OGH 15Os62/05i

OGH15Os62/05i25.8.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. August 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lang als Schriftführer, in der Strafsache gegen Martin I***** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 2, 130 erster Fall StGB über den Antrag des Martin I***** auf Feststellung der im § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Für die durch die strafgerichtliche Anhaltung des Martin I***** vom 27. Dezember 2003, 04.45 Uhr, bis 6. Februar 2004, 12.05 Uhr, im Verfahren zum AZ 245 Ur 396/03p des Landesgerichtes für Strafsachen Wien entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile liegen die im § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen nicht vor.

Text

Gründe:

Am 29. Dezember 2003 verhängte die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien über den am 27. Dezember 2003 um 04.45 Uhr festgenommenen (S 69, 143) Martin I***** nach Einleitung der Voruntersuchung wegen des Verdachtes des versuchten gewerbsmäßigen, durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 15, 127, 129 Z 2, 130 StGB (S 1 b verso; 161) die Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b, c und d StPO (S 165; ON 9). Aufgrund der Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom 27. Dezember 2003 (ON 6) bestand gegen ihn der dringende Verdacht, er habe in den frühen Morgenstunden dieses Tages versucht, zwei Telefonzellen aufzubrechen, um das darin befindliche Geld zu stehlen, wobei er die Taten gewerbsmäßig verübt haben soll, indem er mit zurecht gebogenen Drahthaken vorging und darüber hinaus mit Händen und Füßen auf die Telefonapparate einschlug bzw eintrat.

Die qualifizierte Verdachtslage stützte die Untersuchungsrichterin auf den sicherheitsbehördlichen Erhebungsbericht sowie die belastenden Angaben der Zeugen Roland M***** (S 107) und Gertraud L***** (S 113). Die Haftvoraussetzungen erblickte sie in dem Umstand, dass der Beschuldigte die Tat trotz mehrerer Vorstrafen wegen Vermögensdelikten offenbar aus Geldmangel begangen hatte. Aufgrund eines entsprechenden Antrages der Staatsanwaltschaft wurde die Voruntersuchung am 9. Jänner 2004 auf die in den Anzeigen ON 2 und ON 3 enthaltenen Fakten wegen §§ 107 Abs 1 und 2, 127, 130, 15 StGB ausgedehnt (S 1c verso; 165a). Danach war der Beschuldigte dringend verdächtig, am 17. Juni 2003 einen Stationswart der Wiener Verkehrsbetriebe durch die Äußerung, in rund 1 ½ Stunden würden in sämtlichen U-Bahn-Stationen Wiens Bomben hochgehen, sohin mit einem Sprengmittel, gefährlich bedroht zu haben, sowie überdies auch am 22. September 2003 versucht zu haben, auf die oben beschriebene Weise Telefonzellen aufzubrechen.

Nach Durchführung einer Haftverhandlung (ON 12) verfügte der Untersuchungsrichter unter Einbeziehung dieser Fakten am 9. Jänner 2004 die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den bisher angezogenen Haftgründen mit Fristende 9. Februar 2004 (ON 13). Der dagegen erhobenen Beschwerde des Martin I***** gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 5. Februar 2004, AZ 22 Bs 12/04 (ON 27), keine Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO mit Wirksamkeit bis 5. April 2004 an, wobei es das Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes hinsichtlich sämtlicher Delikte bejahte, zu den in Untersuchung gezogenen Vermögensdelikten aber die Qualifikation als Einbruchsdiebstahl nach § 129 Z 2 StGB ausschied, jedoch weiterhin vom dringenden Verdacht einer gewerbsmäßigen Begehung der Diebstähle ausging. Den dringenden Tatverdacht bejahte der Gerichtshof zweiter Instanz mit Bezugnahme auf die sicherheitsbehördlichen Erhebungsberichte, die den Beschuldigten (der vor der Sicherheitsbehörde noch ein Teilgeständnis abgelegt hatte) belastenden Angaben der Zeugen Roland M***** und Gertraud L***** sowie die bei ihm vorgefundenen Tatwerkzeuge (S 135). Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr im Sinne des § 180 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO ergab sich für das Beschwerdegericht aus den Anlasstaten im Zusammenhalt mit dem durch die einschlägigen Vorstrafen getrübten Vorleben des Beschuldigten sowie die persönliche Situation des unter Sachwalterschaft stehenden und zu übermäßigem Alkoholkonsum neigenden Beschuldigten, dem nur geringfügige finanzielle Mittel zur Verfügung standen und der sich nicht einmal durch eine mehrstündige Verwahrungshaft am 22. September 2003 von der Begehung weiterer Vermögensdelikte abhalten ließ. Im Übrigen verneinte der Gerichtshof zweiter Instanz die Unverhältnismäßigkeit der bisherigen Haft und deren Substituierbarkeit durch gelindere Mittel gemäß § 180 Abs 5 StPO.

In der Haftverhandlung vom 6. Februar 2004 wurde Martin I***** unter Anwendung des gelinderen Mittels gemäß § 180 Abs 5 Z 1 StPO enthaftet (ON 25). Nach Einlangen des im Rahmen der Voruntersuchung eingeholten Sachverständigengutachtens (ON 33 samt Ergänzung ON 38), aus dem sich die Zurechungsunfähigkeit des Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten ergibt, gab die Staatsanwaltschaft - die schon zuvor am 2. August 2004 Bedenken bezüglich einer besonderen Gefährlichkeit des Beschuldigten geäußert hatte (S 1i und verso) - am 25. Oktober 2004 unter Hinweis auf § 11 StGB die Erklärung ab, zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Martin I***** wegen §§ 107 Abs 1 und Abs 2, 127 ff StGB keinen Grund zu finden (§ 109 Abs 1 StPO), weil die Diebstahlsfakten weder durch Einbruch noch Gewerbsmäßigkeit qualifiziert wären, es der Drohung schon aus den Begleitumständen ersichtlich an der Ernstlichkeit mangle und sohin keine Anlasstat im Sinne des § 21 Abs 1 StGB vorliege (S 1k des AV-Bogens), worauf mit Beschluss vom folgenden Tag das Verfahren durch den Untersuchungsrichter eingestellt wurde.

Gestützt auf diese Einstellungsbegründung (wonach dem Beschuldigten nur mehr einfache Diebstähle nach § 127 StGB zur Last lagen) begehrte Martin I***** durch seinen Rechtsvertreter die Feststellung, dass hinsichtlich der gesamten Dauer der Untersuchungshaft die im § 2 Abs 1 lit a, b oder c StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Mit Beschluss vom 23. März 2005 verneinte die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit b und c StEG (ON 44). Der dagegen erhobenen Beschwerde hat das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 31. Mai 2005, AZ 21 Bs 123/05z, nicht Folge gegeben und die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Antrag nach § 2 Abs 1 lit a StEG vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs für die begehrte Entscheidung nach § 2 Abs 1 lit a StEG ergibt sich nach § 6 Abs 1 StEG daraus, dass das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 5. Februar 2004 (ON 27) die Untersuchungshaft verlängert hat (RIS-Justiz RS0087764).

Dem Anspruchswerber wurde im Sinne der Bestimmung des § 6 Abs 3 StEG Gelegenheit zur Anhörung gegeben, wobei er in seiner Äußerung vom 22. Juni 2005 (durch seinen Verteidiger) seine Ansicht schriftlich dargetan und begründet hat. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof hat er anlässlich dieser Äußerung ausdrücklich verzichtet.

Die Stellungnahme der Generalprokuratur wurde ihm zugemittelt, dazu hat er sich im Sinne der bisherigen Anträge und darin vertretenen Auffassungen geäußert.

Die reklamierten Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit a StEG liegen jedoch nicht vor. Denn bei Prüfung der Frage, ob eine Haft gesetzwidrig angeordnet oder verlängert wurde, ist allein auf den Erhebungstatbestand abzustellen, wie er sich den staatlichen Organen im Zeitpunkt der entsprechenden Beschlussfassung geboten hat. Nachträglich hervorgekommene, gegen einen (hinreichenden bzw dringenden) Tatverdacht oder die Annahme von Haftgründen sprechende Umstände bleiben bei dieser Prüfung außer Betracht (11 Os 114/04, 15 Os 56/04, jeweils mwN).

Soweit der Antragsteller die Tatbestandsmäßigkeit der in Voruntersuchung gezogenen gefährlichen Drohung in Abrede stellt, übersieht er, dass das Vergehen nach § 107 Abs 1 und 2 StGB weder vom Untersuchungsrichter noch vom Gerichtshof zweiter Instanz als haftbegründend herangezogen wurde. Auch die Frage, ob die dem Beschuldigten angelasteten Diebstähle nach § 129 Z 2 StGB qualifiziert waren, kann dahingestellt bleiben, weil die Haftvoraussetzungen ausschließlich in der gewerbsmäßigen Begehung erblickt wurden. Ein entsprechender dringender Tatverdacht wurde aber mit dem Hinweis auf die mehrfache Tatbegehung, die einschlägigen Vorstrafen und die persönliche Situation des zum übermäßigen Alkoholkonsum neigenden Beschuldigten, der nur über geringe finanzielle Mittel verfügte und den nicht einmal eine mehrstündige Verwahrungshaft von der Begehung weiterer Vermögensdelikte abhalten konnte, zutreffend begründet. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nach Vorliegen des psychiatrischen Sachverständigengutachtens Gewerbsmäßigkeit nicht mehr annahm, vermag das Zutreffen einer solchen Einschätzung bei Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht in Frage zu stellen. Davon ausgehend wurde aber auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO zu Recht angenommen, war doch aufgrund der oben angeführten Umstände konkret zu befürchten, dass der Beschuldigte, der bereits vier einschlägige Vorstrafen aufweist (S 27), weitere nach § 130 StGB qualifizierte Diebstähle begehen werde. Im Hinblick auf die aktuelle Strafdrohung des § 130 erster Fall StGB von 6 Monaten bis zu 5 Jahren war die ohnehin nur rund 5 Wochen andauernde Untersuchungshaft auch nicht unverhältnismäßig. Der Vorwurf, die Staatsanwaltschaft hätte die Untersuchungshaft beantragt, ohne die bereits aktuelle Frage der Zurechnungsfähigkeit einer Überprüfung zuzuführen, ist schlicht aktenwidrig, hat doch die Anklagebehörde bereits am 4. Dezember 2003 die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens begehrt (S 1). Da die strafgerichtliche Anhaltung des Martin I***** weder gesetzwidrig angeordnet noch verlängert wurde, war festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nicht vorliegen.

Soweit der Antragsteller in seiner Äußerung vom 22. Juni 2005 seinen Antrag auf Feststellung der im § 2 Abs 1 lit b oder c StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen weiterhin aufrecht hält, war er auf die diesbezügliche, bereits rechtskräftige Entscheidung der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. März 2005 (ON 44) zu verweisen.

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