OGH 13Os118/93

OGH13Os118/9325.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.August 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Markel, Mag.Strieder und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Hatvagner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hubert K* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 2, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 20 Vr 225/92 des Landesgerichtes Innsbruck, über den Antrag des Verurteilten Ing.Karl M* auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs. 1 lit. a StEG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0130OS00118.9300000.0825.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Es wird festgestellt, daß in Ansehung der Anhaltung des Ing.Karl M* in Untersuchungshaft vom 17.April 1992 bis zum 12.Feber 1993 der im § 3 lit. b StEG bezeichnete Ausschlußgrund vorliegt.

 

 

Gründe:

 

In der oben bezeichneten Strafsache wurde über Ing.Karl M* am 17.April 1992 die Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr (§ 180 Abs. 2 Z 2 StPO) und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs. 2 Z 3 lit. a StPO) verhängt. Er stand im dringenden Verdacht ‑ und dies bildete schließlich auch den Vorwurf der Anklageschrift vom 14.Jänner 1993 (ON 435/XII) ‑ das Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch als Beitragstäter nach den §§ 12, dritter Fall, 127128 Abs. 2, 129 Z 1 StGB (Beitrag zum Einbruchsdiebstahl in ein Waffendepot des Österreichischen Bundesheeres, bei dem Waffen und militärische Geräte im Wert von ca. 1 Mio S erbeutet wurden), das Verbrechen der versuchten Neutralitätsgefährdung nach den §§ 15, 320 Abs. 1 Z 3 StGB (versuchte Ausfuhr der beim Einbruchsdiebstahl erbeuteten Kampfmittel in ein Kriegsgebiet im ehemaligen Jugoslawien) und das Vergehen des Ansammelns von Kampfmitteln nach dem § 280 Abs. 1 StGB (Zwischenlagerung der beim Einbruchsdiebstahl erbeuteten Waffen, Munition und anderen Kampfmittel) begangen zu haben.

Mit Beschluß vom 13.Oktober 1992, AZ 8 Ns 1.253/92 (= ON 281/IX), hat das Oberlandesgericht Innsbruck die zulässige Dauer der Untersuchungshaft (infolge fristbedingten Wegfalles der Verdunkelungsgefahr nur mehr aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr) auf 8 Monate ausgedehnt und mit Beschluß vom 22.Dezember 1992, AZ 8 Ns 1.267/92 (= ON 416/XI), um weitere 3 Monate auf 11 Monate verlängert. Mit Beschluß vom 2.Feber 1993, AZ 8 Bs 38/93 (= ON 466/XIII), hat das Oberlandesgericht Innsbruck einer Haftbeschwerde des Ing.Karl M* wegen Fortbestandes des Haftgrundes nicht Folge gegeben.

 

Rechtliche Beurteilung

In Stattgebung einer Grundrechtsbeschwerde gegen den Haftverlängerungsbeschluß vom 22.Dezember 1992 hat der Oberste Gerichtshof mit Erkenntnis vom 11.Feber 1993, GZ 13 Os 16/93‑6, ausgesprochen, daß Ing.Karl M* durch diesen Beschluß im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist, weil der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nicht mehr hätte angenommen werden dürfen. Nach diesem Grundrechtserkenntnis war somit die Fortsetzung der Untersuchungshaft ab dem 22.Dezember 1992 bis zu der auf Grund dessen erfolgten Enthaftung des Beschuldigten am 12.Feber 1993 gesetzwidrig.

Mit dem Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 30.März 1993 (ON 572/XV) ‑ rechtskräftig seit dem 23.Juni 1993 ‑ wurde Ing.Karl M* teilweise abweichend von den beschriebenen Anklagevorwürfen des Verbrechens der Hehlerei nach dem § 164 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3, letzter Fall, StGB, des Vergehens nach den §§ 15 StGB, 7 Abs. 1 und Abs. 2 KMG und des Vergehens des Ansammelns von Kampfmitteln nach dem § 280 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, wovon ihm gemäß dem § 43 a Abs. 3 StGB ein Teil von 10 Monaten für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die Vorhaft vom 15.April 1992 (Festnahme) bis zum 12.Feber 1993 wurde auf diese Strafe angerechnet.

Schon in der Hauptverhandlung stellte Ing.Karl M* den Antrag (S 571/XIV) auf Zuerkennung eines Ersatzanspruches wegen gesetzwidriger Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, den er in der Folge präzisierte (ON 578/XV) und damit begründete, daß er nur wegen mit nicht mehr als fünfjähriger Freiheitsstrafe bedrohter strafbarer Handlungen verurteilt worden sei, weshalb mit Rücksicht auf seine geordneten Lebensverhältnisse und seinen Wohnsitz im Inland Fluchtgefahr nicht hätte angenommen werden dürfen (§ 180 Abs. 3 StPO), aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr an sich nur eine Untersuchungshaft von höchstens zwei bzw. drei Monaten zu rechtfertigen gewesen wäre (§ 193 Abs. 3 und 4 StPO) und die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach dem Grundrechtserkenntnis des Obersten Gerichtshofes vom 11.Feber 1993 gesetzwidrig gewesen sei.

Im Hinblick darauf, daß die Untersuchungshaft des Ing.Karl M* mit den eingangs bezeichneten Beschlüssen vom Oberlandesgericht Innsbruck verlängert worden ist, hatte über diesen Antrag der Obersten Gerichtshof zu entscheiden (§ 6 Abs. 1 StEG), und zwar ungeachtet dessen, daß der Antrag auch darauf gestützt wird, daß bereits die Anordnung der Anhaltung (durch den Untersuchungsrichter) gesetzwidrig gewesen sei (Mayerhofer‑Rieder, Nebengesetze, E 2 a zu § 6 StEG).

Der Antrag ist in mehrfacher Hinsicht unberechtigt.

Er geht ins Leere, insoweit er die gesetzwidrige Annahme von Fluchtgefahr behauptet. Dieser Haftgrund wurde niemals herangezogen. Im übrigen kommt es bei der Entscheidung über die Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs. 1 lit. a StEG allein auf den Erhebungsstand an, wie er sich den staatlichen Organen im Zeitpunkt der als gesetzwidrig erachteten Anordnung oder Verlängerung der Haft darstellt. Nachträglich hervorgekommene Umstände, also insbesondere die Ergebnisse der Hauptverhandlung, müssen in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben (Mayerhofer‑Rieder, Nebengesetze, E 2 b zu § 2 StEG), weshalb die Berufung auf den § 180 Abs. 3 StPO im Hinblick auf die Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren des dem Antragsteller ursprünglich angelasteten Diebstahlsverbrechens auch sachlich verfehlt wäre.

Daß die Annahme des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr gesetzwidrig gewesen sei, behauptet der Verurteilte nicht einmal. In diesem Punkt ist der Antrag daher unsubstantiiert.

Verfehlt ist auch die Interpretation des Grundrechtserkenntnisses des Obersten Gerichtshofes vom 11.Feber 1993 durch den Antragsteller, weil damit nur die Gesetzwidrigkeit der Untersuchungshaft ab dem 22.Dezember 1992 wegen ungerechtfertigter Annahme des Fortbestandes von Tatbegehungsgefahr festgestellt worden ist. Daß der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr von allem Anfang nicht gegeben gewesen wäre oder schon bei Haftentscheidungen vor dem 22.Dezember 1992 (insbesondere zum Zeitpunkt des ersten Haftverlängerungsbeschlusses vom 13.Oktober 1992) nicht mehr hätte angenommen werden dürfen, wurde in diesem Erkenntnis nicht ausgesprochen.

Auf die Frage, ob die Anordnung oder Verlängerung der Untersuchungshaft schon vor dem 22.Dezember 1992 gesetzwidrig war, braucht nun aber nicht mehr eingegangen zu werden, weil jedenfalls der Ausschlußgrund des § 3 lit. b StEG vorliegt; wurde doch die gesamte Vorhaft (in der Dauer von rund 10 Monaten) auf die verhängte Strafe von 15 Monaten angerechnet. Die Wirksamkeit dieses Ausschlußgrundes erstreckt sich ‑ was hier von Bedeutung ist ‑ nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes, das eine entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereiches nicht vorsieht, nicht nur auf Fälle der Anrechnung auf eine unmittelbar zu vollziehende (unbedingte) Strafe, vielmehr schließt auch die Anrechnung auf eine ganz oder zum Teil bedingt nachgesehene Strafe den Ersatzanspruch in diesem Umfang aus, wie es im übrigen auch gleichgültig ist, ob die Anrechnung auf eine Freiheits‑ oder auf eine Geldstrafe erfolgt. Demnach war ein Ausspruch darüber, ob für die Anhaltung vor dem 22.Dezember 1992 die Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs.1 lit. a StEG gegeben sind oder nicht, entbehrlich. In Ansehung der Anhaltung ab dem 22.Dezember 1992 wäre ein solcher Ausspruch schon im Hinblick auf den § 11 GRBG überflüssig, weil es nach dieser gesetzlichen Bestimmung bei Anwendung des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes keines Antrages und keiner Beschlußfassung des übergeordneten Gerichtshofes nach dem § 6 Abs. 1 StEG mehr bedarf, soweit der Oberste Gerichtshof aus Anlaß einer Grundrechtsbeschwerde festgestellt hat, daß der Geschädigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Diese Bestimmung bedarf allerdings insofern einer Klarstellung, als im Grundrechtsbeschwerdeverfahren der Oberste Gerichtshof die auf eine gesetzwidrige Anhaltung oder Haft bezogenen Ausschlußgründe des § 3 lit. a und b StEG nicht prüfen kann. Ein Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes, mit dem eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit festgestellt wurde, vermag daher eine Entscheidung nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz in Ansehung des Vorliegens von Ausschlußgründen nach dem § 3 lit. a und b StEG nicht zu ersetzen. Das Wörtchen "soweit" in § 11 GRBG beschränkt daher für das Entschädigungsverfahren nicht nur die zeitliche Reichweite eines Grundrechtserkenntnisses auf den als grundrechtswidrig erkannten Haftzeitraum, sondern es bringt auch zum Ausdruck, daß die Grundrechtsentscheidung eine Entscheidung nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz nur in Ansehung des Ausspruchs über die Gesetzwidrigkeit der Haft, also die Anspruchsvoraussetzung nach dem § 2 Abs. 1 lit. a StEG überflüssig macht (vgl. JAB zu § 11 GRBG 852 BlgNR XVIII.GP  12: "... soweit sie reicht ..."). Liegen hingegen ungeachtet eines positiven Grundrechtserkenntnisses Ausschlußgründe nach dem § 3 lit. a oder b StEG vor, so hat der Staatsanwalt beim zuständigen Gericht deren Feststellung in einem gesonderten Verfahren nach dem § 6 StEG, das sich auf diese Frage zu beschränken hat, zu beantragen (vgl. Foregger‑Kodek StPO5 Nachtrag 1993 Anm. zu § 11 GRBG).

Hier ist ein solcher Antrag des Staatsanwaltes allerdings nicht mehr erforderlich, weil schon auf Grund des Antrages des Verurteilten selbst der Oberste Gerichtshof in die Lage versetzt war, den Ausschlußgrund festzustellen.

 

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte