OGH 15Os56/04

OGH15Os56/049.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Finster als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Sahit H***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch als Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, Z 2, 130 erster, zweiter und dritter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über den Antrag des Sahit H***** auf Feststellung der im § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl, jedoch in Abwesenheit des Anspruchswerbers Sahit H***** und seines Verteidigers Mag. Klasnic, den Beschluss :

gefasst:

 

Spruch:

Für die durch die strafgerichtliche Anhaltung des Sahit H***** von 27. April 2003, 17.45 Uhr bis 5. Juni 2003, 12.45 Uhr im Verfahren zum AZ 14 Ur 267/03g des Landesgerichtes für Strafsachen Graz entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile liegen die im § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen nicht vor.

Text

Gründe:

Am 30. April 2003 verhängte die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz über den am 27. April 2003 um

17.45 Uhr festgenommenen (S 69/I) Sahit H***** nach Einleitung der Voruntersuchung (S 3a, 356/I) wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch als Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 2, 130 erster, zweiter und dritter Fall StGB sowie des Vergehens der Bandenbildung nach § 278 Abs 1 StGB die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 und 3 lit b StPO (ON 20 iVm S 360/I). Auf Grund der Anzeigen der Bundespolizeidirektion Graz vom 27. und 28. April 2003 bestand gegen den Anspruchswerber der dringende Verdacht, er habe in Graz als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) zumindest eines anderen Vereinigungsmitgliedes mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung von (Einbruchs-) Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Nachgenannten fremde bewegliche Sachen in einem 2.000 Euro übersteigenden Gesamtwert durch Einbruch weggenommen, und zwar:

(1) am 26. April 2003 Luigj P***** und Florin Pr***** als unmittelbare Täter Verfügungsberechtigten des Sp***** in der Papierfabrikgasse Nr 1 470 Euro durch gewaltsames Aufbrechen eines Tresors mit einem Winkelschleifer;

(2) am 23. April 2003 Verfügungsberechtigten der A*****-Tankstelle in der M*****straße Nr 400 46 Stangen Zigaretten verschiedener Marken, 80 ÖSAG-Vignetten, 35 Telefonwertkarten, 9 Kodak- und Agfafilme im Gesamtwert von ca 9.290,79 Euro durch Aufbrechen eines Fensters, einer Eingangstüre und einer weiteren Zugangstüre;

(3) vom 24. auf 25. April 2003 Verfügungsberechtigten der O*****-Tankstelle in der Straßgangerstraße Nr 436 8.617,22 Euro durch Aufbrechen der Zugangstüre und Aufschneiden eines Tresors. Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des gänzlich leugnenden Sahit H***** wurde vorwiegend mit der Sicherstellung von Diebsgut in dessen Pkw begründet (S 379 iVm AS 247 und 261 ff/jeweils I), die Verdunkelungsgefahr mit der Befürchtung, er werde auf freiem Fuß Absprachen mit unbekannten Mittätern treffen und Beweismittel beseitigen, und die Tatbegehungsgefahr damit, dass auf Grund des fortgesetzten, gewerbsmäßig intendierten Vorgehens in Verbindung mit der durch Kreditverbindlichkeiten belasteten Einkommenssituation (S 355/I) die Gefahr der Begehung ähnlich gravierender Vermögensdelikte bestehe.

Mit Beschluss vom 28. Mai 2003 gab das Oberlandesgericht Graz der gegen den Fortsetzungsbeschluss vom 12. Mai 2003 (ON 39) erhobenen Beschwerde des Sahit H***** keine Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem vorbezeichneten Haftgrund der Tatbegehungsgefahr mit Wirksamkeit bis 28. Juli 2003 (bezüglich Verdunkelungsgefahr mit Begrenzung bis 30. Juni 2003) an. Dabei bejahte es den dringenden Tatverdacht unter Hinweis auf eine vernetzte Betrachtung mehrerer Indizien (vor allem Auffindung von aus dem Einbruch zu 2 stammenden Autobahnvignetten sowie eines hohen Geldbetrages und einer auffälligen Menge Zigaretten verschiedenster Sorten im PKW des Sahit H*****, Telefonkontakte zwischen diesem und Luigj P***** zur tatkritischen Zeit des zu 1 erwähnten Einbruchsdiebstahls) und verneinte die Unverhältnismäßigkeit der (damals einmonatigen) Haft sowie deren Substituierbarkeit durch gelindere Mittel gemäß § 180 Abs 5 StPO (ON 78).

Am 5. Juni 2003 wurde der Anspruchswerber nach Haftverhandlung gegen gelindere Mittel gemäß § 180 Abs 5 StPO (Weisung einer geregelten Arbeit nachzugehen und das aufrechte Beschäftigungsverhältnis bis zum 10. Juni 2003 nachzuweisen; S 126/II) um 12.45 Uhr enthaftet (ON 75/II). Schließlich wurde das Strafverfahren gegen ihn über Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 5. April 2004 gemäß § 109 Abs 1 StPO eingestellt (letzte Seite des Antrags- und Verfügungsbogens).

Mit Schriftsatz vom 11. März 2003 begehrte dessen Verteidiger Haftentschädigung mit der Begründung, "dass die Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft bereits von Beginn an nicht gegeben waren". Da der Anspruchswerber mit diesem Vorbringen nicht nur eine gesetzwidrige Anhaltung, sondern - der Sache nach - auch eine gesetzwidrige Verlängerung seiner strafgerichtlichen Anhaltung durch den Gerichtshof zweiter Instanz behauptet, ergibt sich die Kompetenz des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung im Sinne der §§ 2 Abs 1 lit a, 6 Abs 1 erster SatzStEG (Mayerhofer Nebenstrafrecht4 § 6 StEG E 2a).

Der Anspruchswerber wurde zu dem zunächst für 11. August 2004 angesetzten Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über seinen Anspruch ordnungsgemäß geladen. Über seinen Antrag wurde (wegen eines Auslandsaufenthalts) dieser Gerichtstag auf den 9. September 2004 verlegt. Einen Tag davor erklärten Verteidiger und Anspruchswerber, nicht zu diesem Gerichtstag zu erscheinen und blieben diesem auch fern. In der am 8. September 2004 eingelangten Äußerung ersuchte der Anspruchswerber, seinen Verfahrensstandpunkt entsprechend zu berücksichtigen.

Im Sinne des Grundsatzes der Waffengleichheit wurde der Anspruchswerber gehört (Art 6 Abs 1 EMRK). Er hat (durch seinen Verteidiger) seine Ansicht schriftlich entsprechend dargetan und begründet. Zur Stellungnahme des Generalprokurators hat er sich geäußert (ON 9 des Os-Aktes). Es wurde ihm wiederholt Gelegenheit gegeben, persönlich vor Gericht zu erscheinen und am Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über seinen Anspruch seinen Standpunkt persönlich darzustellen. Er hat von dieser Gelegenheit nicht Gebrauch gemacht, weswegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs die schriftlich eingebrachten Äußerungen zu Grunde gelegt wurden. Eine persönliche Anhörung war nicht möglich, weshalb ohne diese entschieden werden musste (vgl 13 Os 206/94). Er ist durch einen Rechtsanwalt vertreten, der dem Gerichtstag ebenso fern geblieben ist. Dessen Abwesenheit hinderte die Durchführung des Gerichtstages und die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht. In strenger Wahrung der Vermutung der Unschuld des Anspruchswerber (Art 6 Abs 2 EMRK) hatte der Oberste Gerichtshof die Frage zu prüfen, ob seine Anhaltung vom Gericht gesetzwidrig angeordnet oder verlängert worden ist (§ 2 Abs 1 lit a StEG).

Rechtliche Beurteilung

Die reklamierten Anspruchsvoraussetzungen liegen nicht vor. Bei Prüfung der Frage, ob die Haft gesetzwidrig angeordnet oder verlängert wurde, ist auf den Erhebungsstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (über die Anordnung oder Verlängerung) abzustellen; nachträglich hervorgekommene, gegen einen (hinreichenden bzw dringenden) Tatverdacht oder die Annahme von Haftgründen sprechende Umstände müssen bei dieser Prüfung außer Betracht bleiben (statt vieler 14 Os 122/03 mwN).

Nach der Aktenlage erbeuteten Luigj P***** und Florin Pr***** bei dem am 26. April 2003 verübten Einbruch (1) 470 Euro und bislang unausgeforscht gebliebene Täter bei den am 23. und 24. April 2003 begangenen Einbruchsdiebstählen (2 und 3) ua 8.617,22 Euro, zahlreiche Stangen und Packungen Zigaretten diverser Sorten, Farbfilme und Autobahnvignetten. Am 27. April 2003 wurden im PKW des Anspruchswerbers neben mehreren Autobahnvignetten, die an Hand der Kennzeichnung eindeutig dem Einbruch zu 2 zugeordnet werden konnten (S 477 f/I iVm S 93/II), weitere Sachen, nämlich 1.380 Euro (davon Banknoten in diverser Stückelung) sowie 26 Stangen und über 200 Packungen Zigaretten verschiedenster Sorten sichergestellt, die für eine Herkunft aus den vorerwähnten Einbruchsdiebstählen sprachen (S 87 ff/II). Dazu deponierte der im Laufe der Voruntersuchung des Beitrages zum Einbruchsfaktum 1 geständige Nazif H*****, dass er die vorbezeichneten Gegenstände von Luigj P***** und Florin Pr***** zunächst zum gewinnbringenden Weiterverkauf übernommen und nach deren Verhaftung aus Angst vor Entdeckung im PKW seines Bruders Sahit H***** heimlich versteckt habe (S 195 ff, 353a ff/II). Ferner unternahm Luigj P***** nach den Erhebungsergebnissen in der Nacht auf den 26. April 2003, als er gemeinsam mit Florin Pr***** den zu 1 erwähnten Einbruch verübte, den Versuch, den Anspruchswerber auf dem Handy zu erreichen, worauf dieser sofort nach dem Aufstehen gegen 7.00 Uhr einen Rückruf tätigte, der vom zwischenzeitig inhaftierten Luigj P***** nicht mehr angenommen wurde (S 245 f, 253/II). Auf Grund dieser, in der gebotenen Summenwirkung zu beachtenden Indizien konnten die mit der Haftfrage befassten Gerichte ohne Verstoß gegen Denkgesetze und die allgemeine Lebenserfahrung eine qualifizierte Verdachtslage dahin ableiten, dass Sahit H***** entgegen seiner leugnenden Darstellung Mitglied einer professionell und nach ähnlichem Modus (Tresoraufschneiden) agierenden Tätergruppe war und sich als solches an den zu 1 bis 3 genannten, teils von den Bekannten Luigj P***** und Florin Pr***** unter Beihilfe seines Bruders Nazif H***** teils von unausgeforschten Vereinigungsmitgliedern in drei aufeinanderfolgenden Nächten begangenen Einbruchsdiebstählen in noch abzuklärender Form (§ 12 StGB) beteiligte, bzw aus Einbruchsdiebstählen stammende Sachen mit gewerbsmäßiger Intention verhehlte. Demnach bestand gegen den Anspruchswerber zu den haftrelevanten Zeitpunkten dringender Tatverdacht in Richtung des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren, durch Einbruch und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 erster, zweiter und dritter Fall StGB bzw des gleichfalls hafttragenden Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 1, 2 und 4 StGB.

An der vorbeschriebenen Einstufung dieser Verdachtslage vermochte auch die im Antrag betonte Zustimmung des Sahit H***** zur unmittelbar bevorstehenden Nachschau in dessen PKW nichts zu ändern. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 StPO wurde wegen der begründeten Gefahr, der Anspruchswerber werde auf freiem Fuße unausgeforschte Mittäter warnen, Zeugen beeinflussen oder die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren versuchen, zu Recht angenommen. Obwohl sich damit ein Eingehen auf den weiter angenommenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO erübrigt (12 Os 15/95; 13 Os 167/01), war auch dieser im Hinblick auf die fortgesetzte und gewerbsmäßig intendierte Tatbegehung bis zur Enthaftung gegeben.

Die Anwendbarkeit gelinderer Mittel nach § 180 Abs 5 StPO wurde angesichts der Intensität der herangezogenen Haftgründe zutreffend verneint.

Im Hinblick auf die bei verdachtskonformer Verurteilung wegen der oben bezeichneten Verbrechen aktuellen Strafobergrenzen von zehn (§ 130 zweiter Strafsatz StGB) bzw fünf (§ 164 Abs 4 StGB) Jahren Freiheitsstrafe kann von Unverhältnismäßigkeit der ca 5 ½ wöchigen Untersuchungshaft keine Rede sein.

Da die Anhaltung des Sahit H***** weder gesetzwidrig angeordnet noch verlängert wurde, war nach öffentlicher Verhandlung und Verkündung des Beschlusses festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nicht vorliegen.

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