RS0106555; zuletzt 10 Ob 61/00v und 10 Ob 185/00d) gesteht die Revisionswerberin ausdrücklich zu. Sie beruft sich darauf, dass bei einem gesunden gleichaltrigen Kind im Vergleich zur Klägerin kein erhöhter Wäscheaufwand, keine speziellen Reinigungsmaßnahmen für besondere Keimfreiheit des Wohnbereiches und auch keine vermehrten Arztbesuche erforderlich seien. Es bestehe daher ein besonderer Pflegebedarf bei Vornahme dieser Hilfsverrichtungen gemäß § 2 Abs 2 NÖEinstV, wofür - ohne jede Abweichung nach oben oder unten - ein Hilfsbedarf von jeweils 10 Stunden für die Reinigung der Wäsche, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände und für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn zugrundezulegen seien. Insgesamt hätte das Berufungsgericht also einen Pflegebedarf von insgesamt 90 Stunden monatlich (einschließlich der je 30 Stunden für Essenszubereitung und Mahlzeitenverabreichung) feststellen müssen, sodass der Klägerin ein Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. 3. 2000 zustehe.

Dabei wird zunächst übersehen, dass den unstrittigen Feststellungen ein gegenüber dem altersgemäß erforderlichen Ausmaß erhöhter Aufwand betreffend die Reinigung der "Leibwäsche" (S 2 letzter Absatz der Berufung) gar nicht zu entnehmen ist. Fest steht vielmehr, dass "die Inhalationsapparatur in Stoffwindeln gehalten werden muss ... wodurch ein erhöhter Anfall von Wäsche zur Reinigung gegeben" sei (S 3 und 4 des Ersturteils). Wollte man diesen Reinigungsaufwand in die taxative Aufzählung des § 2 Abs 2 NÖEinstV einordnen, käme dafür jedenfalls nur die Position "Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände" in Betracht, in welche auch die "besonderen Reinigungsarbeiten zur Herstellung der Keimfreiheit von WC-Bereich, Badebereich und Küchenbereich" (S 4 des Ersturteils) fallen könnten und daher schon deshalb nicht mit weiteren 10 Stunden anzurechnen wären.

Aber selbst, wenn man die Reinigung der Stoffwindeln dem Bereich der Inhalationstherapie - diese Arbeiten sind zur Keimfreihaltung des Inhalationsapparates erforderlich - zurechnete, wäre für den Standpunkt der Klägerin nichts gewonnen, weil der zeitliche Aufwand für therapeutische Maßnahmen bei der Prüfung des Anspruches auf Pflegegeld nach ständiger Judikatur nicht in Anschlag zu bringen ist.

Der Aufwand für notwendige Begleitung zu Arztbesuchen ist im Allgemeinen unter dem Titel der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn zu berücksichtigen, wenn der Betroffene zufolge von bestehenden Behinderungen nicht in der Lage ist, diese Wege allein zurückzulegen. Ein dreijähriges Kind kann aber unter keinen Umständen in der Lage sein, Wege außer Haus allein zurückzulegen. Dass dabei eine Begleitung erforderlich ist, hat seinen Grund nicht in einer Behinderung, sondern im altersbedingten Entwicklungsstadium; der dadurch bedingte Aufwand ist aber gemäß § 4 Abs 3 NÖPGG außer Betracht zu lassen.

Ob auch der zusätzliche Reinigungsaufwand zur Erhaltung der Keimfreiheit des WC-, Bade- und Küchenbereiches als therapeutische Maßnahme unberücksichtigt bleiben musste, kann damit auf sich beruhen; ergebe sich doch auch unter Hinzurechnung des diesbezüglichen Pflegeaufwandes nicht der für die Pflegestufe 2 erforderliche Wert von 75 Stunden monatlich.

Der Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Im Spruch der berufungsgerichtlichen Entscheidung wurde der Klägerin Pflegegeld der Stufe 1 zuerkannt und ausgesprochen, dass das Begehren auf Gewährung eines die Stufe 2 übersteigenden Pflegegeldes abgewiesen werde. Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung eingehend begründet, dass der Klägerin nur Pflegegeld der Stufe 1, nicht aber einer höheren Stufe zustehe. Bei der Benennung der Stufe 2 im abweisenden Teil der Entscheidung handelt es sich daher um einen offenbaren Schreibfehler, der im Sinne einer Maßgabebestätigung richtigzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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