European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:E78313
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die Zweitbeklagte hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung eines Rekurses an den Obersten Gerichtshof wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Zum besseren Verständnis seien allerdings unstrittiger Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang doch vorweg kurz dargestellt:
Die Klägerin ist (jedenfalls) seit 1985 Mieterin eines Geschäftslokals in Wien. Vermieterin war bis einschließlich April 1994 die Erstbeklagte bzw deren Rechtsvorgängerin, seit Mai 1994 die Zweitbeklagte.
Die Klägerin (die behauptet, bereits seit 1. 6. 1976 Mieterin zu sein) begehrte mit Mahnklage von der erstbeklagten Partei EUR 14.253,69 (sA) und von der Zweitbeklagten EUR 8.559,50 (sA) mit der Begründung, eine Untersuchung des Wassers der zum Lokal gehörenden Wasserentnahmestelle im Mai 2003 habe einen Bleigehalt von 133,4 µg/l erbracht; das Wasser sei (daher) für den menschlichen Genuss absolut ungeeignet und als giftig zu bezeichnen und rechtfertige eine Zinsminderung im Ausmaß von einem Drittel der Bruttomiete von Beginn des Mietverhältnisses an. Seit Entdeckung des Mangels habe sie die Miete in ungeschmälerter Höhe, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung weiter bezahlt.
Später brachte die Klägerin noch vor, eine Gegenprobe im April 2004 habe nach besonders langem und intensivem Ablaufenlassen des Wassers einen Bleiwert von 51,5 µg/l ergeben. Wie auch schon ihre Vormieterin, verkaufe sie im betreffenden Geschäftslokal auch Lebensmittel und benötige daher fließendes, trinkbares Wasser.
Während die Klage und der vom Erstgericht antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl der Erstbeklagten zunächst nicht zugestellt werden konnten, erhob die Zweitbeklagte gegen den Zahlungsbefehl fristgerecht Einspruch und beantragte Klagsabweisung. Sie wendete im Wesentlichen ein, das Wasser weise keine erhöhten Bleiwerte auf. Bei der von der Klägerin, die erst seit 1985 Mieterin des Geschäftslokals sei, behaupteten geringfügigen Überschreitung des laut Trinkwasserverordnung bis 30. 11. 2003 bestandenen Grenzwerts von 50 µg/l sei kein Schaden entstanden bzw keine Gesundheitsgefährdung gegeben. Das der Klägerin zugängliche Wasser werde nicht zur Trinkwasserversorgung bereit gestellt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich der Zweitbeklagten ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Nach den Prozessbehauptungen der Klägerin handle es sich beim gegenständlichen Bestandobjekt um ein Geschäftslokal, in dem vereinbarungsgemäß auch der Verkauf von Lebensmitteln gestattet sei. Die Bestandsache sei somit dann als brauchbar anzusehen, wenn sie eine solche Verwendung zulasse. Bei der diesbezüglichen Beurteilung sei jedoch auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vermietung abzustellen, weshalb nicht schon dann eine eingeschränkte Brauchbarkeit des Geschäftslokals vorliege, wenn der Bleigehalt des Wassers geringfügig über den in der Trinkwasserverordnung angeführten Grenzwerten liege. § 3 Abs 1 Z 2 der Trinkwasserverordnung BGBl II 304/2001 iVm Anh I Teil B Anm 4 dieser Verordnung bestimme für den Zeitraum 1. 9. 2001 bis 1. 12. 2003, dass Wasser ua dann geeignet sei, ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit getrunken und verwendet zu werden, wenn der maximale Bleigehalt 50 µg/l betrage. Derselbe Grenzwert sei auch in der Vorgängerbestimmung BGBl II 235/1998 vorgesehen gewesen. Davor habe es keine gesetzlichen, einen Grenzwert für den Bleigehalt von Trinkwasser festlegenden Bestimmungen gegeben. Ein Bleigehalt von 51,5 µg/l (bei langem und intensivem Ablaufenlassen) liege nur geringfügig über dem bis 1. 12. 2003 geltenden zulässigen Grenzwert und bewirke daher keine Einschränkung der nach den Verhältnissen im Juni 1976 zu beurteilenden Brauchbarkeit des klagsgegenständlichen Geschäftslokals. Dies ergebe sich auch schon daraus, dass die Klägerin das Geschäft uneingeschränkt geführt und dort ua Lebensmittel verkauft habe.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Seine Ausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, das Erstgericht hätte nicht nur von einer klagsweise behaupteten Bleibelastung von nur 51,5 µg/l ausgehen dürfen, sondern auch das Vorbringen der Klägerin beachten müssen, das Trinkwasser im Bestandobjekt weise einen Bleigehalt von 133,4 µg/l auf. Dieses Vorbringen rechtfertige die Argumentation, ein derart bleibelastetes Wasser bewirke jedenfalls keine Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, nicht. Eine gesundheitsschädliche Bleikonzentration im Trinkwasser eines Geschäftslokals, das als Lebensmittelverkaufsstelle diene, rechtfertige eine Mietzinsreduktion. Für Wohnungen habe dies der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen. Da aber auch im Geschäftslokal mangels gegenteiliger Anhaltspunkte oder Vereinbarungen grundsätzlich bei vorhandenem Leitungswasser Trinkwasserqualität erwartet werden könne, stelle eine gesundheitsschädliche Bleikonzentration im Trinkwasser auch eines Geschäftslokals eine teilweise ‑ wenngleich nicht so stark wie bei Wohnungen ins Gewicht fallende ‑ Unbrauchbarkeit der Bestandsache dar. Dabei könne, ebenso wie bei Wohnungen, nicht schematisch auf das bloße Überschreiten von Grenzwerten abgestellt werden. Die der Trinkwasserverordnung BGBl II 2001/304 zu entnehmenden, bis 2013 schrittweise abgesenkten Grenzwerte sollten ‑ den dieser Verordnung zugrunde gelegten Vorgaben der WHO folgend ‑ jegliches Risiko für besonders gefährdete Personen (insbesondere Schwangere, flaschenernährte Säuglinge, Kleinkinder) ausschließen und seien daher entsprechend niedrig festgesetzt worden. Die bloß geringfügige Überschreitung des Grenzwerts müsse daher noch nicht zu einer Mietzinsreduktion führen; vielmehr sei dann im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich über einen relevanten Zeitraum eine Gesundheitsgefahr bestehe. Das Vorbringen der Klägerin hätte daher ohne Durchführung eines Beweisverfahrens und Prüfung einer allfälligen Gesundheitsgefährdung nicht zur Klagsabweisung führen dürfen. Wenn auch zum ‑ noch strittigen ‑ Zeitpunkt des Beginns des Mietverhältnisses keine gesetzlichen Grenzwerte für den Bleigehalt von Trinkwasser bestanden hätten und die Möglichkeit der Bleibelastung des Trinkwassers damals noch nicht einmal bedacht worden sei, sei ein Bestandobjekt, das nur über gesundheitsgefährdendes Trinkwasser verfügte, in seiner Brauchbarkeit eingeschränkt gewesen, zumal gesundheitsgefährdendes Trinkwasser auch schon damals jedenfalls nicht ortsüblich gewesen sei.
Da es sich bei § 1096 ABGB um eine besondere Gewährleistungsbestimmung handle und der Anspruch auf Zinsminderung ab Beginn der Unbrauchbarkeit bzw Gebrauchsbeeinträchtigung bestehe, sei nur entscheidend, ab welchem Zeitpunkt eine allfällige Gesundheitsgefährdung durch das Trinkwasser gegeben gewesen, nicht aber, wann dieser Mangel der Mieterin bekannt geworden sei. Da das Erstgericht das Ausmaß der tatsächlich gegebenen Bleibelastung und der sich daraus allenfalls ergebenden Gesundheitsgefährdung nicht geprüft habe, sei die Aufhebung des Ersturteils unumgänglich.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung (1) zur Frage, ob eine gesundheitsgefährdende Bleikonzentration im Trinkwasser eines Geschäftslokals eine Mietzinsreduktion rechtfertige, sowie (2) dazu, ob dies auch gelte, falls die Anmietung des Bestandobjekts Jahre vor Inkrafttreten der den Grenzwert für Bleigehalt in Trinkwasser regelnden gesetzlichen Bestimmungen erfolgte und (3) ob in diesem Fall von Anfang an eine Mietzinsreduktion gebühre oder erst ab Bekanntwerden des Mangels, nicht bestehe.
Entgegen diesem ‑ den Obersten Gerichtshof gemäß § 526 Abs 2 zweiter Satz ZPO nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der von der Zweitbeklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene Rekurs gemäß § 519 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Nach § 1096 Abs 1 ABGB richtet sich die Brauchbarkeit einer Bestandsache nach dem Vertragszweck und muss damit eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0020926). Als brauchbar ist eine Bestandsache demnach anzusehen, wenn sie eine dem Vertragszweck und der Verkehrssitte entsprechende Verwendung zulässt, wobei mangels anderer Vereinbarungen eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit anzunehmen ist (vgl RIS‑Justiz RS0021054). Vom Obersten Gerichtshof wurde auch bereits betont, dass es bei der Beurteilung der Brauchbarkeit stets auf die Umstände des Einzelfalles ankommt (2 Ob 265/04s, RIS‑Justiz RS0020926 [T 3] und RS0021054 [T 5]). In der vom Berufungsgericht bereits erwähnten Entscheidung 9 Ob 34/04x hat der Oberste Gerichtshof auch schon ausgesprochen, dass eine gesundheitsschädliche Bleikonzentration im Trinkwasser einer Wohnung (grundsätzlich) eine Mietzinsreduktion rechtfertigt. Wie betont wurde, kann dabei allerdings nicht schematisch auf das bloße Überschreiten von Grenzwerten abgestellt werden. Die bloß geringfügige Überschreitung des Grenzwerts muss noch nicht zu einer Mietzinsreduktion führen; vielmehr ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich über einen relevanten Zeitraum eine Gesundheitsgefahr besteht (RIS‑Justiz RS0119601). Dass eine gesundheitsschädliche Bleikonzentration im Trinkwasser unter der Voraussetzung einer dadurch bewirkten Einschränkung der Brauchbarkeit auch bei einem Geschäftslokal eine Mietzinsreduktion bewirkt, liegt völlig auf der Hand. Dies stellt im Lichte der hier wiedergegebenen Rechtssätze daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.
Da bei gänzlicher oder teilweiser Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts die Zinsminderung von Gesetzes wegen eintritt (RIS‑Justiz RS0021443), bedarf es dazu weder einer rechtsgestaltenden Erklärung noch einer Klage auf Zinsminderung (RIS‑Justiz RS0021420). Nach stRsp tritt die Minderung des Bestandzinses kraft Gesetzes auch bei Mängeln ein, die erst während der Dauer des Bestandverhältnisses auftreten (RIS‑Justiz RS0021326). Andererseits ist zu beachten, dass als Maßstab, an dem der im maßgeblichen Zeitpunkt festgestellte Zustand der Wohnung für die Beurteilung der Brauchbarkeit derselben zu messen ist, nicht die nach heutigen Vorstellungen und Verhältnissen an eine brauchbare Wohnung zu stellenden Ansprüche dienen dürfen, sondern die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vermietung. Nur so kann der für die Auslegung des § 1096 ABGB, nach dem der Vermieter das Bestandstück in brauchbarem Zustand zu übergeben hat, maßgebenden Ortsüblichkeit und Verkehrssitte gebührend Rechnung getragen werden (5 Ob 3/90, ImmZ 1990, 140; RIS‑Justiz RS0020913).
Unter Beachtung aller dieser Grundsätze lässt sich die zweite vom Berufungsgericht für erheblich erachtete Frage ohne weiteres dahin beantworten, dass der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Anmietung des gegenständlichen Bestandobjekts noch keine Grenzwerte hinsichtlich des Bleigehalts im Trinkwasser galten, zwar für die Frage der Brauchbarkeit der Wohnung in der Vergangenheit zu beachten ist, eine - etwa erst später eingetretene ‑ Verminderung der Brauchbarkeit durch bleihaltiges Trinkwasser aber dessenungeachtet zu einer Mietzinsminderung führen kann. Auch diesbezüglich stehen die Erwägungen des Berufungsgerichts daher mit gesicherter oberstgerichtlicher Judikatur im Einklang. In diesem Zusammenhang ist nochmals daran zu erinnern, dass nicht schematisch auf das bloße Überschreiten von Grenzwerten abzustellen ist (9 Ob 34/04x), wenngleich Grenzwerte, die im maßgeblichen Zeitpunkt galten, doch als für die Erhaltung im ortsüblichen Standard wesentlich angesehen werden können (vgl 5 Ob 233/04g). Zu betonen ist, dass die Frage, ob festgestellte Mängel (hier eine zu hohe Bleikonzentration im Trinkwasser) das Bestandobjekt zum bedungenen Gebrauch untauglich oder nur eingeschränkt brauchbar gemacht haben, stets einzelfallbezogen und daher nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO ist, sofern keine krasse Verkennung der Rechtslage vorliegt (vgl 4 Ob 211/97a; 9 Ob 58/98i; RIS‑Justiz RS0108260). Dass ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0107773).
Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof auch schon ausgesprochen, dass der Anspruch auf Zinsbefreiung oder Zinsminderung gemäß § 1096 ABGB ab Beginn der Unbrauchbarkeit bzw Gebrauchsbeeinträchtigung des Bestandobjekts bis zu deren Behebung besteht (RIS‑Justiz RS0107866, zuletzt etwa 7 Ob 242/01s, SZ 2002/13). Damit ist auch die dritte vom Berufungsgericht für erheblich erachtete Frage, ob eine Mietzinsreduktion „von Anfang an" gebühre, oder „erst ab Bekanntwerden des Mangels", anhand gesicherter Judikatur eindeutig im ersteren Sinne zu beantworten.
Demnach liegt ein tauglicher Grund für die Zulassung des Rekurses nicht vor, zumal auch in der Rechtsrüge der Zweitbeklagten eine erhebliche Rechtsfrage nicht aufgezeigt oder auch nur aufgeworfen wird. Die Rekurswerberin versucht darzutun, dass die Ansichten des Berufungsgerichts rechtsirrig seien. Da aber, wie bereits gesagt, die Rechtsansichten des Berufungsgerichts im Einklang mit den vom Obersten Gerichtshof zur Mietzinsminderung gemäß § 1096 ABGB entwickelten Grundsätzen stehen, muss der Versuch, eine erhebliche Fehlbeurteilung aufzuzeigen, die eine Zulassung des vorliegenden Rekurses rechtfertigen könnte, scheitern.
Das Rechtsmittel der Zweitbeklagten muss daher zurückgewiesen werden.
Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung lediglich auf die Unrichtigkeit der Rekursausführungen, nicht aber auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Zweitbeklagten hingewiesen. Kosten für die Rekursbeantwortung können ihr daher nicht zugesprochen werden (RIS‑Justiz RS0035979 und RS0035962).
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