OGH 5Ob108/05a

OGH5Ob108/05a7.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann, Dr. Hurch, Dr. Kalivoda und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Paul D*****, geboren 4. Juni 1999, vertreten durch den Vater Marcel D*****, beide *****, letzterer vertreten durch Dr. Peter Bartl & Partner Rechtsanwalts-OEG in Graz, gegen die beklagte Partei ***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Wiedner, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 8.000 s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 2.000), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Juni 2004, GZ 1 R 85/04b-31, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 27. November 2003, GZ 8 C 2240/02y-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

1. Der Vater des Klägers buchte für sich, seine Frau und die drei minderjährigen Kinder Bianca, Philipp und Paul (damals 10, 6 und 2 Jahre alt) eine von der Beklagten veranstaltete Pauschalreise nach G*****, Kroatien, mit dem Hotel L*****, für die Zeit von 1. 9. bis 8. 9. 2001. Die Unterbringung der Familie erfolgte in einem Appartement. Die gebuchte Hotelanlage war im Prospekt der Beklagten auszugsweise wie folgt beschrieben:

„Familienpreis 4 Personen = 1 Preis

....

2 Erwachsene + 1 oder 2 Kinder (bis 11 Jahre)

1 Woche Halbpension = 1 Preis

....

ïïï Appartements Labineca

....

Gutes Mittelklassehotel mit Appartementkomplex, bestehend aus ca. 152 Zimmern. Modern ausgestaltete Lobby mit Rezeption .... Spielplatz, -zimmer, Kinderbecken, Animationsprogramm.

Die Unterbringung erfolgt in Appartements mit Kochecke und Ausziehcouch, Schafraum, Bad/WC, Balkon und Terasse zur Meerseite.

Preis bei eigener Anreise 2 Erw., 2 Kinder bis 11 Jahre ÖS 5111

...."

Bei der Buchung war dem Vater zugesagt worden, dass auch der Kläger als drittes Kind (ohne Aufzahlung) Platz fände.

Die Hotelanlage war aufgrund einer Genehmigung der kroatischen Baubehörde vom 20. 2. 1986 errichtet worden und verfügte über eine aufrechte Benützungsbewilligung vom 23. 10. 1987.

Die Familie war im zweiten Stock des Hotelkomplexes untergebracht; ein Lift war dort nicht vorhanden und die Unterkunft nur über das Stiegenhaus erreichbar. Die Stiege wies links und rechts der Treppe ein Stiegengeländer auf. Das Stiegengeländer hatte den Handlauf in einer Höhe von 1,1 bis 1,2 m und darunter parallel verlaufend zwei jeweils rund 5 cm starke Eisenrohre als Querzüge; der Abstand zwischen den Stufen, den Querzügen und dem Handlauf betrug jeweils rund 33 cm.

Am Abend des 4. 9. 2001 verließ die Familie ihr Appartement. Die 10-jährige Bianca führte den Kläger an der Hand und ging mit ihm über die Stiege. Als sich Bianca nach den Eltern umdrehte, löste sich der Kläger von der Hand seiner Schwester oder es ließ ihn diese los, worauf er unter dem unteren Querzug des Stiegengeländers durchschlüpfte, abstürzte und dabei Verletzungen erlitt.

2. Der Kläger begehrt aufgrund seiner Unfallverletzungen aus dem Titel des Schadenersatzes unter Anrechnung eines Mitverschuldens seiner Eltern dem Grunde nach zwei Drittel eines für angemessen erachteten Schmerzengeldes von EUR 12.000, also EUR 8.000 s.A. und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen unfallbedingten Schäden „unter Zugrundelegung einer Verschuldensteilung von 2:1" zu deren Lasten. Obwohl die Beklagte Familienurlaube beworben habe, habe das Hotel nicht den dabei gebotenen - österreichischen - Sicherheitsstandards entsprochen. Die Beklagte habe demnach ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt.

Die Beklagte wendet ein, der Unfall sei allein auf die Vernachlässigung der Aufsicht durch die Eltern zurückzuführen. Die Stiegenanlage entspreche annähernd auch den österreichischen Bauvorschriften. Das Hotel verfüge über eine Bau- und Benützungsbewilligung. Besondere bauliche Sicherheitseinrichtungen habe sie in ihrem Prospekt nicht beworben.

3. Das Erstgericht verneinte eine Haftung der Beklagten und wies die Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der wesentlichen Begründung, es sei betreffend die Verkehrssicherungspflichten die Rechtsordung des Lageortes maßgeblich und der Kläger habe einen Verstoß gegen die vor Ort geltenden Bestimmungen nicht bewiesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige EUR 4.000, nicht aber EUR 20.000 und - nachträglich auf Antrag des Klägers nach § 508 ZPO - die ordentliche Revision sei doch zulässig; der Kläger habe unter Hinweis auf deutsche Judikatur geltend gemacht, dass zur Frage, welche Rechtsvorschriften und Standards für Verkehrssicherungspflichten heranzuziehen seien, wenn ein österreichischer Reiseveranstalter sich eines ausländischen Unternehmens als Erfüllungsgehilfen bediene, eine Judikatur insbesondere für den Fall fehle, dass im betreffenden Land erheblich andere Bauvorschriften und Sicherheitsnormen existierten.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem abgeänderten Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), ist die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

4. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster und zweiter Instanz liegt nicht vor; der Kläger versucht (auch) unter diesem Punkt seiner Revision eine unrichtige Lösung der Rechtsfrage zu begründen, zeigt aber inhaltlich keine (primären) Verfahrensmängel auf (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Der Schwerpunkt der Revision des Klägers besteht in der Rechtsrüge, mit welcher eine unrichtige Beurteilung des Umfangs der vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten der Beklagten durch die Vorinstanzen aufgezeigt werden soll. Ein Reiseveranstalter könne sich nicht admit freibeweisen, dass sein örtlicher Vertragspartner die ausländischen Bauvorschriften eingehalten habe und über eine aufrechte Benützungsbewilligung aus dem Jahre 1987 verfüge, obwohl in Österreich bereits strengere Sicherheitsstandards geltend würden und das mit dem Reiseangebot angesprochene Zielpublikum Familien mit Kleinkindern seien.

6. Wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend erkannt haben, unterliegt die Beklagte (nur) der (normalen) verschuldensabhängigen vertraglichen Haftung als Reiseveranstalter; sie hat dem Kläger so weit zu haften, als der Reiseveranstaltungsvertrag als Nebenpflicht auch eine Schutz- und Sorgfaltspflicht für dessen körperliche Sicherheit umfasst. Dabei hat die Beklagte gemäß § 1313a ABGB für ein allfälliges Verschulden des örtliche Hotelanbieters als ihren Erfüllungsgehilfen wie für ihr eigenes einzustehen (vgl 7 Ob 237/01f). Der Abschluss eines Vertrags lässt nicht bloß die Hauptpflichten entstehen, die für den betreffende Vertragstyp charakteristisch sind, sondern erzeugt auch eine Reihe von Nebenpflichten, zu denen auch die Schutz- und Sorgfaltspflichten gehören. Der Schuldner hat die geschuldete Hauptleistung nicht nur zu erbringen, sondern er hat sie so sorgfältig zu bewirken, dass alle Rechtsgüter des Gläubigers, mit denen er in Berührung kommt, nach Tunlichkeit vor Schaden bewahrt und beschützt bleiben (vgl RIS-Justiz RS0017049); solche Nebenpflichten können vereinbart sein, sich aus der ergänzenden Vertragsauslegung, insbesondere aus der Übung des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB), oder aus dem Gesetz ergeben. Wer, wenn auch erlaubterweise, eine Gefahrenquelle schafft, hat jedenfalls dafür zu sorgen, dass daraus kein Schaden entsteht (4 Ob 547/87 = SZ 60/190). Die vertragliche Sorgfaltspflicht darf aber ebensowenig überspannt werden wie die allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Die Frage, welche zumutbaren Schutzmaßnahmen vom Schutzpflichtigen zu treffen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl 2 Ob 593/88 = EvBl 1989/102, 373), die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO begründen. Gegenteiliges gilt nur dann, wenn eine Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste; dass dies hier der Fall wäre, ist nicht zu erkennen:

5. Die vom Kläger ins Treffen geführten zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betreffen seiner eigenen Darstellungen zufolge Fälle, bei denen Reisegäste beim Helicopter Skiing bzw beim Reiten Unfälle erlitten und bei denen die gegen den Veranstalter gerichteten Vorwürfe in der mangelnden Qualifikation des örtlichen Skilehrers bzw in der Bereitstellung eines ungeeigneten Pferdes bestanden haben sollen. Auf diese Entscheidungen ist schon deshalb nicht einzugehen, weil diesen keine - auch nur annähernd - vergleichbaren Sachverhalte zugrunde liegen.

6. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung 1 Ob 600/93 (= SZ 66/179 = ZfRV 1994, 161 [Schwind]) ausgesprochen, dass, werden einem Unternehmer die Missachtung jener Schutzpflichten und Sorgfaltspflichten, die sich - abgesehen von den öffentlich-rechtlichen Normen - auf die Beschaffenheit der Unterkunft beziehen, zum Vorwurf gemacht, diese vertraglichen Nebenpflichten selbst bei Verweisung auf eine fremde Rechtsordnung, nicht etwa am jeweiligen Baurecht des einzelnen ausländischen Gastes, sondern am Standard der Rechtsordnung des Lageorts gemessen werden müssen. An dieser Ansicht, gegen die der Kläger nichts Substanzielles vorzutragen vermag, ist auch weiterhin festzuhalten, entspricht dies doch - zumindest idR und wenn Gegenteiliges aus dem abgeschlossenen Reiseveranstaltungsvertrag nicht abgeleiten werden kann - auch dem durchschnittlichen Erwartungshorizont des Reisegastes.

7. Bei der Abgrenzung der aus einer vertraglichen Sonderverbindung entspringenden Schutz- und Sorgfaltspflichten sind zwar die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die von den Verwaltungsbehörden erteilten Bewilligungen bedeutsam; doch werden dadurch im Einzelfall die Grenzen der verkehrsüblichen und vom Erwartungshorizont der Beteiligtenkreise als zumutbar umfassten Anforderungen nicht schlechthin abgesteckt, sondern lediglich der Mindeststandard der dem Verantwortlichen obliegenden Sicherheitsvorkehrungen umrissen. Die einmal erteilte Benützungsbewilligung kann daher - worin dem Kläger durchaus beizupflichten ist - nicht für allemal entschuldigen, sondern es ist die bauliche Sicherheit laufend zu überprüfen, die Baulichkeiten sind dem Ergebnis der Kontrolle entsprechend einwandfrei instandzusetzen und es ist ganz allgemein der für die körperliche Sicherheit der Gäste maßgebliche, nach einschlägigen Gesetzen und anderen Vorschriften, aber auch nach dem jeweiligen Stand der Technik geltende Mindeststandard durch zumutbare Verbesserungsarbeiten einzuhalten. Dieser Mindeststandard ist herzustellen, soferne die Vorschriften die Sicherheitsanforderungen verschärfen (2 Ob 216/01f). Dass seit der für die Hotelanlage erteilten Baugenehmigung vom 20.2.1986 und der Benützungsbewilligung vom 23. 10. 1987 bis zum Unfalltag eine maßgebliche Verschärfung der vor Ort geltenden baurechtlichen oder sonstigen technischen Sicherheitsanforderungen stattgefunden hätte, hat hier der Kläger aber weder behautpet noch bewiesen.

8. Es mag zwar zutreffen, dass sich die Beklagte mit ihrer Prospektwerbung besonders um Familien bemüht, doch äußert sich dies nach dem festgestellten Inhalt des Werbematerials praktisch ausschießlich in der vemeintlich günstigen Preisgestaltung. Hinweise darauf, dass besonders, etwa auch im Rahmen der baulichen Ausstattung der Hotelanlage die Kindersicherheit im Vordergrund stünde, sind der Prospektwerbung nicht zu entnehmen und angesichts der angebotenen Preisgestaltung und der Hotelbeschreibung auch nicht zu erwarten.

9. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich auch in Österreich bis zum Unfalltag in der Zusammenschau der landesgesetzlichen Bauvorschriften - entgegen der Ansicht des Klägers - noch keine einheitlichen gesetzlichen Standards für die Beschaffenheit von Stiegengeländern entwickelt hatten, nach denen „in Österreich niemals (ein Stiegengeländer) in dieser Form errichtet hätte werden dürfen":

Zwar sahen für Stiegengeländer schon seinerzeit § 16 Abs 1 Sbg BautechnikG eine „auch Kindern ausreichenden Schutz" bietende, § 37 Abs 4 NÖ BautechnikVO, § 10 Abs 1 der Verordnung der Wr. Landesregierung über die technischen Erfordernisse von Bauwerken (idF LGBl.Nr. 51/1996) und § 9 Abs 1 der Tiroler Technischen Bauvorschriften 1998 (LGBl.Nr. 89/1998) eine das Durchkriechen von Kindern verhinderende Ausführung sowie § 55 Abs 3 Stm Baugesetz eine 10 cm nicht überschreitende lichte Weite zwischen Geländerteilungen vor; dagegen enthielten seinerzeit (bzw enthalten teilweise noch heute) § 15 Abs 2 Oö. Bautechnikverordnung (LGBl.Nr. 106/1994), § 4 Abs 2 burgenländische Bauordnung (LGBl.Nr. 11/1998) und § 66 Abs 2 Kärntner Bauvorschriften (LGBl.Nr. 56/1985) nur bestimmte Mindesthöhen für Geländer (Brüstungen), aber keine sonstigen sicherheitstechnischen Anforderungen.

Wenn daher die Vorinstanzen unter Berücksichtigung der aufgezeigten Umstände einen haftungsbegründenden Mangel in der hier vorgelegenen Ausführung des Stiegengeländers nicht erkannten, so liegt darin jedenfalls keine krasse und deshalb korrekturbedürftige Fehlbeurteilung; die Revision ist daher zurückzuweisen.

Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, dient die Revisionsbeantwortung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (RIS-Justiz RS0035979).

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