OGH 14Os122/03

OGH14Os122/0330.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. September 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Allmayer als Schriftführer, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 3a EVr 10.772/96 gegen Georges N***** (alias Jiri S*****) wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung anhängigen Strafsache über dessen Antrag auf Feststellung eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Für die von Georges N***** (Jiri S*****) in der Zeit vom 11. Oktober 1996, 14.00 Uhr, bis zum 22. November 1996, 11.20 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im Verfahren zum AZ 3a EVr 10.772/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien liegen die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nicht vor.

Text

Gründe:

Der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verhängte über den am 11. Oktober 1996 um 14.00 Uhr festgenommenen (ON 3) Georges N***** am 13. Oktober 1996 wegen des dringenden Verdachts des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b und lit d StPO die Untersuchungshaft (ON 6 iVm S 69).

Mit Beschluss vom 29. Oktober 1996, AZ 19 Bs 416, 417/96 (ON 24), gab das Oberlandesgericht Wien (unter anderem) einer Beschwerde des Genannten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft nicht Folge. Es begründete den dringenden Tatverdacht mit dem Inhalt der Anzeige und bejahte im Hinblick auf vier einschlägige Vorstrafen in Verbindung mit den mehrfachen verfahrensgegenständlichen Aggressionshandlungen den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit c StGB und erachtete die Untersuchungshaft als durch gelindere Mittel nach § 180 Abs 5 StPO nicht substituierbar. Darüber hinaus bewertete es die Haftdauer als nicht unverhältnismäßig.

Auf Grund eines Georges N***** im Tatzeitpunkt Zurechnungsunfähigkeit zubilligenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens (ON 40) und eines damit korrespondierenden psychologischen Untersuchungsberichtes (ON 43) zog die Staatsanwaltschaft den wegen der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB eingebrachten Strafantrag (ON 16) gemäß § 227 Abs 1 StPO mit am 22. November 1996 bei Gericht eingelangter Erklärung zurück (S 3 h). Daraufhin wurde das Strafverfahren mit Beschluss vom selben Tag eingestellt und die Enthaftung des Jiri S***** um 11.20 Uhr durchgeführt (ON 48). Mit Schreiben vom 18. Dezember 1997 begehrte der im Verfahren, AZ 1 P 29/97g des Bezirksgerichtes Döbling, zum einstweiligen Sachwalter des Jiri S***** (auch Georges N*****) bestellt gewesene (mittlerweile dieser Funktion wieder enthobene) Notar Dr. Manfred S***** Haftentschädigung für die erlittene Untersuchungshaft, "da diese zu Unrecht verhängt wurde" (ON 69). Anlässlich der Anhörung des Jiri S***** zu den Voraussetzungen der Haftentschädigung erachtete dieser seine Inhaftierung für gesetzwidrig, weil "ich nichts von dem getan habe, wessen ich beschuldigt wurde" und "warum ich in Österreich in Haft war". Er begehrte daher ebenfalls die Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 2 Abs 1 lit a StEG (S 375).

Das Oberlandesgericht Wien hatte mit dem schon genannten Beschluss vom 29. Oktober 1996, AZ 19 Bs 416, 417/96 (ON 24), der Haftbeschwerde des Georges N***** nicht Folge gegeben und ausgesprochen, dass die über den Genannten verhängte Haft (im Ergebnis) dem Gesetz entspricht. Damit hatte es dessen strafgerichtliche Anhaltung im Sinn des § 2 Abs 1 lit a StEG "verlängert".

Rechtliche Beurteilung

Mit dem Vorbringen, er habe kein die Haft rechtfertigendes strafbares Verhalten gesetzt bzw die Haft sei nicht gesetzmäßig gewesen, behauptet Georges N***** nicht nur eine gesetzwidrige Anhaltung, sondern - jedenfalls sinngemäß - auch eine gesetzwidrige Verlängerung seiner strafgerichtlichen Anhaltung durch den bezeichneten Beschluss des Gerichtshofes zweiter Instanz. Demzufolge hat der Oberste Gerichtshof über den Antrag gemäß § 6 Abs 1 erster Fall StEG zu erkennen.

Der Antrag des Georges N***** ist nicht berechtigt:

Bei Prüfung der Frage, ob die Haft gesetzwidrig angeordnet oder verlängert wurde, ist auf den Erhebungsstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (über die Anordnung oder Verlängerung) abzustellen;

nachträglich hervorgekommene, gegen gegen einen (hinreichenden bzw dringenden) Tatverdacht oder die Annahme von Haftgründen sprechende Umstände müssen bei dieser Prüfung außer Betracht bleiben (SSt 58/24;

NRsp 1998/11; EvBl 1994/50; 13 Os 178/93; 13 Os 118/93; 13 Ns 10/93;

12 Ns 3/92; 15 Ns 4/94; 11 Os 18/98 uam).

Nach der Aktenlage bestand sowohl bei Festnahme als auch bei Verhängung und Aufrechterhaltung der Haft der zutreffend auf die Anzeige gestützte dringende Verdacht, Jiri S***** habe, nachdem er aus Anlass einer ihm vorgeworfenen Sachbeschädigung an der Wohnungstür des Ulrich M***** zur Einvernahme auf das Kommissariat Döbling gebracht worden war, gegen seine angeordnete Abführung in den Arrest zum Zwecke der Untersuchung durch den Amtsarzt massiven tätlichen Widerstand geleistet, indem er mit den Füßen gegen die ihn an den Armen festhaltenden Sicherheitswachebeamten getreten und durch sein gewalttätiges Vorgehen die Schiebetür eines Aktenschrankes, ein Polizeifunkgerät sowie ein Pistolenholster (S 43) beschädigt haben soll. Letztlich waren insgesamt fünf Beamte notwendig, um ihn ruhig zu stellen und zu schließen.

Zu Recht wurde nach der Aktenlage auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO angenommen. Der Einschreiter weist nämlich insgesamt sechs überwiegend wegen verschiedener Aggressionsdelikte erfolgte Vor-Verurteilungen auf. Die konkrete Gefahr neuerlicher Delinquenz war angesichts des ihm vorgeworfenen massiven Widerstandes gegen mehrere Sicherheitswachebeamte und der Beschädigung von Polizeieigentum aus Anlass des Versuchs, ihn zu einer am Vortag wegen Sachbeschädigung erstatteten Anzeige zu vernehmen, jedenfalls gegeben. Die Anwendbarkeit gelinderer Mittel wurde wegen der im August 1996 erfolgten Eskalation des Einschreiters gegen Ulrich M***** (S 17) und unter Bedachtnahme auf das vom anhängigen Verfahren ersichtlich völlig unbeeindruckte Verhalten begründet ausgeschlossen. Letztlich lag auch keine Unverhältnismäßigkeit vor. Denn in Anbetracht mehrerer einschlägiger Vorstrafen des Einschreiters hätte er im Falle einer verdachtskonformen Verurteilung mit einer nicht bloß im untersten Bereich des bis zu drei Jahren reichenden Strafrahmens ausgemessenen Sanktion zu rechnen gehabt.

Daraus folgt, dass die Anhaltung des Georges N***** weder gesetzwidrig angeordnet noch verlängert wurde. Es war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators - festzustellen, dass die Voraussetungen eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nicht vorliegen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte